Social-Media-Stress kann zu Social-Media-Sucht führen: Anstatt sich abzumelden, lenken Nutzer sich mit anderen Aktivitäten innerhalb eines sozialen Netzwerks ab

Soziale Medien wie Facebook und Instagram können sogenannten digitalen Stress auslösen. Anstatt jedoch die Plattform weniger oder gar nicht mehr zu nutzen, wechseln manche Nutzer lediglich von einer Funktion des Netzwerks zu einer anderen, also Beispielsweise vom Messenger zu Gaming-Angeboten. Sie entziehen sich also den Ursachen des Stresses, ohne das Medium zu verlassen, auf dem er entstanden ist. Das haben Wissenschaftler des Forschungsverbundes „ForDigitHealth“ der Universität Bamberg zusammen mit Kollegen der Lancaster University sowie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) herausgefunden und im Information Systems Journal veröffentlicht*.

Die Forscher untersuchten die Gewohnheiten von 444 Facebook-Nutzern. Sobald Aktivitäten wie Chatten mit Freunden, Scannen von Nachrichten-Feeds und Veröffentlichen von Updates zu Stress führten, wechselte ein Teil zu einer anderen Aktivität innerhalb des Netzwerks. Dieses Verhalten erhöht wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass die Nutzer eine „Technologiesucht“ entwickeln, da die verschiedenen Features der Plattform über längere Zeit verwendet werden. Die Nutzer suchen also Ablenkung innerhalb des sozialen Netzwerks als Bewältigungsmechanismus für Stress, der durch eben dieses ausgelöst wurde anstatt die Tätigkeit zu beenden und sich anderweitig zu beschäftigen.

„Gerade die gängige Ablenkung von digitalem Stress verstärkt also den Stress, da Stressor und Stressbewältigung dasselbe Medium sind – und gerade Nutzer, die besonders gestresst sind von Facebook können die Nutzung am schwierigsten reduzieren“, erklärt Mitautor Prof. Dr. Tim Weitzel, Professor für Wirtschaftsinformatik des Lehrstuhls Information Systems and Services an der Universität Bamberg.

Wirtschaftsinformatiker Dr. Christian Maier von der Universität Bamberg, der die Daten der Facebook-Nutzer zusammen mit Prof. Dr. Sven Laumer, Schöller-Stiftungsprofessor für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft, der FAU, sammelte, führt aus: „Da soziale Netzwerke eine so große Bandbreite an Funktionen bieten, können sie für Nutzer sowohl Stressfaktor als auch Ablenkung darstellen. Selbst wenn Nutzer von sozialen Medien gestresst sind, verwenden sie die gleichen Plattformen, um diesen Stress zu bewältigen. Sie verlagern ihre Aktivitäten innerhalb der Netzwerke und bauen letztendlich ein zwanghaftes und übermäßiges Verhalten auf. Infolgedessen vertiefen sie sich noch stärker in die Plattform anstatt sich von ihr zu lösen und geraten so in eine Abhängigkeit. “

“Um sich von zunehmendem Facebook-Stress abzulenken wird zunehmend Facebook genutzt.

Prof. Dr. Tim Weitzel

Das Forschungsteam untersuchte verschiedene Formen von Technostress, die durch soziale Medien hervorgerufen werden. So hatten Nutzer das Gefühl, dass die Netzwerke in ihr persönliches Leben eindringen, sie ihre Nutzung an die ihrer Freunde anpassen, sie übermäßigen sozialen Erwartungen und einer Flut an Informationen ausgesetzt sind und mit ständigen Änderungen und Aktualisierungen konfrontiert werden. Es zeigte sich: Die Studienteilnehmer begegnen Technostress durch soziale Medien auf zwei unterschiedliche Weisen. Der naheliegende Weg: auf Aktivitäten außerhalb sozialer Medien ausweichen. Diese Nutzer klinkten sich aus der Plattform aus, sprachen mit Freunden oder der Familie über ihre Probleme und verbrachten weniger Zeit im Netzwerk. Der andere Weg bestand hingegen darin, innerhalb der sozialen Plattform andere Angebote zu nutzen und so möglicherweise abhängig zu werden. Dieses Verhalten zeigten vor allem diejenigen Teilnehmer, die die Plattform regelmäßiger nutzten, da eine intensivere Nutzung der Plattform als Stresskompensation sehr anziehend wirken kann. Benutzer gehen zu verschiedenen Bereichen der Plattform, die sie als getrennt betrachten und die sie auf unterschiedliche Weise nutzen. Bei Facebook gibt es ganz unterschiedliche Funktionen und Angebote – und alles auf derselben Plattform. Die Möglichkeiten reichen vom Chatten mit Freunden über das Posten von Bildern bis hin zu Online-Spielen.

Prof. Dr. Tim Weitzel verdeutlicht: „Die neue Einsicht ist das digitale Suchtpotential durch die Multifunktionalität von Social Media: Um sich von zunehmendem Facebook-Stress abzulenken wird zunehmend Facebook genutzt. Dabei schleift sich das psychologisch eigentlich positive Ablenkungsverhalten immer stärker ein, was zu mehr Facebook-Nutzung führt, was wiederum den digitalen Stress erhöht. Man tappt also tiefer in die Falle, der man entkommen möchte.“  

Für weiterführende Informationen zur Forschung von Prof. Dr. Weitzel im Rahmen des Verbundes besuchen Sie unsere Website.

*Explaining the Link between Technostress and Technology Addiction for Social Networking Sites: A Study of ‘Distraction’ as a Coping Behaviour, by Professor Monideepa Tarafdar, of Lancaster University, Assistant Professor Christian Maier, of the University of Bamberg, Professor Sven Laumer, of Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, and Professor Tim Weitzel, of the University of Bamberg, is published in the Information Systems Journal. DOI: 10.1111/isj.12253


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Tim Weitzel ist Professor für Wirtschaftsinformatik und Inhaber des Lehrstuhls für Informationssysteme in Dienstleistungsbereichen an der Otto-Friedrich Universität Bamberg. Er forscht und bloggt zum Thema „Ansteckungspotenziale von digitalem Stress“ im Rahmen des bayerischen Verbundprojekts „Gesunder Umgang mit digitalen Technologien und Medien“ (ForDigitHealth).

1 Kommentar

  1. Was soll man dazu sagen ?
    Soziale Netzwerke sind ungemein praktisch und erfüllen eine Aufgabe.
    Sie holen Menschen aus ihrer Isoliertheit und schaffen Kontakte.
    Die Kontakte bleiben nicht konfliktfrei, was hier als Stress umschrieben wird. OK.
    Das ist ja auch im Sinne der Betreiber, die wollen ja flatrates, also unser Geld.
    Das man von sozial Media süchtig werden kann, ist unumstritten.
    Wenn darüber die tägliche Arbeit leidet, dann wird das Medium zum Problem.
    Vielleicht sollten die Betreiber dazu verpflichtet werden, jede Stunde einen Warnhinweis zu posten: ” Vorsicht, vergessen Sie Ihre Hausarbeit nicht !” oder so ähnlich. Im Schwabenland würde man das so formulieren: “Haben Sie heute schon vor ihrer Haustüre gekehrt ?”.

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