Hyperurbanisierung im Perlflussdelta

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In den letzten dreißig Jahren hat sich das Perlflussdelta aus einer landwirtschaftlich geprägten Region in eine wichtige weltwirtschaftliche Schlüsselregion gewandelt. Von der „Reiskammer Chinas“ zur „Weltfabrik“; und das im beispiellosen Eiltempo. Ausgelöst wurde dieser dramatische Prozess durch die Reformen der Deng Xiaoping Zeit und den Aufschwung Hongkongs zur asiatischen Finanzmetropole. Mittlerweile hat sich die südchinesische Region zu einem bedeutenden Akteur der Weltwirtschaft gemustert, dessen Position womöglich durch die derzeitige Finanzkrise gefährdet ist.

Genese und des Perlflussdeltas

Die Industriealisierung des Perlflussdeltas begann 1979 und markiert gleichzeitig den ersten Schritt zur wirtschaftlichen Öffnung des kommunistischen Landes. Die Pekinger Zentralregierung schuf in der Kleinstadt Shenzen die erste Sonderwirtschaftszone des Landes, die ein marktwirtschaftliches Experimentierfeld für das kommunistische Land bildete. Die Nähe zur britischen Kronkolonie und Finanzmetropole Hongkong war weise gewählt, da so die Nähe zu ausländischem Kapital gesichert werden konnte. Vor allem Auslandchinesen investierten in den Folgejahren massiv in den grenznahen Sonderwirtschaftszonen des Deltas.
Der wirtschaftlichen Erfolg der Region und die steigende Nachfrage nach neuen Arbeitskräften, entfachte massive Binnenwanderungen ins Delta, dessen Bevölkerung auf über 50 Millionen anwuchs. Gemäß Ökonomietheorie entwickelte sich das Perlflussdelta relativ klassisch. Hongkong nahm die Rolle des Zentrums und damit die des Entwicklungsmotors ein, während das Perlflussdelta die Peripherie darstellte. In den Jahren seit 1979 entstammten demnach auch mehr als zwei Drittel des investierten Kapitals in der Region aus Hongkong, welches zeitgleich fast den gesamten Export, der im Delta hergestellten Güter, über die eigenen Häfen abwickelte.  Die unglaubliche Wachstumsdynamik des Deltas spiegeln sich in den Wachstumszahlen des Jahrzehnts zwischen 1990 und 2000 wider, in der die Wirtschaft durchschnittlich um jährlich 14,7% anwuchs.
Wie ist nun der wirtschaftliche Erfolg der Region einzuordnen? Dies lässt sich am besten im nationalen Vergleich ablesen. Das Wissensmagazin scinexx berichtet, dass ungefähr ein Drittel der chinesischen Exportprodukte aus dem Perlflussdelta stammen. Nicht ohne Grund, wird die Region heutzutage auch „Weltfabrik“ genannt.

Zur mega-urbanen Agglomeration

Mit dem ökonomischen Aufstieg der Region, wuchs auch die Bevölkerung dramatisch an. Heute leben mehr als 50 Millionen Menschen im Delta; einer Fläche, die mit der Niedersachsens zu vergleichen ist. Vom Raumtyp her besitzt das Perlflussdelta eine polyzentrische Struktur, die sich jedoch gängigen Definitionen entzieht. Die Agglomeration lässt sich als mega-urbane Landschaft beschreiben, in der städtische Dörfer wichtige Katalysatoren der urbanen und ökonomischen Transformation sind. Als städtische Kerne fungieren die Millionenstädte Guangzhou (ca. 10 Millionen Einwohner), Foshan (ca. 6 Millionen), Shenzhen (8,5 Millionen) und Dongguan (ca. 2 Millionen). Zwischen diesen urbanen Kernen besteht eine mega-urbane Landschaft, die sich anhand zweier infrastruktureller Entwicklungsachsen, in Form der bereits vorhandenen Überlandstraßen,  entwickelte, die eine Ausdehnung von mehreren hundert Kilometern aufweisen. 
Alle diese Städte sind in der Vergangenheit sprunghaft angewachsen. Von 1979 bis 2007 wuchs z.B. die Bevölkerung der Kleinstadt Shenzen von 20.000 auf geschätzte 8,5 Millionen an. Wahrscheinlich das sprunghafteste Wachstum in der Geschichte der Stadtentwicklung. Neben Shenzen entfalteten auch die weiteren Städte des Deltas ähnliche Wachstumsdynamiken. Dongguan beispielsweise entwickelte sich aus einer landwirtschaftlichen Region, die keine urbanen Zentren aufwies, in die heutige sieben Millionen Metropole. Mit der Errichtung der Humen-Brücke, eine der weltweit längsten Hängebrücken, begann 1997 die Erschließung des peripheren Westteils des Deltas, der in den Folgejahren eine ebenso starke Dynamik entwickeln konnte.

Der Urbanisierungsprozess des Deltas verlief demnach sehr dynamisch und lässt sich in drei Phasen einteilen: die Entdeckung der Dörfer als Standorte, der Liberalisierung des Bodenrechts und die Entstehung der Mega-urbanen Landschaft.
In dem Prozess der Hyperurbanisierung spielten die urbanen Dörfer der Region eine entscheidende Rolle. Aufgrund der kommunistischen Strukturen des Landes unterstand in der Starphase der Grundbesitz dem Dorfkollektiv. Eine zentrale Planungsstelle bestand nicht. Aus diesem Grund konkurrierten die Dörfer schon sehr früh untereinander. Im Zuge der Industrialisierung des Deltas erkannten die Dörfer sehr schnell, dass sie über attraktive Standorte verfügten. Die Dörfer errichteten Wohn- und Fabrikeinheiten, die sie an Dritte vermieteten. Besonders Dörfer in der Nähe von Transportinfrastrukturen profitierten besonders stark vom wirtschaftlichen Aufschwung der Region. Bereits 1986 trat eine erste Liberalisierung des Bodenrechts ein, laut der es von dann an möglich war, festgelegte Landnutzungsrechte an Dritte zu übertragen. Diese Liberalisierung verschärfte jedoch den Wettbewerb der Standorte innerhalb des Deltas zunehmend. Es entstanden inselartige Wachstumscluster, die sich schnell auf bestimmte Branchen spezialisierten und ebenso schnell wandelten.

Schlussfolgerung

Folgt nach dem unglaublichen Aufstieg des Perlflussdeltas der schnelle Abstieg? Fakt ist, dass die derzeitige Finanzkrise auch in der „Weltfabrik“ ihre Spuren hinterlässt. Es ist die erste Bewährungsprobe für die Region und es wird sich zeigen, ob die Dynamik der Region ausreicht, um sich schnell an diese Krise anzupassen, um den erreichten Platz in der Weltwirtschaft zu behaupten.

Nachfolgeartikel: Umweltprobleme im Perlflussdelta

Verwendete Literatur

HERRLE, P.; IPSEN, D.; NEBEL, S.; WEICHLER, H. 2008: Wie Bauern die mega-urbane Landschaft in Südchina prägen. In: Geographische Rundschau, 60(11), S. 38-46.
KRAAS, F.; MERTINS, G. 2008: Megastädte in Entwicklungsländern. In: Geographische Rundschau, 60(11), S. 4-10.
MEICAI, H. 2005: The Water Household as an Example of Ecology in the Pearl River Delta. In: IPSEN, D.; YONGNING, L.; WEICHLER, H. (Hrsg): The Genesis of Urban Landscape: The Pearl River Delta in South China. Kassel: Universität Kassel. S. 77-84.
YONGNING, L. 2005: From Growth to Development: The Institutional Arangement and Strategic Planning for the Pearl River Delta. In: IPSEN, D.; YONGNING, L.; WEICHLER, H. (Hrsg): The Genesis of Urban Landscape: The Pearl River Delta in South China. Kassel: Universität Kassel. S. 15-26.

Scinexx: Perlflussdelta: Vom Dreistromland zur megaurbanen Region

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Meine Name ist Stefan Ohm und ich bin Geograph. Vor meinem Studium habe ich eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolviert und danach bei Electronic Data Systems (EDS) als Lotus Notes Entwickler gearbeitet. Während meines Studiums in Hannover führte mich mein Weg zur Texas State University in San Marcos (USA) sowie zur University of Bristol (UK). Darüber hinaus absolvierte ich zwei Praktika bei NGO’s in Neu Delhi (Indien), mit dem Ziel Entwicklungsprozesse vor Ort genauer zu betrachten und damit ein besseres Verständnis über diese zu erhalten. Promoviert habe ich über den Strukturwandel im Perlflussdelta und Hongkong (China) an der Justus Liebig Universität in Gießen.

1 Kommentar

  1. Super =)

    Vielen Dank! Dieser Artikel war sehr hilfreich, da meine Präsentationsprüfung im Fach Erdkunde dieses Thema behandelt. Eine Frage hätte ich noch! Gibt es im Perlflussdelta noch die “klassischen” chinesischen Bauern?
    mfg Elisa

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