ExoMars 2016: Tag 3

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Heute um 12 Uhr MEZ wird die Raumsonde einen Erdabstand von 600,000 km erreichen.

Ich habe mal etwas nachgerechnet. Ich verrate hier keinerlei Geheimnisse. Alle Daten sind öffentlich verfügbar, jeder kann dieselben Berechnungen anstellen und wird zum selben Ergebnis kommen.

Von den 4332 kg Startmasse entfallen etwa 580 auf das Entry Demonstrator Module EDM, aka Schiaparelli. Der wahre Massenanteil durch Schiaparelli ist allerdings viel höher. Am 28. Juli wird ein großes Manöver von etwa 340 m/s absolviert. Schiaparelli muss bei diesem Manöver als tote Masse mitgerechnet werden, kostet also Treibstoff.

Der Bahneinschuss des TGO erfolgt bei niedriger Inklination, damit während des Eintritts und der Landung von Sciaparelli dessen Daten empfangen werden können. Der TGO muss nach dem Einschuss in die hochexzentrische Bahn um den Mars die Bahnneigung auf den Zielwert von 74 Grad erhöhen, was etwa 200 m/s an zusätzlichem Delta-v kostet.

Angenommen, der TGO wäre ohne einen Schiaparelli an Bord gestartet worden, dann hätte die Mission beim Start inklusive Treibstoff eine Masse von etwa 3420 kg haben müssen, um am Ende auf dieselbe Masse im Zielorbit um den Mars zu kommen. So gerechnet schlägt Schiaparelli in der Startmasse nicht mit 580 kg, sondern schon mit 912 kg zu Buche.

Aber das ist natürlich immer noch immer noch nicht alles. Wenn der TGO nur wegen der Schiaparelli-Mission schon 332 kg Treibstoff zusätzlich in den Tanks haben musste, die er ohne Schiaparelli nicht gebraucht hätte, dann hätte man bei einer Mission ohne Schiaparelli vielleicht kleinere, kompaktere und leichtere Tanks verbauen können. Auch bei der Struktur hätte man sparen können. Wenn weniger Masse beim Start zu schleppen ist, dann gibt es auch geringere strukturelle Belastungen. Ich kann jetzt nicht genau beziffern, was da noch hätte eingespart werden können. Sicher nicht ganz wenig. Also dürfte die Auswirkung von Schiaparelli in der Massenbilanz eher vierstellig ausfallen.

Gut, das ist halt so. Es ergibt sich unausweichlich aus dem Missionskonzept ist ist an und für sich auch nicht so schlimm, wenn die Rakete ohnehin ausreichend stark ist, um auch die Raumsonde trotz des Massenzuwachses noch zum Mars starten zu können. Aber der beschriebene Umstand erklärt auch, warum seit Viking keine große Landesonde von einem Orbiter zum Mars transportiert wurde, sondern immer die Lösung mit einer kleinen Trägersonde gewählt wurde, die den Lander aus dem hyperbolischen Anflug heraus absetzte.

Nun gut. Jetzt können wir ja den Vergleich zwischen imaginärem TGO (ohne Schiaparelli) und anderen Orbitern anstellen. Imaginärer TGO: Startmasse vollgetankt, sagen wir 3400 kg, wissenschaftliche Nutzmasse wie beim realen TGO: 120 kg. Zum Vergleich die NASA/JPL-Mission MRO (Start 2005): Startmasse vollgetankt; 2180 kg, wissenschaftliche Nutzmasse: 139 kg.

Oh, äh … gut. Anderes Startfenster und andere Anforderungen der Instrumente. Das sicher auch. Wechseln wir das Thema.

Interessant ist auch der Vergleich von Schiaparelli mit anderen Landesonden. 580 kg wiegt der Lander inklusive Treibstoff und Eintrittskapsel. Das ist ziemlich genau die Eintrittsmasse des NASA-Marslanders Phoenix, gestartet im Jahr 2007. Der allerdings konnte weich landen, hatte 55 kg wissenschaftlicher Nutzmasse an Bord und wurde etliche Monate auf der Oberfläche betrieben.

 

Avatar-Foto

Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

11 Kommentare

  1. Vielen Dank für Ihre ausführlichen Erklärungen zu meiner Frage nach der hohen Masse. Das ist sehr interessant!

  2. Auf der halbjährigen Reise wird wohl wenig berichtenswertes passieren? Sofern alles glatt geht? Wie steht es denn um das Risiko von kleineren und größeren Meteoriten? Oder wie auch immer die Dinger im Stadium des Flugs durch das All genannt werden, Asteroiden wäre ja was größeres.

    • Das Risiko einer Kollision mit einem mehr als nur staubkongroßen Teilchen ist sehr gering und muss einfach hingenommen werden. Ein Exitus durch technisches Versagen einer kritischen Komponente ist viel wahrscheinlicher.

      Ich werde schon noch Neues berichten, auch Positives. Im Moment läuft noch alles ziemlich rund. Es wäre allerdings auch bedenklich, wenn es jetzt schon Schwierigkeiten gäbe. Der Einschuss durch die Proton war geradezu phänomenal präzise. Als nächstes steht die Inbetriebnahme der Hochgewinnantenne an.

    • Die Nasa beobachtet Einschläge auf dem Mond um die Gefahr von Meteoriden für die Raumfahrt zu bestimmen:

      But why look at the Moon? We need to understand the numbers of meteoroids across a range of sizes so we can evaluate the threat to spacecraft. Small meteoroids are measured with radar as they ablate in Earth’s atmosphere. Larger meteoroids are less abundant so a large collecting area is needed to measure a statistically significant sample. The surface of the Moon provides millions of square kilometers of collecting area we can see from Earth.

      Die bis jetzt berechnete Mond-Impakt-Rate ist allerdings mit grosser Unsicherheit behaftet, denn es gibt zu wenig systematische Untersuchungen: The lunar impact rate is very uncertain because observations for objects in this mass range are embarrassingly few — a single fireball survey conducted by Canadian researchers from 1971 to 1985. Clearly more observations are needed if we are to establish the rate of large meteoroids impacting the moon.

    • Generell gilt: Die Gefahr, die vom Weltraummüll ausgeht ist im inneren Sonnensystem (Planeten bis und mit Mars) um ein Vielfaches grösser als die Gefahr, die von natürlichen Festkörpern ausgeht.

      • Na ja, stimmt natürlich nur, wenn man sich in irgendeinem Orbit um die Erde befindet. Ich komme zu diesem Schluss, weil die Mikro-Impakte bei Sattelliten im Orbit teilweise ausgezählt wurden nachdem die Satelliten zur Erde zurückgebracht wurden:

        Returned space hardware is a valuable source of information on the directional distribution and composition of the (sub-millimetre) debris flux. The LDEF satellite deployed by mission STS-41-C Challenger and retrieved by STS-32 Columbia spent 68 months in orbit to gather debris data. The EURECA satellite, deployed by STS-46 Atlantis in 1992 and retrieved by STS-57 Endeavour in 1993, was also used for debris study.[95]

        The solar arrays of Hubble were returned by missions STS-61 Endeavour and STS-109 Columbia, and the impact craters studied by the ESA to validate its models. Materials returned from Mir were also studied, notably the Mir Environmental Effects Payload (which also tested materials intended for the ISS[96]).[97][98]

      • Die Idee hinter meiner Aussage war folgende: Wenn ein Raumfahrzeug beispielsweise immer zwischen Erde und Mond herumpendelt (8-er-Bahn?) und dabei recht nahe an die Erde herankommt, wo ist dann die grösste Gefahr für den Satelliten durch einen Beschuss mit Festkörpern Schaden zu nehmen? Wohl in Erdnähe durch die mögliche Kollision mit Müll (oder gar Satelliten).

Schreibe einen Kommentar