ExoMars. TGO. Emm. Oh. Eye.

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Bitte stellen Sie sich diese Worte als mit einer supercoolen Baßstimme in den Raum gestellt vor. Ach, was sage ich. Geworfen, nicht gestellt. Morgen geht es für beide Komponenten der Mission ExoMars 2016 ums Ganze. Der Lander Schiaparelli soll zeigen, dass auch europäische Ingenieure Mars-Landungen hinkriegen. Der Orbiter TGO soll in die Bahn um den roten Planeten eingebremst werden.

Zum Bahneinschuss, englisch “Mars Orbit Insertion” oder MOI liefert dieser Artikel auf dem Rocket-Science-Blog der ESA Hintergrundinformationen. Was noch erwähnt werden sollte, ist, dass zeitgleich mit dem 424 N-Haupttriebwerk auch vier Lageregelungstriebwerke auf der -x-Seite des TGO laufen. Diese sind zwar weniger effizient als das Haupttriebwerk – sie haben einen geringeren spezifischen Impuls. Der spezifische Impuls ist die Ausströmgeschwindigkeit des Abgases dividiert durch die Erdbeschleunigung und trägt die Einheit “Sekunden”. Je höher der spezifische Impuls, desto geringer die ausgestoßene Masse, um ein gewünschtes Geschwindigkeitsinkrement zu erreichen.

Trotzdem spart der zusätzliche Einsatz der kleinen Triebwerke Treibstoff. Warum? Weil der zusätzliche Schub bedeutet, dass die gesamte Manöverdauer und damit die Gravitationsverluste verringert werden. Gravitationsverluste entstehen immer dann, wenn es einen optimalen Punkt für ein Manöver gibt (in diesem Fall der Punkt der größten Annäherung an Mars), das eigentliche Manöver aber bereits lange vor diesem optimalen Punkt beginnt und lange danach endet.

Die Lageregelungstriebwerke müssen aber gleichzeitig auch, wie ihr Name schon sagt, die Lage des ExoMars TGO regeln, d.h., die Sonde so halten, dass das Triebwerk immer  genau in Richtung des Geschwindigkeitsvektors im areozentrischen System zeigt. Wie geht das, wenn die Triebwerke auf der -x-Seite doch während des MOI konstant in Betrieb sind? Ganz einfach – sie sind halt nur fast konstant in Betrieb. Man kann die Triebwerke auf der einen Seite kurz pausieren lassen, wenn man will, dass die Raumsonde sich zu dieser Seite hinneigt. Das Stichwort ist “Off-Modulation”.

Was den anderen Teil von ExoMars angeht, nämlich Schiaparelli: Dessen Sender wird einige Zeit vor dem Eintritt eingeschaltet. Wie am Sonntag während des Abtrennens vom TGO gezeigt, kann das GMRT-Radioteleskop in Pune, Indien, mit seinen 45-Meter-Schüsseln das UHF-Signal empfangen. Dies war zuerst nicht so klar; nun aber ist davon auszugehen, dass das funktioniert. Wenn das Signal morgen auch empfangen wird, und zwar wegen der Signallaufzeit fast 10 Minuten, nachdem es von Schiaparelli gesendet wurde, dann kann man allein schon aus der Existenz des Signals auf die Funktionstüchtigkeit der Landesonde schließen. Wenn alles gut geht, dann wir das Signal noch bis 17:14 MESZ empfangen. Das Ergebnis der Spektralanalyse soll von Pune aus im Web gestreamt werden. Idealerweise werden wir alle also ab 16:59 MESZ sehen, dass Schiaparelli von Merdidiani Planum aus weiter sendet.

In diesem Fall wäre der zusätzliche Signalempfang durch den ESA-Marssatelliten Mars Express redundant. Da dieser zunächst auf Schiaparellis Signal horcht und dann erst zur Erde schwenkt, um den Inhalt seines Datenspeichers herunterzuladen, bekommen wir die Informationen von Mars Express erst deutlich später, nicht vor 18:30 MESZ. Danach müssen die von Daten erst noch verarbeitet werden.

Weder das GMRT in Pune noch Mars Express können Schiaparelli-Daten empfangen. Dazu ist der physische Abstand zu groß und der Rauschabstand zu klein.

Tatsächliche Daten von Schiaparelli können nur via Raumsonden in der Nähe übertragen werden. Da ist zunächst einmal der TGO, der während des MOI direkt über Schiaparelli hinwegfliegt und dabei über sein Electra-UHF-System die von Schiaparelli gesendeten Daten empfängt und in seinem Datenspeicher ablegt. Electra ist der Missionsbeitrag der NASA, zusätzlich zur Unterstützung mit DSN-Bodenstationen und den Orbitern am Mars. Von 18:50 bis 19:00 MESZ überfliegt der NASA-Orbiter MRO die Schiaparelli-Landestelle, etwas später auch Odyssey. MRO soll insgesamt 18 Relais-Überflüge gewährleisten, weitere kommen von Odyssey, Maven und Mars Express hinzu. Der Datensatz von der Landung soll spätestens am kommenden Morgen komplett verfügbar sein.

Am Donnerstag um 10:00 werden die Ergebnisse in einer Pressekonferenz am ESOC vorgestellt.

 

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

4 Kommentare

  1. Der Einschusses des TGO in den Marsorbit, bei dem neben den Haupttriebwerken auch die Lageregelungs-Triebwerke eingesetzt werden, wird so beschrieben (Zitat)

    Die Lageregelungstriebwerke müssen aber gleichzeitig auch, wie ihr Name schon sagt, die Lage des ExoMars TGO regeln, d.h., die Sonde so halten, dass das Triebwerk immer genau in Richtung des Geschwindigkeitsvektors im areozentrischen System zeigt. Wie geht das, wenn die Triebwerke auf der -x-Seite doch während des MOI konstant in Betrieb sind? Ganz einfach – sie sind halt nur fast konstant in Betrieb. Man kann die Triebwerke auf der einen Seite kurz pausieren lassen, wenn man will, dass die Raumsonde sich zu dieser Seite hinneigt. Das Stichwort ist „Off-Modulation“.

    Mir scheint eine solche Orchestration von Triebwerken, die unter anderem Lageregeltriebwerke “zweckentfremdet”, ein recht anspruchsvolles Manöver. Dieses Manöver muss vollautomatisch ablaufen, denn die Signallaufzeiten von der Erde zum Mars (wo sich der TGO befindet) ist viel zu lang um es von der Erde aus zu steuern. Das Manöver kann meiner Einschätzung nach aber auch nicht eine feste Programmsequenz abarbeiten, denn die genaue Dauer der nötigen Off-Modulation (also dem einseitigen Abschalten der Lageregeltriebwerke zum Zweck der Lagekontrolle) hängt vom Effekt der vorausgegangenen Impulsänderung, also vom Effekt der vorausgegangen Schubphasen ab. Und die genaue Stärke dieser Schubphasen ist nicht fix, sondern muss während des Fluges gemessen werden. Somit hängt die eben beschriebene Mars Orbit Insertion vom Zusammenspiel von Sensoren, Software und Aktuatoren ab und ist somit ähnlich komplex wie es die terminale Landesequenz des NASA Curiosity-Landers war.

  2. Das Wort areozentrisch aus (Zitat)

    dass das Triebwerk immer genau in Richtung des Geschwindigkeitsvektors im areozentrischen System zeigt

    scheint mir recht exotisch, findet man es doch nicht im deutschen Duden, wohl aber in der englischsprachigen Wikipedia unter Areocentric orbit.

    Ferner findet man es in Kim Stanley Robinson’s Mars Trilogie im Satz:

    Wenn man auf dem Mars geboren war, hatte man einfach eine andere Weltsicht, irgendwie areozentrisch auf eine Weise, die kein Terraner ganz begreifen kann

  3. Sehr schön. Sowohl der Artikel (vielen Dank dafür!) als auch das geglückte Manöver des TGO. Selbst Schiaparellis unsanfte Landung dürfte in vielerlei Hinsicht äußerst interessant sein.
    Vielen Dank für deine immer wieder spannenden Einblicke, die viel aufregender sind als die oberflächlichen Pressemitteilungen!

  4. Das Ergebnis der Spektralanalyse soll von Pune aus im Web gestreamt werden.

    Abgesehen von Kommentaren auf Twitter hats diesbezüglich nichts gegeben. Das hätt ich mir “anschaulicher” gewünscht. Oder hab ich die richtige Webseite nicht gefunden?

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