Der Absturz der HB-HOT und ein ähnlicher Fall vor 50 Jahren

HB-HOS, das Schwesterflugzeug der abgestürzten HB-HOT, am 18.8.2018 (also 14 Tage nach dem Unglück) bei den Flugtagen in Bensheim, Hessen

Zum Absturz der Ju-52/3m HB-HOT am 4.8.2018 am Piz Segnas habe ich bereits zweimal gebloggt, siehe hier und hier. Nun ist die Untersuchung durch die schweizerische Unfalluntersuchungsbehörde abgeschlossen; der Abschlussbericht wird Ende Oktober oder Anfang November 2020 veröffentlicht werden. Es hat bereits mindestens einen Presseartikel gegeben, in dem auf den Abschlussbericht Bezug genommen wird. Da ich diesen Artikel aber reichlich reißerisch finde, will ich hier nicht weiter auf ihn eingehen.  Wir werden ja ohnehin bald den Abschlussbericht lesen können und brauchen dann keine Interpretation aus zweiter Hand. 

Ich sehe deutliche Parallelen zwischen diesem Unglück und einem anderen, das vor nunmehr 50 Jahren im US-Bundesstaat Colorado geschah. In beiden Fällen flog ein kleines Passagierflugzeug in ein ansteigendes Tal ein, das von drei Seiten durch hohe Felswände umschlossen wurde. 

Und in beiden Fällen flog das Flugzeug von der offenen Seite in das Tal ein. In beiden Fällen flog das Flugzeug tief, um den Passagieren eine spektakuläre Aussicht zu bieten. Zu tief, denn in beiden Fällen schaffte es das Flugzeug nicht, den Bergkamm auf der anderen Seite zu überqueren. 

Bei beiden Unglücken gab es viele Tote. Im Fall der HB-HOT, die senkrecht abstürzte, kamen alle Insassen ums Leben. Bei dem Unglück vor 50 Jahren überlebten von 40 Insassen zunächst 11 den Absturz und den darauf folgenden Brand. Zwei davon erlagen später ihren Verletzungen. 

Der 2. Oktober 1970

Die American-Football-Mannschaft der Universität von Wichita, Kansas, wollte nach Logan, Utah, um bei einem Spiel gegen die Mannschaft der dortigen Universität anzutreten. Für die Reise des Teams und seiner Begleiter wurden von der Gesellschaft Golden Eagle Aviation zwei kleine Passagiermaschinen vom Typ Martin 4-0-4 gechartert. 

Es scheint sich bei Golden Eagle Aviation nicht um ein besonders vertrauenswürdiges Unternehmen gehandelt zu haben.  Die Flugzeuge wurden von einer anderen Gesellschaft namens Jack Richards Aircraft Company angemietet. Sie waren seit 1967 nicht mehr geflogen und mussten für diese Reise reaktiviert werden. Auf dem linken Sitz des einen Flugzeugs nahm Ronald G. Skipper, der Besitzer der Firma Golden Eagle Aviation Platz. Ihm fehlte zwar die Musterberechtigung für das 18 Jahre alte Flugzeug und er fungierte deswegen offiziell nur als Erster Offizier. Aber er flog die Maschine und traf die Entscheidungen. 

Wer von Kansas nach Utah will, muss die Rocky Mountains überfliegen. Da es sich bei der Martin 4-0-4 um ein Kurzstreckenflugzeug handelte, konnten die beiden Flugzeuge die Strecke von Wichita nach Logan nicht nonstop fliegen und mussten in Denver, Colorado zum Auftanken zwischenlanden. Dort trennten sich ihre Wege. 

Die eine Maschine hielt sich an etablierte Flugrouten  und kam später wohlbehalten in  Logan im Norden des Staates Utah an. Skipper jedoch wollte den Passagieren seines Fluges etwas Besonderes bieten und entschloss sich deswegen, die Reiseroute zu ändern. Anstatt der sicheren, nördlichen Route wollte er die kontinentale Wasserscheide am 3655 m hohen Loveland-Pass überqueren. 

Das wäre erst einmal noch kein Problem gewesen, wenn des Flugzeug in ausreichender Höhe auf den Pass zugeflogen wäre. Skipper flog jedoch in geringer Höhe in den Clear Creek Canyon ein, offenbar mit der Absicht, dem ansteigenden Terrain bis zum Pass zu folgen. Da es sich um eine spontane Idee Skippers handelte, hatte er weder Karten des zu überfliegenden Geländes dabei, noch hatte er andere Vorbereitungen getroffen. 

Zwar kaufte er am Flughafen von Denver aeronautische Karten der Region, aber weder Skipper noch der andere Pilot (nominal war dieser der Kapitän des Flugzeugs) nahm sich die Zeit, diese genauer zu studieren. Deswegen war ihnen die genaue Topografie des Canyons nicht bewusst. 

Auch sonst stand es nicht zum Besten. Das Flugzeug war beim Start deutlich überladen. Sein Gewicht lag 5190 lb (2349 kg) über dem maximal zulässigen Abfluggewicht von 20.4 Tonnen. Selbst zum Zeitpunkt des Unfalls, trotz des bis dahin verbrauchten Flugbenzins, war es immer noch viel zu schwer. 

Skippers Führung des Flugzeugs lässt nicht erkennen, dass er sich der Gefahr bewusst war, in die er sich und die anderen Insassen gebracht hatte.  Das überladene Flugzeug flog tief und langsam über den Bäumen im Tal. Augenzeugen berichten, die Treibwerke seien gedrosselt gewesen; das Flugzeug flog mit hohem Anstellwinkel bei niedriger Geschwindigkeit. 

Was offenbar weder dem ersten Offizier Skipper noch dem Kapitän Crocker bewusst war: Am Ende des zunächst langsam ansteigenden Tals nahm die Steigung rasch zu, um in einer steilen Felswand zu enden. Selbst der Loveland-Pass war schon 3655 m hoch. Die umliegenden Berge waren nochmals deutlich höher. Die Martin flog noch, aber sie war bereits verloren. Ihr fehlten einfach die Reserven, um noch über den Pass zu kommen. Zum Wenden war es zu eng – auch flog die Maschine viel zu langsam und hatte inzwischen Schwierigkeiten, überhaupt noch sicheren Abstand vom Boden zu halten.  Wahrscheinlich war das Schicksal des Flugzeugs und seiner Insassen bereits besiegelt, als die Maschine ins Tal einflog. 

Irgendwann reichte es dann nicht mehr – die Maschine streifte Bäume und stürzte auf den ansteigenden Canyonboden, in etwa 3100 Metern Höhe und noch mehr als 500 Meter unterhalb des Passes. 

Der Aufprall selbst war mit Glück überlebbar  – anders als der vertikale Absturz der Ju 52 am Piz Segnas. Viele Insassen waren jedoch vom Aufschlag bewusstlos oder benommen. Die wenigsten waren angeschnallt, zudem hatten sich Sitze losgerissen und waren nach vorne geflogen und hatten einige der Verletzten eingeklemmt. Wer nicht aus dem Wrack kriechen konnte, kam in den Flammen um, die sich kurze Zeit nach dem Aufschlag ausbreiteten. 

Woran lag’s?

Schuld am Absturz waren weder das Wetter noch technische Mängel des Flugzeugs. Es gibt auch keinen Hinweis auf medizinische Probleme bei den Flugzeugführern. Die Ursache für diesen Unfall liegt im Leichtsinn der Flugzeugführer, der unzureichenden Vorbereitung eines Flugs über schwieriges Terrain und fliegerischen Fehlern. 

Ronald G Skipper war einer der Überlebenden des Unglücks und das einzige überlebende Besatzungsmitglied. Er schrieb später ein Buch darüber, in dem er behauptete, in 13,000 Fuß Höhe gekreist zu sein, um Höhe zu gewinnen, als ein Brand in einem Triebwerk ausbrach und den Unfall herbeiführte.

Diese Darstellung steht jedoch im Widerspruch zu den Aussagen der überlebenden Insassen sowie der  Augenzeugen am Boden. Alle – darunter Piloten und ein beim Hersteller des Flugzeugs arbeitender Ingenieur – sagten übereinstimmend aus, das Flugzeug sei zu jeder Zeit weit unterhalb der den Canyon einschließenden Gipfel geflogen, dazu viel zu langsam und ohne Anstalten zu machen, ausreichend Höhe zu gewinnen, um die kontinentale Wasserscheide zu überwinden. Der überlebende Passagier Rick Stephens beschrieb, wie er nach vorne ging, um ins Cockpit zu schauen, und ringsumher nur die bewaldeten, hoch aufragenden Bergwände sah. Von Rauch und Feuer beim noch fliegenden Flugzeug berichtet keiner. 

Die Augenzeugen bestätigen auch keineswegs, dass das Flugzeug gekreist wäre. Es wird lediglich ein versuchter Kurvenflug unmittelbar vor dem Eintauchen in die Bäume erwähnt. Offenbar erinnerte sich Herr Skipper da nicht richtig, oder er versuchte, als Schutzbehauptung eine Ente in die Welt zu setzen. 

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

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