Digitales Stressmanagement: Eine Mitarbeiterperspektive auf Betriebliche Maßnahmen zur Digitalen Stressreduktion

Es ist 19 Uhr. Gerade habe ich mich aufs Sofa gesetzt und möchte den Abend gemütlich ausklingen lassen. Mein Handy surrt. Es ist eine E-Mail von meinem Vorgesetzten: Der Kunde ist mit unserem Projekt nicht zufrieden. Wir müssen alles nochmals ändern und das, bis morgen Abend. Ich seufze, denn abgesehen davon, dass das an sich schon kaum machbar ist, habe ich morgen auch noch einen vollen Terminkalender. Ich spüre, wie eine Unruhe in mir aufsteigt. Wie soll ich das nur alles schaffen? Gedanklich versuche ich meinen morgigen Tag umzustrukturieren. Eins ist jetzt schon klar: Es wird auf Überstunden hinauslaufen. Die Gedanken an den morgigen Tag und die Welle aus Aufgaben, die auf mich zurollt, verfolgen mich noch bis tief in die Nacht. Irgendwann zwinge ich mich zu schlafen. Aus dem Augenwinkel sehe ich den Handybildschirm aufleuchten. Soll ich noch schnell draufsehen? Nein. Irgendwann ist es genug…oder?

Kommt Ihnen so etwas bekannt vor? Sie erhalten während Ihrer arbeitsfreien Zeit Emails aus dem Arbeitsumfeld und können danach nicht mehr richtig entspannen oder abschalten? Digitale Kommunikationstechnologien und die Möglichkeiten, die sie uns bieten, können, unter Umständen, auch dazu beitragen, dass wir uns unwohl und gestresst fühlen. Digitaler Stress kann dabei verschiedenen Ursprungs sein. Beispielsweise dringt die Technologie, die man am Arbeitsplatz verwendet, auch in das Privatleben ein und verhindert ein Abschließen mit dem Arbeitstag oder eine klare Trennung von Beruf und Privatleben (sog. „Techno-Invasion“). Digitale Kommunikationstechnologien ermöglichen aber auch schnelleren Zugang zu Informationen und Aufgaben, was dazu führt, dass mehr Arbeit in kürzerer Zeit bewältigt werden muss (sog. „Techno-Overload“). Während beispielsweise früher die Antwort des Kunden per Post mehrere Tage in Anspruch nahm, kann man heute innerhalb von Minuten mit einer Antwort rechnen und den Vorgang weiterbearbeiten. Wie Unternehmen solche Stressfaktoren eindämmen können und was man aus Mitarbeiterperspektive beachten muss, haben Forscher von der Universität Bamberg untersucht.

Unternehmen haben viele Möglichkeiten, den digitalen Stress der Mitarbeiter zu vermindern. Häufig werden dabei vor allem Kommunikationsstrategien fokussiert. Mitarbeiter verschiedener Unternehmen erzählten den Forschern, mit welchen Maßnahmen zur Reduzierung digitalen Stresses sie Erfahrungen gemacht haben und wie sich diese Maßnahmen auf das digitale Stressempfinden ausgewirkt haben. Dabei zeigte sich, dass die meisten Ansätze und Strategien auf Techno-Invasion und Techno-Overload abzielen.

Zur Reduzierung der Techno-Invasion gibt es Bestrebungen, die Arbeit und das Privatleben auf technologischer Ebene stärker zu trennen. Unternehmen haben hierzu die privaten und beruflichen Geräte, wie zum Beispiel Handy und Laptop, voneinander separiert und die beruflichen Geräte zu Feierabend ausgeschaltet bzw. online gesperrt. Hierdurch ist es dem Arbeitnehmer erst gar nicht möglich, nach Feierabend oder im Urlaub geschäftliche E-Mails oder Anrufe zu erhalten. Wo keine Trennung der Geräte möglich ist, gibt es Algorithmen, die den Empfang von geschäftlichen Emails, nach Feierabend oder im Urlaub, verhindern. Hierdurch haben die Arbeitnehmer ein klares Ende der Arbeitszeit und können leichter zwischen Beruf und Privatleben unterscheiden.

Die Mitarbeiter erzählten von ihren Erfahrungen mit diesen Maßnahmen. Während die einen sich klar entlastet fühlen, sehen andere die Bemühungen des Managements durchaus kritischer. Durch die Einführung solcher Maßnahmen, wird die Flexibilität der Arbeitszeiten stark eingeschränkt und Arbeitnehmer haben weniger Möglichkeit, ihren Tag selbst zu strukturieren. Die Festsetzung klarer Grenzen bedeutet aber auch, dass Kollegen, die beispielsweise im Ausland zeitversetzt arbeiten, eventuell länger auf Antworten warten, da die Mitarbeiter nicht spät abends noch reagieren können. Die Mitarbeiter berichten auch, dass sie der Umstand belastet zu wissen, dass am nächsten Tag das Postfach bereits zu Arbeitsbeginn überläuft, da die Mails aus der Nacht gesammelt eintreffen.

Das Gefühl immer mehr in kürzerer Zeit erledigen zu müssen, beschreibt den Techno-Overload, eine weitere Ursache für digitalen Stress: Die Arbeitnehmer empfinden Stress, weil Sie pünktlich zu Arbeitsbeginn direkt eine Menge Arbeit vor sich sehen, die so schnell wie möglich erledigt werden muss. Zur Reduktion des digitalen Stresses durch Überfrachtung, bieten Unternehmen Mitarbeitern die Möglichkeit, mit den Führungskräften über ihren Stress und den empfundenen Zeitdruck zu reden. Die Führungskräfte können dann die Arbeitslast eines Mitarbeiters besser verteilen oder alternativ, die Aufgaben zumindest priorisieren. Das Problem hierbei ist allerdings, dass die wenigsten Mitarbeiter gerne offen gegenüber den Führungskräften zugeben, dass sie der Menge an Arbeit nicht gewachsen sind. Die Mitarbeiter befürchten, dass sich diese Gespräche im Endeffekt negativ auf ihre Beurteilung auswirken könnten und im schlimmsten Fall zum Jobverlust führen.

Alternativ versuchen Unternehmen, die geschäftsinterne Kommunikation über die modernen Technologien zu verbessern. Dies kann man zum Beispiel erreichen, indem man den Arbeitnehmern aufträgt, Informationen per E-Mail wirklich nur an die Mitarbeiter zu schicken, für die die Information auch wirklich relevant ist. Hierdurch würde der E-Mailverkehr stark reduziert werden und die Mitarbeiter würden zusätzlich deutlich effizienter untereinander kommunizieren. Zudem gibt es die Möglichkeit, Informationen besser zentral zugänglich zu machen. Dies kann zum Beispiel durch FAQ-Seiten oder Wikis geschehen, sodass direkte Nachfragen bei Kollegen nicht mehr nötig sind. Die Mitarbeiter bewerteten diese Maßnahmen allerdings eher kritisch, da viele Unternehmen nicht genügend technische Kapazitäten besitzen und die Infrastruktur solcher Technologien nicht intuitiv genug gestaltet ist. So bleibt die schnelle Email an die Kollegen, die effizienteste Methode für einen selbst.

Wie man sehen kann gibt es augenscheinlich viele Möglichkeiten, digitalen Stress zu verringern, von denen aber bislang keine durch die Mitarbeiter als optimal bewertet wurde. Unternehmen sollten daher immer auch die negativen Auswirkungen ihrer Entscheidungen bedenken, wenn sie über aktives Stressmanagement nachdenken. Es dabei jedem rechtzumachen, wird wohl die größte Herausforderung darstellen.

Bitte zitieren als: Weitzel, Tim (2020). Digitales Stressmanagement: Eine Mitarbeiterperspektive auf Betriebliche Maßnahmen zur Digitalen Stressreduktion. 14.10.2020. Online verfügbar unter: https://scilogs.spektrum.de/gesund-digital-leben/digitales-stressmanagement/

Weitere Infos:

Pflügner, K., Reis, L., Maier, C., and Weitzel, T. 2020. “Communication Measures to Reduce Techno-Invasion and Techno-Overload,” in SIGMIS-CPR’20: Proceedings of the 2020 ACM SIGMIS Conference on Computers and People Research, Nuremberg, Germany, pp. 114-122. DOI: 10.1145/3378539.3393855

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Tim Weitzel ist Professor für Wirtschaftsinformatik und Inhaber des Lehrstuhls für Informationssysteme in Dienstleistungsbereichen an der Otto-Friedrich Universität Bamberg. Er forscht und bloggt zum Thema „Ansteckungspotenziale von digitalem Stress“ im Rahmen des bayerischen Verbundprojekts „Gesunder Umgang mit digitalen Technologien und Medien“ (ForDigitHealth).

2 Kommentare

  1. Auch gegen die E-Mail-Epidemie bräuchte man wohl neben Abstandsregeln auch eine Impfung 😉

    Mit der Digitalisierung gehen weitere Stressoren einher, z.B. eine allgemeine Beschleunigung von Abläufen und oft auch eine lästige Vermehrung von überflüssigen Dokumenten, weil sie einfacher als früher zu erstellen oder upzudaten sind.

  2. Besten Dank für diesen Einblick. In der Beleuchtung beider Seiten und der Vielzahl unterschiedlicher Einschätzungen zeigt sich wohl, dass es keine einfache Strategie gibt, diese Technologien oder digitalen Lösungen zur Trennung von Arbeits- und Privatleben einzuführen. War in der Studie der Befragung abzuschätzen, ob das berichtete Urteil günstiger ausfiel, wenn Unternehmen in der Einführung und Anpassung solcher Technologien ihre Mitarbeiter*innen frühzeitig einbezogen hatten?

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