Astraius: Raketenstarts per Flugzeug

Kubrick's 2001: 50 Years A Space Odyssey. Logo der Fluggesellschaft auf der SSTO-Raumfähre für Flüge von der Erdoberfläche zur Raumstation. Deutsches Filmmuseum, Frankfurt am Main

Vor kurzem hörte ich von einem europäischen Start-Up-Unternahmen namens Astraius. Das Unternehmensziel ist der Start kleiner Satelliten ins niedrige Erdorbit. Es gibt nittlerweile viele Firmen, die so etwas anbieten oder vorhaben. In Deutschland beispielswese RFA und ISAR Aerospace.

Astraius geht aber einen anderen Weg als die anderen. Die Startbasis des Unternehmens soll am Flughafen Prestwick bei Glasgow in Schottland sein. Der Standort ist aber nicht ganz so wichtig, denn Astraius will nicht direkt von dort ins Weltall starten. Dort wird nur ein Transportflugzeug vom Typ Boeing C17 beheimatet sein. Dieses Flugzeug wird eine vorbereitete zweistufige Rakete im Frachtraum tragen. Die Rakete soll während des Flugs aus der Heck-Ladeklappe ausgeworfen werden. Ihr Sturz wird durch Fallschirme stabilisiert, bis sie sicher gezündet werden kann, wenn das Flugzeug eine sichere Entfernung erreicht hat. Dieses Video der Firma zeigt eine Animation des Startvorgangs:

Animation eines zukünftigen Astraius-Starts, Quelle: astraius.com

Das Prinzip, Raketen mit einem Flugzeug in eine gewisse Höhe zu tragen und sie dort auszuklinken und dann zu zünden, ist nicht ganz neu. Das US-Unternehmen Pegasus macht so etwas bereits seit 1990. Es gab auch mal ein – nicht erfolgreiches – Konzept namens Stratolaunch, das das alles eine Nummer größer machen wollte. Bei Pegasus wird die Rakete nicht mit Fallschirmen, sondern mit Flügeln stabilisiert. Auch Stratolaunch wollte das so machen. 

Wenn ich mich recht erinnere, gab es auch mal einen Vorschlag für ein ähnliches Konzept wie Astraius, unter Verwendung eines russischen (?) Frachtflugzeugs. Ich weiß aber nicht, was daraus geworden ist. Astraius will seine ersten Starts schon im Jahr 2024 durchführen. Nach Angaben des Unternehmens basiert die Rakete auf etablierter US-Hardware. 

Dem Video oben kann man entnehmen, dass das Aussetzen der Rakete in 30,000 Fuß Höhe erfolgen soll. Etwas verwunderlich ist, dass sowohl zum Flugplatz Prestwick als auch zur C17 Informationen eingeblendet werden, zur Rakete aber nicht. Dabei soll die doch auf etablierter US-Technik basieren (bis auf die ganzen Vorrichtungen für den Start im Flug, vermute ich). Die Rakete ist ja beim Start ins erdnahe Orbit nicht ganz unwichtig. 

Ich habe Kontakt zur Firma aufgenommen und um weitere Informationen gebeten und bekam Antworten vom Geschäftsführer und dann vom technischen Leiter. Ich weiß nicht, ob die Belegschaft des Unternehmens bereits mehr Personen umfasst als diese zwei. Mir wurde ein “Launcher User Manual” innerhalb der kommenden sechs Monate versprochen.

Nach Angaben des CEO wurde das aufwändige Startverfahren gewählt, um den Kunden größtmögliche Freiheit in der Wahl des Startazimuts zu bieten. Bei einer festinstallierten Startbasis ist üblicherweise nur ein eingeschränkter Bereich von Startrichtungen gegeben. Dies liegt an Sicherheitsbestimmungen. Der Aufstieg der Rakete und der Abwurf ausgebrannter Stufen soll nicht über Land oder zumindest nicht über bewohnten erfolgen und man möchte nicht mit vielbefahrenen Schifffahrtsrouten in Konflikt geraten. 

Die überwiegende Mehrzahl der Kunden, gerade für kleine Satelliten im erdnahen Orbit, will in eng umschriebene Bahninklinationen. Bei Erdbeobachtungssatelliten ist es meist ein sonnensynchrones Orbit (97 – 98.5 Grad, je nach Bahnhöhe), für Kommunikationssatelliten in Konstellationen meist 40-60 Grad. Da wird sich zeigen, ob tatsächlich ein ausreichender Bedarf an freier Wahl des Azimuts besteht, um das  Geschäftsmodell von Astraius zu rechtfertigen. 

Gerade bei wissenschaftlichen Satelliten könnte es aber unkonventionelle Anforderungen geben. Aber solche Satelliten sollen oft auch nicht in niedrige kreisförnige Bahnen. Das weiß man auch bei Astraius. Nach Aussage des technischen Leiters laufen Verhandlungen mit Herstellern von kleinen Oberstufen, die auch Starts von Mikrosatelliten in höhere oder exzentrische Bahnen erlauben sollen. 

Mir war jetzt neu, dass es für solche Produkte unabhängige Anbieter gibt. Andere Start-Ups in diesem Geschäftsfeld (so wie die amerikanische-neuseeländische Firma Rocket Lab), haben ihre eigene Oberstufe entwickelt oder sind dabei, das zu tun. 

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

8 Kommentare

  1. Zitat aus obigem Beitrag:

    Etwas verwunderlich ist, dass sowohl zum Flugplatz Prestwick als auch zur C17 Informationen eingeblendet werden, zur Rakete aber nicht. Dabei soll die doch auf etablierter US-Technik basieren (bis auf die ganzen Vorrichtungen für den Start im Flug, vermute ich).

    Nun, im ebenfalls oben verlinkten Artikel Astraius’ 1st satellite launch from Prestwick Spaceport is on track — key partners named liest man immerhin:

    Northrop Grumman wurde als Motorlieferant der ersten und zweiten Stufe ausgewählt.

    Exquadrum wird den Motor der oberen Stufe zur Verfügung stellen.

    Meine Interpretation: Astraius kauft nur die Raketenmotoren von US-Herstellern. Den Rest der Rakete produziert sie selbst. Bis 2024 könnte das durchaus zu schaffen sein, oder nicht?

  2. Wo haben die eigentlich das Flugzeug her, frage ich mich? Sind die neuerdings für Privatunernehmen erhältlich? Oder waren sie es schon immer?

  3. Die Pegasus ist wohl nicht mehr im “Rennen”, weil zu teuer. Es gab seit Jahren keine Starts mehr mit ihr und meines Wissens existieren überhaupt nur noch Teile für eine oder zwei Raketen, für die sich aber kein Abnehmer findet.
    Das einzige vergleichbare Modell wäre momentan der LauncherOne von Virgin Orbit. Der wird unter dem Flügel einer modifizierten Boeing 747 auf Höhe geschleppt und dann abgeworfen.
    Eine C-17 halte ich für ausgeschlossen. Das Flugzeug ist absurd teuer (sie dürfte pro Stück um die 350 Millionen Dollar kosten). Ich weiß von keiner zivilen Permanentnutzung einer C-17. Sie wird zwar gelegentlich für zivile und kommerzielle Einsätze abgestellt, aber nur fallweise für einzelne Flüge. Und die kosten richtig viel Geld.
    In diesem Fall muss man aber bedenken: Das ist nicht eine fallweise Einzelnutzung. Die Maschine wird über viele Monate für dutzende von Flügen benötigt, alleine um alle Tests und Kalibrierungen durchzuführen.
    Und selbst wenn das alles funktioniert und die Rakete wäre 2026 oder 2027 einsatzbereit, dann trifft sie auf einen komplett gesättigten Markt für Mikro- und Nanoträger auf dem zwei oder drei Dutzend Konkurrenten bereits ums nackte Überleben kämpfen. Gewinnen werden die billigsten Anbieter und diejenigen, die Spezialdienste liefern (z.B. Einzelnutzlasten auf individuelle und komplexe Bahnen oder Starts von Mikro-Raumsonden).

    • Ich nehme an, die haben vor, eine gebrauchte C17 zu kaufen, so wie ja auch Pegasus eine eine uralte L1011 Tristar als Trägerflugzeug nutzte.

      Ich stimme der Einschätzung zu. Das Alleinstellungsmerkmal von Astraius ist die freie Wahl des Startazimuts, und da stellt sich die Frage, wie viele Kunden diese Eigenschaft brauchen und bereit sind, dafür gegebenenfalls sogar einen Aufschlag zu bezahlen. Daran, dass die meisten Erdbeobachtungsanwendungen ins SSO wollen und die Megakonstellationen in mittlere Inklinationen, wird sich ja nichts ändern.

  4. Ich hab mal nachgesehen. Der Preis einer C-17 auf Preisbasis 1995 war 330 Millionen Dollar. Eskaliert auf das Jahr 2022 wären das etwa 640 Millionen Dollar aktuell. Alle ausgelieferten C-17 stehen derzeit in militärischem Dienst. Der Serienbau ist seit 2019 beendet. Es gibt aber (ich hab auf die Schnelle keine genauen Quellen gefunden) wohl einige wenige (vielleicht fünf) “White Tails” bei Boeing, die theoretisch zum Verkauf stehen könnten.

    Allerdings sind die ITAR-Restriktionen derart rigide, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass ein deutsches Privatunternehmen eine unter US-Militärspezifikationen gebaute Maschine erhält, selbst wenn sie das Geld hätte.

    Ein weiteres Problem wäre das “Retraction System”, das nur für Abwurfgewichte von Einzelnutzlasten bis maximal 19.000 Kilogramm zugelassen ist. Für ein weitgehend mit festen Treibstoffen betriebenes Startsystem (typisch wären für einen Kleinst-Träger dieser Kategorie drei Feststoffstufen und eine flüssigkeitsbetriebene Kickstufe) kann man, bei einer Nutzlast von 500 Kilo (weniger ist wirtschaftlich sinnlos, wie sich immer mehr zeigt), gestartet auf einem niedrigen Breitengrad in genau östlicher Richtung, 30 Tonnen Startgewicht ansetzen. Das wären auf einem polaren Orbit noch etwa 300 Kilo.

    Noch ein Vergleich: Die vierstufige Pegasus hatte ein Abwurfgewicht von 24 Tonnen. Die größte jemals erzielte Nutzlast mit dieser Rakete betrug 384 Kilogramm auf eine niedrige Erdumlaufbahn. Direkt vom Äquator aus (Kwajalein-Atoll) auf eine Inklination von 13 Grad.

    Mit einer vernünftigen Nutzlast funktioniert so ein Konzept nur mit flüssigkeitsbetriebenen Raketen relativ hoher spezifischer Impulsleistung.

    • Danke, Eugen. Astraius ist nach eigenem Bekunden ein britisches Unternehmen. Zumindest haben die der UK Space Agency Geld aus den Rippen geleiert, was vielleicht gar nicht so schwer ist – auch die Leute vom Projekt Hotol und dessen Nachfolger Skylon haben das geschafft, sogar über Jahrzehnte hinweg und trotz überschaubarer Erfolgsaussichten für ihr Konzept.

      Ich kann mir nicht vorstellen, dass die sich Hoffnungen auf ein Neuflugzeug machen. Es kann sich allenfalls um ein ausgemustertes Modell handeln.

      Astraius hält sich mit der Bekanntgabe auch nur elementarer technischer Details zu ihrer Rakete sehr bedeckt. Wenn die Triebwerke für die erste und zweite Stufe von Northrop Grumman kommen (oder, bei einer Feststoffrakete, gleich die kompletten Stufen) und das TTriebwerk der dritten Stufe von Exquandrum, die mir vollkommen unbekannt waren, aber anscheinend ein hybrides Triebwerk für Oberstufen entwickelt haben, dann wäre also die Astraius-Rakete dreistufig und wahrscheinlich mit hohem Fest-Treibstoff-Anteil.

      Bei allen Konzepten für Flugzeug-getragene Raketen, schon bei dem gewaltigen Stratolaunch, stellt sich das Problem, dass das Flugzeug bei Licht betrachtet gar keine besonderes große Rakete tragen kann, was von vorneherein die maximal erzielbare Nutzlast extrem einschränkt.

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