Eumetsat startet MTG-S1 auf Falcon 9 statt Ariane 6

Bildliche Darstellung zweier MTG-Satelliten, Quelle: Eumetsat

MTG-S1, das zweite Exemplar der dritten Generation geostationärer europäischer Wetterbeobachtungssatelliten, wird mit einer Rakete vom Typ SpaceX Falcon 9 starten. Das kündigte die europäische Organisation für meteorologische Satelliten Eumetsat heute an. Ursprünglich sollte die dritte Ariane 6 (und erste Ariane 64) den fast 4 Tonnen schweren Satelliten im Jahr 2025 ins geostationäre Transferorbit starten.

Daraus wird nun nichts. Eumetsats Exekutivkomittee hat dem Verwaltungsrat vorgeschlagen, den amerikanischen Konkurrenten zu bevorzugen. Das berichtet ein Artikel in Le Monde heute, Donnerstag, 27. Juni 2024.

Ärgerlich für Arianespace. Da wähnte man sich nach 10 Jahren Entwicklungsarbeit und 4 Jahren Verspätung endlich auf der Zielgeraden. Die Verspätung der Ariane 6, zusammen mit den Problemen der kleineren Vega-Familie und dem Verzicht auf die russische Sojus, führte dazu, dass Europa seit dem letzten Start der Ariane 5 ECA ohne autonomen Zugang zum Weltall dasteht. Die Einführung der Ariane 6 am 9. Juli 2024 (Startfenster von 20-23 Uhr MESZ) sollte gebührend gefeuert werden. Und jetzt das: Eine europäische Agentur wendet sich keine zwei Wochen vor dem großen Ereignis vom europäischen Raketenanbieter ab und bevorzugt zumindest für diesen wichtigen Start seinen größten Konkurrenten.

MTG-S1: der erste seiner Art

Nach fast 50 Jahren und 11 spinstabilisierten Satelliten zweier Generationen im geostationären Orbit ist Eumetsat dort auf dreiachsenstabilisierte Satelliten umgestiegen, so wie es die Kommunikationsbranche schon vor Jahrzehnten tat. Die spinstabilisierter Satelliten waren in Nord-Südrichtung ausgerichtet und rotierten mit 100 Umdrehungen pro Minute um diese Achse. Bei jeder Umdrehung wurde ein Satz Zeilensensoren in unterschiedlichen Wellenlängen belichtet, dessen Optik von Umdrehung zu Umdrehung eine jeweils etwas andere geographische Breite betrachtete.

Bildliche Darstellung zweier MTG-Satelliten, Quelle: Eumetsat
Bildliche Darstellung zweier MTG-Satelliten, Quelle: Eumetsat

Bei der Baureihe MTG (Meteosat Third Generation) wird die Nutzlast auf zwei Typen verteilt. Die vier MTG-I-Satelliten (I für Imaging) haben bildgebende Instrumente, die die sichtbare Erde in kurzen Intervallen und mit hoher spektraler Auflösung abbilden. Der erste MTG-I (MTG-I1, Meteosat 12) wurde 2022 gestartet. Die zwei MTG-S-Satelliten (S für Sounding) werden sich dem atmosphärischen Geschehen im IR- und UV-Bereich widmen. Der erste davon ist MTG-S1.

Warum der Wechsel der Rakete für MTG-S1?

Der Artikel in Le Monde endet nach drei Absätzen an einer Paywall, aber danach kommt ohnehin nicht mehr viel Konkretes. Nur die Betonung des Offensichtlichen, dass Arianespace über Tatsache und Zeitpunkt der Entscheidung alles andere als froh sein dürfte und einige Spekulation über die Gründe. “Druck von Seiten des amerikanischen Unternehmens” wird genannt, aber nicht genauer darauf eingegangen. Auch die Sorge um die Folgen eines Fehlstarts der ersten Ariane 6 wird genannt. Diese würden den Start der dritten Ariane 6 mit der zuvor vorgesehenen Nutzlast MTG-S1 deutlich verzögern. Falcon 9 dagegen darf nach mittlerweile 350 Starts als ausgereift gelten.

Über mögliche technische Gründe für die Entscheidung steht nichts bei Le Monde. Dabei könnte man sich auch da so Manches fragen. Zum Beispiel: Wieso braucht ein Satellit mit nicht einmal 4 Tonnen Startmasse die stärkere (und teurere) Ariane 64? Eine solche Nutzlast müsste doch die Ariane 62 problemlos ins GTO heben können. Sagt zumindest das Launcher User Manual.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

14 Kommentare

  1. Wäre interessant zu erfahren, was da im Hintergrund gemauschelt wurde. Leider wurden keine wirklichen Argumente bekannt, warum man sich nun gegen den europäischen Raketenanbieter entschieden hat. Könnte es sich beim „Druck von Seiten des amerikanischen Unternehmens“ um finanzielle Gründe handeln?

    • Dass ein Start mit Falcon 9 billiger ist als mit Ariane 6, werden die Verantwortlichen bei Eumetsat nicht erst seit gestern wissen.

      Ich nehme an, es wird handfeste Gründe für die Entscheidung gegeben haben. Leider gibt es auf der Eumetsat-Webseite keine Pressemitteilung zum Thema. Das wundert mich schon etwas. Entweder es handelt sich um eine Ente, dann würde ich ein Dementi erwarten. Oder der Artikel sagt die Wahrheit, dann ist die Katze aus dem Sack und ich würde eine Stellungnahme erwarten.

      • Um eine Ente handelt es sich nicht, denn auf der Website von EUMETSAT kann man lesen: „MTG-S1 ist ein einzigartiges Meisterwerk europäischer Technologie. (…). Aus diesem Grund haben die EUMETSAT-Mitgliedsstaaten beschlossen, SpaceX einen Startdienstvertrag für den Start des Satelliten Meteosat Third Generation-Sounder 1 (MTG-S1) an Bord einer Falcon-9-Rakete im Jahr 2025 zu erteilen.“
        Wie es scheint trauen sie der Adriane 6 nicht zu, das „Meisterwerk“ sicher ins All zu bringen. Eine denkbar schlechte Werbung für die Adriane 6, die ja nächsten Monat ihren ersten Start absolvieren soll. Solange hätte man doch wohl noch warten können, oder?

      • Ah, vielen Dank. Als ich gestern nachgeschaut hatte, war die neue Pressemitteilung noch nicht erschienen.

        Der Wechsel des Startvehikels wird dort mit keinem Wort erwähnt. Dabei bestand schon seit 2021 eine Übereinkunft zum Start von MTG-I1 (Ende 2022, wurde mit Ariane 5 gestartet), I2 (2. Hälfte 2025) und S1. Mal sehen, was jetzt mit I2 passiert.

        Ich denke, es wird einen handfesten Grund für die Absage von Eumetsat gegeben haben, nicht nur Mangel an Vertrauen.

        Abwarten bis nach dem 9. Juli war vielleicht nicht möglich, da der Start ja schon in der ersten Hälfte des kommenden Jahres erfolgen soll. Es erfordert einige Vorbereitung, einen so komplexen Satelliten für eine Rakete zu qualifizieren.

  2. Hmm. Ein Falcon-9-Start ist um Einiges billiger als eine Ariane 64.
    Wikipedia: F9 67 mio$ = 63mio€, 62: 70mio€, 64: 115mio€.
    Dazu kommt wahrscheinlich das Risiko, dass der Ariane 6-Erstflug mit einem RUD endet. Das Neu-Bauen des Satelliten muss man ja auch einpreisen …

    • Vermutlich basierte der Artikel in Le Monde auf einem Leak. Deswegen konnte ich gestern auch nirgendwo anders etwas dazu finden. Verständlich, dass der betreffende Journalist nicht dediziert nachfragen und auch keine anderen Stellen zu Rate ziehen konnte.

      Was die genannten Preise angeht, die beziehen sich auf kommerzielle, nicht-institutionelle Kunden. Ich weiß nicht, ob Eumetsat bei Arianespace zu diesem Kreis gehört.

      • Es ist vermutlich nicht sehr wahrscheinlich, dass man in der kurzen Zeit und ausgerechnet für eine Ariane-64 noch andere Kunden als Ersatz finden kann?

        Was mich ebenfalls interessieren würde: Welche Konsequenzen hat wohl diese kurzfristige Kündigung für Eumetsat? Der Vertrag wurde ja schon vor Jahren unterschrieben. Da werden die doch nicht kurz vor knapp folgenlos wieder aussteigen können? Normalerweise ist sowas doch ziemlich teuer? Was wiederum darauf hinweisen würde, dass die Gründe, es dennoch zu tun, ziemlich gewichtig gewesen sein müssen.

        “Exceptional circumstances”. Wirtschaftliche? Technische? Wenn ja, auf welcher Seite? Oder anders gefragt: Wie nah liegt der nun geplante Start der Falcon zeitlich am ursprünglich geplanten Start der Ariane? Wenn es da keine große Differenz gibt, kann es ja kaum am Satelliten liegen? Zumal es ja ein Leichtes gewesen wäre, Probleme auf dieser Seite einfach offen zu legen. Sowas ist in der Raumfahrt ja eigentlich an der Tagesordnung.

        Mangel an Vertrauen? Warum hat man dann nicht tatsächlich wenigstens noch die 10 Tage bis zum Erstflug abgewartet?

        Ich bin wirklich gespannt, ob wir die echten Gründe je erfahren werden.

        • Der Unterschied zwischen den Modellen Ariane 62 und 64 ist ja im Wesentlichen, ob zwei oder vier Booster verwendet werden. Daher könnte Arianespace die für den MTG-S1-Start vorgesehene Zentral- und Oberstufe einfach für eine als Ariane 62 konfektionierte Rakete verwenden.

          Die Hintergründe sind mir nicht bekannt, auch wenn ich inzwischen einiges an Details gehört habe, wobei davon manches allerdings auch dem Reich der Fabel entstammen dürfte.

          Ich spekuliere, dass es notwendig war, Verträge mit SpaceX in trockene Tücher zu bringen, um nicht eine Verzögerung hinnehmen zu müssen. Falls das so ist, war es vielleicht deswegen nicht möglich, noch den ersten Start der Ariane 6 abzuwarten. In dieser Form hätte SpaceX Druck auf Eumetsat ausüben können. Der eine Start ist für Eumetsat sicher wichtig, für SpaceX wohl eher weniger.

          Wobei das Datum der Ankündigung in der Praxis wahrscheinlich ohnehin keine Rolle spielte. Leute aus der Branche werden ohnehin schon gewusst haben, dass da was im Busch war.

          Viel schädlicher für das Ariane-Programm als diese Entscheidung von Eumetsat wäre es wohl, wenn der morgige Start in die Hose geht. Ich will’s ja nicht beschreien, aber ich habe halt auch schon den Erststart der Ariane 5G sowie der 5ECA verfolgt.

  3. Thomas Zurbuchen, der frühere Wissenschaftsdirektor der NASA, meint im Zusammenhang mit der Ariane „Es ist auf jeden Fall enorm wichtig, dass die kommerziellen auch in Europa entfesselt werden. Der Kontinent würde unglaublich von privaten Raumfahrtunternehmen profitieren.“
    Grund: Der geplanten Raumfahrt wie sie von der Nasa, ESA, Rokosmos, der chinesischen Raumfahrtbehörde etc. betrieben wird, fehlt das Explorative. Es geht nicht um gute, gewagte Ideen in diesen Grossorganisationrn, sondern darum die logische Fortsetzung des bisherigen Programms in Hardware zu giessen. Zudem vermeiden diese Raumfahrtorganisationen Risiken und werden mehr von den Interessen der Mitglieder gesteuert als vom Bedürfnis nach Fortschritt.

    In Europa gebe es jetzt aber innovative private Raumfahrtunternehmen, allerdings noch recht junge.

  4. Der Erststart hat ja immerhin soweit geklappt. 🚀 Natürlich ärgerlich, dass es auf den letzten Drücker doch noch Probleme gab, aber mit so etwas muss man bei einer neu entwickelten Oberstufe wohl rechnen. Mehr Licht als Schatten, denke ich, und die Ingenieure wollen ja auch was zu tun haben…

  5. Die Historie der Ariane 5 hatte ja immer große Verzögerungen nach Erstflügen von neuen Konfigurationen gezeigt.
    Auch bei der Ariane 6 kann es noch dauern, bis die Details des Erstflugs verstanden sind. Eumetsat und Esa wollen sicher nicht, dass Ariane-Oberstufen regelmäßig als Weltraumschrott im Orbit verbleiben, so wie es beim Erstflug geschehen ist.

    Meiner Meinung nach also seine sehr weise Entscheidung von Eumetsat, die ihren Satelliten einfach demnächst im Orbit sehen wollen.

    Da möchte ich ihnen definitiv keinen Vorwurf machen, dass sie nicht warten wollen, bis der europäische Monopolist für mittelgroße Raketen die Ariane 6 einsatztauglich bekommen hat.

  6. Die Erststarts der Ariane 5G und der 5 ECA endeten beide mit der Explosion der Rakete und dem Verlust einer teuren Nutzlast. Zumindest das ist nun nicht eingetreten und bei der Pressekonferenz nach dem Start wurde sogar behauptet, das Versagen der APU beim dritten Manöver würde den Eintritt in die kommerzielle Nutzungsphase nicht verzögern. Wir werden sehen, ob sich das bewahrheitet.

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