Erneuter Vega-Fehlstart

Heute (17. November 2020) um 02:52 MEZ hob eine VEGA-Rakete vom Centre Spatial Guyanais in Kourou (Französisch-Guyana) ab. 8 Minuten später wich die Rakete von der vorgesehenen Trajektorie ab und die Mission war verloren. Heute um 14:00 soll es eine Pressekonferenz zm VEGA-Fehlstart geben, bei der mehr Information bekannt gegeben wird.
Ziel des Starts war eine sonnensychrone Bahn mit einer Höhe von etwa 670 km und einer Neigung von 98.1 Grad. Dort sollte der spanische Erdbeobachtungssatellit SEOSat-Ingenio ausgesetzt werden. Etwas mehr als 90 Minuten nach dem Abheben sollte die AVUM-Oberstufe beim Durchqueren der Äquatorebene noch einmal zünden, die Bahn leicht anheben und die Bahneigung etwas erhöhen, um danach den französischen Wissenschaftssatelliten TARANIS auszusetzen.
SEOSat-Ingenio war ein 830 kg schwerer Erdbeobachtungssatellit zur optischen Erdbeobachtung un zur Unterstützung von Katastrophenschutzmaßnahmen (engl. Disaster Monitoring).
Wer bei Asterix gut aufgepasst hat, kennt auch Taranis, den keltischen Donnergott. Der kleine Satellit TARANIS mit einer Startmasse von 175 kg wurde von der französischen Raumfahrtagentur CNES entwickelt.
TARANIS war nach meiner Kenntnis die erste Mission, die dediziert transiente Leuchterscheinungen (TLEs=Transient Luminous Events) in der oberen Atmosphäre über Gewittern beobachten sollte und dazu sieben unterschiedliche Instrumente mit sich führte. Eine wunderbare Mission, die nun leider nicht stattfindet. “Et merde …” wie man in Frankreich sagt.
Der zweite Vega-Fehlstart
Es läuft gerade nicht so gut für die Vega-Rakete. Dies war der siebzehnte Start der Vega-Rakete seit 2012. Nach 14 erfolgreichen Starts geschah mit VV15 am 11.7.2019 der erste Fehlstart. Damals hatte aufgrund eines Fehlers in der Auslegung der thermischen Isolation die zweite Stufe versagt, woraufhin die Rakete in zwei Teile zerbrach. (Bericht der unabhbängigen Untersuchungskommission)
Das Problem mit der Fehler in der thermischen Auslegung der Zweitstufe wurde behoben. der darauffolgende Start VV16 am 2. September 2020 mit 53 Satelliten an Bord war ein Erfolg.
Nun aber, beim Start VV17, kam es offenbar zu einem Problem kurz nach der Zündung der AVUM-Oberstufe zu ihrem ersten Manöver. Zu diesem Zeitpunkt sind die unteren drei Stufen bereits nacheinander ausgebrannt und abgeworfen; auch die Nutzlastverkleidung ist schon weg.
Es verbleibt nur noch die AVUM-Oberstufe und die mit einem Adapter befestigte Nutzlast, in diesem Fall die zwei Satelliten SEOSAT und TARANIS. Das Gespann ist aber noch nicht in einer stabilen Bahn – wenn das Triebwerk auf der AVUM gar nicht oder nicht ausreichend läuft, geht es unweigerlich wieder abwärts. Eine zweite Chance besteht nicht.
Nominaler Startablauf
Die VEGA ist eine vierstufige Rakete mit drei Feststoffstufen namens P80, Zefiro 23 und Zefiro 9. Auf der Zefiro 9, unterhalb der von der Nutzlastverkleidung umschlossenen Nutzlast, sitzt die kleine Viertstufe namens AVUM. Diese hat ein mehrfach wiederzündbares Triebwerk aus der Ukraine vom Typ RD-843 mit 2452 N Vakuumschub.

Das Triebwerk der AVUM zündet zum ersten Mal kurz nach der Trennung von der ausgebrannten Z9-Stufe. Dann ist sowohl das Gespann aus AVUM+Nutzlast und die nun leere Hülle der Z9-Stufe noch auf einer suborbitalen Bahn, deren Apogäum zwar schon bei mehr als 150 km, deren Perigäum aber noch Hunderte km unter der Erdoberfläche liegt. Die Z9-Stufe fliegt weiter auf dieser Bahn und stürzt etwa 10,000 km vom Startpunkt in den arktischen Ozean nördlich von Alaska.

Das erste Manöver der AVUM fügt der Bahn noch etwas Energie zu, sodass nun das Apogäum bis auf die Zielhöhe angehoben wird. Beim Start VV17 wären das etwa 670 km gewesen. Wenn das nicht geschieht, fliegt das Gespann aus AVUM und Nutzlast einfach weiter der Z9 voraus und tritt ebenfalls weit im Norden wieder in die Atmosphäre ein.
Beim Start von VV16 haben sich 2 der 53 Satelliten nicht abgetrennt, Träger war ok.
+++ UPDATE 17.11.2020 19:00 MEZ +++
Die Fehlerursache scheint eingekreist zu sein. Laut einer Pressemitteilung von Arianespace vom heutigen Tag wiesen erste Untersuchungen auf ein Problem im Zusammenhang mit dem Einbau des “Aktivierungssystems” (was soll das sein?) des Raketenmotors der AVUM-Oberstufe hin:
Ich vermute, das bedeutet, etwas wurde falsch eingebaut oder eine fehlerhafte Komponente wurde verwendet, und dies wurde bei der Qualitätskontrolle nicht bemerkt. Also zumindest kein Konstruktionsfehler.
Ich nehme aber auch an, dass “activation“ schlicht falsch ist und dass “actuators“ gemeint waren. Das würde deutlich mehr Sinn machen.
“Nozzle activation system” ergibt durchaus Sinn. Das würde bedeuten, dass die Zündung des Triebwerks nicht funktioniert hat, was den beobachteten Ausfallmodus perfekt erklären würde.
Nein, die Pressemitteilung ist an dieser Stelle schlicht falsch. Die “nozzle”, also die Schubdüse=der Auslass des Verbrennungsgases aus der Brennkammer, ist nur ein Teil des Triebwerks. An der “nozzle” gibt es nichts zu aktivieren. Der CTO von Arianespace hat bereits am 17.11. ein deutlich plausibleres Szenario beschrieben, wie auf Space News und Spaceflight Now übereinstimmend berichtet wird:
Also eine falsche Verkabelung der Aktuatoren für die Schubvektorsteuerung. Das bedeutet, wenn beispielsweise die Steuerung das Triebwerk anweist, eine Richtungsabweichung nach unten auszugleichen, schwenken die Aktuatoren das Triebwerk genau in die falsche Richtung und der Fehler wird noch schlimmer.
Mit der Feststellung sind allerdings weder Arianespace noch die Hersteller vom Haken, denn es stellt sich ja immer noch die Frage, wie bei einer so kritischen Komponente überhaupt so ein elementarer Fehler auftreten kann: Sind die Einbauanweisungen richtig und eindeutig? Waren die beauftragten Mitarbeiter ausreichend qualifiziert? Waren die Arbeitsabläufe so organisiert, dass eine sorgfältige Arbeit möglich ist?
Und natürlich stellt sich auch die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass dieser Fehler nicht von der Qualitätssicherung entdeckt wurde. Da sind die Folgefragen in etwa dieselben wie oben.
Natürlich folgen daraus noch weitere Fragen, denn man muss überprüfen, ob der beobachtete Qualitätsmangel auf dieses eine Feld beschränkt ist oder ob andere Komponenten und Abläufe betroffen sind.
Allein schon die Pressemitteilung lässt vermuten, dass da noch so Einiges im Argen liegt. Wenn kurz nach dem Fehlstart einer Rakete eine Pressemitteeilung mit so einem Fehler einfach so publiziert wird, obwohl bereits ein leitender Mitarbeiter in der Öffentlichkeit ein anders lautende Aussage gemacht hat, liegt die Vermutung nahe, dass da an verschiedenen Stellen einfach nicht genau genug hingeschaut wird.
Inverted cables doom European Vega rocket meldet die BBC. Dort liest man:
Das erinnert mich an den Fehlstart der Proton-M im Jahr 2013, wo ebenfalls etwas falsch montiert wurde. In der engl. Wikipedia liest man dazu:
Fazit Auch komplexe und teure Systeme können wegen einfachsten Unachtsamkeiten scheitern. Allerdings passiert das häufiger als beispielsweise ein Auto ohne funktionierende Bremse ausgeliefert wird. Aber warum nur? Wenn man doch die Rakete mit weit mehr Aufmerksamkeit betreut als ein Auto, das frisch ab Fabrik geliefert wird.
Ich verstehe auch nicht, wie solche Fehler geschehen können. Ich kenne das so, daß sicherheitsrelevante Montagen von mindestens 2 Leuten ausgeführt werden : einer montiert und sagt was er tut und ein zweiter überprüft das, was montiert wurde, und protokolliert das. Bei der Schubvektorsteuerung der Triebwerke sehe ich auch kein Hindernis für einen Funktionstest. Die Schubvektorsteuerung der Triebwerke kann man testen, ohne die Triebwerke selbst laufen zu lassen. Für mich grenzen derartige Fehler an Sabotage.
Wo Menschen arbeiten, werden auch Fehler gemacht. Durch geeignete Maßnahmen muß man dafür sorgen, daß diese Fehler erkannt werden. Kein Auto wird für den Straßenverkehr zugelassen, ohne daß Lenkung und Bremse getestet sind. Eine Rakete ist viel komplizierter und teurer, aber die Lenkung muß man nicht testen ? Doch Sabotage ?
Absichtliche Sabotage ist schon ein ziemlich schwer wiegender Vorwurf, den man belegen müsste. So, wie ich industrielle Prozesse kenne, ist Sparzwang durchaus ein anderer plausibler Erklärungsansansatz.