Technologien für gesundes Arbeiten

(Autoren: Luke Haliburton, Jakob Karolus & Albrecht Schmidt – LMU München)

Die Entwicklung unseres Arbeitslebens ist geprägt von einer ständigen Reduzierung des körperlichen Aufwands. Anfänglich beinhalteten die meisten Berufe manuelle Arbeiten, vom Schmiedewerk bis zur Landwirtschaft. Im Laufe der Zeit haben wir immer ausgefeiltere Technologien entwickelt, um den körperlichen Aufwand am Arbeitsplatz zu reduzieren. In Bürojobs verbringen wir heutzutage bereits bis zu 71% des Arbeitstages [1] im Sitzen. Dieser Mangel an körperlicher Aktivität bringt trotz der positiven Auswirkungen der Reduzierung der körperlichen Arbeit in der modernen Arbeitswelt neue Gesundheitsprobleme mit sich.

Neben der klar ersichtlichen Zunahme von Büroarbeitsplätzen im Vergleich zur Vergangenheit zeigt sich die Reduzierung von körperlicher Bewegung am Arbeitsplatz auch auf subtile Weise. Arbeiten im Büro wurden zumeist vollständig von Hand ausgeführt; Dokumente wurden persönlich an Kollegen in anderen Büros übergeben. Heutzutage haben E-Mail und Videokonferenzen unsere Bewegungen erheblich reduziert. Sprachschnittstellen wie Alexa von Amazon werden immer ausgefeilter und nützlicher. Subtile Interaktionsmechanismen, wie Blickverfolgung, beginnen im kommerziellen Bereich Fuß zu fassen. Aufgrund solcher Fortschritte ist immer weniger körperliche Anstrengung erforderlich. Mit Blick auf die Zukunft könnte die Vision einer direkten Interaktion zwischen Gehirn und Computer die Notwendigkeit physischer Schnittstellen komplett ersetzen, sodass Benutzer durch bloßes Nachdenken ihre Aufgaben erfüllen können.

Fortschritte bei digitalen Technologien sind einerseits spannend und voller Potenzial, andererseits ist es auch wichtig, einen Schritt zurückzutreten und diese Entwicklung zu beleuchten. Die Reduzierung der körperlichen Arbeit am Arbeitsplatz erleichtert unser Leben, führt jedoch auch dazu, dass ein großer Teil der Bevölkerung sich beim Arbeiten kaum bewegt. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit und Forschung auf die Entwicklung von Methoden konzentrieren,, mit denen körperliche Aktivität bewusst wieder in den Arbeitsplatz integriert wird.

Ein nützlicher Lösungsansatz ergibt sich, wenn wir Ziele untersuchen, die wir uns beim Entwerfen von Technologie gesetzt haben. Was sind entscheidende Faktoren, wenn wir Technologien entwickeln, die Menschen bei der Arbeit unterstützen? Effizienz? Produktivität? Bequemlichkeit? Nutzererlebnis? All dies scheint offensichtlich, aber wer profitiert wirklich von diesen Zielen? Die Geschichte des modernen Arbeitsplatzes ist eine Geschichte scheinbar einfacherer Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter und einer gesteigerten Produktivität aus Sicht der Unternehmen. Die körperliche Gesundheit hat in den letzten 100 Jahren lediglich im Hinblick auf die Sicherheit am Arbeitsplatz an Bedeutung gewonnen. Ist es ausreichend, weiterhin auf diese Ziele zu setzen?

Wie würden stattdessen Ziele aussehen, wenn wir auf die Bedürfnisse der Menschen und – im Speziellen – auf die Bedürfnisse der Menschen am Arbeitsplatz Rücksicht nehmen? Körperliche und mentale Gesundheit? Sinnhafte menschliche Interaktion? Zufriedenheit? Selbstentfaltung? In der realen Welt besteht die Herausforderung für die Zukunft darin, diese menschzentrierten Ziele mit ursprünglichen Produktivitätszielen der Unternehmen zu vereinbaren.

Hier stellt sich für uns die Frage: Welche Technologien können wir für Arbeitnehmer entwickeln, um die körperliche und mentale Gesundheit am Arbeitsplatz zu verbessern? In unserem Labor an der LMU München beschäftigen wir uns derzeit im Rahmen des Forschungsverbundes ForDigitHealth mit diesem Thema. Die folgenden zwei Beispiele zeigen beispielhaft Möglichkeiten, wie wir dieses Problem angehen.

Laufmeetings

Bereits Sokrates, Aristoteles und andere Gelehrte im antiken Griechenland gingen spazieren, während sie diskutierten, lehrten und lernten. Wir hingegen führen heute Meetings und Kurse auf Stühlen sitzend in Gebäuden durch. Neuerdings wird versucht, die körperliche Aktivität durch Stehpulte und Gehseminare zu erhöhen [2,3]. Welche Technologien sind erforderlich, um Besprechungen zu Fuß so zweckdienlich zu machen wie ein Meeting im Sitzen?

In einer kürzlich von unserer Forschungsgruppe durchgeführten Umfrage war „Schwierigkeiten beim Notieren“ bei weitem der am häufigsten genannte Grund, warum Teilnehmer derzeit keine Laufmeetings durchführen würden. Daher entwickeln wir bereits Technologien, um das Aufschreiben von Notizen unterwegs zu unterstützen.

Basierend auf aktuellen Fortschritten im Bereich Spracherkennung und Textinterpretation entwickeln wir einen intelligenten Assistenten für mobile Besprechungen, mit dem Notizen automatisch aufgezeichnet und zusammengefasst werden können. Der Einsatz von Technologie ermöglicht es uns, Aufgaben unterwegs mit dem gleichen Maß an Unterstützung und Produktivität zu erledigen, für welche früher ein Schreibtisch und ein Notizblock erforderlich waren.

Steigerung der Anfassbarkeit an einem digitalen Arbeitsplatz

Moderne Wissensarbeit wird zunehmend digitaler. Es ist oft sehr schwer, sich das geleistete Arbeitspensum vor Augen zu führen, da es keine physischen Anzeichen für Fortschritte gibt.

Ein Schreiner beginnt die Arbeitswoche mit einem frischen Stapel Holz, und am Ende der Woche kann er auf dem neu hergestellten Stuhl sitzen. Die physischen Produkte, die in vielen traditionellen Berufen hergestellt werden, eignen sich dafür, ein Gefühl der Leistung und Zufriedenheit hervorzurufen. Bei der digitalen Arbeit ist jedoch der Fortschritt nicht direkt greifbar. Selbst Papierstapel in Posteingängen gibt es nicht mehr. Dadurch sehen Büromitarbeiter nur noch abstrakte Ergebnisse ihrer Leistung.

Wie können wir sichtbare und verständliche Leistungsergebnisse für eine digitale Arbeitswelt schaffen? Wir können bereits greifbare Darstellungen von Daten – Physikalisierungen (physisch + Visualisierung) – erstellen, um Informationen im dreidimensionalen Raum zu vermitteln [4]. Physische Darstellungen abstrakter Konzepte können unser Erlebnis und Verständnis verbessern, da sie mehrere Sinne gleichzeitig einbeziehen. Eine Physikalisierung von Daten kann berührt, gesehen oder sogar gerochen werden, im Gegensatz zu Diagrammen auf einem Bildschirm.

Ein erster Schritt unserer Forschungsarbeit beschäftigt sich mit der Untersuchung, wie Informationen über den Arbeitsfortschritt am besten physisch dargestellt werden können. Anschließend evaluieren wir, ob Physikalisierungen von Arbeitsleistungen zu weniger Besorgnis über die erbrachte Leistung von Arbeitnehmern führt und deren Arbeitszufriedenheit erhöht.

Der Arbeitsplatz der Zukunft

Der Arbeitsplatz der Zukunft sollte bewusst so gestaltet sein, dass er die körperliche und mentale Gesundheit der Menschen am Arbeitsplatz unterstützt. Entwicklern solcher Technologien eröffnet sich die Möglichkeit, Werkzeuge zu schaffen, die den menschlichen Bedürfnissen am Arbeitsplatz gerecht werden, ohne auf deren Fähigkeit zur Wertschöpfung zu verzichten.

In einer Welt, die sich im digitalen Wandel befindet, müssen wir bewusst Entscheidungen über Rollen treffen, welche wir für uns Menschen definieren. Der Einsatz von Technologie, um dafür geeignete Probleme zu lösen, ermöglicht es dem Menschen, die kreativen und vielschichtigen Probleme zu lösen, die Computer bislang nicht lösen können. Ein wirklich effizienter Arbeitsplatz ist ein Arbeitsplatz, an dem Computer und Mensch jeweils an Problemen arbeiten, die ihren Fähigkeiten am besten entsprechen, und an denen nur Computer – nicht der Mensch – wie Maschinen behandelt werden.

Bitte zitieren als: Haliburton, Luke; Karolus, Jakob; Schmidt, Albrecht (2020). Technologien für gesundes Arbeiten. 16.04.2020. Online verfügbar unter: https://scilogs.spektrum.de/gesund-digital-leben/technologien-fur-gesundes-arbeiten/

Literatur

[1] Clemes, Stacy, Sophie O’Connell, and Charlotte L. Edwardson. “Office Workers Objectively Measured Sedentary Behavior and Physical Activity during and Outside Working Hours,” January 1, 2014.

[2] Mol, A. The walking seminar March 2019. The Walking Seminar Blog. Apr. 4, 2019.

[3] Bälter, O., Hedin, B., Tobiasson, H., and Toivanen, S. Walking outdoors during seminars improved perceived seminar quality and sense of well-being among participants. International Journal of Environmental Research and Public Health 15, 2 (2018).

[4] Moere, A.V. Beyond the tyranny of the pixel: Exploring the physicality of information visualization. Proc. 2008 12th International Conference Information Visualisation. IEEE, 2008, 469–474.

Bildquelle: Pixabay (StockSnap, Bild)

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Luke Haliburton ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe „Human-Centered Ubiquitous Media“ des Instituts für Informatik an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Er forscht und bloggt zum Thema „Menschzentrierte Entwicklungsprozesse für digitale Technologien zur Förderung der Gesundheit“ im Rahmen des bayerischen Verbundprojekts „Gesunder Umgang mit digitalen Technologien und Medien“ (ForDigitHealth).

14 Kommentare

  1. Ich habe vor über 40 Jahren am Montage-Fließband gearbeitet. Bei dieser Arbeit gab es schon damals nach 55 Minuten Arbeit immer eine Pause von 5 Minuten.

    Ich bin erstaunt darüber, dass man es heute nicht schafft – solch eine Pause für Leute mit sitzender Tätigkeit am Computer automatisch auszulösen

    • Da gebe ich Ihnen vollkommen recht! Sehr viel im Design von Software für Büroanwendungen ist für die Benutzbarkeit optimiert, aber der ganz Arbeitstag oder die Arbeitswoche wird dabei oft nicht im Blick behalten. Das war unsere initiale Motivation, um in diese Richtung zu forschen.

  2. Ich muss gestehen, dass ich mir unter Laufmeetings bislang nur das vorstellen konnte, was man hierzulande Lauftreffs nennt.

    Könnten Sie das etwas ausführen, was Laufmeetings eigentlich sind? Wird da gerannt oder spaziert? Rennen/gehen die Teilnehmer den Chefs im Pulk hinterher oder bilden sich Zweiergruppen? Mehr als drei Spaziergänger im Gespräch ist wohl auch problematisch, oder?

    • Das sind genau die Fragen, die wir empirisch untersuchen möchten. Besprechungen mit zwei oder drei Personen, in denen kein weiteres Material benötigt werden, lassen sich relativ einfach als Spaziergang durchführen. Wir betrachten auch technologische Unterstützung (z.B. automatisch Teile der Konversation zu transkribieren, damit sie nach der Besprechung zur Verfügung stehen) oder Kommunikationssysteme (wie bei Museumsführungen) zu nutzen, um eine Gruppe mit mehr als drei Personen zu unterstützen. An Laufen haben wir im ersten Schritt noch nicht gedacht, sondern eher an einen langsamen Spaziergang.

  3. Vielen Dank für den Artikel! Finde das Thema sehr spannend und bin gespannt, was Ihr in Eurem Projekt herausfindet.

    Tatsächlich empfinde ich das Problem, bei der Büroarbeit am Ende des Tages oder der Woche nicht erkennen zu können, was man geschafft hat, als äußerst relevant. Nach mehreren gescheiterten Versuchen mit verschiedenen digitalen To-Do-Listen bin ich mittlerweile dazu übergegangen, meine To-Dos mithilfe von Post-its an einem Whiteboard zu verwalten. Die Aktion, ein Post-it abzureißen und freudig in den Mülleimer zu pfeffern, ist deutlich befriedigender, bewusster und anfassbarer als einfach nur per Mausklick eine Aufgabe als erledigt zu markieren.

  4. Man könnte einen Laufband-Hometrainer oder einen Fahrrad-Hometrainer mit einem großen Bildschirm und verschiedenen flexiblen Eingabegeräten kombinieren.
    Nach der Arbeit könnte man damit auch durch fiktive Landschaften laufen oder fahren.

    • Das Trainieren in fiktiven Landschaften ist eine interessante Idee. Dies wäre besonders nützlich um das Training interessanter und abwechslungsreicher zu gestalten, insbesondere in der gegenwärtigen Situation. Es gibt auch Projekte, die dies mit Bildschirmen machen. Der Aufbau dafür ist jedoch sehr komplex und wird für die meisten Menschen nicht umsetzbar sein.
      Wir erforschen in unserem Labor auch ähnliche Konzepte in virtuellen Umgebungen. Damit wäre die Einrichtung bspw. mit Google Cardboard einfach.

      • Arbeit, jetzt im “Komfort-Zeitalter von Kommunikation und Technik”, sollte eine Tätigkeit sein, die ohne irgendeinen Druck, aus freier Entscheidung von Vernunftbegabung zu Verantwortungsbewusstsein für das globale Gemeinschaftseigentum.

        Eine solche Arbeitsorganisation, ohne wettbewerbsbedingte Symptomatik, kann mit Überkapazitäten an menschlicher Arbeitskraft (also quasi unendlich geteilt) betrieben werden – dann würde Arbeitsamt seinem Namen menschenwürdig-gerecht.

        Einzig über eine so digitalisierte Arbeitswelt lohnt es sich Gedanken zu machen, dann kann auch ein Coronavirus nicht mehr solch eine verheerende Wirkung auf unser Zusammenleben ausüben!

  5. Entscheidend bleibt, ob man eine “Büroarbeit” , “Verwaltungsarbeit” ausführt, oder ob man ein KFZ-Mechaniker z..B. ist.

    Führt man die Verwaltungsarbeiten zu Hause aus, dann kann man seine persönliche Arbeitszeit wählen.

    Führt man sie von der Firma aus, und wenn ich das richtig verstehe, dann bezieht sich der blog auf diese Gruppe , dann sollte der Anteil der Gleitzeit hoch sein. Die Anfahrtzeiten der Angestellten werden ja immer länger.
    Am Arbeitsplatz selbst sollte ein kleiner Stepper in jedem Raum stehen. Ein Expander ist auch nicht schlecht, wenn man in den Schultern verkrampft ist. Und für die Sensiblen ist ein kleines Kaltwasseraquarium sinnvoll.

  6. Zitat:

    Ein erster Schritt unserer Forschungsarbeit beschäftigt sich mit der Untersuchung, wie Informationen über den Arbeitsfortschritt am besten physisch dargestellt werden können.

    Mein Vorschlag: Das System erstellt auf Anfrage eine Story, ein Themenalbum (ähnlich wie beim Fotografieren mit einem iPhone, wo das System ebenfalls automatisch aus den besten Fotos Alben generiert).
    Hintergrund: Arbeiten sollte zukünftig in einem gemischt digital/humanen Umfeld geschehen. Dabei entstehen sehr viele Informationsschnipsel in elektronischer Form (beispielsweise die Gesprächsprotokolle von Arbeits-Spaziergängen, Emails zu einem Projekt, Sizungsprotokolle, Charts, Workflow/Auftrags-Einträge, etc). Das System solllte dann über genügend Intelligenz und Informationen (z.B. Über Tags) verfügen um diese Informationsschnipsel zu einem „Album“, einem „Projektbericht“ zu kondensieren.
    Zugrundeliegende Idee: Die Dokumentation zum Arbeitsfortschritt erfolgt automatisch aufgrund von Kontextinformation, die mit den Informationsschnipseln verbunden ist. Anschliessend kann das generierte „Themenalbum“ noch manuell editiert/umorganisiert werden. Diesen Ansatz nenne ich „unaufdringlich“ (unobtrusive)

    • Ergänzung zu meinem Vorschlag eines „Albums“, einer „Story“ zur Dokumentation des Arbeitsfortschritts: Der Arbeitsfortschritt über einen bestimmten Zeitraum sollte so dokumentiert werden, dass er einen Erinnerungswert besitzt, also so, dass sich die beteiligten Leute gerne darauf zurückbeziehen und sich auch emotional angesprochen fühlen. Warum? Weil Menschen nach Sinn in ihrer Arbeit suchen und weil man sich an Sinnvolles gern erinnert und es festhalten will wie den flüchtigen, aber glücklichen Moment.

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