Digitaler Stress in Pandemiezeiten

Cordula Nitsch

Die COVID-19-Pandemie hat zu enormen Veränderungen geführt – so auch zu einer Verlagerung des Alltagslebens in die Privatsphäre und in den digitalen Raum. Basierend auf den Befunden einer Interviewstudie skizziert dieser Beitrag, welche Folgen die pandemiebedingten Veränderungen für die Wahrnehmung von digitalem Stress haben.

Digitale Mediennutzung in der COVID-19 Pandemie

In Zeiten von Homeoffice, Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen sind digitale Technologien und Medien (DTM) für die meisten Menschen unverzichtbar geworden. Videocalls ersetzten die berufliche sowie die private face-to-face Kommunikation und die Mediennutzung stieg stark an (z. B. Eimeren et al., 2020; Lemenager et al., 2021). Es ist anzunehmen, dass der Anstieg der Mediennutzung, die Nutzung neuer Tools und die erhöhte Abhängigkeit von DTM auch einen Einfluss auf digitale Stresserfahrungen haben.

In einer qualitativen Interviewstudie haben wir daher untersucht, welche digitalen Stresserfahrungen während der Pandemie aufgetreten sind, inwieweit sich digitaler Stress im Arbeits- und Privatkontext verändert hat und welche Rolle unterschiedliche Lebenssituationen spielen. Für unsere Studie haben wir im August und September 2020 Interviews mit 16 Personen geführt und sie nach ihren diesbezüglichen Erfahrungen während der ersten Corona-Welle befragt.

Digitaler Stress entsteht vor allem im Homeoffice

Unsere Ergebnisse zeigen, dass digitaler Stress während der Pandemie vor allem mit der Arbeit im Homeoffice verbunden ist. Erste Stresserfahrungen traten beim Übergangsprozess zur digitalen Arbeit auf, da z. B. VPN-Software installiert, technische Geräte gekauft oder der Datenschutz sichergestellt werden mussten. Dabei wurde u. a. eine unzureichende Unterstützung von Seiten der Arbeitgeber moniert: „wobei ich sagen muss, dass der Arbeitgeber viel mehr supporten müsste, ich hab‘ jetzt einen Laptop von mir, Bildschirm von mir, und eigentlich erwarte ich, dass ich das vom Arbeitgeber bekomme“ (m, 35 Jahre).

Verstärkung bereits bekannter Stressoren im Homeoffice

Aus der Forschung zu digitalem Stress bereits bekannte Stressoren wurden zudem verstärkt wahrgenommen. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die Menschen im Homeoffice noch abhängiger von DTM waren und kaum auf Unterstützung (wie z. B. durch den IT-Support der Firma) zurückgreifen konnten.

Stress entstand durch die Unzuverlässigkeit technischer Geräte (techno-unreliability), also z. B. durch Tonprobleme bei Videokonferenzen, aufgrund zu geringer Speicherkapazität im E-Mail-Postfach oder durch instabile Internetverbindungen: „mein Internet ist nicht das Highspeed-Mega-Internet (…). Und das ist wirklich Panik, oh Gott, kein WLAN, es hakt in der Übertragung und es ist nicht stabil, und ja, das erzeugt Stress“ (w, 43 Jahre). Stresssituationen, die sich aus der eigenen mangelnden technischen Kompetenz ergeben (techno-complexity), wurden vor allem von älteren Befragten genannt. Des Weiteren haben unsere Befragten sehr häufig auf Stresserfahrungen durch techno-overload verwiesen: Beklagt wurde die unglaubliche Fülle an E-Mails und Videocalls; und die digitale Kommunikation wurde als deutlich zeitaufwändiger empfunden als face-to-face Gespräche. Auch der Umstand, dass die genutzten digitalen Tools nicht alle Kommunikationskanäle ersetzen konnten, die in der face-to-face Kommunikation vor Ort üblich sind, verursachte Stress, wenn z. B. bei Videocalls wichtige nonverbale Hinweise kaum wahrgenommen werden können.

Weiter zeigt sich, dass sich die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben während der Pandemie nahezu komplett aufgelöst haben (techno-invasion). Stress entstand z. B., wenn durch Videocalls eine ungewollte Preisgabe des privaten Raums stattfindet (z. B. „es waren so viele Menschen in meinem Wohnzimmer, die da nichts verloren hatten“, w, 41 Jahre). Da im Homeoffice die vormals klaren Tagesstrukturen wegfallen, wird es außerdem „zunehmend schwierig, die Grenze zum Feierabend zu machen“ (w, 41 Jahre). Die Auflösung der Grenzen wird dadurch verstärkt, dass meist dieselben technischen Geräte für die private und berufliche Nutzung verwendet werden. So erhielten viele unserer Befragten auch spätabends arbeitsbezogene Nachrichten auf ihren privaten Geräten. Stressreduzierend wirken hier Diensthandys, von deren Vorteilen eine Befragte enthusiastisch berichtete.

Gleichzeitigkeit von digitalen und analogen Stressoren

In den Interviews wurde auch deutlich, dass häufig mehrere Stressoren (digitale wie analoge) gleichzeitig wahrgenommen wurden. Analoge Stressoren betreffen beispielsweise die Doppelbelastung, wenn Kinderbetreuung und Arbeit im Homeoffice unter einen Hut zu bringen sind. In unseren Interviews zeigte sich, dass Mütter mit minderjährigen Kindern besonders unter der Pandemie litten, da es sie waren, die diese Doppelbelastung überwiegend schultern mussten. Sie berichteten von einer extrem starken Vermischung von Arbeits- und Privatleben, von vermehrtem Multitasking und zahlreichen Unterbrechungen: „Es war ein ständiges Multitasking (…) das Telefon klingelt, und das setzt mich unter Stress, weil ich grade im Moment meinen Kindern was zu essen koche, und es peinlich ist, wenn ich rangehe und es jemand Wichtiges ist, und während dessen schnattert meine Kleine“ (w, 43 Jahre).

Kein digitaler Stress bei der privaten Nutzung digitaler Medien

Die private Nutzung digitaler Medien während der Pandemie wird hingegen nicht mit Stress verbunden, sondern überaus positiv bewertet. Unsere Befragten berichteten beispielsweise, dass sie mit Freunden Online-Games spielten, virtuelle Bars besuchten und insgesamt vermehrt digital kommunizierten. Entgegen früheren Studienergebnissen spielte digitaler Stress im privaten Kontext in der Wahrnehmung der Befragten also keine Rolle. Von Menschen in Single-Haushalten wurden digitale Medien besonders positiv bewertet: „man hat schon mehr die WhatsApp-Videocalls als Gruppencalls gemacht als früher, weil man sich nicht sehen konnte. Hat mich nicht gestresst, hab‘ ich eher als Bereicherung empfunden” (w, 53 Jahre).

Wichtige Rolle von Kontextfaktoren

Die Interviews machen zudem deutlich, dass die Wahrnehmung von digitalem Stress sehr stark von vielfältigen Faktoren abhängig ist. Gerade in der Anfangsphase zeigten sich große Differenzen in Abhängigkeit von der Homeoffice-Erfahrung. Personen, die schon vor der Pandemie zuhause gearbeitet haben, kamen deutlich besser mit der neuen Situation zurecht und empfanden weniger digitalen Stress. Enorme Stressbelastungen traten bei Frauen auf, die neben der Berufsarbeit ihren Care-Verpflichtungen nachkommen mussten. In Übereinstimmung mit anderen Studien (z. B. Betsch et al., 2020) deuten unsere Ergebnisse auch auf eine Re-traditionalisierung der Geschlechterrollen innerhalb der Familien hin, d. h. klassische Familienarbeit wurde im Lockdown wieder überwiegend von Frauen übernommen. Ebenso war die Wohnform relevant, genauer, ob man alleine oder mit anderen zusammenlebt. Für Menschen in Single-Haushalten waren digitale Medien in der Pandemie „Retter“ des Soziallebens, da sie halfen, das Alleinsein infolge des Social Distancing zu ertragen.

Zusammenfassend zeigen unsere Ergebnisse, dass die pandemiebedingten Veränderungen das digitale Stresserleben beeinflusst haben. Digitaler Stress war während der Pandemie eng an das Homeoffice gekoppelt; bei der privaten Nutzung wurde kein Stress empfunden. In Abhängigkeit von ihrer Lebenssituation waren die Menschen jedoch höchst unterschiedlich betroffen. Es ist daher zwingend notwendig, vielfältige individuelle und situative Faktoren (wie z. B. Wohnsituation, Care-Verpflichtungen, Homeoffice Erfahrung) in Untersuchungen zu digitalem Stress einzubeziehen.

Bitte zitieren als: Nitsch, Cordula (2022). Digitaler Stress in Pandemiezeiten. 24.03.2022. Beitragsbilder von pixabay: https://pixabay.com/de/illustrations/homeoffice-videokonferenz-frau-5230773/ & https://pixabay.com/de/illustrations/homeoffice-videokonferenz-heimarbeit-5230717/ Online verfügbar unter: https://scilogs.spektrum.de/gesund-digital-leben/digitaler-stress-in-pandemiezeiten/

Weitere Informationen zu der im Blogbeitrag beschriebenen Studie finden Sie in diesem kürzlich erschienenen Fachzeitschriftartikel:

Nitsch, C. & Kinnebrock, S. (2021). Well-known phenomenon, new setting: Digital stress in times of the COVID-19 pandemic. SCM – Studies in Communication and Media, 10(4), 533–556, DOI: 10.5771/2192-4007-2021-4-533

Literatur:

Betsch, C., Korn, L., Felgendreff, L., Eitze, S., Schmid, P., Sprengholz, P., (…) & Bruder, M. (2020). German COVID-19 snapshot monitoring (COSMO) – Welle 12 (19.05.2020). PsychArchives. https://doi.org/10.23668/PSYCHARCHIVES.3023

Eimeren, B. v., Kessler, B., & Kupferschmitt, T. (2020). Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Mediennutzung, Motive und Bewertungen. Sonderauswertungen der ARD/ZDF-Massenkommunikation Langzeitstudie. Media Perspektiven, 10–11, 526–555.

Lemenager, T., Neissner, M., Koopmann, A., Reinhard, I., Georgiadou, E., Müller, A., Kiefer, F., & Hillemacher, T. (2021). COVID-19 lockdown restrictions and online media consumption in Germany. International Journal of Environmental Research and Public Health, 18(1), 14. https://dx.doi.org/10.3390/ijerph18010014

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Cordula Nitsch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Öffentliche Kommunikation am Institut für Medien, Wissen und Kommunikation der Universität Augsburg. Sie forscht und bloggt zum Thema „Digitaler Stress in den Medien“ im Rahmen des bayerischen Verbundprojekts „Gesunder Umgang mit digitalen Technologien und Medien“ (ForDigitHealth).

9 Kommentare

  1. Ja, im Extremfall kann digitales Arbeiten bedeuten, dass die Arbeitsstelle das eigene zuhause ist und sich dort alle Menschen tummeln, die eben auch dort zuhause sind. Das ist dann Arbeiten ohne Raum zum Arbeiten.

    Es fehlt dann A Room of One’s Own

  2. Für unsere Studie haben wir im August und September 2020 Interviews mit 16 Personen geführt und sie nach ihren diesbezüglichen Erfahrungen während der ersten Corona-Welle befragt.

    Ich verstehe nicht welche Aussagekraft eine “Untersuchung” mit so wenig Personen haben könnte. Da hätte man auch ein Brainstorming machen können und jeder denkt sich ein paar Problem aus, die vielleicht vorkommen.

    • Mit qualitativen Leitfadeninterviews lassen sich Muster und tiefere Zusammenhänge herausarbeiten – keine Vorkommenshäufigkeiten von bestimmten Phänomenen. Hierfür bräuchte es dann standardisierte (repräsentative) Befragungsstudien.

  3. Mir ist unklar, wie sie aufgrund von 16(!!!!) Interviews auf solche Aussagen – In unseren Interviews zeigte sich, dass Mütter mit minderjährigen Kindern besonders unter der Pandemie litten, da es sie waren, die diese Doppelbelastung überwiegend schultern mussten. – kommen können?

    • Mit qualitativen Leitfadeninterviews lassen sich Muster und tiefere Zusammenhänge herausarbeiten – keine Vorkommenshäufigkeiten von bestimmten Phänomenen. Hierfür bräuchte es dann standardisierte (repräsentative) Befragungsstudien.

  4. Wer Familie hat, der kann den Stress durch homeschooling und homeoffice nur bestätigen.
    Erschwerend kam hinzu, dass niemand genügend Erfahrung hatte im Umgang mit der Situation.
    Selbst Dienststellenleiter waren hilflos, wenn die Kommunikation nicht so funktionierte, wie sie sollte.
    Ich denke, jeder kann da Geschichten erzählen, über die später einmal ein lustiges Theaterstück geschrieben werden wird.
    Die “Dummen” waren wieder mal die Frauen durch die Doppelbelastung mit den Kindern.
    Tipp: Wir befinden uns durch die Ukraine in einer politischen Situation mit ungewissem Ausgang.
    Hat sich schon mal jemand überlegt, wie die Kommunikation stattfinden kann, wenn mal der Strom ausfällt ?
    Dann wird aus dem digitalen Stress etwas ganz Neues, man könnte aber schon mal vordenken.

  5. “Wir” arbeiten seit Anfang der Pandemie im Homeoffice und es ging deutlich besser als vorher befürchtet.

    In unseren Teams arbeiteten auch sonst manche in Telearbeit, daher war der größte Unterschied, dass jetzt fast alle Kollegen nur noch “remote” erreichbar sind.
    Technische Probleme sind selten und die hatten wir ja sonst auch.

    Sicher funktioniert Homeoffice besser, wenn man dafür einen abgeschlossenen Bereich hat.
    Viele Kollegen wollen jetzt häufiger Homeoffice machen als früher, sicher nicht, weil es zusätzlichen Stress erzeugt.

    • Danke für das Teilen Ihres persönlichen Erfahrungsberichts. Vorteile des Homeoffice wurden von einigen Befragten auch in unserer Studie angesprochen. Lesen Sie gerne mal in unseren Artikel rein, der natürlich ausführlicher ist als es dieser Blogbeitrag sein kann (die Quelle ist oben angegeben, der Artikel ist frei zugänglich). In unserem Artikel diskutieren wir auch die möglichen Implikationen des Zeitpunkts unserer Interviews (Erfahrungen aus den ersten Monaten der Pandemie). Es ist durchaus anzunehmen, dass sich Stresswahrnehmungen im Laufe der Pandemie verändert haben (z.B. indem Gewöhnungseffekte eintreten und beispielsweise Videokonferenzen, die anfangs Stress hervorgerufen haben, dies später nicht mehr tun).

  6. Ich muss zugeben, dass was mich ganz besonders gestresst hat waren einfach meine Geräte. Total unzuverlässig sowohl Das Gerät selbst als auch das Internet, etc. Homeoffice hat mir gezeigt wie schlecht mein eigenes Zuhause ausgestattet ist.

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