ExoMars-Start 14.3.2016, 14:58 MEZ

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Drei von vier Breeze-Manövern fertig, toroidaler Tank abgesprengt. Es fehlt nur noch das letzte Manöver und dann die Abtrennung von ExoMars. Das wird jetzt aber noch sechs Stunden Wartezeit kosten. Es werden lange sechs Stunden.

Sechs Stunden sind allerdings gar nichts im Vergleich zur endlos langen Genese dieser Mission.

Es kommt mir fast so vor, als wäre nicht nur eine große Anzahl Startfenster, sondern auch fast jede mögliche Kombination von Techniken zu irgendeinem oder anderen Zeitpunkt Teil des Missionsplans gewesen. Einige markante Stationen, die übrigens auch der allgemein im Web zugänglichen Dokumentation zu entnehmen sind:

  • Das Konzept nach Ende der ersten Machbarkeitsstudie sah einen Start im Jahre 2009 mit einer Ariane 5 ECA vor. EIn Orbiter sollte den Rover in seiner Eintrittskapsel zum Mars transportieren und aus dem hyperbolischen Anflug heraus aussetzen. Also eigentlich genau das, was auch der TGO mit Schiaparelli macht. Nur dass Schiaparelli nicht einmal 600 kg Masse hat und natürlich auch keinen Rover umfasst, sondern nur eine passive Landeplattform. Wenn ich mich recht erinnere, war damals auch erwogen worden, überschüssige Kapazität der Rakete (überschüssige Kapazität? Was für überschüssige Kapazität?? Was bedeutet dieser Begriff???) zur zusätzlichen Mitnahme von vier kleinen seismologischen- und Wettersonden zu nutzen. Diese sollten ein verteiltes Netzwerk auf der Marsoberfläche bilden.
  • Nachdem die Ariane-basierte Lösung als zu kostspielig erachtet worden war, wurde das ganze Projekt kräftig eingedampft. Übrig blieb ein kleiner Rover in einer Eintrittskapsel und ein Träger. Das Komposit sollte von einer Soyuz-Fregat-Rakete in ein GTO gestartet werden, wie es auch für Starts geostationärer Satelliten verwendet wird, Das heißt, die vollgetankt rund drei Tonnen schwere Mars-Sonde würde in ein Erdorbit gestartet, müsste dort in Betrieb genommen und eigenständig in die Erdflucht und zum Mars gesteuert werden. Das Ganze funktionierte aber nur dann, auf den Einschuss ins Marsorbit verzichtet wurde. Die Mission wäre also nicht nur kräftig abgespeckt, sie wäre auch des Datenrelais-Orbiters verlustig gegangen. Da man sich nicht darauf verlassen konnte, dass die alte ESA-Marssonde Mars Express so lange durchhalten würde, wäre diese Mission zum opoerationellen Betrieb auf die tagtägliche Unterstützung durch die Amerikaner mit ihren Mars-Orbitern angewiesen gewesen. Das anvisierte Startfenster war nun 2011. Da aber dann die Ankunft mit einem direkten ~180 Grad-Transfer kurz vor der Staubsturmsaison stattgefunden hätte, untersuchte man stattdessen einen Zweijahrestransfer: Die Raumsonde wird in die heliozentrische Bahn gestartet und vollbringt dort einen kompletten Umlauf und dann noch einen halben.
  • Da mit dem resultierenden kleinen Rover keine nennenswerte Wissenschaft mehr machbar gewesen wäre, wurde nun wieder die Ariane 5 als Startvehikel angepeilt. Das Problem mit der Staubsturmsaison sollte dadurch gelöst werden, dass die Ariane den Träger mit der Eintrittskapsel in den Transfer zum Mars schickt, und das Gesamtkomposit sich bei der Ankunft am Mars in eine hochexzentrische Bahn einschießt und dort abwartet, bis sich der Staub gelegt hat. Einen Orbiter zur Datenübertragung oder gar wissenschaftlichen Forschung aus dem Orbit gab es aber nach wie vor nicht, denn der Träger war nur ein Träger, kein echter Orbiter – die Abhängigkeit von anderen blieb bestehen. Viele Jahre gingen ins Land. Der Start verschob sich auf 2013, dann 2016.
  • 2008 wurde ein Abkommen zu einer weit reichenden Kooperation in der Marsforschung zwischen der NASA und der ESA unterzeichnet. Jedes Startfenster sollte von nun an von beiden Agenturen gemeinsam genutzt werden. Die erste gemeinsame Mission sollte ExoMars sein. Allerdings nicht so, wie von den Europäern zuletzt geplant. Auf Vorschlag der NASA wurde der Rover aus der ersten Mission entfernt und auf eine spätere Startgelegenheit verschoben. Für 2016 sollte nun nur noch ein Orbiter mit wissenschaftlicher Ausstattung und starken Datenrelais-Funktionen gestartet werden. Die Europäer konnten von diesem Orbiter einen Landedemonstrator namens “Entry Demonstrator Module” mitnehmen lassen. Dieses Konzept veränderte sich nun nicht mehr nennenswert, bis auf die Umbenennung des EDM in “Schiaparelli”. Das Konzept ExoMars 2016 war geboren. Geburtshelfer und wahrscheinlich auch an der Zeugung beteiligt war die NASA.
  • Die ESA wollte aber natürlich nach wie vor einen Rover bauen, Das war ja schließlich von vorneherein der Sinn der ganzen Übung gewesen, Die NASA schlug zunächst vor, zwei mittelgroße Rover in eine Eintrittskapsel der Art zu quetschen, wie sie für die Mission MSL vorgesehen war. Dann änderte die NASA ihre Vorschläge dahingehend, die ESA solle keinen Rover bauen, sondern nur Experimente beisteuern, die mit dem Zweitflug des NASA-Rovers MSL mitfliegen könnten. In Prinzip eine Degradierung der ESA zu einem reinen Juniorpartner. Die ESA wäre vom kritischen Pfad ferngehalten worden und hätte auch keinen nenneswerten eigenen Fähigkeiten in der robotischen planetaren Oberflächenforschung aufgebaut.
  • Im Herbst 2011 verkündete die NASA einseitig das Ende der Kooperation, bevor auch nur eine einzige Mission gestartet worden war, Zum Glück fand die ESA unverzüglich eine andere heiratswillige Braut. Russland erklärte sich bereit, den Part der USA bei ExoMars 2016 zu übernehmen und forderte für alles, was danach kommen sollte, eine Partnerschaft auf Augenhöhe, aber keine dominierende Rolle. Für die Mission ExoMars 2016 würde der Start nun mit einer Proton M / Breeze M erfolgen anstatt mit einer Atlas V, Zwei der vier Orbiterinstrumente kamen nun vom IKI in Moskau. Bei der ESA war die Entwicklung des Rovers nach dem von den USA erhaltenen Korb mit Hochdruck wieder aufgenommen worden. Die Entwicklung des Eintrittsmoduls würde in die Verantwortung Russlands fallen, das auch diesmal wieder die Rakete beisteuert.

Die Einbeziehung internationaler Partner hat also im Fall von ExoMars deutlich stabilisierende Wirkung auf den Projektverlauf gehabt.

 

 

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

1 Kommentar

  1. >Die Entwicklung des Eintrittsmoduls würde in die Verantwortung Russlands fallen, das auch diesmal wieder die Rakete beisteuert.

    Wenn ich es richtig verstehe, hat ESA den Landedemonstrator entwickelt, und Russland wird dann das echte Landemodul für ESAs Rover bauen. Bekommt Russland dafür die Erkenntnisse aus Schiaparelli?

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