2024 YR4

Hypothetische Mission zu Asteroid 2024 YR4 mit Start im April 2030 und Erd-Swingby ein Jahr später, mit Ankunft am Asteroiden Ende Oktober 2032, Quelle: Michael Khan

Ein Asteroid wurde Ende Dezember 2024 entdeckt und mit der provisorischen Bezeichnung 2024 YR4 versehen. Es handelt sich um einen kleinen Körper mit einer absoluten Magnitude von +24mag. Dies entspricht, je nach Oberflächeneigenschaften des Objekts, einem Durchmesser von 40-90 Metern. Man kann allerdings nicht davon ausgehen, dass es sich um einen kugelförmigen Körper handelt. Kleine Asteroiden können alle möglichen Formen haben, da sie nicht genug Masse haben, um aufzuschmelzen und zu differenzieren. Soweit nichts ungewöhnliches. Es werden dauernd neue Asteroiden entdeckt.

2024 YR4 unterscheidet sich allerdings in einem Punkt von den meisten anderen bekannten und neu entdeckten Asteroiden: Es besteht eine Chance zu einem bevorstehenden Einschlag auf der Erde, der aktuell mit etwa 1:32 (3.1%) beziffert wird. Diese Zahl ist allerdings noch mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet. Sie könnte anwachsen, wenn weitere Beobachtungsdaten verfügbar werden; sie könnte aber auch schnell auf einen sehr geringen Wert fallen – letzteres ist eher die Regel. Beunruhigend ist allerdings, dass die berechnete Wahrscheinlichkeit des Einschlags in den letzten Tagen zugeommen hat.

Link zur IAWN-Seite zu 2024 YR4

NASA JPL CNEOS Sentry-Seite zu 2024 YR4

Wikipedia (engl.) zu 2024 YR4

Die Bahn von 2024 YR4

Asteroid 2024 YR4 ist auf einer hochexzentrischen Bahn mit einem Sonnenabstand von 626 Millionen km (fast 4.2 astronomische Einheiten) am Aphel und 127 Millionen km (0.85 AE) am Perihel. Das Perihel ist also deutlich innerhalb der Erdbahn, das Aphel weit draußen jenseits des Asteroidengürtels. Damit handelt es sich um einen Erdbahnkreuzer. Die Bahn des Asteroiden ist um 3.48 Grad gegenüber der Bahnebene der Erde geneigt. Sie kreuzt die Erdbahn an der Stelle, an der die Erde immer am 22.12. ist. 

Die heliozentrische Bahn des Asteroiden 2024 YR4, hier in schräger Draufsicht auf die Ekliptik. Quelle: Michael Khan untr Verwendung der Ephemeriden aus JPL Horizons
Die heliozentrische Bahn des Asteroiden 2024 YR4, hier in schräger Draufsicht auf die Ekliptik. Quelle: Michael Khan unter Verwendung der Ephemeriden aus JPL Horizons

Die Umlaufperiode des Asteroiden ist fast, aber nicht ganz genau 4 Jahre. Das bedeutet, dass sich im Laufe der letzten Umläufe der Abstand zur Erde kontinuierlich verringert hat. Am 22.12.2032 wird sie so gering sein, dass eine Kollision möglich ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bahn von 2024 YR4 nicht konstant ist. Die nahen Erdvorbeiflüge 2024 und zuvor haben sie jeweils leicht gestört. Auch der nochmals nähere Vorbeiflug 2028 wird zu einer Veränderung führen. Das hohe Aphel wiederum führt dazu, dass die Schwerkraft des Jupiter nicht zu vernachlässigende Störungen bewirkt. Obendrauf kommen nicht-gravitationelle Effekte durch Solardruck und thermische Abstrahlung. 

Der Abstand von 2024 YR4 zur Sonne (rot) und zur Erde (blau). Es besteht nahezu eine 4:1-Resonanz, was zu nahen Erdbegegnungen im Dezember 2024, 2028 und 2032 führt, Quelle: Michael Khan unter Verwendung von Ephemeriden aus JPL Horizons
Der Abstand von 2024 YR4 zur Sonne (rot) und zur Erde (blau). Es besteht nahezu eine 4:1-Resonanz, was zu nahen Erdbegegnungen im Dezember 2024, 2028 und 2032 führt, Quelle: Michael Khan unter Verwendung von Ephemeriden aus JPL Horizons

Beobachtbarkeit von 2024 YR4

Das folgende Diagramm zeigt die Winkel zwischen den Blickrichtungen von Erde zu Sonne und Asteroid (blau), also die Elongation des Asteroiden und den Winkel zwischen den Blickrichtungen vom Asteroid zur Sonne und zur Erde (rot). Die blaue Kurve ist wichtiger: sie zeigt an, wann der Asteroid von der Erde aus zu sehen ist. Dazu muss der Asteroid am dunklen Nachthimmel sichtbar sein. Die Elongation muss dann deutlich über 90 Grad liegen.

Sichtgeometrie zwischen Erde und Asteroid 2024 YR4 von 2025 bis zum 22.12.2032. Nachtsichtbarkeit von der Erde ist gegeben, wenn die blaue Kurve (Elongation des Asteroiden, deutlich über 90 Grad liegt, Quelle: Michael Khan unter Verwendung von Ephemeriden aus JPL Horizons
Sichtgeometrie zwischen Erde und Asteroid 2024 YR4 von 2025 bis zum 22.12.2032. Nachtsichtbarkeit von der Erde ist gegeben, wenn die blaue Kurve (Elongation des Asteroiden, deutlich über 90 Grad liegt, Quelle: Michael Khan unter Verwendung von Ephemeriden aus JPL Horizons

Aktuell, Februar 2025, besteht Nachtsichtbarkeit des Asteroiden. Damit wird jedoch im Frühling Schluss sein. Im Frühjahr 2026 wird die Elongation zwar wieder über 90 Grad steigen. Dann aber wird der Sonnenabstand schon mehr als 3.5 und der Erdabstand mehr als 3 AE betragen, sodass es schwierig sein dürfte, das dann nur schwach beleuchtete und weit entfernte Objekt zu beobachten. 

Ohne Beobachtungen kann aber keine weitere Bahnbestimmung stattfinden und damit auch der Effekt der Bahnstörungen nicht mehr quantifiziert werden. Die Unsicherheit der Einschlagswahrscheinlichkeit wird also erst einmal nicht unter das Niveau reduziert werden können, das bis zum Frühling 2025 erreicht worden sein wird. 

Es geht nicht nur um die Unsicherheit der Bahnbestimmung. Auch die Größe des Objekts ist wichtig. 40-90 Meter Durchmesser bedeutet eine Unsicherheit bezüglich des Volumens von mehr als einer Größenordnung. Je nach Material und innerem Aufbau gibt es aber auch eine Unsicherheit in der Dichte.

Die Masse des Asteroiden, und damit seine kinetische Energie bei einem möglichen Einschlag, ist somit noch sehr ungewiss. Zur Abschätzung der möglichen Folgen eines Einschlags müsste man aber genau das besser kennen. 

Ist der Asteroid an der unteren Grenze des Unsicherheitsintervalls, hat man es wahrscheinlich mit einem “Airburst” zu tun. Auch das ist nicht unbedingt unproblematisch, wie das Tunguska-Ereignis gezeigt hat. Liegt er jedoch an der oberen Grenze, wäre die Energiefreisetzung sehr viel größer. Er käme dann vielleicht schon an den Bereich heran, wo ein Objekt es bis zur Erdoberfläche schafft. 

Mögliche Raumsondenmissionen

Ideal zur Bestimmung der Größe und Beschaffenheit von 2024 YR4 wäre eine Nahbeobachtung mittels einer Raumsonde. Das wäre allerdings schwierig zu bewerkstelligen. Die Bahn des Asteroiden ist so hochexzentrisch, dass der Transfer dorthin fast so viel Energie braucht wie der zum Jupiter. Man müsste entweder die Sonde in eine hyperbolische Erdflucht von 9 km/s starten, was schon einmal eine Herausforderung ist.

Startfenster sind immer um die Zeit der Erdbegegnung herum. 2024 haben wir verpasst. 2028 könnte gehen, aber wenn man auch noch die Zeit bis zum Erreichen des Asteroiden hinzuzählt, wird es vielleicht ganz schön knapp. Zudem hat auch niemand eine Raumsonde für den Betrieb im äußeren Sonnensystem im Regal liegen. Man müsste sie entwickeln, bauen und testen. Das alles bis 2028. 

Eine Alternative wäre eine schnelle Begegnung mit 2024 YR4 um die Zeiten seines Perihels herum. So eine Mission wäre zwar mit einer sehr hohen Relativgeschwindigkeit bei der Begegnung verbunden. Für die Abbildung und damit die Kenntnis von Form und Größe könnte das ausreichen. Auch eine Vermessung der Zuammensetzung mittels Spektrometer könnte drin sein. Die Sonde wäre nie weit von der Sonne entfernt, sie wäre also leichter zu bauen. Man könnte schnell etwas aus bereit liegenden Komponenten zusammenhauen oder eine bereitstehende Asteroiden- oder Mondsonde umwidmen.  

Ich habe auf die Schnelle zwei Missionsszenarien aufstellen können. Das erste basiert auf einem Start im Juli 2028 und einer Begegnung Mitte Dezember. Da komme ich auf eine Vorbeifluggeschwindigkeit von 13.2 km/s, also rund doppelt so viel wie die Relativgeschwindigkeit der Mission DART im Didymos-System. Problematisch ist hier dass der Winkel zwischen Asteroid und Sonne von der Raumsonde aus während der Annäherung bis auf gut 30 Grad sinkt.

Die Kamera der Sonde müsste also in etwa in die Sonne blicken, um den Asteroiden zu finden. Nun ja, das ist erst einmal ein Problem, aber nicht unbedingt ein KO-Kriterium. 

Hypothetische Mission zu Asteroid 2024 YR4 mit Start im Juli 2028 und Ankunft am Asteroiden Ende Dezember 2028, Quelle: Michael Khan
Hypothetische Mission zu Asteroid 2024 YR4 mit Start im Juli 2028 und Ankunft am Asteroiden Ende Dezember 2028, Quelle: Michael Khan

Das zweite Szenario ist raumfahrttechnisch deutlich anspruchsvoller. Start ist im April 2030, mit einem Erd-Swingby ein Jahr später und einer Begegnung mit den Asteroiden im Oktober 2032, also wenige Monate vor seiner Begegnung mit der Erde am 22.12.2032. Oder vor seinem Einschlag, wenn es dazu kommt. Vielleicht könnte man den Erdswingby auch weglassen und gleich im April 2031 starten. 

Der Vorbeiflug Ende Oktober wäre dann bei einer Geschwindigkeit von 7.5 km/s, und bei der Annäherung würde die Kamera von der Sonne weg schauen und den fast voll beleuchteten Asteroiden sehen. Das würde es etwas einfacher machen. Die gemachten Beobachtungen wären sicher wertvoll, aber es bliebe nur wenig Zeit, um sie auszuwerten und auf dieser Basis die notwendigen Entscheidungen zu fällen. 

Hypothetische Mission zu Asteroid 2024 YR4 mit Start im April 2030 und Erd-Swingby ein Jahr später, mit Ankunft am Asteroiden Ende Oktober 2032, Quelle: Michael Khan
Hypothetische Mission zu Asteroid 2024 YR4 mit Start im April 2030 und Erd-Swingby ein Jahr später, mit Ankunft am Asteroiden Ende Oktober 2032, Quelle: Michael Khan
Avatar-Foto

Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

7 Kommentare

  1. “Der Asteroid kreuzt die Erdbahn an der Stelle, an der die Erde immer am 22.12. ist.”

    Die Wahrscheinlichkeit von 3,1 % der Erde sehr nahe zu kommen, regt die Phantasie an.
    Könnte der Asteroid auch den Mond treffen? Oder noch pahantastischer, könnte er von der Erde eingefangen werden und zu einem Minimond werden ?
    (Meine mathematischen Fähigkeiten sind gerade nicht on topp, sie können das schneller abschätzen)
    Auf jeden Fall Danke für solche Neuigkeiten.

  2. Ja, aktuell besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, den Mond zu treffen. Im verlinkten Wikipedia-Artikel ist ein ganzer Abschnitt dazu.

    Der Einfang an der Erde ist ausgeschlossen. Dazu ist die Differenzgeschwindigkeit zu hoch.

    • Dass OHB “im ESA-Auftrag an einer Abwehrmission arbeitet”, ist meines Wissens nicht richtig und steht so auch nicht in der zitierten Pressemitteilung. Das scheint eine Eigeninitiative von OHB zu sein. Finde ich auch gut. Ich wünschte mir, die europäische Industrie wäre generell etwas proaktiver und würde nicht immer nur warten, bis sie Geld vom Staat kriegt, bevor sie mal was machen.

      Was Ihre zweite Frage betrifft: In der Tat, eine schnelle Vorbeiflugmission und ein Hochgeschwindigkeitsimpakt sind ziemlich ähnlich, was die Missionsanalyse und die Anforderungen an die Annährungsphase angeht.

      Deutliche Unterschiede bestehen im Grad der Autonomie an Bord und der Operationen.

  3. Wieder ein Tag später, jetzt ist die Einschlagwahrscheinlichkeit nur noch 0.27 Prozent. Merke: Nicht von den anfänglich berechneten Wahrscheinlichkeitswerten kirre machen lassen.

Schreibe einen Kommentar