Irren ist menschlich

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Gehirniskrämerei

„Errare humanum est“ – „Irren ist menschlich“ sagt man im Volksmund und Irrtümern erliegen wir ständig. Beharren wir auf diesen Irrtümern allerdings, so sind Probleme unvermeidlich. Sobald unsere Meinung mit einer Anderen kollidiert und Uneinigkeit entsteht, sind Ärger und Streit meist nicht weit entfernt.

Ein Beispiel:

Kubus

 

Sie werden mit Sicherheit sagen, dass es sich bei der orangefarbenen Figur im Bild um einen Würfel handelt. Die Figur wurde von einem Kommilitonen und mir vor einigen Wochen im psychologischen Institut in Münster angebracht. Nach über 10 Stunden Arbeit und über 100 Metern Abklebeband können Sie nun endlich das Resultat sehen. [1]

Was hat das jedoch mit Ihnen zu tun und was für eine Relevanz hat dieser riesige Würfel?
Nun: Wir alle verfügen über Ansichten, Alltagstheorien, Einstellungen, Gefühle, Kultur- und Moralvorstellungen und Gedanken, die wir für richtig oder berechtigt halten. Es gibt endlose Möglichkeiten, die Dinge in dieser Welt zu betrachten. Für den Konstruktivisten wird das altbekannt sein, doch unterscheidet sich das Wissen um die eigene Fehlbarkeit in der Weltsicht erheblich von erlebter Erfahrung.

Hier also ein Stück Erfahrung:
Sie meinen, Sie würden einen Würfel im obigen Bild sehen? Sind Sie sich ganz sicher?
Ich sage Ihnen: Das ist im Grunde kein Würfel. Aber wer von uns recht hat, das hängt ganz allein davon ab, wie man die Dinge, hier also diesen Würfel, betrachtet.

Wenn Sie näher an die Figur herangehen würden, würden Sie Folgendes sehen:

Kubus Sicht 2

Von der Seite betrachtet würde sich die Figur wieder auf völlig andere Weise verformen:

Kubus Sicht 3

Es handelt sich zwar um dieselbe Figur, doch wenn Sie ihren Standpunkt verändern, sehen Sie keinen Würfel mehr. Ein paar Schritte reichen und der vorher klar erkennbare Kubus zerfällt, die Linien brechen sich an den Kanten und die Parallelität der Linien wird größtenteils aufgelöst.
Dieser wirklich wunderbare wahrnehmungspsychologische Effekt nennt sich Accidental Viewpoint und beschreibt, dass das visuelle System Objekte aus einem bestimmten Winkel in ihrer Beschaffenheit unter bestimmten Umständen fehlinterpretieren kann.

Illusionen dieser Art lassen sich auch beim Raum von Ames und dem Beuchet-Stuhl sehr gut nachvollziehen und zeigen auf wirklich beeindruckende Weise, welchen Fehlern das optische System zum Opfer fallen kann.

Nicht nur das physiologische, auch das geistige Auge kann Dinge aus dem falschen Blickwinkel heraus betrachten. Während Sie mit Sicherheit nicht immer die Welt oder Menschen ändern können, so können Sie doch eines machen: Sie können den Winkel ändern, aus dem Sie etwas betrachten.
In diesem Sinne.


[1] Anmerkung: Mein Dank geht an Constantin Winker, der mit mir die Figur in mehrstündiger Arbeit aufgebaut hat und mir obendrein diese wirklich prächtigen Bilder zur Verfügung gestellt hat.

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Veröffentlicht von

Michael Filusch ist B.Sc. Student der Fachrichtung Psychologie an der WWU Münster. Er lädt Sie ein, seine Studienerfahrungen mit ihm zu teilen, und möchte Ihnen die Gelegenheit bieten, Neues wie Interessantes über den Menschen zu lernen.

6 Kommentare

  1. Ein weiteres Beispiel

    Zwei Menschen stehen an einer Ampel der eine sagt es ist Rot der andere sagt es ist Grün und beide Menschen haben recht und beide denken der andere Lügt!

    Was ist die Wahrheit?

    Der eine ist Farbenblind 😉

  2. Non-accidental viewpoint

    ist doch aber das genaue Gegenteil, nämlich daß das Bild nicht vom Blickwinkel oder Standpunkt des Betrachters abhängt?

  3. Accidental!
    Huhu Thilo,

    völlig richtig, Accidental. Tatsächlich ist es so, dass die non-accidental properties (Wie Parallelität, Kurvenverlauf) durch accidental viewpoints nicht richtig aufgenommen werden.
    Non-accidental viewpoint wäre ein solcher, bei dem auch alle non-accidental properties erfasst werden (was in aller Regel der Fall ist.)

    Die Anamorphose-Wettbewerbe sind mir neu, danke für die zusätzlichen Beispiele! 😉
    Dazu muss man allerdings sagen, dass solche Effekte über Fotos auch deshalb besser klappen, weil beide Augen das selbe Bild sehen und uns damit weitere Tiefenhinweise entgehen.

  4. Gute Arbeit

    Na wer sagt denn dass Wissenschaft und Philosophie nicht Hand in Hand gehen können? Schöne Arbeit und passende Interpretation.

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