It’s Sedimentary, My Dear Watson – Wie Forensische Geologie Kriminalfälle knackt

BLOG: Geschichte der Geologie

Was die Steine erzählen und wie wir sie verstehen lernten
Geschichte der Geologie

Steine, meine werten Geschworenen, Steine also[]Die Wissenschaft, die der Untersuchung Zugrunde lag, war wirklich außerordentlich anspruchsvoll, nicht wahr? Sie war von einer Ehrfurcht gebietenden Güte, die wohl niemand von uns bisher je so genossen hat.” Zitat aus einem englischen Gerichtsurteil.

Osteographia (1733)

Am 20. Februar 1949 verschwand die 69-jährige Witwe Henrietta Helen Olivia Roberts Durand-Deacon spurlos aus ihrem Zimmer im Onslow Court Hotel, London. Die Polizei verhörte die Anwohner des Hotels und bald darauf wurde John George Haigh verdächtigt, ein 40-jähriger vorbestrafter Tagelöhner. Er war auch die letzte Person die zusammen mit der Vermissten gesehen worden war.
Haigh führte die Polizei zu einer alten Lagerhalle in der Leopard Road, Sussex. Dort wurden einige seltsame Dinge gefunden. Eine Pistole, Schutzkleidung aus Gummi und drei Behälter für Schwefelsäure. Haigh machte keinen Hehl aus seiner Tat:

Miss Durand-Deacon existiert nicht mehr. Sie ist völlig verschwunden und keine Spur wird von ihr jemals gefunden werden. Ich habe sie in der Säure aufgelöst. Den Bodensatz habe ich auf der Leopard Road verteilt. Sie können mir keinen Mord nachweisen ohne einen Körper.

Glücklicherweise hatte Haigh einen wichtigen Punkt übersehen. Laut Gesetz wird keine Leiche benötigt, sondern der Nachweis, dass ein Mord geschehen ist.
Der Pathologe Keith Simpson untersuchte den Boden vor dem Lagerhaus und bald wurde er auf einen seltsamen Kieselstein, mit glatt geschliffenen Facetten, aufmerksam. Simpson erkannte, dass es sich um einen Gallenstein von Miss Durand-Deacon handelte – der gesuchte Beweis um den Mord nachzuweisen.
Gallensteine sind anorganische Konkretionen die aus säurelöslichen Mineralien bestehen, allerdings sind sie oft mit einer Schutzschicht aus Fett bedeckt, die in diesen Fall den Stein vor den Angriff der Säure schützte.

Vielleicht ist der Haigh-Fall einer der außergewöhnlichsten Fälle, in der Geologie als bevorzugte Methode der Forensik zur Anwendung kam. Er ist aber bei weitem nicht der Einzige.
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Bodenproben, die am Verdächtigen und am Tatort gefunden wurden, miteinander verglichen um eine Verbindung nachzuweißen. In 1856 beschreibt ein Artikel in der amerikanischen Zeitschrift Scientific American die Klärung eines Diebstahls mit der Hilfe von Sand. Der Geologe und Zoologe Professor Christian Gottfried Ehrenberg (1795-1896), aus Berlin, berichtet darin, dass während einer Zugfahrt die Silbermünzen in einer Truhe durch Sand ersetzt wurden. Daraufhin ließ er sich Sandproben von der Umgebung aller Bahnhöfe schicken, an denen der Zug gehalten hatte. Nachdem er den Herkunftsort des Sandes identifiziert hatte, war es nicht schwer, zwischen den Bodenpersonal des entsprechenden Bahnhofes einen Hauptverdächtigen zu finden.

Der viktorianische Autor Sir Arthur Conan Doyle (der just an diesen Tag in 1930 verstorben ist) setzte solchen Wissenschaftlern in 1887 ein literarisches Monument, in der Form des beratenden Detektiv Sherlock Holmes, der seine Fälle mit forensischen Methoden zu lösen pflegt:

Kenntnisse in Geologie: Verwendbar, aber begrenzt. Kann mit einem Blick verschiedene Böden unterscheiden. Nach Spaziergängen hat er mir Spritzer auf seiner Hosegezeigt und mir anhand ihrer Farbe und Zusammensetzung gesagt, in welcher Gegend von London sie ihm zuteilwurden.” Zitat aus Eine Studie in Scharlachrot

Doyle dokumentierte sich über die neueste Wissenschaft seiner Zeit, um seine Romane zu schreiben. Er war sicher vertraut mit den Arbeitshypothesen des Österreichischen Kriminologen Hans Gross (1847-1915). In seinem Lehrbuch System der Kriminalistik (1891) schlägt Gross vor, dass Ermittler sich auch geologischer und geomorphologischer Karten bedienen sollten, um mögliche Verstecke für Leichen zu finden, z. B. Steinbrüche, Sandgruben, Moore oder Gewässer. In seinem Handbuch für Untersuchungsrichter (1893) beschreibt er wie die petrographische Zusammensetzung von Schmutz- und Bodenproben dazu verwendet werden kann, um einen Tatverdächtigen mit den Tatort in Zusammenhang zu bringen.
Es war der deutsche Chemiker Georg Popp (1867-1928) der dieses Prinzip zum ersten Mal anwandte, um einen Mord zu lösen. Im Frühling 1908 wurde Margarethe Filbert nahe der Stadt Rockenhausen (Bayern) tot aufgefunden. Der zuständige Untersuchungsrichter kannte die Bücher von Gross und hatte eine Studie von Popp gelesen, in der er Hornblende-Körner der Nasenschleimhaut einer Erwürgten mit den Partikeln unter den Fingernägeln des Täters verglichen hatte.
Im Fall von Margarethe Filbert gab es einen Verdächtigen, den Landarbeiter Andreas Schlicher, der aber behauptete am Tag des Mordes in seinen Feldern gearbeitet zu haben. Popp untersuchte den anhaftenden Schmutz und Schlamm an den Schuhen von Schlicher und kam zu einen anderen Schluss. An den Schuhen fand er drei verschiedene Bodenarten. Ein Sediment, vermischt mit Gänsekot, entsprach der Bodenart die im Innenhof von Schlichers Haus gefunden worden war. Eine zweite Schicht enthielt Fragmente aus roten Sandstein und die dritte und letzte Schicht enthielt Fragmente von Ziegelsteinen, Asche und Zement. Die letzte Schicht entsprach den Boden an der die Tatwaffe – ein Gewehr – aufgefunden worden war. Keine dieser Bodenproben entsprach dagegen der Bodenart die auf den Feldern – wo Schindler angeblich arbeitete – vorhanden war, reich an Bruchstücken aus Porphyr und Mineralien wie Glimmer und Feldspat. Schindler hatte eindeutig gelogen.

Die Geologie als forensische Naturwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Forensische Geologie wird heute nicht nur dazu benutzt, Täter und Tat miteinander zu verbinden, sondern auch um die Herkunft von Sprengstoffen und Schmuggelmaterial zu klären. Geologen helfen Gräber zu finden (z.B. mit GeoRADAR) oder die Geschichte eines Grabes zu rekonstruieren, z.B. wenn fremdes Bodenmaterial verwendet wird oder eine Umbettung der Leiche stattgefunden hat. Geologen können Quellen von Umweltverschmutzung lokalisieren und helfen Umweltverbrechen aufzudecken.
Vielleicht würde sogar Sherlock Holmes staunen (wenn er denn jemals gelebt hätte), welche Kriminalfälle ein Geologe im Stande zu lösen ist.

Veröffentlicht von

David Bressan ist freiberuflicher Geologe hauptsächlich in oder, wenn wieder mal ein Tunnel gegraben wird unter den Alpen unterwegs. Während des Studiums der Erdwissenschaften in Innsbruck, bei dem es auch um Gletscherschwankungen in den vergangen Jahrhunderten ging, kam das Interesse für Geschichte dazu. Hobbymäßig begann er daher über die Geschichte der Geologie zu bloggen.

6 Kommentare

  1. Die meisten Menschen leben mittlerweile in Großstädten. Die kommen kaum noch mit “richtiger Erde” in Berührung, außer, sie kaufen ungewaschene Radieschen.
    Wenn jetzt ein potentieller Gealtverbrecher ihren Artikel gelesen hat, dann wird er Fehler vermeiden, die Rückschlüsse zulassen.
    Aber andererseits, werden sie auch einen Verbrecher abhalten, eine Straftat zu begehen, wenn schon aus geringsten Spuren auf die Herkunft geschlossen werden kann.
    Super Artikel!

  2. Martin Holzherr,
    urban geology, ob es so etwas gibt?
    Wenn man in der Nähe von Mannheim Ludwigshafen wohnt, findet man wahrscheinlich Spuren der chemischen Industrie.

    • Zitat:“urban geology, ob es so etwas gibt?” Nur bedingt, wenn man liest (von google translate übersetzt):“Urban Geology ist die Geologie der gebauten Umwelt. Dazu gehören die Bausteine und andere Materialien, die in den Städten und Städten verwendet werden, sowie die verlockenden Einblicke in die vorstädtische Landschaft und das Fundament.”
      Die von ihnen vorgeschlagenen “Spuren der chemischen Industrie” gehören wohl nur zur Geologie, wenn sie Schichten bilden (Schichten im Sinne der Stratigraphie), die geologische Zeiträume überleben.

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