50 Jahre Astérix

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Wir befinden uns im Jahr 1965. Den erdnahen Weltraum haben die beiden großen Raumfahrtnationen USA und UdSSR ganz unter sich aufgeteilt.

Ganz? Nein, nicht ganz!

Eine Nation unbeugsamer Techniker, Tüftler und Erfinder hat hart daran gearbeitet, das Monopol der großen zwei zu brechen und als erste europäische Nation und drittes Land weltweit einen eigenen Satelliten mit einerm eigenen Rakete in die Erdumlaufbahn zu bringen. Naja, nicht wirklich. Die Intention ist schon eine etwas andere.

Am 26. November ist es soweit: Von der Startbasis Hammaguir im mittlerweile unabhängigen Algerien startet eine französische Rakete vom Typ Diamant A mit dem ebenfalls französischen Kleinsatelliten Astérix A1.

Illustration von Astérix A1 mit der gleichnamigen Comic-Figur, Quelle: CNES
Illustration von Astérix A1 mit der namensgebenden Comic-Figur, Quelle: CNES

Die Diamant A ist eine dreistufige, 19 Meter große und 18.4 Tonnen schwere Rakete. Sie wird bis 1967 vier Mal von Hammaguir gestartet werden, davon drei Mal komplett und ein Mal teilweise erfolgreich (der am 8. Februar 1967 gestartete Satellite Diadème 1 wird in einem zu niedrigen Orbit ausgesetzt).

Der 42 kg schwere Astérix A1 jedoch, der von der französischen Raumfahrtagentur CNES (Centre national d’études spatiales, wobei sich bis heute in ganz Europa, außer Frankreich, auch hartnäckig die Deutung “Center of Non-English-Speakers” hält) entwickelt wurde, landet genau in seiner Zielbahn mit einer Perigäumshöhe von 527 km und einer Apogäumshöhe von fast 1600 km. Seine Bahn ist um 34.3 Grad gegenüber dem Erdäquator geneigt. Das ist etwas mehr als die geographische Breite von Hammaguir, also erfolgte der Start nicht genau ostwärts. Wahrscheinlich wurde der Startazimut von Sicherheitsfragen diktiert: Die ersten zwei Stufen dürfen nicht auf bewohntes Gebiet stürzen.

Astérix A1 ist immer noch im Orbit; er hat die COSPAR-ID 1965-096A. Die Drittstufe der Diamant-A, die zunächst in der selben Bahn war, ist dagegen schon im Jahr 2004 wieder eingetreten und verglüht. Der Satellitenkörper muss wohl einen sehr geringen aerodynamischen Querschnitt bieten. Der Satellit ist geformt wie ein kleines Bierfass mit einer Höhe und einem Durchmesser von jeweils rund 50 cm.

Die einzige Aufgabe des Satelliten war es, die Beurteilung der Funktion der Rakete zu ermöglichen. Dazu brauchte er nichts weiter als eine Stromversorgung, einen Radar-Transponder und eine Funkausrüstung zur Übermittlung von Telemetrie, zusätzlich noch etwas Pyrotechnik (ich nehme an, Sprengbolzen) zur Abtrennung von der Oberstufe.

Astérix A1 ist also im Prinzip nichts als ein erfolgreicher Test einer Fernrakete, aber natürlich mit dem werbewirksamen Bonus des Erdsatelliten. Das Funksignal sollte für Messungen der Flussdichte geladener Teilchen in der Ionosphäre genutzt werden. Dies wäre aber aufgrund der geringen Lebensdauer der Bordbatterie wahrscheinlich nicht erfolgreich und ohnehin nicht Bestandteil der Hauptaufgabe des Satelliten. Hinzu kam auch noch, dass beim Start durch das Absprengen der Nutzlastverkleidung offenbar die Antennen des Satelliten beschädigt wurden, sodass er keine Telemetrie senden konnte. Die Bahnbestimmung konnte aber auf Basis von Radarmessungen erfolgen.

Die namensgebende Comicfigur Asterix ist also durchaus passend gewählt. Asterix war ja schließlich auch ein gallischer Krieger. Der kurzfristig erwogene, aber nicht gewählte Name Zébulon nach einer Figur aus dem Zeichentrickfilm “le manège enchanté”, hätte da schon deutlich weniger gut gepasst. Zébulon ist ein Kinderspielzeug, ein Schachtelteufel, der auf einer Sprungfeder sitzt und jeden erschreckt, der ahnungslos die Schachtel öffnet.

Es erscheint aus heutiger Sicht verwunderlich, dass Algerien der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich so kurz nach der Erlangung der Unabhängigkeit immer noch die Nutzung der Startbasis in Hammaguir gestattete. Algerien war ab 1830 von Frankreich annektiert und 1848 zu einem Teil Frankreichs erklärt worden, wurde also nicht nur als bloße Kolonie betrachtet.

Am 19. März 1962 beendete die Unterzeichnung der Verträge von Evian den über sieben Jahre andauernden blutigen Unabhängigkeitskrieg in Algerien, der mehrere Hunderttausend Opfer gefordert hatte, zum überwiegenden Teil algerische Zivilisten. Diese Verträge beinhalteten Zusatzklauseln, die Frankreich für weitere fünf Jahre die Nutzung von Teilen des Territoriums der zukünftigen Republik Algerien gestatteten:

  • Das Centre Interarmées d’Essais d’Engins Spéciaux (und nicht “spatiaux”, wie ich zuvor immer gedacht hatte) CIEES in Colomb-Béchar und Hammaguir, das seit 1948 bestand und für unterschiedliche militärische Versuche diente, darunter auch Tests von Raketen, angefangen mit der suborbitalen Véronique, einer Weiterentwicklung der deutschen A4, konstruiert mithilfe von 60 deutschen Experten aus der Peenemünder Gruppe unter Weränher von Braun
  • Die Testgebiete für Nuklearwaffen bei Reggane und In-Ekker, wo von 1960 bis 1966 insgesamt 22 Kernspaltungsbomben gezündet wurden, davon die ersten vier oberirdisch. Beim zweiten unterirdischen Test in In-Ekker kam es 1962 zu einem ungewollten Austritt der Explosionsgase, aber die neue algerische Regierung ließ die Franzosen dennoch die geplante Versuchsserie weiter führen.
  • Das Testgebiet für chemische und bakteriologische Waffen in der geheimen Basis B2-Namous

Die vereinbarten fünf Jahre gaben Frankreich Zeit, alternative Standorte zu finden und aufzubauen. Die Raketenleute zogen nach Kourou in dem 1946 von der Kolonie zum Département umgewandelten Guyana in Südamerika um. Die Nuklearwaffentests wurden ab 1966 auf Atolle im Südpazifik verlegt.

Der “Club der Raumfahrtnationen” hatte nach dem Beitritt Frankreichs für die nächsten fünf Jahre nur drei Mitglieder, blieb also immer noch sehr exklusiv. 1970 kam zuerst Japan mit Oosumi 1 hinzu, gestartet auf einer Lambda 4S, kurz darauf auch China mit Dong Fang Hong (=”der Osten ist rot”) 1, gestartet von einer “Langer Marsch 1”, deren Chefentwickler Qian Xuesen war.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

5 Kommentare

  1. Dass Astérix jetzt seit 50 Jahren im Orbit seine Runden dreht, dürfte selbst in Frankreich der Öffentlichkeit kaum bewusst sein.

    Noch eine Anmerkung hierzu:

    »… angefangen mit der suborbitalen Véronique, einer Weiterentwicklung der deutschen A4, konstruiert mithilfe von 60 deutschen Experten aus der Peenemünder Gruppe unter Weränher von Braun«

    Da steht zum einen ein recht unmotiviertes ‘ä’, und zum anderen scheint mir der Bezug zu Wernher von Braun hier etwas missverständlich, denn das lässt sich auch so lesen, als sei der bei der Konstruktion der Véronique noch unmittelbar beteiligt gewesen. Im übrigen will man in Vernon gar von 120 deutschen Experten wissen [Deutsch], was allerdings durch die französische Version der gleichen Webseite nicht bestätigt wird, soweit ich sehe [Français].

    • Vielen Dank auf den Hinweis zum überflüssigen “ä”.

      Ich hoffe doch, dass man der von mir gewählten Formulierung entnehmen kann, dass die Experten dem Peenemünder Team um Wernher von Braun entstammen, wobei von Braun selbst nicht in Frankreich war. Er hatte dafür gesorgt, dass er sich den Amerikanern ergeben konnte. Alles andere wäre wohl eher ein “very bad career move” gewesen.

      Die Zahl 60 stammt aus einer französischen Zeitschrift, die mir ein Kollege geliehen hat. Ich reiche die genaue Quelle noch nach. Über die Anzahl der nach Vernon gezogenen Peenemünder sagen verschiedene Quellen unterschiedliches. Eine Quelle der Verwirrung kann darin liegen, dass auch Experten für andere militärische Projekte (nicht nur aus der Peenemünder Gruppe) von Frankreich angeworben wurden, und nicht nur für die Arbeit in Vernon.

      • Klar, wer bis zu dieser Stelle mitliest, wird vermutlich korrekt Wernher von Braun auf die A4 zu beziehen wissen, und nicht unbedingt auf die Véronique. Deren beiläufige Erwähnung war für mich spannend genug, um einmal weiter danach zu googeln, so fand ich diese Vernon/Ariane-Seite, und dann u.a. den Namen Karl-Heinz Bringer, den ich zuvor nicht hätte einordnen können. Inzwischen denke ich, dass der sich in diesem Zusammenhang eher noch als von Braun eine namentliche Nennung durchaus verdient gehabt hätte, zumal über dieses französische Kapitel der Geschichte gemeinhin ja nur wenig bekannt ist.

        Recht bemerkenswert scheint mir noch, dass die deutschen Fachkräfte von den Franzosen offenbar nicht als eine Art Kriegsbeute behandelt, sondern ganz regulär als Mitarbeiter angeheuert worden waren.

      • Besten Dank noch für die Links, wie überhaupt für diesen informativen Blogbeitrag zur europäischen Raumfahrthistorie. Die populäre Wahrnehmung der technischen Entwicklungen zwischen 1945 und den 1960ern ist üblicherweise doch ziemlich schief, gerade was Frankreich betrifft. Meist wird da nur ein Bild vermittelt, das fast ausschliesslich die Amis und Russkis im Fokus hat.

        Eher bekannt ist vielleicht noch, dass die Briten in den 1950ern ein militärisches Projekt ‘Blue Streak’ betrieben hatten, das zunächst als IRBM geplant war und dann später irgendwie bei ELDO eingebracht wurde. Und ich wollte schon fragen, ob die Briten das eigentlich ganz ohne deutsche Ingenieure hinbekommen haben, doch eine Antwort habe ich jetzt selbst noch im Web gefunden, sie lautet nein.
        http://www.spaceuk.org/bstreak/bs/bsmilitary.html

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