Was Moore uns über Klimawandel und Lawinenrisiko in den Alpen verraten können
BLOG: Geschichte der Geologie
“Vor immer größere Aufgaben, immer verwickeltere Verhältnisse stellt uns dieses rätselhafte Gebirge, je mehr wir uns mit ihm befassen; doch nur mit verstärktem Reiz lockt es den grübelnden Sinn.” J. Sölch (1923).
Lawinen sind eines der gefährlichsten Naturereignisse im Gebirge, auch wenn das Risiko abgeschätzt werden kann, ist eine sichere Vorhersage nach wie vor unmöglich. Nach ergiebigen Schneefällen liegt zurzeit in vielen Gebieten der Alpen teilweise so viel Schnee wie seit rund 20 Jahren nicht mehr. Vielerorts gilt Lawinenwarnstufe 5 – sie ist in Tirol damit erstmals wieder so hoch wie 1999, als das Lawinenunglück von Galtür mehr als 30 Todesopfer forderte. Lawinen haben auch bereits mehrere Todesopfer gefordert.
Angeblich verlor Hannibal 218 v.Chr. um die 18.000 Krieger an Lawinen. Die ersten Touristen wurden 1820 am Mont Blanc und 1828 am Großglockner durch eine Lawine verschüttet. Im I. Weltkrieg töteten Lawinen an der Dolomitenfront innerhalb von zwei Tagen rund 10.000 Soldaten. In den Bergen forderte diese Naturgewalt mehr Tote als die eigentlichen Kampfhandlungen. Heutzutage gibt es jährlich rund 100 Lawinentote in den Alpen, zumeist Freizeitunfälle. Die wissenschaftliche Erforschung von Lawinen begann um etwa 1860. Der eidgenössische Oberforstinspektor Johann Coaz kartierte über Jahrzehnte hin akribisch tausende von Lawinenzüge, um das Risiko abschätzen zu können und die besten Standorte für Schutzbauten zu finden.
Die Lawinenaktivität hängt von mehreren Faktoren ab. Bei einer Hangneigung von weniger als 28 Grad setzt sich der Schnee nicht in Bewegung, an mehr als 50 Grad steilen Hängen rutscht er ab, bevor es zu größeren Lawinen kommen kann. Faktoren wie Temperatur, Niederschlag, Windverwehungen und Sonneneinstrahlung beeinflussen die Mächtigkeit und den Aufbau der Schneedecke. Nach starken Schneefällen und bei Tauwetter ist das Risiko besonders groß. Durch Neuschnee oder Schmelzwasser erhöht sich das Gewicht und die Beanspruchung auf die älteren Schneelagen. Wird die Belastung zu hoch, bricht an der schwächsten Schichtfläche eine Lawine los. Die Auswirkungen des derzeitigen Klimawandels auf das Lawinenrisiko sind aufgrund der vielen Faktoren die berücksichtigt werden müssen schwer abzuschätzen.
Die derzeitigen Prognosen gehen davon aus das Schneefall später im Jahr erfolgt und im Frühjahr der Schnee früher schmilzt, das Lawinenrisiko sollte daher insgesamt sinken. Um diese Hypothese zu testen, müsste man die Anzahl der Lawinenabgänge während einer klimatisch wärmeren, mit der Anzahl während einer klimatisch kälteren Klimaphase vergleichen. Historische Dokumente reichen nur einige hundert Jahre zurück. Moorablagerungen reichen dagegen einige tausend Jahre zurück. Dank der Baumpollen, die in den Mooren konserviert wurden, konnte das Klimageschehen in den Alpen rekonstruiert werden. Die Alpen erlebten in den letzten 10.000 Jahren mehrere Zyklen wo sich das Klima nach längeren warmen Phasen deutlich abkühlte. Die Moore konservieren im Laufe der Zeit auch Baumstämme, die durch einen Lawinenabgang mitgerissen wurden und während der Schneeschmelze im Moor versanken.
Forscher untersuchten 177 Baumstämme die auf 2.150 Meter Seehöhe in einem Moor mitten in den Zillertaler Alpen gefunden wurden. Durch Baumringanalyse konnte das genaue Jahr und sogar die Jahreszeit bestimmt werden, wenn der Baum abstarb. Bäume, die im Winterhalbjahr plötzlich abstarben, wurden wahrscheinlich durch eine Lawine entwurzelt. Insgesamt konnten 21 sehr große Lawinen nachgewiesen werden. Die älteste Lawine ging vor mehr als 8.000 Jahre vom darüberliegenden Hang ab, die jüngste erfolgte im Winter 1285. Besonders viele Lawinen gingen im Zeitraum von 4.000 bis 3000 v.Chr. und um 200 bis 500 n.Chr. ab. Diese Alter stimmen ungefähr mit Gletschervorstößen in den Alpen überein. Während einer kalten Klimaphase gab es genügend Schnee für die Lawinen. Aber auch in warmen Klimaphasen, die mit einem starken Abschmelzen der Gletscher zusammenfallen, gab es laut Studie einige große Lawinen.
Wie es zurzeit scheint, sind Lawinen eher wetter- als klimaabhängig. Einerseits kann es auch in einer allgemein wärmeren Klimaphase zu schneereichen Wintern und so zu Lawinen kommen. Andererseits vermuten die Forscher, dass sich die vorherrschenden Lawinentypen ändern. In einer kalten Klimaphase gibt es mehr Trockenschneelawinen, wie Schneebretter und Staublawinen. In einer warmen Klimaphase dagegen kommt es zu mehr Nassschneelawinen im Frühjahr, da höhere Jahresdurchschnittstemperaturen auch mit einem früheren Tauwetter zusammenfallen. Die Analyse der Baumringe zeigt nur, dass der Baum im Winterhalbjahr (Spätherbst bis Frühjahr, wenn Bäume ihr Wachstum einstellen) durch eine Lawine entwurzelt wurde, nicht aber den spezifischen Lawinentyp.
Was sich sicher geändert hat, ist die Besiedelung und Tourismus in den Alpen. In vielen Gebieten, die noch bis vor 50 Jahren menschenleer im Winter waren, bringen Straßen und Liftanlagen inzwischen täglich tausende von Menschen hin.
Wer einmal in den Alpen war, sieht, wie zersiedelt diese Landschaften inzwischen geworden sind. Dörfer breiten sich in den Tälern und an den Hängen aus. Vor einigen Jahren habe ich mal in einer Ferienwohnung direkt an einem Hang gewohnt und es kamen auch bei mir Gedanken an mögliche Lawinenabgänge auf,da dieses Haus ziemlich schutzlos in diese Risikolandschaft gesetzt wurde. Meiner Ansicht nach nehmen wir der Natur immer mehr Freiräume und glauben,dass wir die Natur beherrschen. Extreme Wettersituationen zeigen uns dann unsere Machtlosigkeit und Verantwortungslosigkeit.Siehe auch die Verbauung von Flußlandschaften in Überschwemmungsgebieten.
Wie immer hier weitere spannende Einsichten, beu diesem Beitrag zudem passend zu meinem Interessensgebiet Paläoklima. Vielen Dank! 🙂