Charles Darwins Erstes Geologisches Abenteuer

Eigentlich sollte die H.M.S. Beagle, auf ihren Weg nach Südamerika um dort die Küste zu vermessen, vor Santa Cruz, der Hauptstadt von Teneriffa, das erste Mal die Anker werfen. Aber eine Cholera-Epidemie wütete gerade auf der Insel und ein Landgang war unmöglich. Kapitän Robert FitzRoy setzte daher direkten Kurs auf die Kapverdischen Inseln, die anders als die Kanaren unbedingt angelaufen mussten, da FitzRoy auf Anordnung des Geographical Office ihre genaue Position verifizieren sollte. Nur einer an Bord war untröstlich. »Dies war eine große Enttäuschung für Mr Darwin, der die Hoffnung hegte, den Gipfel zu besuchen«, notiert FitzRoy. »Ihn zu sehenzu ankern und auf dem Sprung sein, an Land zu gehen, und dann gezwungen werden, sich zu entfernen ohne die leiseste Aussicht, Teneriffa wieder zu erblicken -, bedeutete für ihn ein wahrhaft großes Unglück.«

Am 16, Januar 1832 um elf Uhr näherte sich die Beagle schließlich St. Jago, heute São Tiago, der Hauptinsel des Kapverdischen Archipels. Am frühen Nachmittag gab es erstmals für den jungen Naturforscher Charles Darwin die Gelegenheit, die Beagle zu verlassen und Neuland zu erkunden. Darwin war zunächst etwas enttäuscht, schienen ihm doch die Kapverden deutlich trockener und unwirtlicher zu sein als Teneriffa. Er machte aber aus der Not eine Tugend und konzentrierte sich besonders auf die Gesteine rund um den Ankerplatz der Beagle. Er schreibt, dass »Für den Geologen muss die erste Untersuchung vulkanischer Felsen ein denkwürdiger Zeitpunkt sein.«

Zeitgenössische Karte von St. Jago mit Porto Praja und der kleinen Quail Island, Ankerplatz der Beagle.

Darwin hatte in Edinburgh und Cambridge Theologie studiert und auch einige Kurse in Geologie belegt, die er zunächst als ausgesprochen langweilig empfand. Erst die privaten Kurse mit Botaniker und Geologe John Stevens Henslow (1796-1861) änderten diese Einstellung. Henslow war es auch, der Darwin empfahl, sich mit dem berühmten Geologen Adam Sedgwick (1785-1873) zu treffen. Darwin, der aus dem Städtchen Shrewsbury in Südwales stammte, nutzte die Gelegenheit und begleitete Sedgwick im Sommer 1831 auf eine Exkursion nach Nordwales. Darwin lernte von Sedgwick das Einmessen von Gesteinsschichtung und -schieferung und die Grundlagen für die Bestimmung von Mineralien und Gesteinen im Feld.

Darwin ist der erste Geologe überhaupt der die Kapverdischen Inseln besucht. Mittels Boot erkundet er die vorgelagerte Quail Island in der Porto Praja Bucht. Innerhalb der dunklen Felsen, etwa fünfzehn Meter über dem heutigen Meeresspiegel, durchzieht ein vollkommen horizontales weißes Band die Klippen der Steilküste. Darwin schreibt, dass »Die untersten, an der Küste in der Nähe von Porto Praya sich dem Blicke darbietenden Gesteine sind in hohem Grade krystallinisch und compact; sie erscheinen als von altem, submarinem, vulcanischem Ursprung; sie werden in discordanter Lagerung von einer dünnen, unregelmäszigen, kalkigen Ablagerung bedeckt, welche äuszerst reichlich Muscheln einer späten tertiären Periode enthält, und diese wiederum wird bedeckt von einer breiten Fläche basaltischer Lava.«

Profil von St. Jago, veröffentlicht im Jahre 1832 in Darwins Buch über die während der Reise der Beagle besuchten Vulkangebiete.

Viele Geologen der damaligen Zeit deuten die Geschichte der Erde als eine Abfolge von zahlreichen Katastrophen. Einige vermuten zyklische Kometeneinschläge, andere eine oder mehrere Flutkatastrophen mit biblischen Ausmaßen. Charles Lyell, englischer Anwalt, Geologe und Zeitgenosse von Darwin, widerspricht dieser Auffassung. Lyell ist kein »Katastrophist«, sondern »Gradualist«. Keine unbekannte Ereignisse, sondern geologische Prozesse, wie langsame Hebungen und Senkungen der Kontinente, Vulkanismus und Erosion, wie sie auch heute noch zu beobachten sind, formen im Laufe der geologischer Zeit die Oberfläche der Erde. Kapitän FitzRoy schenkt Darwin den ersten Band von Lyells »Principles of Geology« als Willkommensgeschenk an Bord der Beagle.

Lyell beschreibt, wie Vulkane geschmolzenes Gestein auswerfen, das sich langsam abkühlt und Festgestein bildet. Durch Wind und Regen wird selbst das härteste Gestein langsam aber stetig abgetragen. Flüsse transportieren die Sedimente in Richtung Meer. Die Gesteinskörner lagern sich Schicht um Schicht am Meeresboden ab. Die immer dicker werdende Gesteinspakete werden durch ihr eigens Gewicht hinunter gedrückt. Tief im Erdinneren schmelzen die Sedimentgesteine wieder auf, um den großen Kreislauf zu schließen und von neuem zu beginnen.

Wir wissen nicht genau, ob Darwin die »Principles« schon fertig gelesen hat, wenn er die Geologie von St. Jago zum ersten Mal erkundet. Auf jeden Fall wird er sich die weiteren Bände der »Principles« auf seiner Reise um die Welt an Bord der Beagle nachschicken lassen. Darwin will viele Jahre später in seiner Autobiografie schreiben, wie sehr ihm die Lyell’sche Geologie beeindruckt hat.

Die Kapverden bestehen aus einer Reihe von vulkanischen Inseln. Plateaus aus dunklen Ergussgestein und tiefe Schluchten prägen das Landschaftsbild. Darwin folgt einige dieser Schluchten landeinwärts. In seinem Feldbuch vermerkt er, dass Erosion durch die seltenen Niederschläge kaum erklären kann, wie sich die tiefen Schluchten in diesem widerstandsfähigen Gestein in relativ kurzer Zeit bilden können. Anscheinend müssen die Inseln sehr alt sein.

Auch die Gesteinsabfolge auf Quail Island kann augenscheinlich viel besser erklärt werden, wenn man langsame und gleichmäßige Entstehungsprozesse voraussetzt. Die unterste Schicht sind alte Lavaströme, die von einem nun erloschenen Vulkan stammen. Die Lava wurde dann von kalkbildenden Meerestieren, vor allem Korallen, besiedelt. Die Lava-Landschaft musste also längere Zeit unter Wasser liegen. Ein weiterer, viel jüngerer Vulkanausbruch begräbt das flache Meeresbecken unter frischer Lava. Druck aus dem Erdinneren hebt die ehemalige Küstenlinie über den Meeresspiegel – und zwar so sanft und gleichmäßig, dass die Schichten noch heute fast ungebrochen parallel zur Küstenlinie verlaufen. Der ständige Wellenschlag der Brandung nagt die Felsklippen entlang der Küste ab, die begrabene Gesteinsabfolge kommt wieder zu Tage, wo ein junger Darwin sie schließlich studieren kann.

Heute wissen wir, das die Kapverdischen Inseln vor ungefähr 180 Millionen Jahre entstanden sind, als ein Magmaplume die Erdkruste nach oben drückt. Zahlreich Vulkane brechen aus, die schließlich die Meeresoberfläche erreichen und eine Reihe von Inseln formen. Nach Abklingen der vulkanischen Aktivität sinkt der Untergrund ab und das Meer dringt landeinwärts. In den flachen Meeresbuchten siedeln sich Korallen und Muscheln an. Es kommt zu einer erneuten vulkanischen Aktivität. Frische Lava begräbt den Strand, es formt sich ein zwischen dunklem Lavagestein eingeschlossenes weißes Kalkband. Tektonische Bewegungen heben die Inselgruppe wieder an, und das Kalkband über den Meeresspiegel. Zuletzt legt Erosion im Laufe von Millionen von Jahren die Felsklippen wieder frei. Der Rest ist Geschichte.

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David Bressan ist freiberuflicher Geologe hauptsächlich in oder, wenn wieder mal ein Tunnel gegraben wird unter den Alpen unterwegs. Während des Studiums der Erdwissenschaften in Innsbruck, bei dem es auch um Gletscherschwankungen in den vergangen Jahrhunderten ging, kam das Interesse für Geschichte dazu. Hobbymäßig begann er daher über die Geschichte der Geologie zu bloggen.

2 Kommentare

  1. Darwins Evolutionslehre entstand aus einem grossen Wissensfundus, der viele der damals gerade entstehenden Wissenschaften umfasste – darunter auch die Geologie.

    Wer geologische Prozesse ständig am Werk sieht, jetzt genauso wie vor Jahrmillionen, dem fällt es nicht mehr schwer, auch in der Biologie, im Wandel und in der Entstehung der Arten Prozesse am Werk zu sehen, die jetzt genauso wirken wie vor Millionen von Jahren. Darwin liess sich mit ziemlicher Sicherheit bei der Konzeption seiner Evolutionslehre von seiner Auffassung der geologischen Prozesse beeinflussen.

    Doch sogar die gerade unter Robert Malthus entstehende Ökonomie beeinflusste ihn. Malthus Werk drehte sich um knappe Ressourcen und die Folgen dieser Knappheit auf die Population, die gemäss Malthus schneller wuchs als es die Ressourcen taten, was dann zu Hungersnöten und Kriegen führen musste. Kaum hatte Darwin das gelesen, war auch sein Selektionsprinzip geboren.

    Heutige Wissenschaftler können schon neidisch werden, wenn sie an Darwins Zeiten zurückdenken, an Zeiten, wo einen alles was man las, sah und erlebte auch in der Wissenschaft weiterbringen konnte.

  2. Wenn man im Urlaub and die Westküste von Irland kommt, kann man auch gut die verschiedenen Gesteinsschichten sehen. Und wenn man dann gesagt bekommt, dass der Meeresspiegel einmal 80 m höher war und man dort oben auch noch Meeresschnecken findet, dann wird die Geschichte greifbar.
    Ob das Selektionsprinzip das Einzige ist, das mag ich zu bezweifeln. Vielleicht ist im Genpool einer Art schon ihr Ende mit angelegt.

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