Der Erste muss gut werden!

BLOG: Gehirniskrämerei

Neue und alte Fundstücke der Psychologie
Gehirniskrämerei

Manchmal blockiert der Mensch sich wirklich selbst.

Seit Tagen habe ich ein paar Themen zur Auswahl, über die ich etwas bei den Brainlogs schreiben will.
Zum Einen gibt es da eine interessante Studie von Gross et al. [1] über die Wirksamkeit von Meditation zur Bekämpfung von Schlaflosigkeit, zum Anderen gäbe es noch genug über die Lügenerkennung zu schreiben:
Was für Hinweise es gibt, um Lügen zu erkennen und was Emotionen bei Lügen für eine Rolle spielen [2] oder wo der Unterschied zwischen einem echten, dem sogenannten Duchenne-Lächeln, und einem gestellten Lächeln besteht.

Angesichts der Möglichkeiten, aber auch der Komplexität einiger Themen, stellt sich dann die Frage was ich in einem ersten Blogeintrag zu bewältigen vermag.
So ist das mit dem "ersten Mal" immer: Man legt viel Wert darauf, dass es gut läuft und man setzt sich unter Druck. Die Anspannung kennen Sie sicher auch noch: Die erste Klausur, die erste Facharbeit, der erste Arbeitstag bei einem neuen Arbeitgeber. Und jetzt der erste Blogeintrag bei den Brainlogs.

Immerhin tendieren wir dazu, unser Selbstwertgefühl davon abhängig zu machen, denn woher sollte auch sonst der Druck kommen?
Das ist ein guter Grund, uns zu fragen, wie wir eigentlich unser Selbstwertgefühl konstruieren und  wie wir dafür sorgen  können, dass wir uns gut fühlen.

Die Sozialpsychologie hat glücklicherweise einige durchaus interessante Erkenntnisse [3] darüber gesammelt, wie wir unser Selbstwertgefühl konstruieren:

Ihr Selbstwertgefühl wird durch Fragen wie "Bin ich eine Person von Wert?" reflektiert. Ein zentrales Prinzip in der Sozialpsychologie besteht darin, dass Sie sich und alles, was Ihnen nahe steht, wertschätzen wollen.
Es tut Ihrem Selbstwertgefühl in diesem Sinne nur gut, wenn Sie eine hohe Meinung von Ihrer Familie, Ihren Freunden und auch der Arbeit haben, die Sie täglich verrichten.

Was meinen Sie?

Wie gut sind Sie im Vergleich zu Anderen im Autofahren, wie ehrlich sind Sie im Vergleich zu Anderen oder wie gut können Sie Leute anleiten und führen?
Der Lake-Wobegon Effekt sagt aus, dass die meisten von Ihnen sich für überdurchschnittlich in diesen Fähigkeiten einschätzen werden. Sicher ist es paradox, wenn sich der Durchschnitt für Überdurchschnittlich hält, aber das ist eben die Tendenz des Selbst, sich in einem positiven Licht sehen zu wollen.

Daran ist auch der sog. Self-enhancing Bias schuld. Sehen Sie: Das Selbst hat die natürliche Tendenz, jede Information so zu interpretieren, dass sie für das Selbst mit einem positiven, stärkendem Resultat endet. Nun wissen wir sehr wohl, dass wir in der Welt manchmal vor unbestreitbare Fakten gestellt werden. Vielleicht glauben Sie, dass man Fakten, wie eine schlechte Note in einem Test, eine Kündigung oder eine strafrechtliche Verurteilung nicht einfach mit all ihren Folgen für das Selbstwertgefühl wegblenden könne. 

Dann stellen wir doch ein kurzes Gedankenexperiment an: Erinnern Sie sich an das Letzte Mal, dass etwas wirklich schief lief, wenn vielleicht ein Paper von Ihnen zurückgewiesen worden ist, Ihre Behandlung bei einem Patienten nicht anschlug oder Sie zu spät zur Arbeit gekommen sind?  

Wie schützen wir uns vor solchen Bedrohungen des Selbstwertgefühls [4]?

1. Fluchtverhalten: Alkohol, fernsehen, oder auch einfach nach einem herben Rückschlag Urlaub nehmen. Kurzfristig ist es emotional durchaus entlastend, durch eine Flucht vor Bedrohungen des Selbstwertgefühles dafür zu sorgen, dass man sich nicht schlecht fühlt. Eine gute Lösung stellt das aber, wie Sie sich beim Beispiel Alkohol schon denken können, langfristig nicht dar.

2. Herunterspielen: Sie richten ihren Blick darauf, was Sie gut gemacht haben und spielen Schlechtes herunter.

3. Self Expression: Sie arbeiten sich durch Bedrohungen für das Selbst durch, indem Sie Ihr Selbst aktiv entfalten. Sie malen, schreiben, musizieren oder reden mit Freunden und stärken ihr soziales Netzwerk. Das kann ihr Selbst aufbauen und Ihnen über so manch schlechten Tag hinweghelfen.

4. Ausreden finden: Ihr Wecker ist nicht angesprungen. Sie sind im Verkehr stecken geblieben. Der Prüfer war einfach unfair. Die Testitems waren schlecht konstruiert.
Wenn wir ehrlich sind, könnten wir diese Situationen manchmal vermeiden, doch wenn wir uns nicht für alles die Schuld geben wollen und können, dann muss jemand oder etwas anderes Schuld sein.
Ausreden zu finden ist in unserer auf Autonomie und Verantwortung pochenden Gesellschaft nur in Maßen akzeptiert. Wenn Sie etwa anderen Menschen die Schuld dafür geben, dass Sie Termine nicht einhalten konnten ("Der hat mich immer abgelenkt!"), dann werden Sie dafür unter Umständen weder Lorbeeren, noch Verständnis ernten.
Es mag jedoch manchmal von Vorteil für ihr Selbstwertgefühl sein, wenn Sie sich nicht jeden Misserfolg selbst zuschreiben.

5. Self-handicapping: Eine Praktik, bei der man selbst die Gründe für weniger gute Leistung in die Wege leitet.
Beispiel: Stellen Sie sich vor, ein Arbeitskollege würde seit Monaten damit prahlen, die besten Brownies weit und breit zu machen. Dem Risiko, dass sich seine Behauptungen als unwahr herausstellen und seine Brownies garnicht so toll sind, weicht er damit aus, indem er wirklich Gründe legt, weshalb die Brownies nicht so gut wie sonst werden. So macht er die Brownies  z.B. ohne Glasur und behauptet, er hätte es zeitlich nicht mehr geschafft, jene einzukaufen.

6. Selbstwirksamkeit: Selbstwirksamkeit ist die Zuversicht in unsere Fähigkeiten, die Ergebnisse zu erreichen, die wir uns wünschen. Wenn Sie einen Test nicht bestehen, dann lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf eine kontrollierbare Ursache. Statt "die Items waren zu unfair" könnten Sie die Ursache in mangelnder Vorbereitung sehen. In Folge dessen würden Sie weniger die Items beklagen und vielleicht mehr lernen.

Es kann sich durchaus lohnen zu reflektieren, wie man mit Bedrohungen für das Selbst umzugehen pflegt. Wenn Sie Rückschläge nämlich in einem anderen Licht betrachten, kann aus so mancher Katastrope eine wertvolle Lektion fürs Leben werden.

 


[1] Gross, C. R., Kreitzer, M. J., Reilly-Spong, M., Wall, M., Winbush, N. Y., Patterson, R., Mahowald, M., u. a. (2011). Mindfulness-based stress reduction versus pharmacotherapy for chronic primary insomnia: a randomized controlled clinical trial. Explore (New York, N.Y.), 7(2), 76-87. doi:10.1016/j.explore.2010.12.003

[2] Ekman, P., & Frank, M. G. (o. J.). Lies That Fail. Lying and deception in everyday life (S 184-200). New York: Guilford Press.

[3] Smith, E. R., & Mackie, D. M. (2007). Social Psychology (3rd Aufl.) (S 95ff) Taylor & Francis

[4] Smith, E. R., & Mackie, D. M. (2007). Social Psychology (3rd Aufl.) (S 125-135) Taylor & Francis

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Veröffentlicht von

Michael Filusch ist B.Sc. Student der Fachrichtung Psychologie an der WWU Münster. Er lädt Sie ein, seine Studienerfahrungen mit ihm zu teilen, und möchte Ihnen die Gelegenheit bieten, Neues wie Interessantes über den Menschen zu lernen.

10 Kommentare

  1. Erst einmal herzlich Willkommen auf den SciLogs! Ein durchaus interessanter Beitrag! Ich hoffe, mit dieser Aussage habe ich dein Selbstwertgefühl gestärkt 🙂

    Ich habe gleich mal eine Frage: Du schilderst hier mehrere Maßnahmen, die wir Menschen einsetzen, um uns vor Bedrohungen des Selbstwertgefühls schützen. Gibt es Seitens der Psychologie Einschätzungen oder Aussagen, die beurteilen, welche man davon am besten geeignet ist oder ist das alles situationsabhängig? Oder gibt es gar keine optimale Lösung, die man zum Schutz seines Selbstwertgefühls verwenden kann?

  2. Gehirn&Geist

    Hallo Michael,

    auch von mir einen Willkommensgruß bei den Brain-/SciLogs! Wir werden sicher bei dem einen oder anderen Thema Überschneidungen (z.B. zur Lügendetektion, Gehirn vor Gericht, Weihnachten 2018) haben aber ich freue mich auf einen lebendigen Austausch.

    Am Rande eine Rückfrage, die vielleicht auch etwas mit Selbstwertgefühl zu tun hat: Kommen in euren Psychologielehrbüchern eigentlich auch noch Beiträge von deutschsprachigen Forschern vor? 😉

    Viele Grüße

    Stephan

  3. Willkommen bei BrainLogs

    Auch aus der Grauen Substanz einen Gruß. Ich bin (oder werde) langsam bekannt dafür ein Auge auf der Transparenz zu haben. Daher mein Rat: nicht an “der Komplexität einiger Themen” verheben. Oft ist ein Schwerpunktthema besser, zu dem der Leser dann auch auf deiner zur-Person-Seite Hintergrundinfos erfährt (z.B. warum du darüber schreibst).

    Auf dieser Seite lese ich, du lädst ein deine Studienerfahrungen mit uns zu teilen. Daraus könnten sich spannende Themen ergeben.

    Also willkommen! -Markus

  4. Feedback

    Vielen Dank für die warmen Willkommensgrüße! 🙂

    @Sebastian: Eine interessante Frage, welche dieser sog. Copingstrategies generell am beesten geeignet wäre: Man muss in der Tat sagen, dass das stark situationsabhängig ist.

    Sogar Fluchtverhalten kann situationsbedingt eine vernünftige Methode sein, um Selbstwertgefühl und Gesundheit zu beschützen (etwa, eine Beziehung zu beenden wenn der Partner gewaltätig ist)
    Insofern war meine Beurteilung von Fluchtverhalten hier vielleicht schon etwas unbedacht und sollte um ein “oft” ergänzt werden. (Tatsache ist jedoch, dass Fluchtverhalten bei einigen psychischen Störungen eine zentrale Rolle spielt, daher wäre ich nach wie vor hier sehr vorsichtig)

    Störungsmodelle in der klinischen Psychologie greifen den Punkt aber auch insofern auf, als dass diese Coping-strategies eine modifizierende Variable für das Entwickeln psychischer Störungen darstellt. Hier gilt es auch als besser, wenn man auf ein möglichst breites Spektrum an Strategien zurückzugreifen pflegt.

    @Stephan: Selbstverständlich kommen in den englischen Lehrbüchern auch deutsche Forscher vor, wobei der Anteil sehr von der jeweilige Teildisziplin abhängig ist. In der Wahrnehmungspsychologie sind Beiträge deutscher Forscher etwa sehr viel stärker vertreten.

    @Markus: Ich teile deine Einschätzung voll und ganz. Einige Themen sollte man eher als Schwerpunkt behandeln, was ich etwa bei Emotionen und Lügen auch anstrebe. Glücklicherweise sind viele Studiengrundlagen in der Psychologie aber auch einfach zugänglich, wodurch ich mir hier und da einen Ausflug in andere Gebiete erlauben werde 🙂

    In diesem Sinne besten Dank und viele Grüße!

    Michael

  5. Herzlich willkommen von den Nachbarn!

    Lieber Michael,

    auch von mir aus der Chronologs-Nachbarschaft ein ganz herzliches Willkommen! Schon der erste, wunderbar empirisch orientierte Beitrag liest sich wirklich super und interessant! “Gehirniskrämerei” wünsche ich nicht nur viele Leserinnen und Leser – sondern werde sicher auch selbst immer wieder zu diesen gehören. 🙂

    Herzliche Grüße von einem weiteren

    Michael

  6. Regeln gekonnt brechen

    Wer die Regeln kennt, kann sie gekonnt brechen.

    Ich habe hier meine aktuell und langfristig gut gelesenen Beiträge mir gerade gestern angeschaut. Du sieht, auch ich habe “hier und da einen Ausflug in andere Gebiete” mir erlaubt. Ohne das geht es wahrscheinlich gar nicht.

    Fazit: Ich glaube heute noch mehr daran, dass ein wiedererkennbares Themenprofil für die meisten Blogs sehr wichtig ist. Gleich danach in der Ranglist wichtiger Dinge kommt der Austausch untereinander 😉

    In diesem Sinn:Hier ein schöner Beitrag zu der Blogosphäre.

  7. Ich finde auch, dass man als Blogger eines bestimmten Fachgebiets durchaus mal in andere Bereiche eindringen sollte. So entwickelt und bildet man sich schließlich weiter und das ist immer gut!

  8. Danke für den ersten Blog!

    Willkommen bei den Brainlogs aus der (vermeintlichen) Ecke der Begabung!
    Ich freue mich schon auf Ihre weiteren Gedanken –

    Götz Müller

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