Die Auswirkungen der Finanzkrise von 2008 auf die Regionalökonomie im PRD (China)

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Das Wort Finanzkrise ist seit 2008 aus den Schlagzeilen nicht mehr herauszudenken. Wir sind die Generation „Finanzkrise“. Für mich stellt sich die Frage, wie Entwicklungs- und Schwellenländer von den scheinbar lokalen Finanzkrisen in Nordamerika und Europa betroffen sind. In diesem Artikel richte ich mein Augenmerk auf die Regionalökonomie im Perlflussdelta (China) und verfolge die Frage, welche Auswirkungen die Finanzkrise von 2008 hatte.   

Die Ursachen der globalen Währungs- und Finanzkrise von 2008 liegen im Platzen der Spekulationsblase im nordamerikanischen Immobilienmarkt. Diese Entwicklung führte zu den Ereignissen an der Wall Street, die mit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 begann. Die Hauptursachen waren undurchsichtige Finanzprodukte, der Abbau von Regulationsinstrumenten, der Zusammenbruch von Schlüsselinstitutionen und eine allgemeine Panik an den Finanzmärkten, die sich danach in einer ausgewachsenen Finanzkrise manifestierte. Aufgrund starker Netzwerke innerhalb des globalen Finanzmarktes wirkten die Ereignisse im September 2008 wie Schockwellen, die die darauffolgende Kreditklemme an den Finanzmärkten auslösten.

Die globalen Auswirkungen der Krise waren ein allgemeiner Einbruch der Wirtschaftsleistung, des Konsums und eine Schwächung des Finanzmarktes. Diese Effekte wirkten besonders schwer in Entwicklungs- und Schwellenländern, die in den vergangenen Jahren eine exportorientierte Wirtschaftspolitik betrieben haben. Aufgrund einer hohen Weltmarktintegration asiatischer Volkswirtschaften verringerten sich Wachstumsraten insbesondere in asiatischen Schwellenländern (vgl. Chen und De Lombaerde 2010: 106). In fast allen beobachteten Krisen führte ein Rückgang auf den Konsummärkten Nordamerikas, Europas und Japans zu einer Abschwächung der Wachstumsraten in Schwellenländern. Unterentwickelte institutionelle Systeme, schwache staatliche Finanzüberwachungsinstitutionen sowie anfällige einheimische Verbrauchermärkte verstärkten den Rückgang der Wirtschaftsleistung in Entwicklungs- und Schwellenländer zusätzlich.

Über die Effekte der Währungs- und Finanzkrise von 2008 in Entwicklungs- und Schwellenländer werden derzeit zahlreiche Studien veröffentlicht. Prof. Wim Naude von der United Nations Universität in Finnland hat einen sehr interessanten Beitrag hierzu geleistet. Er diskutiert unterschiedliche Kanäle, über die sich Finanzschocks in Industrienationen auf  Entwicklungs- und Schwellenländer ausbreiten.

1.    Rückgang der globalen Exporte

Der erste Kanal einer Übertragung ökonomischer Schocks manifestiert sich darin, dass es ein Rückgang im globalen Konsum zu beobachten ist, was in exportorientierten Volkswirtschaften schwere ökonomische Verwerfungen hervorrufen kann. Dieser Effekt lässt sich besonders in stark miteinander vernetzten Volkswirtschaften beobachten, wie es der französische Ökonom Jean Tirole bereits 2002 feststellte.

Die Währungs- und Finanzkrise erfasste auch die exportorientierte Wirtschaft des Perlflussdeltas (PRD) in China. Die Hintergründe und Ursachen des ökonomischen Erfolges der Region liegen in der geographischen Nähe zu Hongkong, niedrigen Lohnkosten, ausreichend Arbeitskräften, einer Exportorientierung des produzierenden Gewerbes sowie in einer starken Unterstützung durch die Politik begründet. Das Zusammenspiel dieser Elemente begünstigt eine agile Unternehmensorganisation, die sowohl informelle als auch flexible Bestandteile enthält (vgl. Revilla Diez et al. 2008: 265). Im Zuge der wirtschaftlichen Liberalisierung verlagerten Unternehmen aus Hongkong ihre Produktion in die Städte des PRD, während der zentrale Sitz des Unternehmens, die Forschungs- und Entwicklungsabteilung sowie das Produktmarketing in Hongkong verblieben. Diese Unternehmen adaptierten etablierte Produktionsverfahren in ihrem jeweiligen Bereich und entwickelten diese konsequent weiter, um Produktionskosten zu senken und insgesamt ihre Konkurrenzfähigkeit auf internationalen Märkten auszubauen.

Im Zuge dieser Kostensenkung errangen die Unternehmen, die günstig im PRD produzierten, zunehmend Marktanteile sowohl auf dem chinesischen als auch auf internationalen Märkten (vgl. Davies 1996: 689). Seit dem Beitritt Chinas zur WTO 2001 beschleunigte sich der Verlagerungsprozess von Produktionsstätten in das PRD zunehmend. Die Ursache hierfür ist eine stärkere Integration der Wirtschaft Hongkongs in die des PRD. Gemeinsame Planungs- und Steuerungsprojekte der Regierungen in Hongkong und Guangdong treiben diesen Prozess weiter voran (vgl. Meyer 2008: 25). Dieses Geschäftsmodell wird in der Literatur auch als „Hong Kong Model“ oder „front office – back factory“ bezeichnet. In den vergangenen Jahren betreiben jedoch nicht nur Unternehmen aus Hongkong dieses Geschäftsmodell, sondern auch Unternehmen aus Taiwan haben diese Geschäftsstrategie erfolgreich adaptiert. Produktionsstätten im PRD importieren hauptsächlich Rohmaterialien, Ausrüstungsgegenstände sowie zentrale technologische Kernkomponenten, während Endprodukte exportiert werden (vgl. Hürtgen et al. 2009: 123f.; Meyer et al. 2009: 229f.; Lai 2010: 58). Der Exportsektor ist eine Schlüsselkomponente für den Erfolg des PRD. Ein Großteil des Wirtschaftswachstums im PRD ist abhängig von dessen Entwicklung. Aufgrund des Rückgangs der Weltkonjunktur, bedingt durch den Einbruch des Konsums in Nordamerika, Europa und Japan in der zweiten Hälfte 2008, verzeichneten auch die exportorientierten Industrien in China einen signifikanten Einbruch in der Wirtschaftsleistung (vgl. Spence 2009: 504).

Laut IMF verzeichnete das Welthandelsvolumen 2009 einen Rückgang von 12,3%, während 2008 noch ein Wachstum von 2,8% vorherrschte. Diese Krise manifestierte sich viel stärker in der chinesischen Wirtschaft, als dies noch während der Asienkrise 1997 der Fall gewesen ist. Dies liegt darin begründet, dass die chinesische Wirtschaft 2009 viel stärker in die Weltwirtschaft integriert war. Die geographische Verteilung der chinesischen Exporte veränderte sich in diesem Zeitraum signifikant. Fast die Hälfte aller Exporte hatte noch 1991 als Ziel Hongkong. Fast zwei Dekaden später hat sich diese Verteilung komplett verändert. Die wichtigsten Empfänger der Exporte PRD waren 2008 die EU (20,07%), die USA (18,39%), Hongkong (13,59%) und Japan (8,12%) (vgl. Chou et al. 2009: 534). Infolge eines Einbruchs des Welthandelsvolumens war demnach die Exportindustrie insgesamt stärker betroffen.  

2.    Zusammenbrüche im Bankensektor

Als zweiter Kanal können Zusammenbrüche von Banken zu einer verringerten Kreditvergabe an Unternehmen führen. Eine verringerte Kreditvergabe hat direkte Auswirkungen auf den produzierenden Sektor und den internationalen Handel, da viele Unternehmen für ihre Produktion Kredite benötigen. In Einklang mit Naude’s (2009) Argumentation schlussfolgern Dell’Ariccia et al. (2008), dass während Finanzkrisen besonders Unternehmen, die auf externe Finanzierung angewiesen sind, große Probleme haben. Dies gilt besonders im Vergleich zu Unternehmen, die nicht auf externe Finanzierungsquellen angewiesen sind. Die Ursachen für diesen Zusammenhang liegen darin begründet, dass viele Unternehmen ihre Betriebsmittel durch kurzfristige Kredite finanzieren. Wenn in Krisenzeiten die Kreditvergabe der Banken ins Stocken gerät und eine erhöhte Unsicherheit auf den Finanzmärkten vorherrscht, geraten gerade diese Unternehmen schnell in finanzielle Engpässe. Die Autoren schätzen, dass ca. 90 Prozent des Welthandels durch kurzfristige Kredite finanziert wird. Eine Kreditklemme auf den wichtigen globalen Finanzplätzen kann daher zu starken Einbrüchen im Welthandel führen.

Im Falle Chinas war keine Kreditklemme der chinesischen Banken zu beobachten. Die Ursachen hierfür liegen in der starken Regulierung des chinesischen Finanzsystems. Die Zentralregierung in Beijing hat in den vergangenen Jahren die Finanzwirtschaft nur sehr langsam liberalisiert. Große Marktanteile in China halten staatliche Banken, die von der Zentralregierung gesteuert werden. Ausländische Banken dagegen nehmen in der Unternehmensfinanzierung nur eine untergeordnete Bedeutung ein. Zudem ist der chinesische Markt stark reguliert und der Handel mit ausländischen Derivaten sehr gering (vgl. Naude 2009: 7). Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die chinesischen Banken die Kreditvergabe nicht zurückfuhren, sondern diese in der Krise weiter ausdehnten, um den Markt mit der benötigten Liquidität zu versorgen. Im Vergleich zum Juli 2008 wuchs die Kreditvergabe chinesischer Banken im Juli 2009 um beeindruckende 34,4% (vgl. Sun 2009: 32).
Die Börsen in Shenzhen, Shanghai und Hongkong zeigten sich zudem sehr robust, obwohl diese Indizes durch die Währungs- und Finanzkrise unter Druck gerieten. Sie entwickelten sich stabiler als vergleichbare Indizes in Südostasien. Eine Abschwächung dieser Handelsplätze setzte allerdings 2007 ein und sie erreichten einen Tiefststand im vierten Quartal 2008 (vgl. Shenzhen Stock Exchange 2010).

3.    Rückgang der globalen Kapitalströme

Als dritten Kanal definiert Naude (2009: 6) das Einbrechen von Kapitalströmen aus Industrieländern in Entwicklungs- und Schwellenländer. Private Investitionen und Rücküberweisungen in Entwicklungsländer fielen 2009 dramatisch um geschätzte 300 bis 400 Milliarden US$. In diesem Zusammenhang verweist er darauf, dass neben Rücküberweisungen auch Entwicklungshilfezahlungen 2009 stark rückläufig waren.
Chen und Lombaerde (2010: 98f.) weisen nach, dass der Rückgang von ausländischen Investitionen einer der Hauptgründe für den wirtschaftlichen Einbruch in Südostasien war. Und das, obwohl sich die finanziellen Institutionen in einem relativ gesunden Zustand befanden. Ihre Beteiligung am Handel mit amerikanischen Derivaten war limitiert. Die Finanzkrise hatte signifikante Auswirkungen auf die globalen Kapitalströme. Nach einer Phase des stetigen Wachstums im Zeitraum zwischen 2003 und 2007 fielen globale ausländische Direktinvestitionen (ADI) 2008 um ca. 14% geringer aus. Insgesamt betrug deren globales Volumen 1.697 Mrd. US$. In der ersten Hälfte 2009 fielen diese zudem mit beschleunigter Rate (vgl. UNCTAD 2009: 3f.).
In den vergangenen zwei Dekaden entwickelten sich ADI zu einem wichtigen Element für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas. Seit 1993 wuchsen die eingehenden ADI nach China stetig an. Bereits 2001 war China, noch vor den USA, der weltweit größte Empfänger von ADI (vgl. Fan et al. 2009: 854). Whalley und Xin (2010: 134) schlussfolgern, dass der Anteil von ausländisch finanzierten Unternehmen in China ca. 20% beträgt. Diese tragen mit 40% zum chinesischen Wirtschaftswachstum bei. Ohne ADI hätte in diesem Zeitraum das Wirtschaftswachstum in China um jährlich 3,4% geringer ausfallen müssen. Die Finanzkrise hatte also einen signifikanten Effekt auf die Kapitalströme nach China. Diese fielen um 20,56% von 27.414 Millionen US$ im ersten Quartal 2008 auf 21.777 Millionen US$ im ersten Quartal 2009 (vgl. UNCTAD 2009: 51).

Es lassen sich aufgrund der Argumentation von Naude drei Schlussfolgerungen ableiten:

(1)    Unternehmen mit einem hohen Exportanteil waren von den Auswirkungen der Finanzkrise stärker betroffen als Unternehmen mit einem geringeren Exportanteil.
(2)    Aufgrund der starken Regulierung des chinesischen Finanzmarktes gerieten die chinesischen Banken nicht in eine ökonomische Schieflage, weshalb die im Westen bekannte Kreditklemme nicht auftrat.
(3)    Unternehmen, die durch ausländische Investoren finanziert werden, waren den Auswirkungen der Finanzkrise stärker ausgesetzt als rein chinesische Unternehmen.

Verwendete Literatur

Chen, L.; De Lombaerde, P. 2010: The Crisis in the U.S. and the Future of East Asian Production Sharing. – Global Journal of Emerging Market Economies, 2(1): 91-108.

Chou, K.-H.; Chen, C.-H.; Mai, C.-C. 2009: A Geospatial Analysis of China’s Exports, 1991-2008. In: Eurasian Geography and Economics, 50(5), S.532-546.

Davies, H. 1996:  High IQ and Low Technology: Hong Kong’s Key to success. – Long Range Planning, 29(5): 684-690.

Dell’Ariccia, G.; Detrangiache, E.; Rajan, R. 2008: The real effect of banking crises. In: Journal of Financial Intermediation, 17(1), S.89-112.

Fan, J.P.H.; Morck, R.; Xu, L.C. 2009: Institutions and Foreign Direct Investment: China versus the Rest of the World. In: World Development, 37(4), S.852-86.

Hürtgen , S.; Lüthje, B.; Schumm, W.; Sproll, M. 2009: Von Silicon Valley nach Shenzhen. Hamburg: VSA-Verlag.

Lai, P. 2010: External Demand Decline-caused Industry Collapse in China. In: China & World Economy, 18(1), S.47-62.

Meyer, D.R. 2008: Structural Changes in the Economy of Hong Kong since 1997. In: The China Review, 8(1), S.7-29.

Meyer, S.; Schiller, D.; Revilla-Diez, J. 2009: The Janus-Faced Economy: Hong Kong Firms as Intermediaries between global Customers and local Producers in the Electronics Industry. In: Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie, 100(2), S.224-235.

Naudé, W. 2009: The Financial Crisis of 2008 and the Developing Countries. – Discussion Paper, 2009/1. World Institute for Development Economics Research. Helsinki.

Revilla Diez, J.; Schiller, D.; Meyer, S.; Liefner, I.; Brömer, C. 2008: Agile firms and their spatial organisation of business activities in the greater Pearl River Delta. In: Die Erde, 139(3), S.251-269.

Spence, M.A. 2009: The financial and economic crisis and the developing world. In: Journal of Policy Modelling, 31(4), S.502-508.

Sun, M. 2009: China: Unscathed through the Global Financial Tsunami. In: China & the World Economy, 17(6), S.24-42.

Tirole, J. 2002: Financial Crisis, Liquidity, and the International Monetary System. Princeton, Oxford: Princeton University Press.

Whalley, J.; Xin, X. 2010: China’s FDI and non-FDI economies and the sustainability of future high Chinese growth. In: China Economic Review, 21(1), S.123-135.

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Meine Name ist Stefan Ohm und ich bin Geograph. Vor meinem Studium habe ich eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolviert und danach bei Electronic Data Systems (EDS) als Lotus Notes Entwickler gearbeitet. Während meines Studiums in Hannover führte mich mein Weg zur Texas State University in San Marcos (USA) sowie zur University of Bristol (UK). Darüber hinaus absolvierte ich zwei Praktika bei NGO’s in Neu Delhi (Indien), mit dem Ziel Entwicklungsprozesse vor Ort genauer zu betrachten und damit ein besseres Verständnis über diese zu erhalten. Promoviert habe ich über den Strukturwandel im Perlflussdelta und Hongkong (China) an der Justus Liebig Universität in Gießen.

1 Kommentar

  1. China + die US-Immobilienkrise

    Was diese Untersuchung Wim Naudes offensichtlich ausser Acht lässt, ist die direkte Involvierung der Banken eines Gebiets mit der Quelle der Krise, hier also dem US-Immobilienmarkt. Europa wurde ja deshalb so stark von der US-Immobilienkriese getroffen, weil viele europäische Banken, darunter ja besonders deutsche Landesbanken, gross in US-Immobilien investiert waren.
    China jedoch scheint nur wenig involviert gewesen zu sein. Es musste also lediglich mit der Verringerung der Investitionen aus dem Ausland zurecht kommen und mit dem Absinken der Nachfrage nach chinesischen Produkten aus dem Ausland. Der chinesische Finanzmarkt, der ja stark unter Kontrolle der Regierung steht konnte die Krise durch politisch gewollte Kreditvergabe gut auffangen. Allerdings müsste man hier fragen wieviele der vergebenen Kredite sich im Nachhinein als faule Kredite herausstellen. Neben der Exportwirtschaft ist ja in China der Immobilien- und “Construction” Sektor die Hauptquelle von Wirtschaftsaktivität und -wachstum und es gibt in diesem Bereich deutliche Überhitzungserscheinungen, also ebenfalls eine Blase wie sie in den USA erst gerade geplatzt ist. Ob dies auch in China noch passieren wird, darüber scheiden sich die Geister.

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