Edoardo Wer?

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Das erste durften die Franzosen taufen. Sie nannten es “Jules Verne” . Eine gute Wahl: Seine Werke, auch über einen Flug zum Mond, kennt man auf der ganzen Welt. Beim zweiten waren die Deutschen dran. Sie wählten “Johannes Kepler”. Auch eine gute Wahl. Ein großer Astronom und Mathematiker, dessen Gesetze fundamentale Bedeutung für die Himmelsmechanik und Raumfahrt haben.

Jetzt sind die Italiener dran. Unter den Töchtern und Söhnen dieser Nation gibt es so viele weltbekannte Namen, dass die Auswahl schwerfällt. Galileo Galilei. Giordano Bruno. Ludovico Lagrangia. Giovanni Domenico Cassini. Guglielmo Marconi. Enrico Fermi. Umberto Nobile. Marco Polo. Cristoforo Colombo. Leonardo da Vinci. Carlo Rubbia. Nur mal so als Beispiel – das sind Leute, die man kennt.

Aber das dritte ATV – das Automated Transfer Vehicle, das größte europäische Raumfahrzeug – wird keinen von diesen Namen tragen. Man entschied sich für … Edoardo Amaldi. Genau. Wer? Ging mir auch so.

Mich hat keiner gefragt, sonst hätte ich – wenn es schon keiner von den oben genannten heavies sein darf – “Euripides Bergnocioni” vorgeschlagen. (Um den zu kennen, muss man “Don Camillo und Peppone” gelesen haben).

Nachtrag

Kritik sollte konstruktiv sein. Deswegen sage ich nicht nur, wie man es nach meiner Meinung nicht macht, sondern ich erkläre den PR-Autisten in den den Forschungsministerien und den nationalen ESA-Delegationen (Hoffentlich liest von denen wenigstens einer hier mit) und wo auch immer, wie man so etwas aufziehen sollte:

Aufgabenstellung: Man wähle einen schönen Namen für eines der größten Raumschiffe, die Europa je gebaut hat und das zur Internationalen Raumstation fliegen soll, eine der größten und anspruchsvollen wissenschaftlichen Unternehmungen, die Menschen je geschaffen haben. Dass man diesen Namen auswählen darf, ist zunächst einmal eins: Eine große Chance, die einem in den Schoß fällt

Eine Chance ist das deswegen, weil man die Gelegenheit erhält, wirklich die Allgemeinheit zu erreichen und sie teilhaben zu lassen. So eine Chance vergeigt man nicht, man nutzt sie. Man zieht die Sache groß auf, kündigt einen Wettbewerb an, überträgt die Aufgabe denen, von denen man will, dass sie dahinterstehen: Der Jugend des Landes. Da muss es einen Wettbewerb geben, an dem alle Schulen des Landes teilhaben können. Einfache Regel: Eine Klasse muss sich auf einen Vorschlag einigen. Jeder Vorschlag muss in einem Aufsatz begründet sein. Und schon sind die Kids dabei, wälzen Enzyklopädien, suchen Material, lesen, recherchieren, schreiben, engagieren sich, …. kurz gesagt, sie lernen!

Eine Jury wählt unter Öffentlichkeitsbeteiligung die besten drei Vorschläge aus, diese werden im Fernsehen vorgestellt und aus dem ganzen Land rufen Zuschauer an und wählen den Sieger. Eine Delegation dieser Schulklasse darf zum Start nach Kourou fahren, worüber auch berichtet wird. Und siehe da … auf einmal kennt jeder die ESA, jeder kennt das ATV und vor allem kennt jeder die Person, deren Namen dieses ATV-3 dann tragen wird.

So macht man das, wenn man wirklich die Allgemeinheit mitnehmen will. Aber genau das hat anscheinend nicht die höchste Priorität.

Weitere Information

ESA-Pressemitteilung zur Benennung des dritten ATV auf den Namen “Edoardo Amaldi”

ATV-Webseite der ESA

Der Weg zum europäischen Raumschiff“: Kosmologs-Artikel vom 31.5.2009, der Entwicklungsmöglichkeiten eines europáischen bemannten Raumschiffs auf Basis bestehender Ariane- und ATV-Technik aufzeigt

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

11 Kommentare

  1. Amaldi

    Zumindest denen, die irgendetwas mit Gravitationswellen am Hut haben, ist der Name geläufig – und sei es über die regelmäßigen Amaldi-Konferenzen. Dass der Herr auch etwas mit dem italienischen Weltraumprogramm zu tun hatte, wusste ich aber auch nicht.

    Aber mal generell: Warum soll das ATV denn unbedingt einen Namen tragen, den sowieso jeder kennt? Eigentlich langweilig. Den Namen als Aufhänger zu nehmen, um einen interessanten, aber unbekannteren Wissenschaftler bekannter zu machen, ist doch eigentlich eine gute Sache, oder? Schade, dass dein Blogbeitrag diese Chance nicht nutzt.

  2. Vater der italienischen Raumfahrt

    Angesichts der halben Seite, die das italienische Wikipedia diesem Mann widmet, kann sein Bekanntheitsgrad selbst im eigenen Lande wohl nicht sehr hoch sein.

    Das ATV ist nun mal keine Forschungsmission, es repräsentiert Europa in der bemannten Raumfahrt und hat dort eine gewisse Leuchtturmfunktion. das spiegelt sich auch in der Namensgebung der anderen Nationen. Ich sehe nichts Langweiliges darin, in so einem Fall einen Namen zu wählen, der auch weithin bekannt ist, im Gegenteil.

    Wäre das ATV eine wissenschaftliche Mission, gar eine, die etwas mit Gravitationswellen zu tun hat, dann wäre der Name gewiss eine gute Wahl.

    Aber das ATV? Beim besten Willen nicht. Ein ATV namens “Giordano Bruno” – das wäre etwas ganz anderes.

  3. Namen… sind Schall und Rauch?

    Mir tun sich da gewisse Parallelen zum Hubble-Nachfolger JWST auf. Die Person James Webb kannte zum Zeitpunkt der Namensgebung auch keine S** außerhalb der Raumfahrtpolitik. Und so wie ich das sehe, hat sich daran bis heute nicht allzu viel geändert.

    Da find ich Amaldi dann immernoch angebrachter, der war immerhin Wissenschaftler.

  4. Hinter Namen stehen Leute

    Raumfahrt hat immer auch eine Komponente, die mit Begeisterung, Mitreißen, Inspiration zu tun hat. Insbesondere bemannte Raumfahrt. Es ist wichtig, welbst wenn es nicht jedem immer logisch erscheinen mag, Indentifination zu bieten. Dazu gehören auch die Wahl von Namen für Raumfahrtmissionen.

    Es sollte schon ein gewisser Wiedererkennungswert drinstecken. Dann beschäftigen sich die Medien und auch die interessierten Bürger damit und lernen dabei etwas. Kein Astronom sollte davon ausgehen, dass die Allgemeinheit wirklich was mit Galileo Galilei anfangen kann.

    Die kennen grad mal den Namen. Alles, was sie über die Beschäftigung mit diesem Namen, wenn es nur mal einen Anreiz gibt, dazulernen, ist schon ein Gewinn. Dann muss aber auch die Person, die hinter dem Namen steht, einen Grund bieten, sich weiter damit zu beschäftigen.

    Der Name Hubble für das erste große Weltraumteleskop war brilliant. Edwin Hubble war ein Ausnahmewissenschaftler, aber auch eine etwas exzentrische Persönlichkeit, nicht nur im guten Sinne. Egal, so jemand ist immer noch inspirierend.

    Dass mit der Benamsung des James Webb Space Teleskop ausgerechnet die Amerikaner einen solchen PR-GAU landeten, ist schon eher erstaunlich. Da hätte ich eigentlich erwartet, dass gerade die von allein darauf kommen, warum der Name für alles mögliche taugt, aber nicht für ein Weltraumteleskop, dass das Hubble ablösen soll.

    Gut, dass jetzt so etwas in Europa passiert ist, wundert mich am Ende nicht wirklich. Aber ich bedaure es doch. Wieder eine vertane Chance.

  5. gute Namen, schlechte Namen

    Ich kann Carolin nur zustimmen. Die NASA hatte nicht immer ein glückliches Händchen bei der Namensgebung. Zwei weitere Negativbeispiele: Das Infrarotweltraumteleskop Spitzer Space Telescope (“Spitzer”) und der Mikrowellendetektor Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) – welch groteskes Wortungetüm; was dem Erfolg der Mission keinen Abbruch tat. Nicht gut, wenn aus politischen Gründen die Namen von NASA-Administratoren gewählt werden. Die Wissenschaftsgeschichte ist doch reich an tollen Köpfen.

    Ein positives Beispiel von der NASA ist Kepler, eine Mission, die sich der Suche nach extrasolaren Planeten verschreibt.
    Wenn Ihr mich fragt: Bei der Namensgebung haben die Europäern den Amerikanern ‘was voraus: Ob das Infrarotteleskop Herschel, der Mikrowellenkartierer Planck oder das Gammastrahlenteleskop Fermi (ehemals Glast) – das sind Big Names, Leute. Gut, der Name des Röntgenteleskops XMM-Newton ist holprig, aber Newton steckt drin, der Mann der die Differential- und Integralrechnung (zeitgleich mit Leibniz) gefunden hat und der das klassische Gravitationsgesetz entdeckte.

    Welche Namen sind noch zu vergeben? Ich hätte da ein paar anzubieten: Schwarzschild (Entdecker der ersten Lösung der Einstein-Gleichung), Friedmann (Entdecker dynamischer Universen), Lemaitre (“Vater” des Urknalls, auch wenn er von “Geburt des Raums sprach”), Fraunhofer (Pionier der optischen Astronomie), Wheeler (einer der größten Relativitätstheoretiker), Blandford (einer der großen Theoretiker unserer Zeit in der Astronomie), Hawking.

    Ja, “Hawking Space Telescope” klingt doch cool.

    Oder wir bemühen Namen aus der grch. Mythologie: Herkules Space Telescope, Prometheus Mission, The Pandora Mini Black Hole Experiment 😉

    Also mir würde da einiges einfallen, was schicker klingt als WMAP.

    Beste Grüße,
    Andreas

  6. @Michael

    Habe übrigens heute zuerst die Kommentare hier gelesen, dann selbst kommentiert und zum Schluss den Blog-Artikel gelesen 😀 Merkt man das?

    Deine Anregung zum Wettbewerb im Nachtrag finde ich sehr, sehr gut, Michael. Wäre schön, wenn das mal jemand so umsetzen würde.
    Resultat ist ja eine WinWinWin-Situation: 1) gebildete, junge Leute 2) an der Mission interessierte, junge Leute 3) ein grandioser Missionsname. Was will man mehr?

  7. nomen est omen???

    Hallo Michael, warum so brüskiert? Vielleicht steckt ja ein cleveres Konzept hinter dem Namen?

    Du willst die Jugend an der Benennung beteiligen, die in Standardlexika wühlt, die ja doch nur “wissen”, was die Elterngeneration für bedeutsam hielt, die es wiederum (in der Hektik des Redaktionsalltags, auch für Lexika) von ihrer Elterngeneration abgepinselt hat.

    Sieh es so: Die Benennung kann doch auch eine Chance sein, eine Werbestrategie für einen Namen, der es verdient hätte, mehr Beachtung finden. 🙂

    Die ESA selbst über E.A.:
    “… led by Enrico Fermi, made the famous discovery of slow neutrons which later made possible the nuclear reactor. … became a pioneer in the search for gravitational waves in the 1970s.”

    Klar, die Namen Zenon von Elea, Galileo Galilei und Enrico Fermi sind (bereits) berühmt. Aber vllt. war es ein Anliegen, durch die Benennung der Jugend zu zeigen, dass man auch was tolles machen und in die Geschichte eingehen kann, wenn man nicht zufällig einen dieser Namen trägt. 🙂

    Und vllt wird ja durch diese Hintertür die per se populäre Raumfahrt der Teilchenphysik und der Gravitationswellenforschung zu größerer Popularität verhelfen.

    (-: Think positive! 🙂

    Und mal ehrlich: Der Name “Galileo Galilei” wird für meinen Geschmack viel zu oft gebraucht. (Jupitersonde sehe ich ja ein, aber Fernsehsendung schon nicht mehr … falls eines Tages noch ital. Eiscreme nach ihm benannt wird, wundert’s mich nicht – aber begrüßen würde ich es nicht)

  8. @Susanne

    Ich bin doch nicht brüskiert.

    Allerdings verstehe ich auch deinen Kommentar nicht ganz – vielleicht habe ich aber die von dir gesetzten Smileys auch nicht genügend gewichtet.

    Dass die Jugend auf ihrer Suche nach einem Namen *auch* auf Literatur der “Altvorderen” angewiesen ist, mag sein. Vielleicht ist das nicht gut, ich selbst sehe darin kein Problem.

    Wie auch immer, selbst wenn es an der Stelle ein Problem gibt, dann behebt man das noch nicht, indem gerade die Altvorderen, ohne die Jugend am Prozess zu beteiligen, einfach etwas entscheiden. Es mag im gegebenen Fall nicht so wichtig sein. Dennoch, ich denke, eine Chance wurde vergeben. Schade.

    Was die jungen Leute vorgeschlagen hátten, falls man sie gefragt hätte, weiß ich nicht. Vielleicht sogar “Edoardo Amaldi”. Wahrscheinlich jemanden ganz Anderen, vielleicht keinen der von mir genannten.

    Wie auch immer, der Auswahlprozess selbst hätte schon Positives bewirkt. Es kann grundsätzlich nicht falsch sein, wenn sich junge Leute zusammensetzen, recherchieren, diskutieren und einen Konsens finden.

    Ob die Jugend Frankreichs Jules Verne gewählt hätte? Ich hoffe schon, denn ich bin mit seinen Büchern groß geworden. Vielleicht hätten die jungen Franzosen aber mehrheitlich für Valerian und Laureline gestimmt.

    http://en.wikipedia.org/…C3%A9rian_and_Laureline

    Die haben zwar mit der Vermittlung von Wissenschaft weniger zu tun als Jules Verne in seinem unerschütterlichen Optimismus des 19ten Jahrhunderts.

    Aber sie haben doch etwas mit Träumen von den Weiten des Weltalls und der Hoffnung zu tun, dass dieses wunderbare Phänomen “Leben” sich nicht nur auf unsere Erde beschränkt. Gerade das sollte bei aller Wissenschaft doch immer ein Bestandteil der Gründe sein, warum wir Raumfahrt betreiben.

  9. Italiener und Benennungen

    Es ist ja nicht der erste Fehlgriff: Bepi (Guiseppe) Colombo kannte ich auch nicht bevor eine Raumsonde nach ihm benannt wurde. Irgendwie schaffen die Italiener das nicht so richtig.

    Ich frage mich ob die Benennung der MPLM nun zufälligerweise mal berühmte Persönlichkeiten traf oder ob das die NASA machte….

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