Digitaler Stress als Medienthema: Was erfahren wir über digitalen Stress aus den Medien und warum sollte uns das interessieren?

Digitale Technologien und Medien (DTM) sind fester Bestandteil unserer Lebenswelt. Wir nutzen sie in Schule und Ausbildung, am Arbeitsplatz und im privaten Kontext; wir nutzen sie zur Unterhaltung, zur Information und zur Kommunikation; wir nutzen sie zielgerichtet, habituell oder zum Zeitvertreib; und wir nutzen sie zeit- und ortsunabhängig, was mobilen Endgeräten wie dem Smartphone sowie günstigen Internetflatrates zu verdanken ist. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie nutzen 89 Prozent der Deutschen das Internet und 83 Prozent ein Smartphone (Beisch et al., 2019). In den jüngeren Altersgruppen ist eine fast flächendeckende Nutzung zu verzeichnen und 93 Prozent der 12- bis 19-Jährigen besitzen bereits ein eigenes Smartphone (JIM, 2019).

Die zunehmende Durchdringung unserer Lebenswelt mit DTM hat das Interesse unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen geweckt, wobei auch die Ursachen und Folgen von digitalem Stress untersucht werden. Aber was erfahren wir eigentlich durch die Medien über digitalen Stress? Dieser Frage wollen wir im Teilprojekt A3 (Digitaler Stress in den Medien) des Forschungsverbunds ForDigitHealth nachgehen. Unser Ziel ist es, systematisch zu erfassen, wie digitaler Stress als gesellschaftliches Phänomen in den Medien diskutiert wird.

Digitaler Stress als Medienthema

Um die mediale Darstellung von digitalem Stress zu untersuchen, müssen zunächst einschlägige Medienbeiträge zu diesem Thema identifiziert werden. Es stellt sich also die Frage: In welchen Medien wird digitaler Stress überhaupt thematisiert und wie findet man relevante Beiträge? Die Recherche in Datenbanken oder Archiven unter Verwendung des Stichworts „digitaler Stress“ ist dabei wenig zielführend. Medienbeiträge, die auf diesem Wege identifiziert werden können, sind meist Zeitungsartikel über an Schulen durchgeführte „Digi-Camps“, die digitale Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern steigern sollen, oder kurze Berichte zu Befunden wissenschaftlicher Studien. Digitaler Stress kann aber deutlich vielschichtiger sein und folglich auch unter verschiedenen Begrifflichkeiten firmieren. Eine erste Herausforderung ist es also, mediale Beiträge zu identifizieren, die sich mit dem Phänomen beschäftigen, ohne den Begriff „digitaler Stress“ zu verwenden. Erweitert man die Suche um Stichworte, die sich auf Ursachen und Folgen von digitalem Stress beziehen (z. B. „ständige Erreichbarkeit“, „Antwortdruck“, „Informationsflut“, „Digital Detox“, „Cybermobbing“ oder „digitale Erschöpfung/digitaler Burnout“), stößt man auf zahlreiche journalistische Beiträge, in denen digitaler Stress bzw. einzelne Facetten dieses Phänomens thematisiert werden. Neben journalistischen Beiträgen finden sich auch populärwissenschaftliche Bücher zu den (vermeintlich) negativen Auswirkungen digitaler Mediennutzung sowie Ratgeber zum richtigen Umgang mit digitalen Medien bzw. zu digitaler Enthaltsamkeit (Digital Detox). Darüber hinaus interessieren wir uns in unserem Teilprojekt auch dafür, wie digitaler Stress in sozialen Medien (z. B. in Online-Foren) diskutiert wird. Wir erwarten, dass in Forenbeiträgen die Perspektive der Betroffenen besonders deutlich wird, da die Folgen des Stresses sowie individuelle Coping-Strategien hier „aus erster Hand“ geschildert und mit den Forenmitgliedern diskutiert werden.

Die medialen Diskurse sollen daraufhin untersucht werden, welches Bild dort von digitalem Stress gezeichnet wird. Von Interesse ist dabei, welche Bevölkerungsgruppen als besonders betroffen und welche Situationen als besonders stressauslösend dargestellt werden, welche Folgen von digitalem Stress (wie z. B. Burnout) beschrieben werden und welche Coping-Strategien aufgezeigt werden. Aber warum lohnen sich derartige Analysen? Warum macht es Sinn, zu wissen, wie digitaler Stress medial dargestellt wird?

Warum Medienanalysen?

Medien sind für die meisten Themen unsere Hauptinformationsquelle und prägen unsere Vorstellungen von der Welt. Das ist nicht erst seit Niklas Luhmann bekannt, der sein Buch „Die Realität der Massenmedien“ mit dem viel zitierten Satz beginnt: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (Luhmann, 1995, S. 5). Die mediale Darstellung spiegelt die Realität aber nicht 1:1 wider. Das ist nicht nur schlichtweg unmöglich, sondern auch gar nicht gewollt. Aufgabe der Medien ist es vielmehr, Komplexität zu reduzieren. Die mediale Berichterstattung ist geprägt von (journalistischen) Selektionsmechanismen, was jedoch dazu führen kann, dass einzelne Aspekte eines Themas betont, andere hingegen vernachlässigt oder ganz ausgespart werden und Stereotypisierungen begünstigt werden. Auch für die mediale Darstellung von digitalem Stress ist anzunehmen, dass nur selektiv Aspekte thematisiert werden.

Eben diese Berichterstattungsmuster gilt es zu identifizieren. Denn mediale Inhalte haben immer auch Wirkungen – sei es auf die Vorstellungen, die Einstellungen oder das Verhalten der Rezipientinnen und Rezipienten. Das mediale Bild von digitalem Stress kann die individuellen Vorstellungen von dem Phänomen prägen und auch einen Einfluss auf die individuelle Wahrnehmung von Stresssymptomen und den Einsatz bestimmter Coping-Strategien haben. So konnten Kraus und Hahnzog (2012) beispielsweise für Burnout zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen medialen Präsenz von Burnout und der Wahrnehmung von Stresssymptomen am eigenen Leib gibt.

Medieninhaltsanalysen sind also wichtig, weil wir dadurch erfahren, welche Aspekte von digitalem Stress in der Öffentlichkeit debattiert werden und bekannt sind, und weil die Kenntnis über die Berichterstattungsmuster Aufschluss über potentielle Wirkungen gibt. Das Wissen um diese Berichterstattungsmuster und mögliche Leerstellen ermöglicht es schließlich auch, shortcomings der Medienberichterstattung zu identifizieren und auf möglicherweise vereinfachende, verzerrte oder übergeneralisierende Darstellungen hinzuweisen.

Bitte zitieren als: Nitsch, Cordula (2020). Digitaler Stress als Medienthema: Was erfahren wir über digitalen Stress aus den Medien und warum sollte uns das interessieren? 15.07.2020. Online verfügbar unter: https://scilogs.spektrum.de/gesund-digital-leben/digitaler-stress-als-medienthema-was-erfahren-wir-uber-digitalen-stress-aus-den-medien-und-warum-sollte-uns-das-interessieren/

Literatur

Beisch, N., Koch, W. & Schäfer, C. (2019). ARD/ZDF-Onlinestudie 2019: Mediale Internetnutzung und Video-on-Demand gewinnen weiter an Bedeutung. Media Perspektiven (9), 374–388.

JIM (2019). JIM-Studie 2019. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest.

Kraus, C. & Hahnzog, S. (2012). „Burnout?“ – „Nein, danke. Ich hab schon.“ Wie die Präsenz von Burnout die Einschätzung unserer Gesundheit beeinflusst. Journal of Business and Media Psychology, 3(2), 31-42.  

Luhmann, N. (1995). Die Realität der Massenmedien. Wiesbaden: Springer.

Bildquelle: pixabay

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Cordula Nitsch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Öffentliche Kommunikation am Institut für Medien, Wissen und Kommunikation der Universität Augsburg. Sie forscht und bloggt zum Thema „Digitaler Stress in den Medien“ im Rahmen des bayerischen Verbundprojekts „Gesunder Umgang mit digitalen Technologien und Medien“ (ForDigitHealth).

4 Kommentare

  1. Verwandt mit digitalem Stress scheint mir auch Online-Sucht, auch Internet-Abhängigkeit genannt, eine „Krankheit“, welche es in der Form der Online-Spielsucht sogar in den ICD-Katalog der Diagnosen geschafft hat (6C51.0 Gaming Disorder, predominantly online). Das Thema Online-Sucht taucht in den Medien direkt auf, aber auch indirekt über Diskussionen in Psychologiemagazinen und in Gesundheitsforen. Ja, jeder IPhone-Benutzer wird damit konfrontiert, erhält er doch jede Woche einen Bericht über die online verbrachte Bildschirmzeit. Es gibt also bereits ein Bewusstsein für das Problem und es wird darüber in verschiedenen Zusammenhängen berichtet, ja es wird sogar als Gesundheitsproblem wahrgenommen.

    • @Martin Holzherr

      Danke für diese Anmerkung. Wir sehen das ebenso und beziehen in unseren Inhaltsanalysen der Medienberichterstattung sowie der Diskussionen in Online-Foren das Thema Internetsucht daher explizit mit ein. Erste empirische Befunde unserer Analysen deuten darauf hin, dass dieser Aspekt in der Medienberichterstattung tatsächlich sehr häufig in Bezug auf Online-Spielsucht beschrieben wird, aber Abhängigkeit/Sucht auch im Kontext von Social Media Plattformen thematisiert wird.

  2. Hallo Cordula,

    danke für diesen tollen Beitrag!

    Ich bin gerade mal wieder dabei mir viele Tipps zu holen, damit ich meinem Team etwas fürs Homeoffice mitgeben kann. Viele haben bei uns ihre Kinder noch zuhause und müssen viel druck aushalten. Auch fällt mir selbst immer wieder auf, was für ein Druck es sein kann, ständig erreichbar zu sein.

    Ich habe viel über die Pomodoro-Technik gelesen und finde das gut. 15 min konzentriert arbeiten und dann eine kurze Pause machen.
    Auf meiner Suche habe ich auch einen Artikel mit ein paar Tipps gefunden.

    Ich freue mich auf weitere Artikel!

    LG
    Thommy

    • Vielen Dank für die Rückmeldung – und ja, das verstärkte/ausschließliche Arbeiten im Homeoffice hat noch einmal eine Reihe von weiteren Herausforderungen mit sich gebracht… Viel Erfolg dabei, diese zu meistern!

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