Das Geheimnis der Mary Celeste

Am 4. Dezember 1872 entdeckte die Besatzung der Dei Gratia unter dem Kommando von Kapitän David Morehouse unweit der Inselgruppe der Azoren die Brigg Mary Celeste. Einige der Segel waren zerrissen und das Schiff schien ziellos herumzutreiben. Morehouse beschloss beizudrehen und ein Beiboot auszusetzen. Von der Mannschaft der Mary Celeste – Kapitän Benjamin Briggs, seiner Ehefrau und seiner Tochter und sieben Seeleuten – fehlte jede Spur. Im Rumpf stand etwas Wasser, einige Ladeluken waren verrutscht, in den Mannschaftskabinen herrschte ein Durcheinander, Navigationsinstrumente des Kapitäns waren verschwunden und das Rettungsboot fehlte.

Das Schiff war aber noch seetüchtig und daher war es äußerst seltsam, dass die Mannschaft anscheinend freiwillig von Bord gegangen war. Ein Teil der Mannschaft der Dei Gratia segelte mit der Mary Celeste zurück nach Gibraltar, wo sie auf eine Belohnung für die Bergung des verlassenen Schiffes hoffte.

Der November 1872 war durch zahlreiche Stürme auf dem Nordatlantik geprägt. Man vermutete daher zunächst, dass die Mannschaft, als sie Wasser im Rumpf bemerkte, nahe Santa Maria, eine zu den Azoren gehörende Vulkaninsel, das Schiff verlassen hatte um mit dem Rettungsboot an Land zu gelangen. Aber laut Logbuch der Dei Gratia, die nur wenige Tage hinter der Mary Celeste von Nordamerika nach Europa segelte, war die See rund um den Azoren ruhig gewesen. Im Logbuch der Mary Celeste gab es einen letzten Eintrag am 25. November, in Sichtweite der Insel Santa Maria, der ebenfalls von einer Wetterbesserung sprach.

Im Laufe der nächsten 150 Jahre wurden mehr oder weniger plausible Erklärungen vorgeschlagen, die von Meuterei, einem Überfall von Piraten, Massenhysterie, Seemonster, UFOs bis Seebeben reichen.

Entlang der Azoren-Gibraltar-Bruchzone stoßen die afrikanische und die eurasische Platte zusammen. Hier liegt vermutlich auch das Epizentrum des berühmten Erdbebens von 1755, dass stark genug war um Lissabon zu zerstören.

Laut Meeresbiologe David Williams könnte diese Bruchzone auch das Rätsel der Mary Celeste erklären. Erdbeben, die plötzlich entlang der Bruchzone auftreten können, erzeugen starke Druckwellen in der Wassersäule, die zu Schäden an Schiffen führen können. Im Dezember 1885 musste die Alhama of Arenda in der Nähe der Azoren aufgegeben werden, nachdem ein Seebeben sie getroffen hatte. Und angeblich wurden in 1941 mehrere U-Boote durch ein Seebeben nahe den Azoren beschädigt.

Williams rekonstruiert den Fall folgendermaßen: Die Mary Celeste wurde um den 25. November, als sie sich den Azoren näherte, von einem Seebeben getroffen. Briggs wurde panisch und befahl seiner Familie und der Mannschaft in das Rettungsboot zu steigen, in der Hoffnung, die rettende Insel zu erreichen. Tatsächlich war der Schaden an der Mary Celeste weit geringer als befürchtet, und das Schiff blieb seetüchtig bis zum 4. Dezember.

Tatsächlich konnten am Bug der Mary Celeste Schäden festgestellt werden. Allerdings kamen herbeigerufene Experten zum Schluss, dass der beobachtbare Schaden während der Überfahrt, lange vor dem Auffinden durch die Dei Gratia, entstanden war. Des Weiteren gibt es keine Aufzeichnungen eines Erdbebens bei den Azoren im November 1872.

Man geht heute eher davon aus, dass die Ladung der Mary Celeste beim Verschwinden der Mannschaft eine Rolle gespielt hat. Die Ladung bestand aus über 1.000 Fässern mit Industriealkohol. Beim späteren Entladen des Schiffes bemerkte man, dass einige Fässer leer waren. Der Alkohol war anscheinend aus den nicht ganz dichten Fässern entwichen. Als die Mannschaft der Mary Celes den Geruch von Alkohol im Laderaum bemerkte, lies der Kapitän alle an Bord in das Rettungsboot steigen, aus Furcht vor einem möglichen Feuer und vielleicht in der Hoffnung, dass die Alkoholgase verpuffen würden. Als das Seil, mit der das Rettungsboot an das Schiff gebunden war, zerriss, driftete das kleine Boot rasch ab und ging Mitten im Atlantik verloren. Die nun zum Geisterschiff gewordene Mary Celeste driftete mit den Strömungen und dem Wind weiter in östliche Richtung, wo sie schließlich entdeckt wurde.

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David Bressan ist freiberuflicher Geologe hauptsächlich in oder, wenn wieder mal ein Tunnel gegraben wird unter den Alpen unterwegs. Während des Studiums der Erdwissenschaften in Innsbruck, bei dem es auch um Gletscherschwankungen in den vergangen Jahrhunderten ging, kam das Interesse für Geschichte dazu. Hobbymäßig begann er daher über die Geschichte der Geologie zu bloggen.

2 Kommentare

  1. Scheint mir eine zeitlose Geschichte zu sein. Wiedererweckung in Form eines Science Fiction Films jederzeit möglich. Anstatt ein grosses Schiff und ein Rettungsboot, einfach ein grosses Raumschiff und eine kleine Raumfähre, anstatt der Azoren-Insel Santa Maria ein Mond, etwa einer der viele Saturn- oder Jupitermonde.

    Schön auch die Bermuda-Dreieck Geschichte rund um die Azoren (Zitat):

    Erdbeben, die plötzlich entlang der Bruchzone auftreten können, erzeugen starke Druckwellen in der Wassersäule, die zu Schäden an Schiffen führen können. Im Dezember 1885 musste die Alhama of Arenda in der Nähe der Azoren aufgegeben werden, nachdem ein Seebeben sie getroffen hatte. Und angeblich wurden in 1941 mehrere U-Boote durch ein Seebeben nahe den Azoren beschädigt.

    Fazit: Auf sich allein gestellt eine Reise machen war wohl schon immer ein Abenteuer – und wird es immer sein.

  2. Die Realität toppt oft jede einfache Erklärung.
    Ein anderes Szenario. Die Leute auf der Mary Celeste haben den Industriealkohol getrunken. Ein Teil der Leute erblindete, weil es eine Mischung aus Ethylalkohol war und Methylalkohol, der zum Erblinden führt. Darunter war auch der Kapitän,.Die, die noch nüchtern waren , aber unfähig ein Segelschiff zu führen, stiegen auf das Rettungsboot um, weil die Azoren in Sichtweite waren. Die schwer Erkrankten nahmen sie mit. Durch ein kleines Seebeben aufgeweckt waren die Kraken an die Oberfläche geflüchtet, wo eine Krake das Rettungsboot entdeckte. Für eine Riesenkrake ist es ein Leichtes einen Menschen ins Meer zu ziehen. Und so wurde es ein Festmahl für die vielen Kraken.
    Auf die Einzelheiten verzichte ich hier, es war einfach schrecklich. Soviel Unglücke innerhalb weniger Tage, das ist schon eine Geschichte wert.

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