Die Contarex von Gemini 4

Zeiss Ikon Contarex Special mit Carl Zeiss Planar 1:2/50 mm, fotografiert mit Rolleiflex SL66 und Carl Zeiss Planar 1:2.8 f=80 mm auf Rollfilm des Formats 120 vom Typ Kodak Portra 800, Quelle: Michael Khan

Das Projekt Gemini war Teil der Vorbereitungen für das Mondflugprogramm der NASA. Es folgte auf das Projekt Mercury, bei dem erstmalig US-Astronauten in die Umlaufbahn und wohlbehalten zurück zur Erde gebracht wurden. Gemini war schon deutlich anspruchsvoller als Mercury: Raumschiffe mit zwei Astronauten flogen bis zu 14 Tage lange Missionen, auf denen komplexe Manöver wie Rendezvous geübt wurden.

Schon die Mercury-Missionen wurden fotografisch dokumentiert. Dabei kamen diverse Kameras zum Einsatz, darunter die deutschen Leica Ig und Berning Robot Recorder 36 und die schwedische Hasselblad 500C mit deutscher Zeiss-Optik. Man schöpfte dabei das PR-Potenzial des Mediums Fotografie zunächst noch nicht voll aus. Professionelle Fotografen dokumentierten zwar mit ihren Kameras die Vorbereitungen, den Start der Raketen und die Bergung der Kapseln, aber Bildmaterial hoher Qualität aus dem Raumschiff heraus blieb rar.

Die änderte sich beim Projekt Gemini, auch dank der Lobby-Arbeit des Astronauten Wally Schirra (Mercury-Atlas 8, Gemini 6, Apollo 7). Schirra war ernsthafter Fotoamateur und Besitzer einer Hasselblad 500C. Der erste bemannte Gemini-Flug Gemini 3 mit Gus Grissom und John Young startete am 23. März 1965 und dauerte knapp 5 Stunden. Gemini 4 mit James McDivitt und Ed White, gestartet am 3. Juni 1965, blieb vier Tage oben und umfasste den ersten Außenbordeinsatz eines US-Astronauten. Dies war der zweite Außenbordeinsatz der Raumfahrtgeschichte. Der erste gelang Alexei Leonov im März 1965 auf Voskhod 2.

Astronaut Ed White bei seinem Gemini 4-Außenbordeinsatz, aufgenommen von James McDivitt mit der Hasselblad 70mm. In seinen Händen ist die Rückstoßeinheit zu sehen, auf der die Zeiss Ikon Contarex Special fest montiert ist / Quelle: NASA
Astronaut Ed White bei seinem Gemini 4-Außenbordeinsatz, aufgenommen von James McDivitt mit der Hasselblad 70mm. In seinen Händen ist die Rückstoßeinheit zu sehen, auf der die Zeiss Ikon Contarex Special fest montiert ist / Quelle: NASA

Bei Gemini 4 waren nicht nur anständige Kameras an Bord, sie wurden auch kräftig eingesetzt und produzierten ikonisches, heute weltbekanntes Bildmaterial – zumindest eine davon, nämlich die modifizierte Hasselblad 70mm Mittelformatkamera. Von der anderen mitgeführten Kamera gibt es viele Bilder – solche, auf denen sie selbst zu sehen ist, aber kaum solche, die mit ihr geschossen wurden. Deswegen weiß kaum jemand über diese Kamera Bescheid.

Vorteil: Mittelformat

Mit ziemlicher Sicherheit war seitens der NASA bereits die Entscheidung gefallen, zur öffentlichen fotografischen Dokumentation und PR auf das Mittelformat zu setzen. Dies ist absolut nachvollziehbar: Bei hinnehmbaren Einschränkungen der Handlichkeit ist das Mittelformat dem 35-mm-Format so in der Bildqualität so deutlich überlegen, dass eine andere Entscheidung kaum vorstellbar ist. Es geht immerhin um Bildmaterial, das auch in 1000 Jahren immer noch weithin bekannt sein würde. Da nimmt man einfach die beste verfügbare Technik. Aber: Es war nun einmal auch die Contarex mit dabei, und das ist eine 35-mm-Kamera. 

Unlängst stolperte ich über eine Aussage von Ove Bengtson, Produktmanager von Hasselblad, in dieser Dokumentation der ESA (3:00):

On the first Gemini mission they didn’t bring a camera. On the second mission, they brought a tourist kind of camera and they were very disappointed with the results.

Hm. Vom Produktmanager eines weltbekannten Herstellers hochwertiger, professioneller Kameras hätte ich aber etwas mehr Sachkenntnis erwartet. Die zweite bemannte Mission war ja Gemini 4. Erstens war da schon eine Hasselblad an Bord und es wurden damit bereits erstklassige Aufnahmen gemacht. Nicht nur das bekannte Bild oben, sondern auch noch viele weitere, auf denen Ed White beim Außenbordeinsatz zu sehen ist. Zudem auch noch zahlreiche Bilder von der Erde. Das hätte Bengtsson schon wissen müssen. Ebenso hätte er wissen müssen, dass selbst auf dem kurzen Flug von Gemini 3 bereits die Hasselblad zum Einsatz kam.

Die Contarex – Eine Touristenkamera?

Mit der “Touristenkamera” kann er eigentlich nur die Contarex gemeint haben, was mich jetzt etwas verwundert. Was die Zeiss Ikon Contarex-Serie und ihre Objektive angeht, muss ich mich nicht allein auf Aussagen von Literaturquellen verlassen. Ich gehöre zu der sicher nicht mehr sehr großen Gruppe von Fotografen, die eine Contarex besitzen und auch verwenden. Ich besitze sogar derer drei, darunter dasselbe Modell von Kamera und Objektiv, das Ed White bei seinem Weltraumflug dabei hatte. Hier ist meine Contarex Special, fotografiert von mir mit meiner Mittelformatkamera vom Typ Rolleiflex SL66.

Zeiss Ikon Contarex Special mit Carl Zeiss Planar 1:2/50 mm, fotografiert mit Rolleiflex SL66 und Carl Zeiss Planar 1:2.8 f=80 mm auf Rollfilm des Formats 120 vom Typ Kodak Portra 800, Quelle: Michael Khan
Meine Zeiss Ikon Contarex Special mit Carl Zeiss Planar 1:2/50 mm, fotografiert mit Rolleiflex SL66 und Carl Zeiss Planar 1:2.8 f=80 mm auf Rollfilm des Formats 120 vom Typ Kodak Portra 800. / Quelle: Michael Khan

(Zum Vergleich: Hier die von Ed White verwendete Contarex Special, jetzt im National Air and Space Museum. Der Lichtschachtsucher wurde für den Weltraumflug entfernt. Sie ist meiner sehr ähnlich, bis auf die schwarze Lackierung und das anders ausgeführte Zeitenrad.)

Ich weiß also, wovon ich rede, wenn ich über die Contarex spreche. Ich kann auch ihre Leistungsfähigkeit gegenüber den Dutzenden anderer Kameras aus dieser Zeit einordnen, die ich besitze und nach Jahren des Einsatzes unter allen Bedingungen sehr gut kenne – die meisten davon High-End. Wir reden hier keineswegs von einer Billigknipse. Eine Contarex ist etwas besonderes. Das war damals ganz sicher so und das ist heute immer noch so.

Die Bilder von Ed Whites Contarex

Also: Was war nun mit der Contarex Special auf Gemini 4? Warum kriegt man deren Aufnahmen kaum zu sehen und warum hat man sie überhaupt mitgenommen, wenn doch schon klar war, dass die NASA auf das Mittelformat setzen würde?

Anscheinend war diese Kamera in einem Fotoladen in Houston gekauft und nicht besonders für ihren Einsatz vorbereitet worden. Nur der Schnellspannhebel und der Auslöseknopf wurden vergrößert, um die Bedienung mit den Handschuhen des Raumanzugs zu erleichtern. Der Lichtschachtsucher kam nicht mit – er hätte auch eher gestört als genützt, wenn der Fotograf einen Astronautenhelm trägt. Anders als bei den Hasselblads war die NASA nicht in Kontakt zum Hersteller getreten, um Details des Einsatzes zu besprechen und sich Vorschläge für  Modifikationen machen zu lassen – wahrscheinlich ein Fehler angesichts des hohen UV-Anteils des nicht von der Atmosphäre gefilterten Sonnenlichts. Die Idee war anscheinend, während des Außenbordeinsatzes Aufnahmen vom Zustand des Raumschiffs von außen zu machen.

Außenaufnahme des Gemini 4-raumschiffs von Ed White mit den Zeiss Ikon Contarex Special + Carl Zeiss Planar 2.0/50 auf ANSCO 200 ASA Diafilm bei f/11, 1/500s, Quelle NASA via casualphotophile.com
Außenaufnahme des Gemini 4-raumschiffs von Ed White mit den Zeiss Ikon Contarex Special + Carl Zeiss Planar 2.0/50 auf ANSCO 200 ASA Diafilm bei f/11, 1/500s, Quelle NASA via casualphotophile.com

Hier eine der wirklich schwer zu findenden Aufnahmen Ed Whites mit der Contarex. In der Tat kein bestechendes Foto, sodass es kaum verwundert, dass man sie so schwer findet. Das sollte man deutlich besser hinkriegen.

Was hätte man besser machen können?

Das grundsätzliche Problem sehe ich darin, dass der Einsatz dieses professionellen Kamerasystems nicht so vorbereitet worden ist wie der Einsatz der Hasselblads. Man kann ein so komplexes System nicht einfach in einer Umgebung betreiben, für die sie nicht entwickelt wurde, und erwarten, dass auf Anhieb alles problemlos rundläuft.

Das Planar 2.0/50 ist ein fantastisches Objektiv, kein Zweifel. Aber die Vorteile dieses Objektivs gelten vorwiegend für den “irdischen Einsatz”. Die Fokussierung ist einmalig weich und geschmeidig und man kann bis auf eine Entfernung von weniger als 30 cm von der Filmebene scharf stellen. Aber brauche ich das bei einer EVA im Erdorbit? Und ist die Brennweite von 50 mm da wirklich optimal?

Ich denke, anstatt des Planar 50 wäre Ed White mit dem Distagon 4.0/35 besser bedient gewesen.  Hohe Lichtstärke ist nicht erforderlich, wenn man ausreichend Licht zur Verfügung hat. Die kompakteren Ausmaße des Distagon, das größere Sichtfeld und der weitere Schärfenbereich wären dagegen sehr wohl von Vorteil gewesen. 1/125 s hätte ohne Verwacklungen funktioniert und Blende 22 ermöglicht, somit wäre alles von 1 m bis ∞ scharf abzubilden gewesen, ohne dass fokussiert werden muss. Das würde die Bedienung schon einmal erheblich vereinfachen und die Bildschärfe fördern. Da hapert es bei Ed Whites Bildern etwas.

Das Objektiv ragt vorne noch ein Stück weiter über die vorderste Linse hinaus und würde so als Gegenlichtblende funktionieren, was allerdings auch für das Planar 50 gilt. Einen UV-Filter würde ich montieren und drauflassen. Bei der Contarex funktionieren Filter mit einem Bajonett, nicht mit einem Gewinde.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

13 Kommentare

  1. Bezüglich Kameras,
    nicht vergessen dabei darf man, dass die Bildqualität auch von dem verwendeten Film abhängt, dessen Empfindlichkeit und letztendlich auch dem Fabrikat.
    Die Filme von Agfa waren topp, ebenso die von Kodak.

  2. Erklärung der Bildqualität

    Die 6 x 6 Analogkameras haben eine belichtbare Fläche von 3 600 mm².
    Eine 24mm x 36 mm Kleinbildkamera bringt es auf 900 mm². Das ist nur ¼.
    Das reicht nicht aus, dass die Hasselblad so viel besser sein soll als die Contarex.
    Das gezeigte Foto zeigt die typische Unschärfe durch UV-Licht. Er hätte einen UV-Filter verwenden sollen.
    Auch mit dem anderen Objektiv, wäre die Tiefenschärfe viel größer geworden.
    Und drittens, wir wissen nicht , wer und wie der Film der Contarex entwickelt wurde.
    Ein Verwandter von uns, der Entwicklungsingenieur von Agfa in Leverkusen zeigt uns einmal den Unterschied von einem in einem im Automaten entwickelten Foto und einem mit Hand entwickeltem Foto. Der Unterschied ist sichtbar !

    • Mittelformat erhöht nur die Auflösung und verringert die sichtbare Korngröße, weil das Bild zwischen Negativ (oder in diesem Fall Diapositiv) weniger stark vergrößert werden muss. Die Aufnahmen mit der Contarex sind aber unscharf. Dass dies im gegebenen Fall an einem Fehler bei der Entwicklung liegt, kann ich mir nicht vorstellen.

      Das Problem mit dem hohen Anteil an UV-Wellenlängen habe ich im Artikel bereits angesprochen. Das erklärt die verringerte Bildqualität zum Teil. Es gibt da aber einfach auch noch ein Problem mit der Fokussierung, was bei der gewählten Brennweite auch bei f/11 nicht zu vermeiden ist, bei kürzerer Brennweite aber schon. Mit der kleinen Mattscheibe einer 35 mm-Kamera und mit den Handschuhen eines Raumanzugs ist Nachfokussierung nicht möglich. Dies muss man bei der Auswahl des Systems berücksichtigen.

      Ich bin sicher, hätte sich die NASA mit den Experten von Zeiss Ikon zusammengesetzt, hätten die ihnen genau dasselbe gesagt.

  3. Michael Khan,
    Sie haben Recht, ich hatte ganz vergessen, dass die Contarex keine automatische Entfernungseinstellung hat und der Focus liegt mehr in der linken Bildhälfte.
    Nebenbei, Gratulation zu der Aufnahme mit der Rollei 66. Das ist Fotoqualität auf höchstem Niveau.
    2008 sprach ich einmal mit einem Berufsfotografen, der die Plakate für einen großen Autokonzern in Stuttgart macht, ob er noch analog fotografiere.
    Er meinte, die Bildqualität wäre bei analog noch geringfügig besser, er arbeite aber hauptsächlich mit digital, weil die Nachbearbeitung der Fotos schneller und besser sei.

    • Die Contarex Special hat keinerlei Elektronik und damit weder Autofokus noch Belichtungsmessung; sie ist eine vollmechanische Kamera. Ein Autofokus würde auch wenig nützen, wenn man eine derartig stark variierende Entfernung zum Objekt hat wie in der betreffenden Aufnahme von Ed White. Entweder der Fotograf stellt die Entfernung manuell ein, was hier nicht ging, oder man muss ausreichende Tiefenschärfe haben, was eine kurze Brennweite bedingt.

      Zu der Diskussion ob analog oder digital habe ich durchaus eine Meinung, aber die hat mit dem Thema nichts zu tun.

  4. Nicht so bescheiden Herr Khan,
    viele Besitzer von teuren Analogkameras wissen nicht wohin damit. Die Enkelgeneration verscherbelt sie auf dem Flohmarkt.
    Ich selbst besitze noch eine 6 x 9 Balgenkamera, deren Fotos waren gut und ich halte sie in Ehren.

    • Das ist zwar jetzt eine ganz andere Geschichte, die mit dem Artikel nichts mehr zu tun hat, aber die Zeiten, als teure, klassische Analogkameras noch billig verhökert wurden, sind lange vorbei.

  5. Einige Zusatz-Fragen:
    Bei den Außenbordeinsätzen und auf der Mondoberfläche, war dann in den Kameras Luft oder Vakuum?
    Könnte das Vakuum der Filmschicht Wasser entziehen?
    Könnte sich die Luft störend durch den Innendruck auswirken?
    Dazu kommen vermutlich noch die Auswirkungen der extremen Temperaturen.

    • Kameras sind nicht luftdicht, im Inneren herrschten Vakuumbedingungen. Schlimmer als das Vakuum können sich in der Tat extreme Temperaturen auswirken, wenn man nicht aufpasst, aber das war in der Praxis offenbar nie ein wirkliches Problem.

  6. Danke für diesen Beitrag zu einem Thema von dem ich gar nichts weiss.
    Eine Frage von mir ist deshalb: Warum überhaupt ein zweiter Kameratyp, wenn die Hasselblad doch so gut war und es zudem keine Zweifel an der zu erreichenden Aufnahmequalität mit der Hasselblad gab.
    Lag es allein an den äusseren Abmessungen der Kameras, dass ein zweites System (das von gewissen Leuten als Touristenkamera bezeichnet wird( eingesetzt wurde?

    • Gute Frage. Das habe ich nie in Erfahrung bringen können. Wenn es nur eine Frage der Abmessungen gewesen wäre, dann hätten die mit der Contarex Special mit Planar-Objektiv nicht wirklich Einsparungen erzielt. Zumindest hätten sie dann schon mal das deutlich kleinere Distagon-Weitwinkelobjektiv montieren können, das auch noch andere Vorteile gehabt hätte. Grundsätzlich macht es Sinn, wenn genau ein Kameratyp verwendet wird, für dessen Bedienung alle Astronauten geschult worden sind.

      Ich vermute, dass die Sache mit der zweiten Kamera einfach nicht richtig durchdacht war. Das sieht man auch daran, dass die den Hersteller nicht mal eingebunden hatten. Wahrscheinlich war die Arbeitsbelastung – immerhin wurden binnen kürzester Zeit drei bemannte Systeme entwickelt – dergestalt, dass manches hinten runterfiel. Ein Indiz dafür ist auch der tödliche Unfall mit dem Apollo-Raumschiff, bei dem im Januar 1967 Grissom, White und Chaffee ums Leben kamen.

  7. Martin Holzherr, Michael Khan
    Vermutungen zur Benützung einer Contarex,
    vielleicht war es auch nur eine Frage der Mode,
    Die Rechteckform hat sich bei den Kameras gegenüber der Würfelform durchgesetzt, sie waren nicht nur modischer, sondern konnten auch beim Fotografieren mit nur einer Hand gehalten werden. Und White hielt die Contarex für die modernere Kamera.
    Das zahlungskräftige Publikaum hat sogar zur Leica gegriffen, weil die noch “aufgeräumter” aussah. Die Sucherkameras hatten sich gegenüber der Spiegelreflextechnik durchgesetzt. Berufsfotografen bevorzugten weiterhin die Spiegelreflextechnik.

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