Die neue Weltwirtschaftskrise von Paul Krugman: eine Kritik

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Aktuell drängen zahlreiche Sachbücher über die Hintergründe der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Bestsellerlisten. Mit jedem neuen spektakulären Fall erscheinen neue, die ein Allgemeinrezept gegen die Krise haben oder die Entwicklung schon seit langen haben kommen sehen. Viele dieser Werke wirken jedoch so, als ob die Autoren versuchen, von der Krisenangst der Bevölkerung zu profitieren. Wenn allerdings der aktuelle Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman (Die neue Weltwirtschaftskrise) ein Buch zur aktuellen Krise beisteuert, ist es angebracht, es eines genaueren Blickes zu würdigen; besonders als Geograph.

Krugman verzichtet bewusst auf sperrige Theorien und zahlreiche ökonomische Fachbegriffe. Dies mag zu kritisieren sein, ist aber nicht von Nachteil für den Leser, da Krugman Zusammenhänge nachzeichnen und keine wissenschaftlichen Abhandlung verfassen möchte.
Um die komplexen Zusammenhänge und Prozesse der aktuellen Krise zu verdeutlichen, bedient sich Krugman eines einfachen Modells, das von Richard Sweeney stammt („1978: Monetary Theory and the Great Capitol Hill Baby-sitting Co-op Crisis“). In den 1970er gab es in Washington eine Baby-Sitting Initiative, an der mehrere hundert Paare teilnahmen. Für jeden Baby-Sitting Abend erhielt ein Elternpaar Coupons. Je nachdem, wie viele Kinder sie beaufsichtigten. Diese Coupons, also die Währung innerhalb der Initiative, konnten die Eltern dazu verwenden, um Babysitter innerhalb der Initiative zu erwerben.
Diese, an sich gute Idee des einfachen Geldes, geriet nach kurzer Zeit in eine erste Finanzkrise. Dies geschah deshalb, weil viele Eltern ihre Coupons horteten, um ihre Abende unabhängig gestalten zu können. Insgesamt, so analysierte Sweeney befand sich zu wenig Geld im Umlauf. Zudem entwickelten sich Preisunterschiede, da Wochenenden oder Feiertage wesentlich begehrter waren als Wochentage. Im Großen und Ganzen war dieses System ein Vorbote der sog. Lokalwährung, die sich in den letzten Jahren hauptsächlich in einigen Regionen Süddeutschlands entwickelte. Die Lehre aus diesem Beispiel ist, dass Wirtschafts- und Finanzkrisen häufig ein Problem der Liquidität sind und meistens keine realwirtschaftlichen Gründe für die Krise bestehen. Mit dieser Lehre wendet sich Krugman den Krisen der vergangenen Jahre zu.

Ein Countdown der Krisen?
Krugman zeichnet mithilfe dieses einfachen Wirtschaftsmodells die wiederkehrenden Elemente vergangener Krisen bildhaft nach. Um die aktuelle Weltwirtschaftskrise zu verstehen, blickt Krugman in die Vergangenheit, die er als Vorboten, ja sogar als Countdown zur aktuellen Krise identifiziert. So beschreibt Krugman die Rezession in Japan während der 1990er Jahre, die Pfundkrise 1992, die Tequila Krise in Mexiko von 1994/1995, die Asienkrise 1997 und die Krise der New Economy 1999.
Die Tequilakrise in Mexiko wies bereits viele Elemente auf, die auch in der heutigen Krise wirken. Mexiko war in der Zeit vor dem Beitritt zur NAFTA nicht in der Lage, den an den Dollar gebundenen Peso zu stabilisieren. Besonders Spekulanten verschärften die Situation, indem sie auf eine Abwertung wetteten. Als die Abwertung des Pesos erfolgte, gerieten die Märkte in Panik und die Währungskrise wandelte sich in eine Wirtschaftskrise, mit anschließender Rezession. Die treibenden Kräfte hierbei waren eher psychologischer Natur, da es um die mexikanische Wirtschaft in dieser Zeit nicht sehr schlecht stand. Der Abzug von Kapital aus Mexiko geschah jedoch unverhältnismäßig stark und stürzte die Unternehmen Mexikos in eine Liquiditätskrise, in deren Folge große Teile der Wirtschaft hart getroffen wurden.
Ähnliche Prozesse wirkten sowohl in Japan 1989 und während der Asienkrise 1997. Auch hierbei verschärften Spekulanten die Situation und als die Abwertung der Währung geschah, reagierten die Märkte unverhältnismäßig stark. So identifiziert Krugman nur geringe wirtschaftliche Verbindungen zwischen Thailand und Südkorea während dieser Zeit. Beide Länder wurden von der Asienkrise gleichermaßen stark getroffen. Einen rationalen Erklärungsgrund hierfür bestand, laut Krugman, jedoch nicht. Den einzigen Zusammenhang, den Krugman findet, ist der, dass beide Länder in Asien liegen.
Anhand dieser Beispiele identifiziert Krugman die Hauptursachen für das Entstehen von Wirtschafts- und Finanzkrisen. Spekulanten verschärfen kleinere Unregelmäßigkeiten im Wirtschaftssystem und kreieren „sich selbst erfüllende Prophezeiungen“. Tritt die Krise ein, so verstärken Panikreaktionen zunehmend die Situation. Dies führt zu einer starken Kapitalflucht aus den betroffenen Märkten. Gerade durch diesen erzeugten Kapitalmangel, wird auch die Realwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Diese Schlussfolgerung modelliert Krugman anschaulich anhand des oben erwähnten Baby-Sitter Modells.

Die aktuelle Wirtschaftskrise
Die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise findet ihren Ursprung in den USA und ist Folge der Krise der New Economy (auch als Platzens der Dot.Com Blase bekannt). Diese Blase an den Aktienmärkten hatte sich in den späten 1990ern gebildet. In dieser Zeit waren besonders viele Internetunternehmen mehrfach überbewertet und die Kurse von Spekulanten künstlich nach oben getrieben worden. Als bezeichnendes Beispiel nennt Krugman pets.com. Dieses Unternehmen, das nicht mal einen Geschäftsplan aufwies, existierte nur wenige Monate, konnte allerdings $300 Millionen Investitionskapital anziehen. Als die dot.com Blase platzte, bereitete die amerikanische Zentralbank den Weg zur nächsten Blase vor, nämlich zur Subprime- oder Immobilienblase, die im letzten Jahr platzte. Krugman sieht zwischen diesen beiden Krisen einen direkten Zusammenhang, da die amerikanische Zentralbank falsch auf die vorangegangene Krise reagierte und besonders spekulative Geschäfte förderte.  Die geringe Kontrolle der Märkte führte zu irrationalen Ausschweifungen, die komplett von der Realwirtschaft abgekoppelt waren.

Doch welche Lösungen aus der aktuellen Krise bietet Krugman an? Für ihn sind die dringendsten Probleme die geringe Liquidität auf den Finanzmärkten. Wie sich aktuell zeigt und von Krugman vorhergesehen wurde, befinden sich mittlerweile alle großen Industrienationen in der Rezession. Viele Großunternehmen, wie aktuell Acandor, befinden sich in einer schwierigen Situation, da sie keine Kredite mehr erhalten. Ist dieses Buch nun ein sinnvoller Beitrag, um die Hintergründe der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise genauer zu beleuchten? Krugman zeigt eindrucksvoll und zudem mit viel Wortwitz, wie die aktuelle Krise entstanden ist und welche Prozesse zur aktuellen Rezession geführt haben.
Weniger lesenswert sind leider die letzten Abschnitte des Buchs, in denen Krugman Maßnahmen entwickelt, die aus der Krise herausführen können. Hier bleibt Krugmans Argumentation erschreckend dünn und leider auch oft nicht nachvollziehbar. Er plädiert für keynianische Maßnahmen; massive staatliche Konjunkturprogramme. Allerdings ignoriert Krugman vollkommen, wie fast alle Befürworter von Staatshilfen, wie die entstehenden Schulden zurückgezahlt werden sollen. Krugmans Devise zu diesem Thema ist, dass sich die Regierungen zu diesem Thema später widmen sollen. Konkreter wird er leider nicht. Die Frage der Schulden ist sicherlich keine einfache Frage, allerdings wäre eine Erklärung doch angebracht gewesen und hätte Krugmans Buch von vielen anderen Werken zum gleichen Thema abgehoben. So bleibt es "nur" ein sehr anschauliches und gutes Buch über die Ursachen und die Prozesse der aktuellen Krisen, mit einem, leider, unklaren letzten Kapitel.

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Meine Name ist Stefan Ohm und ich bin Geograph. Vor meinem Studium habe ich eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolviert und danach bei Electronic Data Systems (EDS) als Lotus Notes Entwickler gearbeitet. Während meines Studiums in Hannover führte mich mein Weg zur Texas State University in San Marcos (USA) sowie zur University of Bristol (UK). Darüber hinaus absolvierte ich zwei Praktika bei NGO’s in Neu Delhi (Indien), mit dem Ziel Entwicklungsprozesse vor Ort genauer zu betrachten und damit ein besseres Verständnis über diese zu erhalten. Promoviert habe ich über den Strukturwandel im Perlflussdelta und Hongkong (China) an der Justus Liebig Universität in Gießen.

4 Kommentare

  1. Für die Vergangenheit scheint es immer relativ einfach zu sein, das Geschehen scheinbar plausibel zu erklären, so wie es denn auch den Metereologen mit dem Wetter und den Sportkommentatoren mit der Erklärung von Spielergebnissen gelingt. Aber vielleicht ist die Wirtschaft wie das Wetter ja hochgradig chaotisch und zufällig, so dass langfristige genaue Prognosen einfach Glückssache sind.

  2. Die meisten wollen konsumieren, aber möglichst wenig dabei ausgeben. Viele wollen das schnelle Geld mit möglichst wenig Aufwand. Der ethische Aspekt spielt dabei keine Roll. Das Spekulieren ist m.E. zum Symbol dieser Einstellung geworden.

    Daher finde ich es gut, das im Zuge der Wirtschaftskrise die moralische Verantwortung von Führungspersonen mehr ins Blickfeld rückt und auf dem Prüfstand steht.

  3. @adenosine

    Was die Zuverlässigkeit von Konjunkturprognosen angeht, hab ich vor einiger Zeit ein paar Fachleute gefragt. Fazit: Im Grunde klappt das ganz gut, allerdings sind die Prognosen (und damit auch die Aussagen über die richtigen Mittel gegen eine Krise) um so unsicherer, je weiter sich die Situation vom Normalzustand wegbewegt. Das ist natürlich blöd.

    Momentan sieht die Lage in den USA schon wieder etwas besser aus, einige leading indicators (z.B. die Neumeldungen von Arbeitslosen) zeigen wieder ins Positive, der Einzelhandel scheint die Talsohle erreicht zu haben und so weiter.

    Die Frage ist halt, wie robust der Aufschwung sein wird, und da sieht’s düster aus. Im System schlummern einfach zu viele strukturelle Risiken, an die sich keiner rantraut. Da sind noch einige böse Überraschungen fällig.

  4. Theologische Debatten des Mittelalters

    “Ich glaube – und hoffe – auch, dass Politik und Wirtschaft in der Zukunft nicht mehr so wichtig sein werden wie in der Vergangenheit. Die Zeit wird kommen, wo die Mehrzahl unserer gegenwärtigen Kontroversen auf diesen Gebieten uns ebenso trivial oder bedeutungslos vorkommen werden wie die theologischen Debatten, an welche die besten Köpfe des Mittelalters ihre Kräfte verschwendeten. Politik und Wirtschaft befassen sich mit Macht und Wohlstand, und weder dem einen noch dem anderen sollte das Hauptinteresse oder gar das ausschließliche Interesse erwachsener, reifer Menschen gelten.”

    Sir Arthur Charles Clarke (1917 – 2008)

    Die Religion, die schon immer die Aufgabe hatte, die Fehler der Makroökonomie aus dem Bewusstsein des arbeitenden Volkes auszublenden, war solange notwendig und sinnvoll, wie niemand diese Fehler zu beheben wusste, die zwangsläufig zu systemischer Ungerechtigkeit und damit zu Massenarmut und Krieg führen. Ohne die selektive geistige Blindheit, die uns “wahnsinnig genug” für die Benutzung von Zinsgeld machte, und die noch heute die Menschheit in Herrscher (Zinsprofiteure) und Beherrschte (Zinsverlierer) unterteilt, wäre unsere Zivilisation nie entstanden.

    Erst der Prophet Jesus von Nazareth erkannte, wie die Makroökonomie zu gestalten ist, damit niemand einen unverdienten Gewinn auf Kosten der Mehrarbeit anderer (Frucht vom Baum der Erkenntnis) erzielen kann. Doch mit dem Cargo-Kult des Katholizismus mutierte die seit Jesus eigentlich überflüssige Religion vom Wahnsinn mit Methode zum Wahnsinn ohne Methode: weitere 1600 Jahre Massenarmut und Krieg, seit der Vernichtung der Gnosis (Kenntnis) im vierten Jahrhundert.

    Die “heilige katholische Kirche” degradierte das Genie zum moralisierenden Wanderprediger und projizierte das von Jesus vorhergesagte “Königreich des Vaters” (Freiwirtschaft, Vater der Kultur = Kreditangebot), in dem die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beendet ist, auf ein hypothetisches “Himmelreich” der Toten, nur um selbst eine “Moral” verkaufen zu können, die in der idealen Makroökonomie so sinnlos ist wie eine Taschenlampe bei Sonnenschein.

    Der religiöse Wahnsinn beließ die Menschheit in der systemischen Ungerechtigkeit des Privatkapitalismus (Erbsünde) und ließ so dem ersten Weltkrieg noch einen zweiten folgen, obwohl der Sozialphilosoph Silvio Gesell bereits 1916, unabhängig von der Heiligen Schrift und erstmals auf wissenschaftlicher Grundlage, genau das wieder beschrieb, was der geniale Prophet Jesus von Nazareth als erster Denker in der bekannten Geschichte als Wahrheit erkannt hatte: absolute Gerechtigkeit durch absolute Marktgerechtigkeit.

    Heute (2009) sind wir an genau dem Punkt angekommen, den die israelitische Priesterschaft schon vor 2600 Jahren vorhergesehen hatte: Wir stehen unmittelbar vor der globalen Liquiditätsfalle (Armageddon), der totalen Selbstvernichtung, denn der Krieg (umfassende Sachkapitalzerstörung) konnte nur solange der Vater aller Dinge sein, wie es noch keine Atomwaffen gab! Doch ein Atomkrieg ist gar nicht erforderlich, um unsere ganze “moderne Zivilisation” auszulöschen; es reicht schon aus, wenn wir weiterhin an den “lieben Gott” (künstlicher Archetyp: Jahwe = Investor) glauben und Zinsgeld (Geld mit parasitärer Wertaufbewahrungsfunktion) verwenden.

    Ich wünsche dem einstigen Land der Dichter und Denker Viel Erfolg bei der Auferstehung noch vor dem jüngsten Tag (1. Januar 2010).

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