ExoMars-Fallschirmtest: Erneuter Fehlschlag

Am 5. August fand wieder ein ExoMars-Fallschirmtest statt. Dies war der dritte überhaupt und der zweite in diesem Jahr. Es war auch der zweite fehlgeschlagene ExoMars-Fallschirmtest in diesem Jahr. (Link zur Pressemitteilung der ESA vom 12.8.2019)

Fallschirmsequenz für die ExoMars-RSP-Mission, Quelle: ESA
Fallschirmsequenz für die ExoMars-RSP-Mission, Quelle: ESA

Das Ziel der europäisch-russischen Mars-Mission ExoMars RSP (RSP=Rover and Surface Platform) umfasst die weiche Landung einer russischen Plattform mit einem von der ESA und europäischen Industrieunternehmen gebauten Rover.

Beim Eintritt in die Mars-Atmosphäre hat das Eintrittsmodul eine Masse von 2 Tonnen. Davon entfallen insgesamt knapp 700 kg auf Fallschirme und aerodynamische Hülle (vorderer Hitzeschild und hintere Ummantelung).

Umfang der Mission ExoMars RSP auf einen Blick, Quelle: ESA

Zwei Hauptfallschirme in Reihenschaltung

Die Abbremsung von etwa zweifacher Schallgeschwindigkeit bis auf unter 50 m/s in 1 km Höhe erfolgt bei ExoMars RSP mit zwei Hauptfallschirmen, die nacheinander zum Einsatz kommen. Die weitere Abbremsung und weiche Landung wird mit Raketentriebwerken bewerkstelligt.

Der Überschallschirm hat einen Durchmesser von 15 Metern. Er wird nach Erreichen der Unterschallgeschwindigkeit abgeworfen. Danach entfaltet sich ein 35 Meter großer Unterschall-Fallschirm von der Ringslot-Bauart. 

Beide Schirme werden durch kleine Pilotschirme herausgezogen. Der zweite Pilotschirm bleibt auch nach Entfaltung des 35-Meter-Schirms noch mit diesem verbunden, um ihn zu stabilisieren. 

Disk-Gap-Band, Ringslot, Ringsail

Ein Disk-Gap-Band (DGB)-Fallschirm hat eine Kappe mit einem Loch in der Mitte. Nach außen hin ist ein offener Ring, der durchströmt wird, und um den herum noch ein Ring aus Stoff. Hierbei handelt es sich um die am besten verstandene und zuverlässigste Technologie für Hochgeschwindigkeitsfallschirme, aber nicht um die effizienteste Bauart. Ringslot-Fallschirme haben mehrere solche Ringe.

Ringsail-Fallschirme haben eine Kappe, die aus unterschiedlich großen Einzelstücken besteht, sodass die Durchströmung optimiert werden kann. 

Es gibt unterschiedliche Designziele. Natürlich ist der erzielte Luftwiderstand wichtig, aber ebenso die Widerstandsfähigkeit gegen Rissbildung und die aerodynamische Stabilität, und auch die Zuverlässigkeit der Entfaltung. Wesentlich ist auch, ob der Fallschirm erst bei Unterschall- oder bereits bei Überschallgeschwindigkeit eingesetzt werden soll. 

Bisherige ExoMars-Fallschirmtests: 2 Fehlschläge

Ein erster ExoMars-Fallschirmtest aus niedriger Höhe im letzten Jahr umfasste nur den zweiten, großen Schirm. Dieser Test war noch erfolgreich.

Der zweite ExoMars-Fallschirmtest am 28. Mai 2019 umfasste das gesamte Fallschirmsystem, das mit einerm Heliumballon von Kiruna (Schweden) aus in 29 km Höhe getragen und dort abgeworfen wurde). Dabei traten bei beiden Hauptschirmen radiale Risse auf, wobei bereits vor der Entfaltung Schäden zu sehen waren (d.h., bereits beim Herausziehen des gefalteten Fallschirms muss es zu einer Überlastung gekommen sein?). 

Der dritte Test am 5. August 2019 konzentrierte sich auf den großen Unterschall-Fallschirm. Der Fehlschlag ging auch diesmal wieder von Schäden aus, die schon vor der Entfaltung zu sehen waren. Das Testmodul, mit dem die Last des ExoMars RSP-Landemoduls simuliert wird, wurde nur durch den Pilotschirm gebremst und kam deswegen viel zu schnell herunter. 

In diesem Jahr ist aktuell nur noch ein Höhenabwurfstest und 2020 ein Qualifikationstest für den Unterschallfallschirm geplant. Wenn dann die Qualifikation des Gesamtsystems nicht gelingt, wird es eng. Das Startfenster für ExoMars RSP dauert vom 26.7.-11.8.2020 (In der Pressemitteilung der ESA stehen dazu veraltete Werte). Die Ankunft am Mars ist für den 19.3.2021 geplant.  

Wie machen es die anderen?

Die NASA hat in diesem Jahrtausend bereits fünf erfolgreiche Mars-Landemissionen absolviert: MER-A und -B (2003), Phoenix (2007), MSL (2011) und Insight (2018). Alle Missionen hatten nur einen Hauptfallschirm, dieser war in allen Fällen von der Disk-Gap-Band-Bauart. Auch der Marslandedemonstrator Schiaparelli auf ExoMars 2016 hatte nur einen Fallschirm, der auch vom Typ DGB war. 

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

11 Kommentare

  1. Spontan denke ich: Falls ein Fallschirm genügt, sollte man auch nur einen einsetzen und nicht zwei, denn mit zwei Fallschirmen steigt die Komplexität und es ist wohl nicht so, dass der zweite Fallschirm die Mission noch retten könnte nachdem der erste Fallschirm versagt hat.

    In den Tests versagen scheinbar beide Fallschirme und man beobachtet radiale Risse schon vor der Entfaltung. Schade dass der Test keine Auskunft darüber gibt, wie diese Risse entstehen, welche Kanten oder Kräfte da aufs Gewebe einwirken. Mir ist auch nicht klar, wie realistisch ein solcher Test ist, das heisst inwieweit die Verhältnisse in der Marsatmosphäre nachgestellt werden können. Zudem weiss man auch nicht, wie sich der Fallschirm in der Schiaparelli-Mission verhalten hat, nur gerade, dass mit dem Fallschirm die Eigenbewegung von Schiaparelli so gross war, dass ein Sensorwert die Sättigung erreichte und damit alle weiteren darauf basierenden Berechnungen falsch waren.
    Viele Ungewissheiten also und die Frage: Weiss die NASA mehr über die Fallschirmphasen ihrer Marsmissionen?

    • Die Schwingungen nach dem Entfalten des Fallschirms bei Schiaparelli und dessen Auswirkungen auf die Trägheitsplattform sind in diesem Zusammenhang irrelevant. Mir ist nicht bekannt, dass es Hinweise auf ein Versagen des Fallschirms bei Schiaparelli gegeben hat.

      Solange die Machzahl, die Dichte und die Zugkräfte repräsentativ für die zu erwartenden Verhältnisse am Mars sind, sind die Testergebnisse aussagekräftig.

      Die NASA hat, anders als die ESA, unabhängig von konkreten Missionen sehr umfangreiche Testserien absolviert, um Erfahrungen und Messdaten für unterschiedliche Fallschirmtyoen zu sammeln. Tests dieser Art begannen bereits in den 1960ern – auch das sozusagen ein Abfallprodukt des Apollo-Programms. Besonders aktiv in dieser Hinicht war das NASA-Zentrum Langley. Man findet massenhaft Filme von solchen Tests im Web.

      Aktuell entwickelt die NASA Überschall-Fallschirme der Ring-Sail-Bauart. Bei ersten Tests im Jahr 2015 wurden die Testschirme noch zerfetzt, aber 2018 hatte man die Technik im Griff. Wenn solche Testserien bereits im Vorfeld gefahren werden, hat man natürlich bei der Entwicklung einer tatsächlichen einen großen Erfahrungsschatz, auf den man einfach zurückgreifen kann.

  2. Ein Marsfallschirm, der in der Erdatmosphäre reisst, könnte auf dem Mars immer noch funktionieren, ist doch die Marsatmosphäre 100 Mal dünner und übt damit damit 100 Mal schwächere Kräfte aus.
    Allerdings nehme ich an, dass der Test in der Hochatmosphäre stattfand, dort wo die Erdatmosphäre gleich dünn ist wie die Marsatmosphäre. Trotzdem dürfte es schwierig sein auf der Erde die gleichen Verhältnisse herzustellen oder zu finden wie sie an der Stelle der Marsatmosphäre herrschen, wo die Fallschirme geöffnet werden.

    • Man glaubt es kaum: die Leute, die den Test gemacht haben, haben doch tatsächlich daran gedacht, dass die Marsatmosphäre weniger dicht als die Erdatmosphäre ist. In der Tat, bei den Tests erfolgt ein Abwurf aus einem Höhenballon.

      Das steht auch so in meinem Artikel, und auch in der verlinkten PM, dort gleich im allerersten Absatz. Man muss den Artikel nicht lesen, wenn man nicht will. Aber wenn man kommentiert, sollte man ihn schon gelesen haben.

      In 30 km Höhe beträgt die Dichte der Erdatmosphäre 18 Gramm pro Kubikmeter. In 5 km über der Marsatmosphäre ist die Dichte etwa 10 Gramm pro Kubikmeter.

  3. @Michael Khan: Ja, das las ich schon (Zitat): Der zweite ExoMars-Fallschirmtest am 28. Mai 2019 umfasste das gesamte Fallschirmsystem, das mit einerm Heliumballon von Kiruna (Schweden) aus in 29 km Höhe getragen und dort abgeworfen wurde).
    Doch ich denke mir dabei: Zuerst muss die Testsonde (der Testlander) relativ lange frei fallen damit er eine superosonare Geschwindigkeit erreicht. Dort wo der Fallschirm sich dann zu öffnen beginnt ist die Erdatmosphäre vielleicht schon etwas dichter. Doch selbst die 18 Gramm pro Kubikmeter in 30 Kilomter Höhe sind fast doppelt soviel wie die 10 Gramm pro Kubikmeter in 5 km Marsatmosphäre.
    Fazit: Mir scheint der Testfallschirm ist grösseren Kräften ausgesetzt gewesen als es ein Marsfallschirm wäre. Allerdings nicht extrem viel grösseren. Eine doppelt so grosse Bremskraft wie im Realfall sollte ein Fallschirm wohl schon aushalten.

  4. Wie groß die Zugkräfte sind, hängt auch von der Masse des daran hängenden Körpers ab, nicht allen von Geschwindigkeit und Luftdichte.

    Was die Geschwindigkeit angeht, so ist zu berücksichtigen, dass die Schallgeschwindigkeit bei 5 km Höhe über dem Mars auch etwa 10% höher als in 30 km Höhe über der Erde ist. Das heißt, um die gleiche Machzahl zu erreichen, muss die Geschwindigkeit beim Test niedriger sein als beim tatsächlichen Flug in der Marsatmosphäre. Aber die Geschwindigkeit geht im Quadrat in den Luftwiderstand ein, sodass dieser 10%-Unterschied nochmals schwerer wiegt und die höhere Dichte beim irdischen Test zum Teil ausgleicht.

  5. @Michael Khan: Vielen Dank für die Darstellung der vielen Faktoren, die beim Fallschirmtest eine Rolle spielen.
    Jetzt noch eine Bemerkung zu den Fallschirmproblemen von Schiaparelli und ExoMars RSP: Mir scheint, die NASA hat schon viel Erfahrung mit Marsfallschirmen. Man findet auf NASA-Sites Hinweise auf die grosse Dynamik (wilden Ausschläge) des Fallschirms während der Überschallphase und Berichte über das Versagens von Fallschirmen für den Mars während Test in der Erdatmosphäre. Inzwischen wurde sogar eine Simulationssoftware nur für die Fallschirmentfaltung geschrieben und von der NASA auch eingesetzt.
    Darüber berichtet A safe landing on Mars depends in part on an effective parachute (New computer simulations help accurately model the unfurling of these nylon safety nets to ensure they are up to the task.) Dort wird auch darüber berichtet, dass Fallschirme, die sich im Windtunneltest bewährt haben im Realtest trotzdem versagen können und das die Entfaltungsphase die eigentlich kritische Phase ist.

    Mir scheint, die Marsmissionen von ESA/Rokosmos sollten einige der Einrichtungen und der Software, die die NASA für Marsfallschirme schon besitzt und einsetzt, ebenfalls nutzen, denn eine gescheiterte Marsmission nur wegen einem Fallschirmproblem find ich recht frustrierend.

    • Das mit der Nutzung von Erfahrungen, Einrichtungen oder gar Software der NASA ist nicht so einfach, wie man sich das vorstellen mag.

      Die NASA macht vieles richtig. Es ist sehr gut, solche Grundlagenforschung für Dinge wie Fallschirme oder Hitzeschilde unabhängig von einem konkreten Projekt proaktiv voranzutreiben. Das reduziert Risiko und Aufwand bei den eigentlichen Missionen, denn die können da schon auf vorhandenes Wissen und Hardware zurückgreifen.

      “Frustrierend” ist in der Tat ein Adjektiv, das einem in Zusammenhang mit ExoMars unwillkürlich in den Sinn kommt, allerdings nicht allein im Kontext des möglichen Fallschirmversagens.

  6. Warum wurde denn so ein komplexes System mit zwei aufeinanderfolgenden Hauptschirmen ausgewählt? Ich vestehe, dass die Schirme für den Über- bzw. Unterschallbereich optimiert werden sollen. Aber offenbar geht es grundsätzlich ja mit einem Schirm (die erwähnten NASA-Missionen), und bei zwei Schirmen, die beide noch einen Pilotschirm dazu haben, kann halt auch mehr schief gehen.

    • Beim ExoMars-Projekt liegt die Verantwortung für das EDL-System bei der Industrie, bei Schiaparelli ebenso wie bei RSP. Der Handover-Point ist die Trennung vom Transfervehikel, 30 Minuten vor dem atmosphärischen Eintritt. Das entscheidende Krtierium bei der Auswahl war, dass ein zweistufiges Fallschirmsystem einen geringeren Höhenverlust während der Fallschirmphase bedingt. Damit kann die Fallschirmphase bei geringerer Höhe beginnen und der Eintritt steiler erfolgen, was die Dispersion des Landepunkts reduziert. Nachteil ist natürlich, wie Sie richtig sagen, die höhere Komplexität. Komplexität ist gleichbedeutend mit Risiko in einer Situation wie beim Mars-EDL, wo man eine Verkettung von Single Points of Failure hat. Ob die Entscheidung richtig war, wird sich zeigen.

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