Wie das Corona-Homeoffice uns in digitalen Stress versetzt und was wir tun können – drei Anekdoten

Das Coronavirus greift um sich und hat neben weitreichenden medizinischen Folgen, die große mediale Aufmerksamkeit erhalten, auch sozio-ökonomische Konsequenzen, die aufgrund des Ausmaßes der Pandemie, vielleicht nebensächlich erscheinen. Doch der Ausbruch des Virus hat viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gezwungen aus dem Homeoffice zu arbeiten. Das ist zunächst gut, denn es schützt uns #stayhome, #flattenthecurve. Allerdings ist die aktuelle Zeit im Homeoffice für viele tatsächlich auch stressig und kann so durchaus psychische und soziale Konsequenzen mit sich bringen.
Homeoffice, wie geht das eigentlich? Einige haben das sicherlich sporadisch vorher schon mal gemacht – aber systematisch, jeden Tag, für jede Aufgabe, zusammen mit der ganzen Familie? Wenn Sie damit Schwierigkeiten haben, dann sind Sie nicht allein. In diesem Blogbeitrag möchten wir der Frage auf den Grund gehen, woran es liegen kann, dass man im Homeoffice digitalen Stress erfährt und auf die zugrundeliegenden Theorien verweisen.
Was bewegt Menschen zur Nutzung von Technologien?
Wir kennen aus einer der zentralen Theorien der Wirtschaftsinformatik, der Unified Theory of Technology Acceptance and Use (UTAUT bzw. UTAUT2), die wichtigsten Faktoren, die dazu führen, dass Menschen eine Technologie nutzen (Venkatesh et al. 2012). Sie tun das zum Beispiel immer dann, wenn sie durch die Nutzung einen Mehrwert für die Erledigung ihrer Arbeit erwarten, wenn die Technologie leicht verständlich ist, wenn sie bei der Nutzung Unterstützung in ihrem Arbeitsumfeld finden, oder wenn es einfach ihren Gewohnheiten entspricht.
Für viele treffen die meisten dieser Faktoren beim unfreiwilligen Corona-Homeoffice aber vermutlich nicht zu. Meetings erscheinen im direkten und persönlichen Umgang viel effizienter als per Videotelefonie. Die für die Telearbeit vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Technologien sind aus Sicht der Nutzer komplizierter. Die Unterstützung im Umgang mit den Technologien ist im Homeoffice nur begrenzt möglich, weil IT-Abteilungen überlastet sind oder über Telefon weniger effektiv Hilfestellung leisten können.
Wie kann digitaler Stress im Homeoffice entstehen?
Nun sind viele Menschen quasi gezwungen ihre Gewohnheiten über Bord zu werfen, ihre Zweifel zur Seite zu schieben und ihrer Unsicherheit im Umgang mit scheinbar komplexen Technologien und Medien ins Auge zu blicken. Plötzlich verwenden sie Technologien nicht mehr, weil es ihnen die Arbeit erleichtert oder sie Vorteile davon erwarten, sondern weil sie in der aktuellen Situation keine andere Wahl haben – sie sind auf die Nutzung der Technologie angewiesen. Durch diese Sondersituation kann leicht Stress im Umgang mit digitalen Technologien und Medien entstehen.
Stress entsteht durch ein wahrgenommenes Ungleichgewicht einer situativen Anforderung und den zur Verfügung stehenden Ressourcen, mit einer solchen Anforderung umzugehen. Diese Ressourcen können eingesetzt werden, um die Situation, die den Stress ausgelöst hat, zu bewältigen. Wir erläutern dies anhand von drei Beispielen aus dem Corona-Homeoffice. Die Anekdoten beruhen auf zufälligen Beobachtungen der letzten Wochen.
Laura, 25
Laura hat nach dem Studium bei einer Beratungsfirma angefangen. Sie wohnt bei ihren Eltern auf dem Land und arbeitet in der Corona-Zeit von dort im Homeoffice. Das Internet ist allerdings nicht stabil, vor allem in ihrem eigenen Zimmer, denn das WLAN verliert dort häufig die Verbindung. Sie bereitet wichtige Unterlagen vor, die sie ihrem Vorgesetzten per Videokonferenz vorstellt. Während der Präsentation bricht die Verbindung immer wieder zusammen. Eine sinnvolle Vorstellung der Folien ist so nicht möglich. Der Chef ist nicht begeistert, sind die Folien doch wichtig und er hat sich extra für die Abstimmung Zeit genommen.
Laura hat digitalen Stress. Die Technologie, die sie nutzt – in diesem Fall das WLAN – ist unzuverlässig. In der Forschung nennen wir das Techno-Unreliability (Adam et al. 2017). Ihre kurzfristige problemorientierte Bewältigungsstrategie ist zunächst, mit ihrem Laptop in das Wohnzimmer zu gehen, denn dort funktioniert das WLAN besser. Doch der schlechte Eindruck bei ihrem Chef beschäftigt sie noch lange nach der Videokonferenz. Um den Kopf frei zu bekommen, geht sie am Wochenende mit ihrer Familie wandern (emotionsorientierte Bewältigungsstrategie).
Karl, 61
Karl ist Führungskraft und macht seine wichtigen Termine seit vielen Jahrzehnten persönlich in seinem Büro (Gewohnheit). Er steht Technologien zwar offen gegenüber, sieht aber keinen großen Mehrwert darin, Meetings mit Personen vom gleichen Standort per Videokonferenz zu führen. Außerdem findet er die digitalen Tools recht kompliziert – jedenfalls zu kompliziert, um sich intensiv damit zu beschäftigen. Durch Corona ist er gezwungen, einige Termine per Videokonferenz abzuhalten. Jedoch sieht er aus irgendwelchen Gründen die anderen Teilnehmer nicht im Bild – das ärgert ihn.
Karl hat digitalen Stress. Er erlebt seine eigenen Kompetenzen im Umgang mit der IT als zu gering bzw. den Zeitaufwand zum Erlernen dieser als zu hoch – das nennen wir Techno-Complexity (Ragu-Nathan et al. 2008). Karl würde aber nicht zugeben, dass er digitalen Stress hat, denn er hat eine klare Bewältigungsstrategie für solche Fälle entwickelt: Zunächst ärgert er sich – meistens über die eigene IT-Abteilung, denn die hat ihm ja die komplizierte Software zur Verfügung gestellt. Dann greift er zum Telefonhörer und ruft direkt beim IT-Abteilungsleiter an, der sich umgehend um das Problem kümmert (problemorientiert). Karl hat durch seine Position in der Firma große soziale Ressourcen, die er in solchen Situationen zusätzlich zu seinen eigenen aktivieren kann, um mit der Situation umzugehen.
Sandra, 34
Sandra ist Mitarbeiterin einer IT-Firma, ihr fällt IT seit der Kindheit unglaublich leicht. Das Homeoffice stellt sie vor keinerlei technische Herausforderung, die sie nicht spielend meistern könnte. Allerdings ist Sandras Mann ebenfalls zu Hause. Da sich seine Tätigkeit als Erzieher jedoch nicht sinnvoll von zuhause aus ausführen lässt, arbeitet er nicht, sondern hat viel Zeit, die er gerne mit Sandra verbringen möchte. Gleichzeitig gibt es aufgrund von Corona gerade besonders viele Support-Anfragen in der Arbeit von Sandra. Das alles unter einen Hut zu bekommen, fällt ihr sehr schwer.
Auch Sandra hat digitalen Stress. Die Technologie ist hier nur mittelbar beteiligt, aber das Homeoffice beschert Sandra einen Konflikt zwischen ihren beruflichen Verpflichtungen und ihrem Privatleben (Work-Home-Conflict, Ayyagari et al. 2011), den sie ohne die Telearbeit nicht in diesem Maße hätte. Sandra und ihr Mann sprechen offen darüber und vereinbaren ein paar Regeln, die beiden helfen mit der Situation umzugehen (problemorientiert). Der Laptop wird zum Mittagessen weggepackt und die beiden gehen regelmäßig in der Mittagspause gemeinsam spazieren (emotionsorientiert).
Warum empfinden Sie digitalen Stress im Corona-Homeoffice? Lassen Sie uns gerne in den Kommentaren diskutieren, woher er kommt und was Sie dagegen tun können. Wir freuen uns auf Ihre Geschichten und Erfahrungen!
Henner Gimpel, Manfred Schoch (beide Universität Augsburg) und Torsten Kühlmann (Universität Bayreuth) beschäftigen sich im Projekt A1 mit der Bewältigung von digitalem Stress am Arbeitsplatz. Dabei interessieren sie sich vor allem auch für die verschiedenen Bewältigungsstrategien, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Zusammenhang mit digitalem Stress einsetzen.
Bitte zitieren als: Schoch, Manfred (2020). Wie das Corona-Homeoffice uns in digitalen Stress versetzt und was wir tun können – drei Anekdoten. 08.04.2020. Online verfügbar unter: https://scilogs.spektrum.de/gesund-digital-leben/wie-das-corona-homeoffice-uns-in-digitalen-stress-versetzt
Literatur
Adam, M. T., Gimpel, H., Maedche, A., & Riedl, R. (2017). Design blueprint for stress-sensitive adaptive enterprise systems. Business & Information Systems Engineering, 59(4), 277-291.
Ayyagari, R., Grover, V., & Purvis, R. (2011). Technostress: technological antecedents and implications. MIS Quarterly, 35(4), 831-858.
Ragu-Nathan, T. S., Tarafdar, M., Ragu-Nathan, B. S., & Tu, Q. (2008). The consequences of technostress for end users in organizations: Conceptual development and empirical validation. Information Systems Research, 19(4), 417-433.
Venkatesh, V., Thong, J. Y., & Xu, X. (2012). Consumer acceptance and use of information technology: extending the unified theory of acceptance and use of technology. MIS Quarterly, 157-178.
Bildquelle: Pixabay (mattthewafflecat, Kranich17, Anrita1705)
Gerne möchte der Verbund mit Ihnen diskutieren und jeder Autor freut sich über Ihre Kommentare. Willkommen sind sachliche Kommentare mit Bezug auf den Inhalt des jeweiligen Blogbeitrags. Ebenso sind Meinungen in der Sache oder ergänzende Informationen herzlich willkommen. Trifft dies nicht zu, behalten wir uns vor, die Kommentare nicht freizuschalten. Weitere Informationen dazu finden Sie auch in unserer Netiquette.
“… das WLAN verliert dort häufig die Verbindung …”
Ich *hoffe*, hier ist gemeint, dass die DSL-Verbindung des Routers überlastet und dann dementsprechend auch WLAN-Abbrüche (für das Netz, nicht in-house) stattfinden.
Ich *fürchte*, es ist genau das gemeint was da steht.
(jaja, die “digital natives”……………)
Vielen Dank für Ihren Kommentar! In der Tat ensteht digitaler Stress häufig durch Fehler in der Benutzung, daher erklären Faktoren, wie die Selbstwirksamkeit im Umgang mit Technik oder die Medienkompetenz des Nutzers durchaus Unterschiede im Level an digitalen Stress, die jemand empfindet.
Wichtig ist hier auch, dass die wahrgenommene Unzuverlässigkeit für das Entstehen von Stress relevant ist. Ob die Technologie selbst tatsächlich unzuverlässig ist, oder – wie in diesem Fall – einfach eine sehr zuverlässige begrenzte Reichweite hat, ist dabei zweitrangig.
Das Problem kenne ich auch. Das WLAN sendet mit einer bestimmten Frequenz und Wände, Möbel, aber auch Personen etc. können die Frequenz behindern. Als Lösung bietet sich in diesem Fall die Verlegung eines mehrfach abgesicherten LAN-Kabels vom Router zum Computer an. Schaut vielleicht nicht so gut aus, wenn man das Kabel mit Kabelschellen befestigt und durch die ganze Wohnung verlegen muss. Funktioniert aber prima! Der Tipp, wie das Problem zu lösen sei, fand sich im Internet.
Prima, vielen Dank für den Tipp an Laura! Das ist ein gutes Beispiel für eine problemorientierte Bewältigungsstrategie, die vermutlich langfristiger und angenehmer ist, als dauerhaft im Wohnzimmer zu arbeiten 🙂
Die Nichte einer Bekannten arbeitet wegen Corvid-19 im Homeoffice.
Sie ist davon begeistert, dies spart ihr jeden Tag fast eine Stunde stressige Autofahrt.
D.h. sie hat effektiv Lebensqualität dazugewonnen. Seit sie zu Hause arbeitet, hat sich die Qualität ihres Schlafes deutlich verbessert.
Schön zu hören! Das Homeoffice kann durchaus auch positive Seiten haben. Die Wahrnehmung ist allerdings hoch individuell und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es liegt beispielsweise nahe, dass Menschen die einen gut ausgestatteten, ergonomischen, und getrennten Arbeitsbereich haben, weniger digitalen Stress haben. Sie haben vielleicht anders als Laura ein verlässliches Internet und anders als Sandra die Möglichkeit die Tür zu ihrem Arbeitszimmer zu schließen, sodass der Laptop und die Arbeitsmaterialien nicht beim Mittagessen auf dem Tisch liegen bleibt.
In der Tat geben erste Umfragen zu dem Thema von Wissenschaftlern aus Konstanz auch Hinweise, dass das Homeoffice einen positiven Effekt auf die Work-Home-Balance von Menschen haben könnte.
Falls solche Konflikte oder Stresssituationen aber individuell auftreten sollten, ist es gut zu wissen, dass man damit nicht alleine ist und sich konkrete problemorientierte Strategien zu überlegen, wie man dem Stress begegnen kann.
weiter oben: “… Als Lösung bietet sich in diesem Fall die Verlegung eines mehrfach abgesicherten LAN-Kabels vom Router zum Computer an …” (bei WLAN-“Problemen”)
Man sollte vielleicht zuerst mal bei einem Elektrokrauter seines Vertrauens nach einem billigen sogenannten “Repeater” fragen – erforderlichenfalls auch mehreren.
Laura, die übrigens nicht Laura heißt, sie könnte auch ein Ferdinand oder eine Magdalena sein (die beschrieben Situation gab es aber tatsächlich), wird sich über die vielen Vorschläge freuen. Für mich ist die konkrete Lösung aus wissenschaftlicher Sicht gar nicht so zentral, spannender finde ich die verallgemeinerten Zusammenhänge. Hier sehen wir gerade ein sehr gutes Beispiel für unverhoffte soziale Ressourcen, die sich für Laura ergeben! Vorher war sie mit dem Problem alleine, jetzt bekommt sie Hilfe. Das lindert den Stress sicherlich!
Zusätzlich sei gesagt, dass Laura auf die Situation im Homeoffice zu arbeiten nicht vorbereitet war. Vielleicht kennt sie die genannten Lösungen sogar, hatte aber bisher keinen Bedarf in ihrem eigenen Zimmer besten WLAN Empfang zu haben. Das Corona-Homeoffice schafft diesen Bedarf plötzlich und stellt sie damit vor erhöhte Herausforderungen.
“… unverhoffte soziale Ressourcen …”
Man fragt sich im Zusammenhang (auch dem “verallgemeinerten”) natürlich schon, was wohl so Besonderes daran ist, einen vermutlich bekannten Sachstand (“schlechtes” Internet auf dem Land – leider für durchaus weite Bereiche in Dtschl. ein nach wie vor gegebener Sachverhalt) durch offensive Bearbeitung stressfreier zu gestalten. Immerhin stehen die diversen Nerds bei den Elektrokrautern ja auch ohne Corona-Krise gerne zur Beratung zur Verfügung – und Kram verkaufen die auch außerhalb von Krisenzeiten gerne. Irgendwelche Empfangsprobleme *kann* man angehen – wenn man’s halt über die Jahre wg. “ist mir eigentlich egal” versäumt hat, dann eben in der “Krise”.
Bearbeitung ist AUCH eine Stressbewältigungsform!
Wichtig für mich aus Ihrem Artikel ist: Sich der Ressourcen erinnern, die man hat…und diese auch nutzen.
Was man für sich mitnehmen kann, ist natürlich spannend! Stress ist sehr individuell und entsteht durch das Zusammenspiel von wahrgenommenen Ressourcen und wahrgenommenen situativen Anforderungen. Es ist bestimmt hilfreich, sich den Grund für seinen Stress bewusst zu machen und anschließend eigene (und ggfs. zusätzliche soziale) Ressourcen einzusetzen, um die stressige Situation zu bewältigen. Dafür gibt es grundsätzlich die Möglichkeit das Problem selbst zu lösen (problemorientierte Strategie) oder den empfundenen Stress zu lindern (emotionsorientiert).
Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag!
Ich empfinde bewusste Pausen, ohne Laptop oder Handy, als sehr hilfreich – ähnlich dem Modell von Sandra. Und gerade wenn auch der Partner im Homeoffice arbeitet, dann sind Vereinbarungen von Vorteil, in denen besprochen wird, wer wann besondere Bedürfnisse, wie beispielsweise Ruhe, hat.