Wütendes Weltende

Filmrezension: „Don’t look up“
In sechs Monaten soll ein Komet alles Leben auf der Erde vernichten. Was wird die Menschheit unternehmen? Der Film „Don’t look up!“ gibt eine eindeutige Antwort: erst mal nichts! Talkshow-Moderatoren reißen Witze darüber, die Politik will die nächsten Wahlen abwarten, die sozialen Medien interessiert nur das Liebesleben von überkandidelten Sängerinnen.
Der prominent besetzte Film, von Netflix ausgerechnet am Heiligen Abend 2021 ins Programm gehoben, nimmt sich die gegenwärtige Politik in den USA vor. Auch die Medien bleiben nicht verschont, und diverse weitere tumbe Gestalten haben irrwitzige Gastauftritte.
Der Produzent Adam McKay kennt sich mit Komödien aus. Er hat für das Comedy-Drama „The big short“ bereits einen Oscar erhalten. Bei „Don’t look up“ fungiert er in Personalunion auch als Regisseur und Drehbuchschreiber. Für den Film konnte er sich einen Etat von 75 Millionen US-$ sichern.1 Die Hauptrollen spielen Leonardo DiCaprio als leicht verpeilter Astronomieprofessor und Jennifer Lawrence als seine Doktorandin. Da kann eigentlich nichts schiefgehen, sollte man meinen. Tatsächlich habe ich aber selten ein Filmprojekt gesehen, das auf so eindrucksvolle Weise gescheitert ist.
An den Schauspielern liegt es nicht. Leonardo DiCaprio spielt durchaus überzeugend den schüchternen Astronomen Randell Mindy, der seine ständige Nervosität mit Xanax (das Benzodiazepin Alprazolam) bekämpft. Er vermasselt seinen ersten Talkshowauftritt komplett, aber im Laufe des Films wird er zunehmend sicherer und erliegt den Verlockungen der Medienindustrie, bevor er reumütig in den Schoß der Familie zurückkehrt.
Die Rolle der populistischen Präsidentin Janie Orlean hat Meryl Streep übernommen. Sie hat offenbar Körpersprache und Redeweise von Donald Trump genau studiert und gibt sie verblüffend genau wieder, ohne dabei allzu sehr zu übertreiben.
Cate Blanchett verkörpert die hochgebildete Talkshow-Moderatorin Brie Evantee als vergnügungssüchtige blonde Oberklassenzicke ohne jeden Tiefgang. Dabei baut sie gerade genug Widersprüche in die Figur ein, um sie nicht zur bloßen Karikatur verkommen zu lassen.
Die Kurzauftritte von Ron Perlman verweisen auf Filme von Stanley Kubrick. Man erkennt sowohl den Menschenschinder Hartman aus „Full Metal Jacket“ als auch den texanischen Flugkapitän Kong aus „Dr. Seltsam“.
Auch ein Norwegerpullover und eine brave Langhaar-Ponyfrisur machen allerdings aus der Action-Ikone Jennifer Lawrence („Die Tribute von Panem“) noch keine glaubwürdige Astronomiedoktorandin.
Den eindrucksvollsten Auftritt hat aber zweifellos der britisch-amerikanische Bühnenschauspieler Mark Rylance. Er spielt Peter Isherwell2, den Chef des Computerkonzerns BASH als habgieriges autistisches Genie an der Grenze des Wahnsinns. Sein Konzern ist einer der größten Spender der Präsidentenpartei, weshalb er jederzeit Zugang zur Präsidentin hat. Sein Auftritt erinnert sicher nicht ganz zufällig an die umstrittenen Techgenies Steve Jobs, Mark Zuckerberg und Peter Thiel.
Leider können die exzellenten Schauspieler den Film aber nicht retten. Das fängt schon mit der Einordnung an. Er ist keine Komödie, sondern fraglos eine böse Satire an der Grenze zur Groteske. Situationskomik ist eher selten, die meisten Dialoge sind alles andere als spritzig, und befreiendes Lachen kommt eigentlich nie auf. Die Handlung spielt übrigens auch nicht in der Zukunft, sondern eindeutig in der Gegenwart. Immerhin sorgen der Cast dafür, dass die teilweise wirre Handlung nie in Richtung Klamotte kippt.
Der apokalyptische Komet
Aus wissenschaftlicher Sicht macht der Film nicht alles richtig. Ein Beispiel: Der Komet soll in 30 Teile aufgespalten werden, die dann harmlos ins Meer fallen. Leider wären diese dreißig Teile immer noch je rund 3 km groß und würden annähernd genauso viel Schaden anrichten wie der intakte Komet.3 Wenn der Komet aus der Oortschen Wolke stammt, wie im Film behauptet, ist es praktisch ausgeschlossen, dass er Metalle und seltene Erden im Wert von vielen Billionen US-Dollar enthält. Die Objekte in der Oortschen Wolke sind bis auf wenige Ausnahmen „schmutzige Schneebälle“, die zum größten Teil aus Wasser, Staub und gefrorenen Gasen bestehen. Nun betont der Film aber ausdrücklich die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. In einem etwas deplatzierten Auftritt darf Ariana Grande singen: „Get your head out of your ass and listen to the goddamn qualified scientist.“
Adam McKay hätte deshalb durchaus etwas genauer recherchieren dürfen.
Als der Komet näher rückt, wird er mit bloßem Auge sichtbar. Alle Appelle der Wissenschaft verhallen ungehört, und aus reiner Habgier wird der einzige Versuch, den Planeten zu retten, wieder abgeblasen. Kurz vor dem Ende ruft die Präsidentin aus politischer Opportunität die titelgebende „Don’t-look-up“-Bewegung ins Leben. Es gibt keinen Kometen und man solle bloß nicht nach oben sehen, lautet die Botschaft. Die Anhänger tragen rote Basketballkappen, die verdächtig an Trumps MAGA-Kampagne erinnern. Die Präsidentin selbst und ihre Speichellecker haben dagegen längst dafür gesorgt, dass sie die Apokalypse überleben.
Es geht im Grunde nicht um den Kometen. Hauptthema des Films ist die Unfähigkeit – und Unwilligkeit – der amerikanischen Gesellschaft, auf existenzielle Bedrohungen angemessen zu reagieren. Ob man das auf den Klimawandel oder auf die Coronapandemie bezieht, bleibt jedem selbst überlassen. Außerdem verurteilt er die mit Habgier gepaarte blinde Technikgläubigkeit und prangert die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft an. Auch Militär und soziale Medien werden nicht verschont. Und wie viele amerikanischen Filmen feiert er etwas sentimental den Zusammenhalt der einfachen Menschen in der Familie und der Religion. Hätte McKay, wie Kubrick in seinem Meisterwerk „Dr. Seltsam“, den Grundtenor der bösen Satire besser durchgehalten, wäre der Film deutlich stimmiger gewesen. Leider ist das nicht der einzige Kritikpunkt. Der Schnitt ist völlig misslungen. Das Timing stimmt nicht, der Plot dehnt sich wie Kaugummi, viele Szenen hätten gestrichen werden können.
Warum empfehle ich den Film trotzdem? Bei aller Unzulänglichkeit ist er ein Produkt hilfloser Wut und Verzweiflung über den Zustand der amerikanischen Gesellschaft. Diese Gefühle scheinen in beinahe jeder Szene durch und verderben letztlich das Endprodukt.
Aber die Wucht dahinter hat mich durchaus beeindruckt.
Anmerkungen
[1] Allein die beiden Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio und Jennifer Lawrence sollen zusammen 55 Millionen US-$ erhalten haben.
[2] Die seltsamen Namen der Figuren tragen teilweise Botschaften. Die Präsidentin heißt „Joan Orlean“, was an Johanna von Orlean erinnert. Sie benimmt sich allerdings gänzlich unheilig. Der Name Peter Isherwell ist vermutlich aus dem Buch „Die Waffenschmiede von Isher“ des umstrittenen Science-Fiction-Autors A.E. van Vogt entlehnt. Der Wahlspruch der Waffenschmiede lautet: „Das Recht, Waffen zu kaufen, ist das Recht, frei zu sein“ und wird gerne von der amerikanischen Waffenlobby zitiert. Mindy, der Nachname der Hauptfigur, könnte nach „brainy“ gebildet worden. „Mind“ – der Verstand, „Brain“ – das Gehirn. „Brainy“ bedeutet im Englischen „klug“ oder „gescheit“.
[3] Die Zahlen stimmen. Bei einem Würfel ist das sofort einzusehen. Nehmen wir an, Sie möchten aus lauter Würfeln von einem Zentimeter Kantenlänge einen Würfel von 3 cm Kantenlänge bauen. Dann würden sie 3x3x3 Würfel brauchen, also 27. Bei einer Kugel ist das nicht anders. Wenn ich also eine Kugel von 9 Kilometern Durchmesser in 27 gleich große Kugeln zerlege, dann hat jede davon 3 Kilometer Durchmesser. Wenn ich stattdessen 30 Kugeln forme, ändert das nur noch wenig.
“Auch ein Norwegerpullover und eine brave Langhaar-Ponyfrisur machen allerdings aus der Action-Ikone Jennifer Lawrence („Die Tribute von Panem“) noch keine glaubwürdige Astronomiedoktorandin.”
Ich habe mir den Trailer und die Fotos angesehen, sie wirkt völlig unintellektuell.
Zitat:
Mich erinnert sein Auftritt an Larry Page, einen der Gründer von Google. Allerdings nur seine Art aufzutreten, nicht seine Ideen.
Wobei dieser Vergleich nicht ganz fair ist, denn Larry Page litt ab 2013 an einer beidseitigen Stimmbandlähmung im Rahmen einer Hashimoto-Autoimmunerkrankung und das erklärt dann seine späteren Auftritte zum Teil.
Wenn dieser Film eine Satire auf die amerikanische Gesellschaft ist, dann ist es eine totale Satire ohne jede Ausnahme. Denn auch die erste Sorge der Wissenschaftler ist es Aufmerksamkeit zu erhalten und die nötige Panikstimmung zu verbreiten. Hier kämpft also sogar die Wissenschaft um Aufmerksamkeit, nicht nur die Präsidentin und all die anderen, deren grösste Sorge es ist in den sozialen Medien und im TV an den richtigen Stellen vorzukommen.
Auch das Bild der Wissenschaft ist ein klischiertes, das sich an alten Bildungsidealen orientiert anstatt daran wie die heutige Wissenschaft funktioniert. So berechnet der Astronom Randell Mindy den Auftreffpunkt des Kometen mit der Methode von Gauss anstatt mit einem Computer wie man das heute tun würde.
Überhaupt strotzt der Film nur so vor Klischees. Etwa das Klischee, dass es immer nur um Geld und Rohstoffe gehe. Wobei an die Stelle von Öl nun seltene Erden getreten sind. Das heisst, für die Reichen geht es um Geld und Rohstoffe und das übrige Volk hat als neues alles betäubendes Opium Instagram, Facebook und Reality-TV.
Wenn es eine Satire auf Amerika ist, dann jedenfalls eine Satire, die nichts wirklich neues zu sagen hat.
Ein Schelm der glaubt da würde nur der Zustand amerikanische Gesellschaft beschrieben. Das alles erinnert mich an das Stück (Oper)”Der Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” von Bertolt Brecht und ist wohl eine Allegorie auf den gegenwärtigen Zustand dieser Welt. In dieser Oper ist es nicht der Komet sondern der Hurrikan. Die Menschen dort verhalten sich ähnlich dekadent , frei nach dem Motto: Zuerst kommt das Fressen und dann die Moral. Es gibt nur noch einen Wert der zählt: Das Geld. Es ist eine neuzeitliche Interpretation der Geschichte von Sodom und Gomorrha in der der in Mahagonny auftretende Gott abgewiesen wird . Wie bei Brecht geht es nicht um den Hurrikan sondern um
den Zerfall moralischer Werte ,menschliche Gier ,Doppelmoral und Heuchelei …
Sind wir eine Horde von Hirnamputierten?
Der Satz, der den Inhalt von „Don’t look up“ am besten zusammenfasst wird vom Astronomen Randel Mindy beim „letzten Abendmahl“ sinngemäss so gesagt: „Wir haben alles versucht, alles getan“
In der Tat, in einer Welt wie sie von diesem Film gezeigt wird, kann man nichts anderes mehr tun als sich zu Tode amüsieren, denn das ist noch das beste was man in einer solchen Welt voller hirnloser Kreaturen tun kann.
Auch die Wissenschaft wird in diesem Film nicht wirklich als Alternative zur Hirnlosigkeit dargestellt. Zumal der Film wie schon Thomas Grüter im obigen Beitrag schrieb wissenschaftlich schlampig daherkommt. Ja, die beiden Hauptdarsteller haben in diesem über 70 Millionen teuren Film mehr als 50 Millionen Dollar an Gage erhalten, aber nein, die wissenschaftliche Beratung hat in diesem Film kaum stattgefunden und für wissenschaftliche Expertise wurde wohl weniger als 100‘000 Dollar ausgegeben. Nicht nur dass – wie Thomas Grüter schreibt -, eine Aufspaltung des Kometen in 30 Teile, das Unheil nicht wirklich abgewendet hätte, nein, auch an vielen anderen Stellen wird ein Zerrbild der Wissenschaft wiedergegeben: es ist das Bild, das weite Teile der Öffentlichkeit von der Wissenschaft hat, wo mit Quantenphysik erklärt wir wie der Komet mit Maschinen der Firma Bash aufgespalten wird, denn Quantenphysik ist doch jetzt überall und wenn eine Wissenschaftlerin des CERN dahinter steht, dann muss es so sein und muss funktionieren. Aber auch die Aussagen des CEO und Chefwissenschaftlers von BASH [gespielt von Peter Isherwell], der doch für die digitale Welt an und für sich steht und der damit für Technologie steht, die der Wissenschaft entspringt, sagt Dinge, die mit Wissenschaft nichts zu tun haben. So sagt er dem Astronomem Randel Mindy voraus er werde einsam sterben und der Präsidentin sie werde von einem Bronteroc gefressen und: “Wir wissen nicht was das bedeutet“. Das Publikum glaubt aber wahrscheinlich tatsächlich in weiten Teilen, Datenwissenschaft und was Konzerne wie Google über uns wüssten, sei Magie.
Das heisst die Wissenschaft wird im Film so dargestellt, wie sie beim Publikum ankommt, nicht so wie sie sich in Wirklichkeit abspielt. Selbst der Song von Ariadne Grande passt in dieses Bild, denn sie lässt über die Rolle der Wissenschaft wiederum nur eine Art Propagandaspruch verlauten.
Eine Welt von Hirnamputierten also in dem so gezeigten Amerika. Und vielleicht trifft diese Diagnose ja zu und zukünftige Wissenschaftler werden sich vielleicht mit der Frage beschäftigen ob erst Corona aus US-Bürgern Hirnamputierte gemacht hat oder ob das schon vorher geschah.
Der Schlusssatz von Randall Mindy ist falsch übersetzt. Er sagt tatsächlich: “Wir hatten alles, nicht wahr?” (“nicht wahr” für die Floskel “did’nt we?”). Es geht also darum, dass die Menschheit durch ihre Ignoranz und Dummheit alles verliert.
Ich halte die wissenschaftliche Kritik am Film für etwas überzogen, der Film hatte Beratung durch eine Expertin, darauf hat der Regisseur bestanden. Was Peter Isherwell im Film sagt, ist vom Kommerz gekaufte Wissenschaft. Was Riley Bina singt (Ariana Grande), ist natürlich keine Wissenschaft, sondern sondern ein emotionaler Aufruf, der Wissenschaft zuzuhören.
Von vielen Klimatologen gibt es positive Reaktion, sie finden den Film sehr treffend in der Beschreibung der politischen und gesellschaftlichen Reaktionen auf den Klimawandel.
Bislang kenne ich nur ein paar einzelne Szenen, noch nicht den ganzen Film, deswegen kann ich kein Gesamturteil abgeben. Die Äußerungen auf youtube unter diesen Filmschnipseln zum Film sind aber fast ausnehmend positiv.