Ein Blick zurück – und einer nach vorn
BLOG: Go for Launch
Wann war der kalte Krieg vorbei? Schwer zu sagen. Er begann eigentlich schon mit Ende des zweiten Weltkriegs und war mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch lange nicht beendet. Gegen Mitte der Siebziger konnte man ein vorsichtiges Tauwetter verzeichnen, allemal im Vergleich zu den davor liegenden Jahrzehnten, in denen die Welt sich glücklich schätzen kann, dass der kalte Krieg kein heißer wurde. Wie wir jetzt wissen, hat so manches Mal nicht mehr viel gefehlt.
Politik braucht Symbolik, und ein Tauwetter sollte durch eine starke, unmissverständliche Geste des Vertrauens und der Freundschaft unterstrichen werden. Nichts konnte damals mit mehr emotionaler Kraft beladen sein als das Apollo-Sojus-Test-Projekt (ASTP): Ein amerikanisches Apollo- und ein sowjetisches Sojus-Raumschiff vollzogen ein Rendezvous im Orbit und dockten aneinander an. Das war gar nicht so einfach, denn keins der Raumschiffe war für ein Andocken am anderen konstruiert. Nicht nur passte die Hardware nicht zusammen, auch an anderer Stelle hakte es. Beispielsweise verwendete die NASA an Bord eine Atmosphäre aus reinem Sauerstoff unter verringertem Druck, die Sowjets ein Stickstoff-Sauerstoffgemisch unter Normaldruck.
Ein eigens entwickelter Adapter (siehe Bild links), den das Apollo-Schiff mit nach oben nahm (im kegelförmigen Adapter zwischen Oberstufe und Apollo-Versorgungsmodul, dort, wo zuvor das Mondlandemodul verstaut gewesen war) schaffte Kompatibilität, und am 17. Juli 1975 konnten drei amerikanische Astronauten und zwei sowjetische Kosmonauten einander die Hände schütteln – dies geschah über Europa, dem Kontinent, der in einem heißen Krieg das Schlachtfeld der Supermächte geworden wäre. Der sowjetische Sojus-Kommandant war übrigens kein Geringerer als Kosmonaut Alexei Leonov.
Es war eigentlich nur ein Händedruck, aber die Welt war danach eine andere. So ist das mit starken Gesten.
Das eigentliche Tauwetter hatte schon Jahre zuvor eingesetzt. Es muss ja erst jemand auf die Idee kommen, so etwas zu machen. Diese Idee muss sich gegen den Widerstand der Betonköpfe durchsetzen. Dann müssen die Techniker ‘ran. Die müssen aber die Erlaubnis haben, der jeweils anderen Seite Einblick in eigene Interna zu gewähren. Auch das hat sicher Vielen nicht gepasst. Aber – ich muss mich hier eines Klischees bedienen – nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.
Im weiteren Verlauf hat es noch viele gemeinsame Missionen der ehemaligen Todfeinde gegeben, darunter neun Space Shuttle-Missionen zur sowjetischen MIR-Raumstation, Langzeitmissionen amerikanischer Astronauten auf der MIR, und schließlich die Internationale Raumstation ISS, deren Kern russische und amerikanische Hardware ist und in der von Anfang an russische und amerikanische Männer und Frauen Seite an Seite arbeiten.
Soviel zum Blick zurück, zu einem Projekt, das heute nur noch Raumfahrtenthusiasten bekannt ist. Zu Unrecht, denn seine symbolische Bedeutung geht weit über die reine Raumfahrttechnik hinaus – ein Effekt, der typisch für die Weltraumfahrt ist.
Und nun zum Blick nach vorn
Wie in der Politik nicht unüblich, wurde vom neuen Präsidenten Obama angekündigt, das Vorzeigeprojekt seines Vorgängers, die “Vision for Space Exploration” (VSE), abzusägen. Kernstück dieses Vorhabens ist oder war das Programm Constellation, das die Entwicklung einer Schwerlastrakete namens Ares V, einer mittelgroßen Rakete für bemannte Starts namens Ares I, eines bemannten Raumschiffs namens Orion und eines Landegefährts für Mondlandungen namens Altair umfasst.
Zumindest Ares V, Ares I und Orion, oder etwas, was ihnen sehr ähnelt, wird man für jegliche bemannte Erforschung jenseits des niedrigen Erdorbits brauchen. Die Ares V wäre als Schwerlasttransporter mit einer Nutzlastkapazität von weit über 150 Tonnen ins LEO auch für diverse Vorhaben im LEO extrem nützlich. Beispielsweise könnte man eine Raumstation der Kapazität der ISS mit nur zwei Ares V-Starts ins erdnahe Orbit befördern, zu einem Bruchteil der Kosten und des Zeitaufwands, den das mühselige Einzelstarten und Zusammenstöpseln von 20-Tonnen-Modulen erfordert, aus denen die ISS besteht. Die Ares V würde ihre Entwicklungskosten also in kurzer Zeit über die erzielten Einsparungen hereinholen.
Vieles würde durch die Ares V überhaupt erst möglich werden. Arrays von Teleskopen mit wirklich großen Spiegeln, orbitale Kraftwerke und Produktionsstätten, touristische Ziele im Weltall – und natürlich auch die bemannte Forschung. Echte Forschung, nicht die halben Sachen, zu denen wir heute wegen der begrenzten Leistung existierender Raketen und der Beschränkung auf unbemannte Sonden gezwungen sind.
NASA-Grafik, die alle Hauptelemente des Programms Constellation im Zusammenspiel zeigt, hier am Beispiel einer bemannten Mondlandung (Quelle: NASA, Wikipedia).
Dreh- und Angelpunkt jeder ernsthaften Weltraumforschung ist eine Schwerlastrakete. Wie soll es da nun weitergehen? Am 28. Juni 2010 hat das Weiße Haus ein Dokument herausgegeben, das die Nationale Weltraumpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika erläutern soll. Für meinen Geschmack eindeutig zu viel Blafasel und fast gar nichts Konkretes (andere mögen das anders sehen), und an den wenigen Stellen, an denen es konkret wird, nur eine Fortschreibung von Vorgehensweisen der Bush-Ära, beispielsweise die Stärkung der Führungsrolle der USA, die Förderung der Interessen der USA und die Beschränkung auf US-Raketen für staatlich finanzierte Raumfahrzeuge, außer in Ausnahmefällen (also ganz bestimmt kein Orion-Raumschiff auf einer Ariane-Rakete).
Das sind keine Aussagen eines US-Präsidenten, die irgendwie verwundern sollten. Es ist aber auch ganz und gar nicht die große Wende zu Internationalismus, Friede, Freude und Eierkuchen, die dieser Blogger aus den USA darin gesehen haben will. Du liebe Zeit. Bezieht der sich auf dasselbe Dokument wie ich? Laut Quellenangabe schon. Kaum zu glauben.
Was sich in besagtem Dokument des Weißen Hauses allerdings nicht findet, ist, wie das Kernstück jeder anspruchsvollen Weltraumaktivitäten, nämlich die Entwicklung der Schwerlastrakete aussehen soll. Es findet sich darin auch keine Aussage dazu, wozu man erst ein schon weit fortgeschrittenes Entwicklungsprojekt einstampfen will, wenn man dann etwas Neues hochzieht, das am Ende doch wieder dem ursprünglichen Plan sehr ähnlich sehen wird.
Wie hier beschrieben …
[…] A heavy-lift rocket and human-rated deep space capsule, collectively called the Space Launch System, is also part of the Senate bill. The authorization act would move up the rocket’s development to fiscal year 2011, which begins in October.
The government-owned booster and manned spacecraft should lift between 70 and 100 tons to space, according to the current version of the bill. […] (Spaceflightnow.com: “Compromise NASA Bill gets Bipartisan Endorsement”, 15. July 2010)
… favorisiert das Weiße Haus eine Neuentwicklung einer Rakete im Bereich zwischen 70 und 100 Tonnen, die aber dann im Gegensatz zur Ares V auch noch man-rated sein muss. Mit diesem Konzept gibt es mehrere Probleme:
- Es ist ziemlich genau bekannt, welche Startmasse ein bemanntes Raumschiff für Missionen zum Mond, zu Asteroiden und weiter braucht. Diese Rakete ist gerade zu klein für solche Anwendungen, man müsste also jedes Mal Doppelstarts und Rendezvous-Manöver machen. Bei der etwa doppelt so großen Ares V würde dagegen bei vielen Missionsarten ein Start reichen.
- Weil diese Rakete man-rated sein muss, kommen zusätzliche Kosten bei der Entwicklung, aber auch als wiederkehrende Kosten bei jedem Start hinzu, die man bei der Ares V nicht hätte. Gleichzeitig wird aber eine Rakete, die neben der Aufgabe als Schwerlastträger auch noch als Startgerät für bemannte Raumschiffe verwendet wird (wofür man allerdings nie 70-100 Tonnen Kapazität braucht), nie so sicher zu machen sein wie eine, die wie die Ares I allein für den Start des Orion-Raumschiffs entwickelt und von vorneherein auf das Ziel der maximalen Sicherheit hin optimiert wurde.
Was ist also der Vorteil dieses vorgeschlagenen neuen Wegs? Gut, man hat das “Shuttle-Kartell”, also den industriellen Komplex aus der Shuttle-Zeit, zerschlagen. Das stimmt wahrscheinlich. Zwar wird sich schnell ein neues Kartell anderer Unternehmen bilden. Außerdem bedeutet diese Zerschlagung, dass man viel existierendes Know-How wegwirft. Aber ignorieren wird diese Einwürfe mal. Dann hätte man also schon mal einen Grund.
Aber sonst? Konkret?
Aus der Geschichte lernen
Die Geschichte des Kalten Krieges (ein Eigenbegriff) begann eigentlich noch während des 2. Weltkrieges. Die Deutschen arbeiteten unter W. v. Braun an der Raketentechnik und die USA an der Herstellung einer Atombombe.
Der Jurist Byrnes – Mann der Morgans – vertraute dem neuen Präsidenten einen Tag nach Roosevelts Tod an: „Die Vereinigten Staaten sind im Begriff, einen Sprengstoff fertigzustellen, der stark genug ist, um die Ganze Welt zu zerstören.“ Byrnes war der Auffassung, dass die USA gegenüber der Sowjetunion ihr nukleares Monopol 7 – 10 Jahre halten können. „Ich bin fest überzeugt, daß die Atombombe uns in die Lage versetzen wird, bei Kriegsende unsere Bedingungen zu diktieren.“ Und so zündeten die USA ihre 3 Atombomben, 1 zum Test und 2 über Japan.
1949 zündete die Sowjetunion ihre erste A-Bombe und am 31.08.1949 stellten amerikanische Luftaufklärer an der Grenze fest, das die „Russen“ nun auch die „Bombe“ haben.
Im Jahr 1951 zündeten die USA einen nicht flugtauglichen 65 t-Kontainer einer H-Bombe – und die Insel war weg. Anfang August 1953 mussten die Amerikaner feststellen, dass die „Russen“ eine richtige H-Bombe hatten! Das löste Bestürzung aus.
Die Ankündigung der Sowjetunion eines Raketenstarts im internationalen geophysikalischen Jahr 1957 hatte niemand in der Welt für ernst genommen. Im Endergebnis wurde unter der Leitung des hervorragenden Raketentechnikers Sergej Koroljov Sputnik 1 am 04. Oktober 1957 gestartet. Das führte in den USA zum „Sputnikschock“. Sputnikschock nennt man die politisch-gesellschaftliche Reaktion in den USA und Westeuropas und die weitere Entwicklung ihrer Raumfahrt nach dem Start des ersten Erdsatelliten: Ihnen war klar, das damit auch Atomsprengköpfe zur USA
transportiert werden könnten. Bis zur Mondlandung hatte die Amerikner meist das Nachsehen.
Über die Zukunft machte man sich schon vor Jahren Gedanken – die Praxis zeigt, dass sich da nicht viel geändert hat, s. Frank Schubert in: http://www.astronomie-heute.de/…17&_z=859070
Sinnvoll wäre schon eine bessere weltweite Zusammenarbeit – aber dem stehen noch zu viele nationale Interessen entgegen. Der Begriff Betonköpfe passt hier schon ganz gut rein. Die Fachleute untereinander verstehen sich im Allgemeinen recht gut.
Im Endergebnis brauchen wir einen machbaren Weg und – wie die Geschichte gezeigt hat – kompetente Persönlichkeiten (vgl. Koroljov und v. Braun).
Sputnikschock?
Das ist so einfach nicht zutreffend. Es wird über die Zeit des Rennens ins Weltraum zwar oft berichtet, aber nicht immer Zutreffendes. Die Hase-und-Igel-Variante der Geschichte ist wohl schöner, deswegen ist sie auch so langlebig. Mehr dazu u.a. hier:
http://www.kosmologs.de/…/2009-01-05/spacemyths1
Zeit des Rennens in den Weltraum
Der Hinweis mit dem Link verweist auch auf unsere frühere Diskussion. Wenn Sie hier die Medien erwähnen – dann haben sie natürlich auch viel Unsinn verbreitet – es waren aber die westlichen. Dem Militär-Industrie-Komplex war es nur Recht! Dass die Mondflüge eingestellt worden zeigt mehr ihren militärischen (Vietnamkrieg ging weiter) als wissenschaftlichen Wert, der natürlich unbestritten ist. Die Diskussion um die Original-Datenbänder unterstützte die negative Wertung. So einen Aufwand wird es wohl mit Sicherheit in der Zukunft nicht mehr geben.
Als die ersten Raketen der noch UdSSR zum Mars nicht nur mit eigener Technik ausfielen, eiferte die Westpresse: „Mit Computerschrott zum Mars“. Als die Amerikaner 2 Jahre später auch nicht „ankamen“ – war Ruhe. Die Medien unterliegen eben auch Manipulationen.
Viel Geld wird aber auch an anderer Stelle ausgegeben: http://info.kopp-verlag.de/…r-us-praesident.html
Die chinesische Wissenschaft und Technik hat auf vielen Gebieten einen guten Aufschwung erlebt. Da sie in erster Linie allein arbeiten, kann mancher Erfolg von außen erst an den Ergebnissen beurteilt werden.
Wir haben das Wissen und die Möglichkeit, unser Sonnensystem bemannt zu erkunden – nur geht es nicht so schnell, wie es mal vor etwa 3 Jahrzehnten angedacht war. Technik und Sicherheitsfragen sind dabei 2 wichtige Punkte.
@Klaus Deistung
Ich habe wirklich keine Lust zu einem West-Ost-Streit. Für so etwas bin ich grundsätzlich nicht zu haben. Es interessiert mich einfach nicht.
Nur einige Kommentar zu Ihrer Behauptung.
Sicher wird irgendeine Zeitung überheblich über das Versagen der Phobos-Missionen (übrigens Raumsonden, nicht Raketen) berichtet haben. Andere berichteten differenziert. Sich einfach nur eine Schlagzeile herauszugreifen, wie es einem gerade passt, hat keinen Wert.
Über das Versagen der NASA-Mars-Mission Observer im August 1993 wurde sehr wohl berichtet.
Und nach dem Scheitern gleich zweier Missionen in Jahre 1999 wurde die Häme gleich kübelweise über die NASA ausgeschüttet. Von wegen “es herrschte Ruhe”.
Das Gegenteil war der Fall. Es fühlte sich damals geradezu jeder Provinz-Journalist berufen, sich darüber zu mokieren, dass die NASA Fuß und Meter verwechselt hatte.
So, als sei das Problem bei MCO wirklich so simpel gewesen. Als seien die Ingeniere und Techniker bei NASA und Industrie alle Trottel, und irgendwelche Schreiberlinge, die sich noch nicht einmal die Mühe machen konnten, nachzulesen, was damal wirklich schief ging, seien ihnen haushoch überlegen.
Ich kann somit ihre Vermutung, die Presse bedächte mit ihren einseitigen Verunglimpfungen nur die Gegenseite, überhaupt nicht nachvollziehen. Geht mal was schief, wird man gnadenlos in die Pfanne gehauen.
Fakten stören da nur. Was wirklich passierte, und ob es nicht sogar normal ist, dass mal Missionen in die Hose gehen (wer nicht mal was in den Sand setzt, der kommt der Grenze des technisch Machbaren nicht nahe genug), danach fragt doch keiner.
Zustimmung
Die Presse hatte sich ja auch „den Mund zerfetzt“ über die Pannen auf der MIR http://de.wikipedia.org/wiki/Mir_%28Raumstation%29 . Hier hat Prof. J. v. Puttkamer genau die erfolgreichen Reparaturen und deren unschätzbare Erfahrungen für die ISS ausgewertet. Die Langzeiterfahrungen mit unterschiedlichen internationalen Besatzungen gehören dazu.
Ein noch größer werdendes Problem für jede künftige Raumfahrt ist und bleibt der Schrottgürtel. Die Erfassung ist nur die eine Seite. Die Erreichung einer vorgesehenen Parkbahn eines ausgedienten Satelliten mit dem letzten Treibstoff eine Zwischenlösung, die auch nicht immer klappt – aber immer öfter. Die ISS musste schon mehrfach ausweichen. Im Endergebnis muss die Zahl der Teile zwangsweise verringert werden. Der natürliche Absturz erfolgt zu langsam.