Soziale Folgen der Landflucht in Afrika

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AfrikaAfrika befindet sich in einem gefährlichen Kreislauf aus Armut, Bevölkerungsexplosion und zunehmender Landflucht. Auf dramatische Weise ist dies in Äthiopien zu beobachten. In den nächsten 15 Jahren wird die dortige Bevölkerung um 42 Millionen Menschen anwachsen und das in einer Region, die von Bürgerkriegen und Hungersnöten geprägt ist. Zeitgleich setzt eine massive Landflucht ein. Ziel dieser Migranten-Ströme sind die Städte des Landes, die infrastrukturell nicht auf diesen Ansturm vorbereitet sind.

Aufgrund fehlender Geburtenkontrolle und Familienplanung steigt die Bevölkerung in vielen Regionen Afrikas weiter massiv an. Alleine die Bevölkerung Äthiopiens wächst jährlich mit 3,2 % (Deutschland: 0,053 %). Für das Land in Ostafrika bedeutet dies, dass die derzeitige Bevölkerung von ca. 78 Millionen in den nächsten 15 Jahren auf mehr als 120 Millionen anwachsen wird. Ähnliche Entwicklungen sind auch in der Demokratischen Republik Kongo (Bevölkerungswachstum: 3,2 %), Sudan (2,5 %), Somalia (2,8 %) und anderen afrikanischen Ländern zu beobachten. Die Folgen dieser Bevölkerungsexplosion sind bisher nur zum Teil abzusehen. Aktuell zu beobachten ist eine beispiellose Landflucht, die in Richtung der Städte verläuft. Um den enormen Bevölkerungsdruck zu verdeutlichen, ist es angebracht kurz auf den Verstädterungsgrad in Afrika einzugehen. Gerade einmal 39 % der Bevölkerung Afrikas leben in Städten, während es in Nordamerika 81 % sind. Auf die Verstädterung in Afrika bin ich bereist in einem vorherigen Wissenslogs-Artikel eingegangen („Verstädterungsprozesse in Afrika“).

Die sozialen Folgen in Afrika sind vielerorts desaströs. Mehr als die Hälfte der afrikanischen Stadtbewohner lebt in Slums oder ärmlichen Wohngebieten, denen es vielerorts an  infrastruktureller Grundversorgung mangelt. Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist häufig nicht gewährleistet und muss mühsam herangeschafft werden. Auch die Anbindung an Abwassersysteme und Stromnetze ist in vielen Slum-Siedlungen nicht vorhanden. Besserung ist nicht in Sicht, da immer mehr Migranten in die Städte strömen. Weder die städtische Infrastruktur noch die Stadtplanungsbehörden sind auf diesen Zustrom vorbereitet. Alleine Lagos nimmt täglich ca. 6000 Menschen auf. Neue Siedlungen entstehen informell an den Stadträndern, ohne eine Anbindung an städtische Einrichtungen aufzuweisen. Doch diese Entwicklung verschärft nicht nur die Lebenssituation in den Städten, sondern führt auch zu dramatischen sozialen Veränderungen. Laut Annette Weber hat „die urbane Migration […] tiefgreifende Auswirkungen auf gesellschaftliche Beziehungssysteme, Geschlechterverhältnisse und Familienrollen“.

Die traditionelle Gesellschaft, die in den ländlichen Gebieten zu finden ist, löst sich in den Städten auf. Besonders Frauen profitieren von dieser Entwicklung, da in den Städten ein höherer Grad an Freiheit herrscht und das traditionelle Rollenbild der Familie sich auflöst. Das Leben in der Stadt gestaltet sich für viele Frauen freier, allerdings wächst auch die Zahl alleinerziehender Frauen in Afrika stetig. Den armen Frauen steht häufig nur die Möglichkeit im informellen Niedriglohnsektor der Städte einen Unterhalt für sich und der Familie zu verdienen.
Ein Aspekt der afrikanischen Gesellschaften bleibt in den Städten allerdings erhalten. Die immense Bedeutung der ethnischen Zugehörigkeit führt in den afrikanischen Städten zu starken Segregationen. Es entstehen Siedlungen, in denen nur Mitglieder einer Ethnie oder Volksgruppe leben. So entwickeln sich Parallelgesellschaften und –systeme, inklusive eigener Rechtsprechung und Wohlfahrtssystemen, die jedoch stark unterentwickelt bleiben. Die staatliche Einfluss-Sphäre reicht in vielen afrikanischen Städten nicht mehr in solche Viertel herein.

Das Beispiel Äthiopien

2025 werden in Äthiopien ca. 120 Millionen Menschen leben, mehr als die Hälfte unter 15 Jahre. Wie lässt es sich auf diese Entwicklung reagieren? Im Züricher Tagesanzeiger habe ich von einem interessanten Projekt gelesen. Ein Team von Schweizer Stadtplaner und Architekten ist eng mit der Stadtplanung in Addis Abeba verbunden. Das Ziel dieses Teams ist es, günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die Umsetzung ist allerdings nicht besonders einfach, da die Stadt weder über eine sinnvolle Stadtplanung noch über besonders gut ausgebildete Stadtkerne verfügt. Das Vorgehen der Schweizer ist besonders schwer, da die Segregation die Planung erschwert. Werden z.B. Quartiere abgerissen, ist es möglich, dass ethnische Gruppen auseinandergerissen werden und die Gefahr der gesellschaftlichen Konflikte steigt.
Das Schweizer Team versucht deshalb, wie der Tagesanzeiger berichtet, die Quartiere aus sich heraus zu entwickeln. Günstiger Wohnraum steht dabei im Vordergrund. Dies sei auch das entscheidende Argument in einem Land, in dem die meisten Menschen mit weniger als einem Dollar am Tag leben. Addis Abeba kann den Ansturm der Landbevölkerung alleine nicht bewältigen. Aus diesem Grund plant die äthiopische Regierung mehr als 100 Kleinstädte, die auf dem Land entstehen sollen. Die Hauptstadt wird dennoch von den derzeitigen drei Millionen Menschen in den nächsten fünfzehn Jahren auf fast 10 Millionen anwachsen.

Verwendete Quellen:
1.    WEBER, A. 2009: Gesellschaftliche Folgen der Landflucht. In: Informationen zur politischen Bildung 303: Afrika – Schwerpunktthemen, S.39-41.
2.    Städtebau im Angesicht der Armut (Tagesanzeiger (01.12.2009)
3.    UNHCR

Foto: pixelio.de

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Meine Name ist Stefan Ohm und ich bin Geograph. Vor meinem Studium habe ich eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolviert und danach bei Electronic Data Systems (EDS) als Lotus Notes Entwickler gearbeitet. Während meines Studiums in Hannover führte mich mein Weg zur Texas State University in San Marcos (USA) sowie zur University of Bristol (UK). Darüber hinaus absolvierte ich zwei Praktika bei NGO’s in Neu Delhi (Indien), mit dem Ziel Entwicklungsprozesse vor Ort genauer zu betrachten und damit ein besseres Verständnis über diese zu erhalten. Promoviert habe ich über den Strukturwandel im Perlflussdelta und Hongkong (China) an der Justus Liebig Universität in Gießen.

5 Kommentare

  1. @Marc

    im Grunde genommen ist die Urbanisierung eine Maßnahme das Bevölkerungswachstum zu verringern, da die Geburtenrate in den Städten niedriger ist als auf dem Lande. Ähnliche Entwicklungen wurden ja auch in Europa im 19. Jahrhundert beobachtet. Allerdings sind die Städte Afrikas, die gerade explosionsartig wachsen, nicht mit denen Europas vergleichbar. Negativbeispiel ist da bestimmt Lagos (aktuell ca. 10-15 Millionen Einwohner, 2025 ca. 20-30 Millionen Einwohner), wo mehr als 50% der Bevölerung in absoluter Armut leben.

  2. Landflucht

    “Ähnliche Entwicklungen wurden ja auch in Europa im 19. Jahrhundert beobachtet. Allerdings sind die Städte Afrikas, die gerade explosionsartig wachsen, nicht mit denen Europas vergleichbar.”

    Im geordneten Europa war das schon schwer genug und hatte einige negative Auswirkungen. Aber wie sollen die Länder in Afrika das bloß stemmen? Geld sammeln und ihnen davon Häuser bauen sowie mit Nahrungsmittel versorgen bringt auf Dauer auch keinen Nutzen. Das ist ein sehr schwieriges “Problem”, was viel Leid nach sich ziehen wird.

  3. In Afrika werden viele Städte bald an ihre Grenzen stoßen. In den Semi-ariden Regionen Äthiopiens und im Sudan gibt es eine natürliche Grenze der Städte, da Ressourcen wie Wasser und Nahrung nicht im Übermaß vorhanden sind.
    Im Sudan ist diese Entwicklung im Moment zu beobachten. Ein Grund für den Bürgerkrieg ist ja auch in der herrschenden Dürre und den knappen Ressourcen zu suchen. Laut UNHCR sind bereits 6.000.000 Binnenflüchtlinge im Sudan unterwegs. Je länger diese Situationen vorherrscht, desto schwieriger werden auch Lösungsansätze.

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