Die Bahn des TGO von MOI bis Ende 2017
BLOG: Go for Launch
Die ESA hat heute eine Animation veröffentlicht, in der das Kunststück gelang, die Bahn des TGO (des Orbiters der aktuellen Marsmission ExoMars 2016) vom MOI am 19. Oktober 2016 bis zum Ende der aerodynamischen Abbremsphase (Aerobraking) wahrscheinlich etwa im Dezember des kommenden Jahres zu visualisieren. Die Videodatei kann in dem soeben verlinkten Artikel im Webauftritt der ESA betrachtet oder auch hier herunter geladen werden.
Ich habe mit der Erstellung der Animation direkt nichts zu tun (so etwas könnte ich auch gar nicht), aber ich habe die Daten der Trajektorie bereit gestellt. Auch die Sequenz der Manöver stammt ursprünglich von mir, auch wenn am Ende die Flugdynamikabteilung und das Operationsteam über den tatsächlichen Zeitplan entscheidet. Wie das am Ende abläuft, ist noch einmal etwas anderes – manchmal geht das in der Raumfahrt nicht so, wie das Kontrollzentrum es will. Gerade wenn so ewas hoch variables wie eine planetare Atmosphäre im Spiel ist.
In der Animation wird die Rotation des Planeten nicht gezeigt. Ansonsten würde sich aufgrund des zwangsläufig stark beschleunigten Zeitablaufs der Mars unter der Bahn durch drehen wie ein Brummkreisel. Das ist jetzt nicht ganz exakt … aber die Alternative, wenn man einen blitzschnell rotierenden Mars vermeiden will, wäre ein mit dem Mars rotierendes Koordinatensystem gewesen, in dem allerdings gerade die hoch exzentrischen Bahnen nicht ausgesehen hätten wie Ellipsen. Das hätte nur Verwirrung gestiftet.
Nach dem MOI hatte die Bahn noch eine geringe Inklination und war hoch exzentrisch. Der Perizentrumsradius lag (und liegt auch jetzt noch, während ich dies schreibe) knapp 100,000 km über dem Mittelpunkt des Planeten. Die Umlaufperiode beträgt rund vier Marstage (etwa zwei Stunden mehr als vier Erdtage). Bis Januar verändert sich aufgrund von Bahnstörungen die Bahn geringfügig. Dann erhöht ein Manöver nahe am Apozentrum die Inklination auf 74 Grad relativ zur Marsäquatorebene. Das sieht in der Animation gar nicht so steil aus, weil die Blickrichtung von schräg oben ist. Ein perspektivischer Effekt.
Im Februar dann wird durch ein weiteres Manöver am Periares das Apozentrum stark reduziert; die Periode liegt danach nur noch bei einem Erdtag. Dies wird das letzte Manöver sein, bei dem das große Haupttriebwerk mit seinen 424 N Schub verwendet werden kann. Zu dieser Zeit laufen die Vorbereitungen für den Beginn der Aerobrakingphase auf Hochtouren.
Im März dann wird das Aerobraking eingeleitet. Ein Manöver am Apozentrum senkt das Perizentrum auf rund 120 km über der Marsoberfläche ab. Dort ist der Abbremseffekt durch atmosphärische Reibung während des Perizentrumdurchgangs noch nicht sehr stark, aber schon deutlich. Weitere Manöver in den folgenden Tagen und Wochen werden das Perizentrum immer weiter absenken. Ziel ist, dass der kurzfristig wirkende Wärmestrom durch die atmosphärische Reibung im Mittel unter 1400 W/qm gehalten wird. Es kann bei einzelnen Durchgängen auch einmal deutlich höher liegen, wenn die Dichte mal einen Ausreißer nach oben hinlegen sollte, was nach den Erfahrungen der Amerikaner durchaus sein kann. Die Perizentrumshöhe wird zwischen etwa 110 und 105 km gesteuert.
Von Juni bis September wird das Perizentrum wieder etwas angehoben und damit das Aerobraking unterbrochen. Grund ist eine Syzygie – der Mars verschwindet von der Erde aus gesehen hinter der Sonne, sodass es keine Kommunikation mit der Raumsonde (und auch nicht mit allen anderen Raumsonden am Mars) geben kann. Selbst wenn der Mars noch 10 Grad oder mehr von der Sonne entfernt erscheint, wären doch schon die radiometrischen Messungen zur Bahnbestimmung deutlich gestört. Für einen Orbiter im stabilen Orbit kein Problem, für das Aerobraking schon.
Gegen Ende der Aerobrakingphase nimmt die Arbeitsbelastung für das Kontrollteam zu, denn dann kommen die Atmosphärendurchgänge alle alle zwei Stunden und dauern auch länger als am Anfang. Man wird dann schon beginnen, langsam die Perizentrumshöhe wieder anzuheben. Nicht nur der dynamische Druck und der Wärmestrom können dann zum Problem werden, sondern auch die akkumulierte Wärmelast während eines Atmosphärendurchflugs. Außerdem muss man darauf achten, dass man immer so hoch bleibt, dass man auch bei einerm Ausfall des Kommandozugriffs noch zwei Tage hat, um das Problem zu lösen, ohne dass irgendwelche Parameter aus dem Ruder laufen.
Wenn das Apozentrum auf etwa 400 km Höhe abgesenkt worden sein wird, kann man durch ein weiteres Manöver am Apozentrum das Perizentrum angleichen. Die Zielbahn ist nicht ganz kreisförmig, aber darauf gehe ich in einem andere Artikel ein.
Wann genau das Aerobraking endet, kann jetzt noch niemand sagen. Erstens wissen wir nicht, problematisch oder unproblematisch alles bis dahin läuft. Es geht dabei nicht nur um die Dichte der Atmosphäre. Auch die Sonde kann Zicken machen. Wenn sie nicht weiter weiß, ist sie so programmiert, dass sie einen Safe Mode einleitet. Dazu wird das Perizentrum automatisch auf eine sichere Höhe angehoben – etwa 160-170 km. Dann muss das Kontrolteam das Problem lösen. Und erst danach kann es mit dem Aerobraking weiter gehen, aber nicht gleich wieder mit Volldampf, sondern durch Einleitung einer vorsichtigen und langsamen Absenkphase des Perizentrums. Man weiß schließlich nicht, wie sehr sich die Atmosphäre während der Unterbrechung verändert hat. So kann ein Safe Mode zwei Wochen kosten, vielleicht mehr.
Es könnte im Dezember 2017 los gehen mit der Wissenschaft. Vielleicht schon früher, aber vielleicht auch später.
Wäre es theoretisch auch möglich, solch einen Satelliten schon gleich zu Anfang so nah an die Atmosphäre heran zu führen, dass man sie direkt für die Orbit Insertion nutzen kann? Wäre das “nur” riskant, oder fliegen einem die Dinger dann unweigerlich um die Ohren?
Das wäre Aerocapture, nicht Aerobraking. Aerocapture ist um mindestens eine Größenordnung schwieriger als Aerobraking. Beim Aerobraking geht es ja gerade darum, dass man immer nur ein bisschen in die Atmosphäre hineinstippt.
Beim Aerobraking muss man zwangsläufig tief hinein. Bei ExoMars wird in etwa einem Dreivierteljahr insgesamt etwa ein delta-v von einem km/s durch die aerodynamische Abbremsung erreicht, in insgesamt Hunderten von Durchgängen.
Beim Aerocapture wird in nur einem Durchgang, also in unter 10 Minuten, eine Abbremswirking von 2-3 km/s erreicht. Allein diese Zahlenwerte machen klar, dass es dabei ganz anders zur Sache geht.
Ich schreibe dazu mal einen Artikel. Im Web findet man schon eine Menge dazu, allerdings auch viel Unsinn.
Hier geht es ziemlich durcheinander.
Es ist schlicht falsch, dass “heutzutage” autonome Bahnbestimmung beim Aerobraking machbar wäre. Und wenn Sie fordern, der TGO müsse “lediglich” in der Lage sein, seine Position autonom zu bestimmen, dann verkennen Sie die damit verbundenen Schwierigkeiten.
Optische Navigation ist ungeeignet zur quasi-instantanen Bahnbestimmung. Das ist ein eher langwieriger Prozess, der in Anwesenheit großer Bahnveränderungen nicht funktioniert. Wahrscheinlich verwechseln Sie die Bahnbestimmung mit der Lagebestimung, die aber hier nicht weiter hilft.
Wenn eine Raumsonde selbst während des Aerobrakings ihre Bahn autonom bestimmen soll, dann ginge das nicht ohne etwas wie ein GPS am Mars. Das mag es eines Tages einmal geben, aber “heutzutage” ist das leider noch nicht der Fall.
Ferner entsteht beim Aerobraking kein Plasma. Man versucht im Gegenteil gerade die Aufheizung in Grenzen zu halten. Beim TGO, wie beschrieben, auf nominal weniger als 1400 W/qm, der schon bei einem dynamischen Druck von nur 0.3 W/qm anfällt. Da werden die der Anströmung ausgesetzten Komponenten zwar warm, aber keinesfalls heiß.
Hoffe ich.
Zitat:
Ja, und ein solches GPS könnte rein passiv arbeiten, indem es die Röntgenstrahlung von Millisekunden-Pulsaren detektiert. nachzulesen in Interplanetary GPS using pulsar signals. Es wären Positionsbestimmungen überall im Sonnensystem auf 5 km genau realisierbar. Grund: Die Millisekundenpulsare, die im Röntgenbereich emittieren sind gleich exakt wie Atomuhren und könnten mit neuen leichtgewichtigen “Glass Micropore Optics”-X-Ray-Detektoren gemessen werden, die weniger als 25 kg wiegen. Die letzten Sätze des verlinkten Artikels lauten:
Am 09.11.2016 haben die Chinesen den Minisatelliten XPNAV 1 (X-Ray Pulsar Navigation) in den Orbit platziert. Zitat:
Folgerung: Ein XPNAV-Navigationssystem könnte in den nächsten 20 Jahren zum Standard werden.
Das ist ein sehr interessantes Projekt. Fdas verfahren ebenso wie die Mission waren mir bis dato unbekannt; ich muss mich da mal einlesen. Vielen Dank erst einmal.
Wenn du die Zeit dafür hast, würd’s mich freuen!
Heutzutage wäre es auch denkbar, das sich über Monate hinziehende Aerobreaking-Manöver vom OnBoard-Computer des TGO aus zu steuern und nicht Remote von der Erde aus. Dazu müsste der TGO lediglich in der Lage sein, seine Position exakt zu vermessen (etwa über die Beobachtung von Leitsternen, die Position von Mars, Erde und Jupiter oder/und über ein interplanetares GPS-System). Sehr leistungsfähig muss der OnBoard-Computer dazu nicht sein. Wenn einmal dutzende von Missionen gleichzeitig stattfinden wird man wohl sogar zu solch autonomer Satellitensteuerung übergehen müssen um die Missionsteams auf der Erde zu entlasten.
Noch zum Aerobraking als treibstoffsparende Abbremstechnik: Wirklich mächtig wäre das Aerobraking, wenn man die Abbremskraft steuern und variieren könnte. Dazu müsste man Kräfte auf die beim Aerobraking entstehenden Ionen (des Abbremsplasmas) ausüben, indem man magnetische und/oder elektrische Felder erzeugt. Sollte dies einmal zuverlässig funktionieren würde dies das nötige Treibstoffbudget für Missionen zu Planeten/Monden mit Atmosphäre deutlich reduzieren. Die Mission zum Mars könnte dann von einer viel kleineren Rakete als heutzutage durchgeführt werden.
Ergänzung 1): In der Wikipedia liest man zur Remote-Steuerung des Aerobraking:
Ergänzung 2) Ich schrieb zu zukünftigem variablem Aerobraking:
Ergänzung 1): In der Wikipedia liest man zur Remote-Steuerung des Aerobraking:
Ergänzung 2) Ich schrieb zu zukünftigem variablem Aerobraking:
meinte aber damit, dass ein kraftgesteuertes Aerobraking in viel kürzerer Zeit und trotzdem präzise absolviert werden könnte. Das spielt natürlich für bemannte Missionen eine wichtige Rolle, denn ein mehrmonatiges Aerobraking kann man Astronauten nicht zumuten. Zudem würde man ein Aerobraking in einem einzigen Durchgang durch die Atmosphäre wohl eher Aerocapture nennen.
Bei kraftgesteuertem Aerocapture (es werden Kräfte auf die Ionen im Abbremsplasma ausgeübt um variabel zu bremsen) denke ich an ein trailing ballute design. Dabei wird ein Abbremskörper hinter dem eigentlichen Missionssatelliten hergezogen(ähnlich wie ein Bremsfallschirm).
Diese Video-Bahn-Visualisierungen sind immer etwas deprimierend, vor allem weil man die tatsächliche Lage im Raum schwer erkennen kann, ein gutes Beispiel sind die Rosetta-Bahn-Videos. Würde mir hier eine Interaktive-3D-Visualisierung wünschen, mit einem Zeitschieber und frei im Raum drehbar. Vektoren für Mars-Polachse und Richtung zur Erde und Sonne wären auch schön.
Das Video finde ich eigentlich ganz gut verständlich. Vielleicht hilft es, sich das im Vollbildmodus nochmal anzuschauen? Der Effekt des Manövers im Januar (Änderung des Winkels zur Äquatorebene) ist dann doch etwas klarer als im Kleinformat, wo ich beim ersten Anschauen zunächst verblüfft dachte, man habe im Video versehentlich die Flugrichtung umgekehrt.
Mich würde mal interessieren, wie lange man an all den Berechnungen bzw. Entscheidungen wohl sitzt, und ob bzw. wie oft sie im Nachhinein noch geändert werden müssen, wenn neue Parameter bzw. Werte bekannt werden. Kann man überhaupt beginnen, bevor man weiß, wie der betreffende Satellit konkret gebaut sein wird? Kommen einem vielleicht auch mal neuere Forschungsergebnisse (zum Beispiel zur Atmosphäre) von schon laufenden Missionen in die Quere und werfen alles oder einen Teil der Planung über den Haufen? Was passiert, wenn – wie bei ExoMars – das Startdatum verschoben wird? Ändert das viel an z. B. der Orbit Insertion?
Die Richtung zur Sonne und Erde und alle möglichen Zusatzinformationen hätte man aufnehmen können, aber Sie müssen bedenken, dass sich aufgrund der extrem hohen Zeitraffung (hier wird ja mehr als ein Jahr in nur wenige Minuten gequetscht) diese geometrischen Bedingung im Video sehr schnell ändern würden. Das würde schell zu Verwirrung führen. Zudem ist es nicht so, dass die Trajektorie nun wirklich festgeklopft ist. Gerade in der Aerobraking-Phase kann sie sich noch erheblich ändern. Wie beschrieben. Was wir hier sehen, ist nur ein Beispielfall.
Die NASA hat Aerobraking (Absenken und Ausrunden des Missionssatellitenorbits durch wiederholtes kurzes Eintauchen in die obere Atmosphäre) bereits bei 4 Missionen, einer Venus- und 3 Marsmissionen angewandt. Der Treibstoffbedarf um den gewünschten Marsorbit (schön “rund” und relativ nah (aber nicht zu nah) am Planeten) zu erreichen kann mit Aerobraking fast halbiert werden, verwendet man doch beim Aerobraking die Marsatmosphäre zum Abbremsen (Reduktion der Bewegungsenergie) anstatt das Haupttriebwerk.
Gemäss The Tricky Task of Aerobraking at Mars hatte der Mars Reconnaissance Orbiter für die genaue Bestimmung der beim Aerobraking auftretenden Beschleunigungen (während der Passage durch die obere Atmosphäre) eine spezielle Instrumenteneinheit, den “Periapsis Timing Estimator (PTE)” (NahpunktZeitabschätzer).
Der PTE könnte in Zukunft dem Aerobraking-Satelliten ermöglichen, die Bahnänderungen durch das kurzfristige Eintauchen in die Atmosphäre selbst zu bestimmen:
Ich vermute mal, dass auch der TGO entsprechende Beschleunigungsmesser an Bord hat (schliesslich hat jedes Smartphon heute Beschleunigungsmesser eingebaut). Doch diese Beschleunigungsmesser genügen wohl nicht um dem Satelliten die volle Autonomie über die Navigation während der Autobraking-Manöver zu geben. Um die volle Autonomie zu erlangen bräuchte es wohl weiterer Navigationsmethoden. Mit einem interplanetaren “GPS” wäre es sicher viel einfacher.
Das ersetzt nicht die Bahnbestimmung. Der TGO, und ich nehme an, die NASA-Sonden auch) benutzen die in der IMU gemessene Bremsbeschleunigung, um auf die erreichte Umlaufperiode und den aktuellen Zeitpunktz des Periares und Apoares zu schließen.
Bahnbestimmung ohne externe Messwerte kann ich mir nicht vorstellen. Eine Kette von Voausberechnungen ab einem einmal bekanntem Zeitpunkt allein basierend auf den Daten der IMU, das halte ich für ein Rezept für eine Pleite.
Ja, mit Beschleunigungsmessern allein kann Aerobraking nicht autonom von der Missionssonde ausgeführt werden: Das hiesse Blinde-Kuh Spielen. Doch es gibt scheinbar schon länger Bemühungen in der europäischen und US-Raumfahrt, Aerobraking-Manöver später einmal von der Sonde autonom ausführen zu lassen – zumindest die täglichen Aerobraking-Manöver, noch nicht die ganze Sequenz, noch nicht die Gesamtplanung.
Die Foliensammlung Robust Autonomous Aerobraking Strategies begründet dieses Langfristziel mit:
und will den Autonomiegrad des Aerobraking stufenweise erhöhen und zugleich die Robustheit des Aerobraking-Manövers garantieren.
Auch von der NASA gibt es einen Autonomous Aerobraking Development Plan . Hier findet man eine Folie die detailliert auflistet, was ein autonomes Aerobraking alles umfassen würde:
1)
2)
3)
4)
Man findet im Internet übrigens auch Forschungspapiere, die sich nur mit dem autonomen Aerobraking von Marssonden beschäftigen.
Man findet Papers zu jedem Thema. das bedeutet aber noch lange nicht, dass die technische Umsetzbarkeit des jeweiligen Problems gleich um die nächste Ecke ist.
Natürlich gibt es ein großes Interesse daran, genau die Missionsphasen autonom durchführen zu lassen, die eines besonders hohen Personalaufwands im Kontrollzentrum bedürfen. Leute kosten halt Geld.
Nur sollte einem die Tatsache, dass an einer bestimmten Sache viele Leute arbeiten müssen, zu denken geben. Es ist schnell mal hingeschrieben, dass eben das, was am Boden gemacht werden soll, nun auf die Raumsonde verlagert werden soll.
Nur geht eben das nicht so einfach. Bie Bahnbestimmung erfolgt primär durch exakte Vermessung der Dopplerverschiebung des Eingangssignals. Wie das genau geht, beschreibe ich später mal, aber es ist nicht-trivial und die Verlagerung an Bord der Sonde erst recht. Delta-Differential One-Way Ranging, eine andere, hochpräzise Messmethode, kann dagegen nur mit zwei Bodenstationen auf der Erde gemacht werden, jetzt und in aller Zukunft.
Ich finde die Animation der Aerobraking-Phase des Trace Gas Orbiters gelungen wenn man folgende Animationsziele zugrundelegt :
1) Darstellung der Bahn- und Grössenverhältnisse zum Mars: Man erkennt gut, dass die TGO-Bahn initial stark exzentrisch ist mit einem Bahnpunkt ganz nah am Mars und einem Bahnpunkt, der geschätzt 20 Marsdurchmesser vom Mars enfernt liegt.
2) Darstellung der Zeitverhältnisse: Wie stark ändert sich die Exzentrizität der Bahn während dem Animationszeitraum und zu welchem Zeitpunkt ist die Bahn schon beinahe kreisrund: zwischen Januar und Februar 2017 wird scheinbar am meisten Exzentrizität abgebaut und beim Übergang von Oktober zu November 2017 schrumpft der Bahndurchmesser des TGO auf weniger als das doppelte des Marsdurchmessers.
Etwas verwirrend erscheint mir aber, dass die Flugrichtung der TGO-Bahn sich zum Zeitunkt 1:05 umkehrt, wohl weil die Aufsicht um 180Grad gedreht wurde.
Korrektur: Die scheinbare Umkehr der Flugrichtung des TGO um 1:05 ist nicht auf die Änderung der Blickperspektive zurückzuführen, sondern auf eine Änderung der Flubbahninklination, was von Michael Khan folgendermassen beschrieben wird:
Das ist Aerocapture am Mars: Einmaliges Eintauchen in die Marsatmosphäre um sich in den Zielorbit einzubremsen. Aerobraking dagegen ist vielfaches, mehrmonatiges Ausbremsen an den obersten Atmosphärenschichten.
Das NASA-Dokument An Assessment of Aerocapture and Applications to Future Missions kommt zum Schluss, dass heute schon Aerocapture machbar ist und das sogar ohne vorherige “Aerocapture demonstration” (Mission ohne anderen Zweck als die Demonstration, dass Aerocapture funktioniert).
Das Dokument definiert Aerocapture folgendermassen:
Das Dokument beginnt mit einer illustrativen Zeichnung eines Aerocapture-Manövers samt anschliessendem Zielorbit. Es kommt zu folgenden Schlussfolgerungen:
1)
2)
3)
4)
Wenn Leute wie Dan Lyons oder Robert Brown, die weltweit zu den besten ihres Fachs gehören, Aerocapture relativ entspannt sehen und ich nicht, dann sehe ich das wahrscheinlich etwas zu pessimistisch. Die USA sind dem Rest der Welt in den meisten Feldern der Raumfahrt um Jahrzehnte voraus.
Wohlgemerkt geht es nicht um die Verfahren an sich – die sind bekannt – sondern um die Randbedingungen.
Finde ich sehr interessant! Insbesondere die Tatsache, dass Aerocapture wohl konkret schon einmal für eine Mission geplant war:
“Mars exhibits a large range of atmospheric variability, with both time and location. Nonetheless, in the 1990s the analysis-based confidence in the reliability of aerocapture at Mars was sufficiently high that the Centre National d’Études Spatiales (CNES, the French national space agency) chose it as the orbit insertion technique for their part of a multinational Mars sample return (MSR) mission concept. The role of that orbiter would have been to rendezvous with vehicles carrying samples from Mars’s surface into orbit, placing them into Earth re-entry vehicles, and returning them to Earth for re-entry and recovery of the samples. This is a very mass-intensive mission profile, so the delivered mass advantage offered by aerocapture was a significant factor in that choice.”
Allerdings scheint zwischen Eintritt in und Austritt aus der Atmosphäre doch eine genaueste Lagebestimmung und ggf. -korrektur nötig zu sein, wie spätestens ab der achten Seite des Dokuments deutlich wird. So ganz trivial ist das wohl tatsächlich nicht. Wenn sich dann noch, wie beim TGO, für längere Zeit die Sonne zwischen Kontrollzentrum und Zielplanet befindet, kann ich mir gut vorstellen, dass Aerocapture trotz allem nicht wirklich das Mittel der Wahl ist. Heute Abend werde ich mal nach mehr Infos zu dieser (offenbar dann doch gecancelten?) Sample-Return-Mission googeln. Bisher kam mir nur diese hier unter, aber die scheint jünger (und ebenfalls abgesagt…) zu sein: https://cnes.fr/en/web/CNES-en/6950-mars-sample-return-mission-taking-shape.php
Da haben wir’s ja: https://ntrs.nasa.gov/search.jsp?R=20000055752
Tja. Schön wär’s gewesen …
Das wäre eine schöne Mission Impossible geworden. Im Jahr 2000, als man gerade mal Daten von einem Aerobraking hatte (MGS), fehlte wohl so ziemlich jegliche Kenntnis der Variabilität der Atmosphäre, um so ein Manöver zu planen. Das Aerocapture wurde dann auch schon bald aus dem Missionskonzept gestrichen, dann fiel die Axt für die ganze Mission. Hier ein Paper aus dem Jahr 2002 zum technischen Hintergrund.
Och, auf eine Bruchlandung mehr oder weniger wäre es doch nun… äh… OK, lassen wir das vielleicht lieber. ^^
Interessant aber, dass man in dem von Herrn Holzherr zitierten neuen Paper immer noch die damalige Entscheidung erwähnt. (Beim deinem jüngsten Link ist übrigens leider nur der Anker gesetzt, aber die eigentliche Adresse verloren gegangen. )
Ich geh’ das 2002er Paper in den nächsten Tagen auf jeden Fall auch mal suchen und wünsche einen guten Rutsch in ein hoffentlich gesundes und erfolgreiches 2017!
Ich habe den fehlenden Link nachgereicht.
Das, was das Paper behandelt, ist allerdings sehr grundlegend und auch ziemlich trivial. Von da zu einer funktionierenden, robusten Mission wäre es noch ein weiter Weg gewesen .