Der merkwürdige Flug VA241 der Ariane 5

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Am Donnerstag, 25.1.2018, um 22:20 GMT startete eine Rakete vom Typ Ariane 5 ECA zum Flug VA241 vom Centre Spatial Guyanais mit zwei geostationären Nachrichtensatelliten, dem luxemburgischen SES-14 und Al Yah 3 aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Anmerkung: Ich gebe hier lediglich allgemein verfügbare Informationen wieder, wie sie zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels vorlagen. Ich behaupte nicht, über weiter gehende Informationen zu verfügen und schreibe hier auch nichts als meine persönliche Meinung.

Aufgabe der Rakete war der Einschuss in einen so genannten SuperGTO, eine Bahn, deren Apogäum deutlich über dem geostationären Ring liegt, in diesem Fall laut Webseite von Arianespace bei einer Höhe von 45,000 km. Die Zielinklination sollte laut derselben Quelle bei 3 Grad liegen, was deutlich unterhalb der geographischen Breite von Kourou liegt, sodass die Rakete (wahrscheinlich die Oberstufe) eine Inklinationsänderung durchführen sollte.

Die Inklination eine Bahn wird geändert, indem – idealerweise in der Nähe des Knotendurchgangs, also dort, wo die Bahn die Äquatorebene kreuzt – die gerade laufende Raketenstufe so gedreht wird, dass es eine Schubkomponente senkrecht zur Bahnebene gibt. Die Folge ist ein “dog leg”-Manöver”. In der Bodemspur der Aufstiegsbahn äußert sich dies als ein Knick.

Offenbar war entweder das falsche Schubprofil einprogrammiert oder die Oberstufe machte nicht das, was sie sollte. Jedenfalls ging der Knick in die falsche Richtung: anstatt etwas nordwärts bog die Oberstufe mit der noch darauf sitzenden Nutzlast deutlich südwärts ab, spulte dann aber ihr Programm weiter ab. Schon während des Starts war dieser falsche Kurs daran zu erkennen, dass ab Zündung der Oberstufe kein Kontakt mehr zu den für Ariane-Starts verwendeten Bodenstationen bestand. Dies liegt daran, dass die Rakete aufgrund des Knicks im Kurs nicht mehr wie vorgesehen diese Bodenstationen überflog, sondern viel weiter südlich unterwegs war.

Am Freitag waren noch keine Bahndaten verfügbar, aber heute konnte ich den einschlägigen Webseiten (z.B. heavens-above) entnehmen, dass Oberstufe, SYLDA (Träger für die obere der zwei Nutzlasten) und die beiden Satelliten SES-14 und Al Yah 3 in Bahnen mit Inklinationen von knapp 21 Grad – also nicht nur 7 Mal größer als anvisiert, sondern auch viel größer als die Inklination von um 6 Grad, die man bekommt, wenn man mit einem Startazimuth von fast 90 Grad von Kourou aus startet und danach gar nichts mehr tut, um die Inklination zu verändern. Die  Apogäumshöhen der Bahnen aller vier Objekte liegen bei etwas über 43000 km, also “nur” knapp 2000 km unter dem Zielwert.

Was ich im Folgenden diskutiere, betrifft nicht so sehr SES-14, denn dieser Satellit ist vollelektrisch. Das heißt, er verwendet Ionenantrieb sowohl zum Erreichen der kreisförmigen, äquatorialen Zielbahn in einer Höhe von 35786 km über dem Äquator als auch im operationellen Betrieb zur Bahnkorrektur. Mit einem Ionenantrieb ist ein erhöhtes Geschwindigkeitsinstrument für den Transfer nicht so problematisch. Wenn man dafür mehr Xenontreibstoff braucht, entnimmt man ihn halt dem Budget fürdie operationelle Phase. Schlimmstenfalls wird die dann etwas kürzer, aber zumindest hat man erst einmal eine Mission.

Al Yah 3 ist da anders. Der verfügt über ein konventionelles Antriebssystem mit einem Raketentriebwerk zum Einschuss in die geostationäre Bahn. Erst danach soll Ionenantrieb für die Bahnkotrrekturen im operationellen Betrieb eingesetzt werden. Üblicherweise ist der Treibstoff für den Einschuss für einen Delta-v-Standardwert von 1.5 km/s berechnet. Solche Standardwerte stellen sicher, dass ein Satellitenbus mit unterscheidlichen Raketen gestartet werden kann. Das bedeutet aber, dass es problematisch wird, wenn man aufgrund eines stark fehlerhaften Bahneinschusses deutlich mehr als 1.5 km/s braucht, um in die geostationäre Bahn zu kommen.

Zurück zum Flug VA241.

Problematisch ist bei allen Orbits nicht nur die Inklination, sondern auch der Wert für das Argument des Perigäums. Dieser liegt bei um 231 Grad. Das bedeutet, die Apsidenlinie, also die Verbindungsgerade zwischen Peri- und Apogäum, liegt ganz und gar nicht in der Nähe der Äquatorebene. Will man aber die Inklination verringern, geht das am effizientesten an den Knotenpunkten der Bahn, wie bereits erwähnt. Idealerweise sollte die Bahngeschwindigkeit dort so niedrig wie möglich sein.

Das heißt, der beste Moment für ein Manöver zum Inklinationsabbau ist genau dann, wenn  das Apogäum in der Äquatorebene liegt. Dies bedingt einen Wert von 0 oder 180 Grad für das Argument des Perigäums. Der aktuelle Wert von 231 Grad ist nicht nur weit vom Optimum entfernt. Zudem ist es bei einer Inklination von 21 Grad auch so, dass das Argument des Perigäums aufgrund der Erdabplattung zunimmt.

Bis dieser Winkel bei 360 Grad (=0 Grad) angekommen ist, die Apsidenlinie also wieder in der Äquatorlinie liegt, würden in der aktuellen Bahn etwa sieben Monate vergehen. Sieben Monate, in denen der Satellit die Solargeneratoren wahrscheinlich nicht ausfahren darf. Zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass die großen Solargeneratoren eines geostationären Nachrichtensatelliten in ausgefahrenem Zustand für die Beschleunigungen qualifiziert sind, die auftreten, wenn das Haupttriebwerk gezündet wird.

Lässt man den Satelliten aber lange im hochexzentrischen Anfangsorbit, dann durchquert er vier Mal pro Tag, nämlich vor und nach jedem Perigäumsdurchgang, den Van-Allen-Gürtel. Dabei wird langsam, aber sicher die Bordelektronik gegrillt, denn die ist nur für einen wenige Tage dauernden Aufenthalt im GTO ausgelegt und nicht für einen fortgesetzten Beschuss mit hohen Elektronen- und Protonenflussdichten.

Aus diesen Gründen kann ich mir nicht vorstellen, dass die Betreiber von Al Yah 3 eine so lange Verzögerung des Erreichens der Zielbahn in Betracht ziehen. Selbst wenn sie das täten, hätten sie immer noch das Problem zu lösen, dass die 21 statt 3 Grad Inklination los werden müssen.

Das bedeutet, sie kämen erst einmal nur in die Nähe des geostationären Orbits und müssten dann versuchen, den Rest mit elektrischem Antrieb zu erreichen. Das Problem dabei wäre aber, dass ein Ionenantrieb allein für die Bahnkorrekturen, so wie Al Yah 3 es hat, wahrscheinlich deutlich schwachbrüstiger daher kommt als eins, das von vorneherein für den Transfer zum GEO ausgelegt ist. Das wäre also ein elendes Gerudere am Ende.

Vielleicht hat jemand einen Plan B in der Schublade. Ich muss selbst mal etwas rechnen. Vielleicht fällt mir dabei etwas ein.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

3 Kommentare

  1. Hi. As I don’t speak German, I translated your article on Google. A possible plan B would be to actively rotate argument of perigee by 51 deg to have Apogee fall on the equator. This could be done theoretically by performing a small tangential DV at True anomaly 309 deg (360-51). This maneuver if calibrated properly would shift perigee point to this new location which is on the orbit node. From there it would be back to standard orbit raising (inclination+perigee raising in one shot, then apogee lowering). A rough calculation puts total DV penalty in the order of 100-200 m/s which should be manageable. As I said this is theoretical. Whether the satellite is capable of performing these unscripted maneuvers from a systems perspective is a different matter entirely.

    • Hi, Mohannad. Thanks for the excellent comment. I will presently write a follow-up to my first article, but I will write that in Inglistani.

      Concerning your proposal, the problem I see is the following. It’s a bit tricky to type equations in ASCII, but please bear with me.

      The change in the argument of perigee depends on the tangential delta-v via:

      d-aop = 2/v/e*sin(f)* dvt,

      where

      d-aop is the change in argument of perigee
      v is the orbital velocity
      e is the eccentricity
      f is the true anomaly
      dvt is the tangential delta-v

      However, there also is the eccentricity to think of. That depends on the tangential delta-v via

      de = 2/v * (e+cos(f)) *dvt

      where de is the change in eccentricity.

      Now for a true anomaly f=309 deg, the sine of f is negative and the cosine of f is positive. They need to reduce the argument of perigee from over 231 to 180 deg. That would be achieved by applying a positive tangential delta-v (in the direction of the velocity vector) at that true anomaly.

      However, if you look at the other equation, all the terms are positive, so the same tangential delta-v would also increase the eccentricity. But with the perigee altitude at only 230 km or so, raising the eccentricity doesn’t seem like a good idea. Especially as the manoeuvre happens while already descending towards the perigee, so there is no way of implementing a raising manoeuvre.

  2. Hier ist der Pressemitteilung zum Abschluss der Arbeit der unabhängigen Untersuchungskommision, die auf Bitte von Arianespace von der ESA einberufen wurde:

    Auf Englisch: —> click
    Auf Französisch: —> click

    Viel steht allerdings nicht drin.

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