Die neue Auswahlrunde für ESA-Astronaut/inn/en

By NASA - https://www.flickr.com/photos/nasa2explore/15295337250/https://www.flickr.com/photos/astro_alex/15290008269/heise.de (direct link), Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35986648

Ich habe gerade die online-Pressekonferenz zum Beginn der neuen Auswahlrunde für Astronaut/inn/en der Europäischen Weltraumagentur ESA auf ESA-Web-TV verfolgt. 

Auf dem virtuellen Podium waren unter anderem der scheidende Generaldirektor der ESA, Jan Wörner, die Astronautin Samantha Cristoforetti und die Astronauten Tim Peake und Frank de Winne sowie David Parker, der Direktor der ESA-Abteilung für menschliche und robotische Exploration. 

By NASA - https://www.flickr.com/photos/nasa2explore/15295337250/https://www.flickr.com/photos/astro_alex/15290008269/heise.de (direct link), Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35986648
Alexander Gerst während EVA #27. Quelle: Wikipedia (Public Domain)

Bewerbungen werden ausschließlich online vom 31.3. bis zum 28.5 entgegengenommen. Erforderlich ist zunächst einmal ein Master-Abschluss in einer Naturwissenschaft, einer Ingenieursdisziplin, Informatik, Mathematik oder Medizin sowie 3 ihre relevante Erfahrung. Ein Doktorgrad gilt als Bonus, ebenso wie die (Test-)Pilotenausbildung. Das sind aber keine zwingenden Voraussetzungen. Erforderlich ist allerdings ein medizinisches Flugtauglichkeitsgutachten und die Staatsangehörigkeit eines ESA-Mitgliedslandes oder assoziierten Landes. Die fließende Beherrschung des Englischen und mindestens einer weiteren Sprache ist erforderlich – und ein Alter von maximal 50 Jahren. 

Das – zwangsläufig harte – Auswahlverfahren wird 18 Monate dauern. Dabei werden aus sicher Tausenden sich bewerbenden Personen am Ende 4-6 “career astronauts”, also fest bei der ESA angestellten Astro-Azubis ausgewählt. Auch eine Anzahl “reserve astronauts” wird gesucht. Letztere sollen zunächst in ihrer bisherigen Stelle bei ihrem Arbeitgeber bleiben. Sie werden aber bei Bedarf einen zeitlich limitierten Arbeitsvertrag bei der ESA angeboten bekommen und müssen dazu von ihren Arbeitgebern freigestellt werden.

Interessant ist das parallel zum Auswahlverfahren laufenden Auswahlverfahren für Astronaut/inn/en auch ein Projekt, das die Machbarkeit der Auswahl eine/s/r “parastronaut” untersuchen soll. Ein “parastronaut” ist eine Person mit körperlichen Einschränkungen, die ansonsten alle Kriterien erfüllt. Die ESA will einem “parastronaut” die Astronautenausbildung und sogar eine Mission im Weltraum ermöglichen. Das geht allerdings nur, falls dies sich als machbar herausstellt und von den Mitgliedsländern und Partnern akzeptiert wird. Man hat sich dazu vom paralympischen Komittee beraten lassen. 

Die körperlichen Einschränkungen beziehen sich in diesem Pilotprojekt zunächst auf die unteren Gliedmaßen sowie Kleinwüchsigkeit. 

Vom “parastronaut”-Projekt war schon zuvor in der Presse die Rede gewesen. Auch waren bereits die üblichen Vorwürfe laut geworden, nach denen Frauen bisher keine Gleichberechtigung  gewährt worden sei. Dier Vorwurf rührt daher, dass  in bisherigen Auswahlrunden vornehmlich Männer gewählt wurden und nicht 50% Frauen. Dabei wird aber vergessen, dass sich eben auch vornehmlich Männer beworben haben.  Wer sich nicht bewirbt, hat auch keine Chance, genommen zu werden. 

Bei der Pressekonferenz wurde klar gesagt, dass es keine Frauenquote geben wird. Ich fände es gut, wenn der weibliche Anteil unter den sich bewerbenden Menschen bei 50% oder darüber läge. dann würde es entsprechend viele europäische Astronautinnen geben.  Dazu wird es aber wahrscheinlich nicht kommen, wenn auch hoffentlich diesmal viel mehr Frauen sich bewerben als das letzte Mal, als der Frauenanteil bei den Bewerbungen bei etwa 17% lag. 

Fragen der Journalisten

Die Fragen aus der Presse waren sehr gemischt in Umfang und Qualität. Es kam natürlich wieder die Frage nach der Gleichberechtigung. Einer Frau gelang es, ihre Frage mit Jargon wie “non-conventional qualifications” so zu verklausulieren, dass mir nicht klar war, was sie eigentlich wollte. Sie wollte wissen, ob es auch Karriereformen wie Halbtagsarbeit geben würde und ob man auch anderen Qualifikationen als den oben genannten den Weg zur Astronautenkarriere öffnet. Die Antwort war vorsichtig und umständlich, aber doch klar: Nein. 

Die aus meiner Sicht klügste Frage kam von der jüngsten Fragenden: Es ging darum, mit welchen Raumschiffen die neuen Astronaut/innen starten werden und was ihr Ziel sein wird. Als Antwort wurden ausdrücklich neben Soyuz auch SpaceX (der ESA-Astronaut Thomas Pesquet wird zu seiner zweiten Mission mit einem SpaceX Dragon starten) sowie in Zukunft auch die Boeing Starliner genannt, möglicherweise auch eine Kooperation mit den Chinesen. Frank de Winne betonte, dass die ISS noch mindestens bis 2030 im Orbit betrieben werden wird. Dies würde in naher Zukunft beschlossen werden.

Samantha Cristoforetti betonte mehrfach, dass jede/r sich einfach trauen sollte, sich zu bewerben, sofern die formalen Kriterien erfüllt sind. Diese Kriterien sind ohnehin nur am Anfang des Auswahlverfahrens von Bedeutung, später nicht mehr. Schlimm wäre es, wenn qualifizierte Menschen sich nur deswegen nicht bewerben, weil sie annehmen, ohnehin keine Chancen zu haben. Das Aussieben sollte man allerdings, so Samantha, der ESA überlassen und nicht schon im im eigenen Kopf damit beginnen.

Zum Thema der Menschen mit körperlichen Einschränkungen sagte Tim Peake etwas, was mir sehr gut gefiel: Es sollten nicht “disabilities”, sondern “abilities” im Vordergrund stehen, zudem habe er die Erfahrung gemacht, dass in der Schwerelosigkeit die unteren Gliedmaßen nur von sehr eingeschränkter Nützlichkeit seien.

Samantha Cristoforetti fügte hinzu, dass im Weltraum alle Menschen körperliche Einschränkungen aufweisen. unsere Körper taugen primär für das Leben auf der Erde. Im Weltall bekommen wir schnell Schwierigkeiten. Es ist Technologie, die Menschen das Überleben und Arbeiten im Weltraum ermöglicht. Bei unterschiedliche Arten von Einschränkung können unterschiedliche Arten von Technologie zum Einsatz kommen. 

(Nebenbei bemerkt: die Technologien, die man dabei entwickelt und das medizinische Wissen, das man erwirbt, wenn man auch behinderte Menschen im Weltraum arbeiten lässt, können durchaus auch vielen anderen Menschen mit ähnlichen Einschränkungen zugute kommen, auch wenn diese nicht ins Weltall fliegen)

Avatar-Foto

Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

5 Kommentare

  1. Zitat:

    Es ging darum, mit welchen Raumschiffen die neuen Astronaut/innen starten werden und was ihr Ziel sein wird. Als Antwort wurden ausdrücklich neben Soyuz auch SpaceX (der ESA-Astronaut Thomas Pesquet wird zu seiner zweiten Mission mit einem SpaceX Dragon starten) sowie in Zukunft auch die Boeing Starliner genannt, möglicherweise auch eine Kooperation mit den Chinesen.

    Mich wundert an dieser Aufzählung nur gerade, dass auch die Chinesen vorkommen – und allenfalls noch, dass Blue Origin (von der NASA als Kandidat für einen Mond-Lander akzeptiert) nicht vorkommt.

    Wenn die ESA bereit ist mit der CNSA (chin. Raumfahrtbehörde) zusammenzuarbeiten, dann müsste das doch der NASA sehr missfallen, denn soviel ich weiss, darf die NASA gar nicht mit China zusammenarbeiten. Klar, das liegt nicht primär an der NASA sondern am US-Kongress. In der Wikipedia liest man jedenfalls (Zitat):

    Since 2011, the United States National Aeronautics and Space Administration (NASA) has excluded the Chinese government and China-affiliated organisations from its activities, including using funds to host Chinese visitors at NASA facilities.[1]

    Ferner liest man in der Wikipedia, dass dieses Kooperationsverbot vor allem darin begründet sei, dass man Chinas militärische Möglichkeiten im Weltraum nicht fördern wolle. Mit Russland scheint die USA aber keine Probleme zu haben. Und das wohl in jeder denkbaren Hinsicht mit Recht, denn Russland gewinnt ja keine neuen Fähigkeiten im All, sondern verliert eher Bestehende. Gefühlsmässig stufe ich aber das Kooperationsverbot der NASA mit der CNSA eher als Vorbote einer eher feindlichen Einstellung der USA gegenüber China ein, also als Vorbote dessen, was Donald Trump während seiner Amtszeit gegenüber China eingeleitet hat.

    • Was den Mondlander angeht, und auch die neue Mond-Raumstation Lunar Gateway (oder wie auch immer der aktuelle Name ist), so wundert mich die ausdrückliche Nichterwähnung wenig, denn die Präferenz wird sein, dort nicht die Rookies hinzuschicken, sondern erst einmal die alten Hasen mit vorhandener Orbit-Erfahrung.

  2. Artemis und das Lunar Gateway wurden in der französischen Fragerunde erwähnt. Die Teilnahme ist in der Tat zunächst den erfahrenen Astronauten vorbehalten, aber Jules Grandsire hat nachmittags auf Twitter nochmals bestätigt, dass später auch mehr möglich sein wird:

  3. Es scheint, ESA-Astronauten könnten prinzipiell überall eingesetzt werden. Damit aber fehlt in meinen Augen ein konkretes Ziel wie etwa bei der NASA, welche regelmässig Astronauten zur ISS schickt – inzwischen mit einem US-Launcher – und nun mit dem Artemis-Projekt Astronauten als Bewohner einer zukünftigen, von ihr selbst initiiertenMondbasis einsetzen will.

    Überhaupt scheint es mir als Laien schwierig auszumachen, was die langfristigen Ziele der ESA im Weltraum sind. Wenn ich an Weltraummissionen denke fällt mir vor allem die NASA ein wegen 1) dem ISS-Bau und -Betrieb, 2) den 5 erfolgreichen Marsrover-Missionen 3) dem Artemis Mondprogramm 4) der Sonnensystemerforschung mit Venus, Europa, Titan und Neptun/Triton als Zielen, 5) den Grossteleskopen Hubble und Webb und 6) den Exoplanetensuchern Kepler und Tess, aber auch weil die NASA inzwischen private Weltraumfirmen wie Blue Origin und SpaceX einbezogen und damit ihr Wirkungsfeld massiv erweitert hat.

    Nun, vielleicht ist es ja falsch die ESA mit der NASA zu vergleichen. Letztlich vergleiche ich aber die EU mit den USA. Die EU hat eine grössere Bevölkerung und eine fast gleich grosse Wirtschaft wie die USA, macht aber im Weltraum nicht gross von sich reden habe ich den Eindruck. Und dieser Eindruck kommt auch durch die Medienpräsenz der Weltraumprojekte zustande. Sogar die private US-Weltraumfirma SpaceX hat mindestens so viel Medienpräsenz wie die ganze ESA.

Schreibe einen Kommentar