Verschwörungstheorien: der fundamentale Attributionsfehler

Es gibt eine Frage, die bei fast jedem Interview über Verschwörungstheorien zuverlässig auftaucht: „Sagen Sie mal, wie denken eigentlich Leute, die solche Geschichten glauben?“ Die Interviewer sind dann jedes Mal überrascht, wenn ich ihnen sage, dass solche Menschen geistig völlig gesund sind, und ihr psychologisches Profil keine Besonderheiten aufweist. Und mehr noch: Für die Entstehung und Verbreitung von Verschwörungstheorien ist diese Frage völlig bedeutungslos.

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Verschwörungstheoretiker ein geistig etwas gestörter Mensch. Er glaubt beispielsweise, dass geheimnisvolle Bösewichte ihn vergiften wollen, indem sie aus Flugzeugen Gift versprühen, das dann als Kondensstreifen sichtbar wird (Chemtrail-Theorie). Oder er ist fest davon überzeugt, dass die NASA die Mondlandung in einem Studio vorgetäuscht hat.

Nur sind das Extreme, die für das Phänomen der Verschwörungstheorien ebenso wenig typisch sind, wie Käfigkämpfe für den Breitensport. Nehmen wir an, ich befrage für ein Forschungsprojekt Käfigkämpfer, was sie dazu treibt, für wenig Geld Gegner zu vermöbeln und dabei schwere Verletzungen zu riskieren. Dann weiß ich immer noch nicht, warum meine Nachbarin regelmäßig joggen geht, oder mein Vetter in der Kreisliga Fußball spielt. Es wäre aber sicherlich verfehlt, ihnen ähnliche Motive wie dem Extremsportler zu unterstellen.

Keine Verschwörungspersönlichkeit

Wie soll nun das Psychogramm eines typischen Verschwörungstheoretikers aussehen? Hier sind sich die Gelehrten in keiner Weise einig. Für den Spektrum-Artikel 8 Fakten zu Verschwörungstheorien gaben zwei Wissenschaftler völlig verschiedene Antworten. In der ZEIT online erschien am 28.8.2017 ein Artikel, der mit Bezug auf mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen weitere Varianten anbot. Wie kann es sein, dass Psychologen bei dieser einfachen Frage zu völlig verschiedenen Ergebnissen kommen? Wie so oft steckt der Teufel im Detail. Es gibt keine anerkannte Forschungsmethode, und bisher hat sich die Wissenschaft nicht einmal auf eine Definition von „Verschwörungstheorie“ einigen können. Wer in dieser Situation sicher irgendein Ergebnis haben will, legt zum Beispiel seinen Versuchspersonen eine Liste von Verschwörungstheorien vor (z. B. „Die amerikanische Regierung hat das World Trade Center sprengen lassen“) und fragt, welche sie für richtig halten. Diese Angaben versucht man dann mit anderen Daten wie Alter, Geschlecht, Wohnort, politische Einstellung, Jahresverdienst oder Bildung zu verknüpfen. Wenn man nur lange genug sucht, wird sich schon irgendetwas finden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Ergebnisse solcher Studien weit auseinanderliegen, und sich teilweise widersprechen.

Alessandro Bessi von der Universität von Southern California ging einen anderen Weg. In einer 2016 veröffentlichten Arbeit erstellte er die psychologischen Profile von Nutzern einer wissenschaftlichen Facebook-Gruppe und verglich sie mit den Profilen einer weiteren Gruppe, in der Verschwörungstheorien diskutiert wurden. Weil er die Benutzer nicht direkt ansprechen konnte, schloss er aus Wortwahl, Satzbau und der Benutzung von Emojis auf das psychologische Profil. Dabei benutzte er das verbreitete Fünf-Faktoren-Modell („Big Five“). Demnach gibt es fünf weitgehend voneinander unabhängige Persönlichkeitsfaktoren: Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit, Verträglichkeit (Empathie), Neurotizismus (emotionale Labilität). Das Ergebnis: Die Mitglieder beider Gruppen zeigten ein unauffälliges psychologisches Profil und unterschieden sich nur geringfügig voneinander. Es gab nur eine einzige statistisch signifikante Differenz: Die Gruppe der Verschwörungstheoretiker erschien emotional etwas stabiler.

Nach bisherigen Erkenntnissen kann man sagen: Es gibt ebenso wenig eine Verschwörungspersönlichkeit wie eine Krebspersönlichkeit. Der Glaube an Verschwörungstheorien entspringt eher der gegenwärtigen persönlichen Situation, nicht einer psychischen Veranlagung. Das hatte ich  in diesem Blog schon einmal angerissen.

Der fundamentale Attributionsfehler.

Wenn jemand einen Wutausbruch bekommt, hat er vielleicht einen guten Grund dafür, und ist in Wahrheit ein absolut friedlicher Mensch. Trotzdem werden die meisten Beobachter ihn für einen Choleriker halten, der regelmäßig ausrastet. Menschen neigen dazu, das momentane Verhalten eines Menschen fälschlicherweise seiner Persönlichkeit zuzuschreiben (Attribution), obwohl es meist viel stärker durch die momentane Situation bedingt ist. Dieses Phänomen ist so weit verbreitet, dass es einen eigenen Namen erhalten hat: fundamentaler Attributionsfehler.

Auch beim Glauben an Verschwörungstheorien spielt das psychologische Profil der Persönlichkeit nur eine untergeordnete Rolle, entscheidend sind die äußeren Umstände. Aus diesem einfachen Grund haben Forscher keine Verschwörungspersönlichkeit gefunden. In der richtigen Situation neigen die meisten Menschen dazu, sich und ihre Eigengruppe als Ziel eines groß angelegten, geheimen Komplotts zu sehen. Das ist keineswegs so abwegig, wie man vielleicht im ersten Moment denken könnte.

Gibt es so große Verschwörungen, wie manche Theorien behaupten?

Wenn wir uns in der Welt umsehen, finden wir überall Verschwörungen1. Das reicht von der einfachen politischen oder geschäftlichen Intrige bis zu weltweiten Komplotten mit Auswirkungen auf Millionen Menschen. Die Annahme, dass sich Menschen verabreden, um illegale Vorteile zu erlangen, oder Anderen zu schaden, ist also durchaus plausibel. Hier einige Beispiele aus der neuesten Zeit:

  • Russische Hacker haben zugunsten von Donald Trump systematisch in den amerikanischen Wahlkampf eingegriffen (sehr gut beschrieben z. B. in der New York Times vom 8.9.2017).
  • Der Volkswagenkonzern hat in seine Dieselautos weltweit illegale Software eingebaut, um Abgaskontrollen auszutricksen (Stichwort Defeat Device). Andere Hersteller haben ähnliche Verfahren eingesetzt.
  • Die asiatische und italienische Mafia verdienen Millionen mit Wetten auf manipulierte Fußballspiele weltweit (Artikel dazu im Spiegel und in der Welt online).

Ich habe absichtlich drei Beispiele von weltweiten Verschwörungen gewählt. Das oft gegen Verschwörungstheorien ins Feld geführte Argument, Weltverschwörungen seien lediglich Hirngespinste, ist damit hinfällig.

Verschwörungen gegen Verschwörungstheorien

Bei allen drei Beispielen fällt aber auf: Sie entsprechen keiner gängigen Verschwörungstheorie. Niemand hat sich im Internet die Finger wund geschrieben, um nachzuweisen, dass der VW-Konzern die Diesel-Abgasprüfung austrickst. Niemand hat gesagt: „Das ist genau das, was ich seit Jahren behaupte!“

Tatsächlich stellt sich kaum eine Verschwörungstheorie hinterher als wahr heraus. Sie entsteht aus dem Misstrauen gegen andere Gruppen und weist folgende Besonderheiten auf:

  1. Das angenommene Komplott richtet sich gegen die eigene Gruppe oder gegen Menschen, denen man sich verbunden fühlt. Man sieht sich also in der Opferrolle.
  2. Die geheime Operation dauert an, umfasst viele Beteiligte, und wird perfekt vertuscht. Wenn die Presse nicht oder kritisch darüber berichtet, ist sie mit den Gegnern im Bunde.
  3. Die verdächtigten Gegner sind genau definiert. Eine Verschwörungstheorie geht immer davon aus, dass z.B. der CIA, die Bundesregierung, das Großkapital, die Chinesen, die Juden oder der Islam der eigenen Gruppe heimlich schaden wollen. Es ist immer ein WIR gegen SIE. Die Methoden sind oft auswechselbar, die Gegner hingegen stehen fest.
  4. Das Netzwerk der Gegner hat folgende stereotype Eigenschaften: mächtig, böse, allgegenwärtig, unsichtbar, intelligent, verschlagen. Ich nenne dies das Dämonenstereotyp. 2Einzelne sichtbare Gegner, wie z. B. Hillary Clinton, werden mit negativen Attributen geradezu überhäuft.
  5. Die Verschwörungstheorie soll Empörung auslösen. Sie unterstellt, dass die Gegner die höchsten moralischen Werte oder wichtigsten Besitztümer der eigenen Gruppe angreifen. Richtet sie sich gegen die eigene Regierung, lautet der Vorwurf meist, dass fremde Gruppen gegenüber der eigenen bevorzugt werden (Gruppenverrat).

Populistische Politiker wie Viktor Orban in Ungarn nutzen gerne die Vorurteile ihrer Anhänger aus, um erklärte Gegner zu dämonischen Verschwörern aufzubauen. Orban hat beispielsweise in den letzten Jahren den liberalen ungarischstämmigen Milliardär George Soros zu einem allgegenwärtigen, bösen und machtvollen Staatsfeind aufgebaut. Populisten und Diktatoren brauchen einen solchen Gegner als Sündenbock. Alle eigenen Versäumnisse lasten sie der Wühlarbeit unsichtbarer Feinde an.

Natürlich können die Erfinder von Verschwörungstheorien kaum überprüfen, welche der offiziell ausgegebenen Beschuldigungen das Volk tatsächlich glaubt. Deshalb setzen sie auf ein ständiges Trommelfeuer von immer neuen empörenden „Enthüllungen“. Die Menschen werden sich nach einiger Zeit nur an das erinnern, was sie tatsächlich interessiert hat. Alles übrige vergessen sie schnell. Auf den Wahrheitsgehalt kommt es dabei nicht an.

Verschwörungstheorien und soziale Medien

In den sozialen Medien des Internets lässt die Akzeptanz einer beliebigen Nachricht oder eines Gerüchts dagegen sofort und genau verfolgen. Deshalb gleicht die Ausbreitung von Verschwörungstheorien in sozialen Netzen im Wesentlichen einer Grippe-Epidemie. Wer die Behauptung glaubt, gibt sie an andere weiter. So entsteht eine explosionsartige Ausbreitung, bis sich das Interesse totgelaufen hat.3 Bei einer Grippeepidemie ist es relativ unwichtig, ob jemand etwas mehr oder etwas weniger anfällig für die Ansteckung ist, sobald er einmal die Krankheit hat, wird er andere anstecken. Ebenso ist die individuelle Anfälligkeit für Verschwörungstheorien nicht entscheidend für die Ausbreitung in sozialen Netzen.

Natürlich breiten sich keineswegs alle Gerüchte in sozialen Medien stetig aus, im Gegenteil, die meisten laufen sich sehr schnell tot. Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf tauchten immer wieder Facebook-Seiten auf, die mit politischen Gerüchten Geld verdienen wollten. Je mehr Traffic sie erzeugten, desto höher wurden ihre Einnahmen. So entstand quasi ein Wettbewerb um erfolgreiche Verschwörungstheorien. Die besonders populären Verschwörungstheorien und Falschmeldungen im Präsidentschaftswahlkampf richteten sich zum größeren Teil gegen Hillary Clinton. Das hat schon viele Kommentatoren gewundert, schließlich ist Donald Trump auch ein dankbares Ziel für jede Art von Kritik. Der Grund ist aber einfach und einleuchtend.

Verschwörungstheorien finden immer dann große Zustimmung, wenn der erklärte Gegner der Gruppe zum Dämonenstereotyp passt, also als hinterhältig, unsichtbar, und allgegenwärtig angesehen wird. Die Republikaner haben Hillary Clinton Verbindungen mit internationalen Konzernen, Großbanken und ausländischen Geldgebern vorgeworfen. Zugleich gilt sie schon lange bei ihren Gegnern als kalt, geldgierig und gerissen. Deshalb trauten ihr die Anhänger von Donald Trump – der diesen Verdacht ständig befeuerte – jede Verschwörung zu. Umgekehrt hatte Trump bei seinen Gegnern eher den Ruf eines gerissener und oberschlauer Verkäufers, der Allen alles versprach, was früher oder später aber auffallen musste. Verschwörungen traute man ihm nicht zu, er passte einfach nicht zum Dämonenstereotyp.

Abstrakte Bedrohung reicht

Die in Russland 1905 veröffentlichten „Protokolle der Weisen von Zion“ sollten beweisen, dass Juden alles tun, um ihren christlichen Mitbürgern zu schaden. Das dünne Heftchen gab vor, eine Sitzung von „Juden und Freimaurern“ wiederzugeben, in der die Übernahme der Weltherrschaft durch verschiedene Arten von Terror diskutiert wurde. Obwohl das Pamphlet frei erfunden war, wird es bis heute als Beweis einer jüdischen Verschwörung gehandelt. Es gab und gibt das unbestimmte dumpfe Gefühl vieler Antisemiten wieder, dass Juden auf gefährliche Weise zusammenhalten. In Europa profitieren heute rechtspopulistische Parteien von einem ähnlichen Gefühl gegenüber Muslimen. Es ist nicht schwer, Menschen eine abstrakte Bedrohung einzureden, und sich selbst dann als Retter zu empfehlen. In der Türkei baut Präsident Erdogan im Moment die Gülen-Bewegung zu einem Dämon auf, und beschuldigt westliche Länder, ihr zu helfen. Damit rechtfertigt er dann drakonische Maßnahmen im Inneren. Er ist weder der Erste, noch wird er der Letzte sein, der sich dieses Tricks bedient.

Fazit

Verschwörungstheorien sind keine Angelegenheit der persönlichen Disposition. Sie fallen immer dann auf fruchtbaren Boden, wenn eine Gruppe ihren Gegnern folgende stereotype Eigenschaften zuweist: Mächtig, böse, unsichtbar, allgegenwärtig, verschlagen, intelligent (Dämonenstereotyp). Diktatoren und Populisten konstruieren gerne eine solche Bedrohung, um sich selbst als Retter zu präsentieren.

Anmerkungen

[1] Der Begriff Verschwörung ist dabei definiert als Verabredung von mehreren Menschen zu illegalen oder moralisch verwerflichen Handlungen.

[2] Die Verschwörungstheorien der weißen Rassisten (White Suprematists) in den USA richten sich nicht gegen die Schwarzen, wie man vielleicht meinen sollte. Die Suprematists halten Farbige tendenziell für dumm, unterwürfig und triebgesteuert. Als ihre heimlichen und wirklich gefährlichen Gegner sehen sie deshalb Juden und Liberale.

[3] Allerdings verlassen sich die Verbreiter von Fake-News nicht auf die natürliche Verbreitung. Sie helfen häufig mit Social-Bots nach. Damit erreichen sie, dass die Zielgruppe die gleiche Geschichte mehrfach liest. Das erhöht die Glaubwürdigkeit und fördert damit wiederum die Verbreitung. (Siehe auch Shao, C., Ciampaglia, G. L., Varol, O., Flammini, A., & Menczer, F. (2017). The spread of fake news by social bots. arXiv preprint arXiv:1707.07592.)

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Veröffentlicht von

www.thomasgrueter.de

Thomas Grüter ist Arzt, Wissenschaftler und Wissenschaftsautor. Er lebt und arbeitet in Münster.

35 Kommentare

  1. Mir scheint wie populär Verschwörungstheorien sind hängt stark von der Kultur und vom Land ab. Und natürlich gibt es in jedem Land andere Verschwörungstheorien, auch wenn gewisse sich global verbreiten. In der Wikipedia-Kategorie Conspiracy theories by country fndet man für Frankreich 6, für Deutschland und Pakistan je 9 Verschwörungstheorien und für die USA gibt es 7 Unterkategorien mit insgesamt 62 Verschwörungstheorien. Für die Unterkategorie Roswell-UFO-Komplex beispielsweise findet man 15 konkrete Verschwörungstheorien. In den USA gibt es tatsächlich soviele Verschwörungstheorien, dass die Aussage, dass die Hälfte der US-Bürger an mindestens eine Verschwörungstheorie glaubt, vertrauenswürdig erscheint. Sage mir, an welche Verschwörungstheorien du glaubst, und ich sage dir, was für ein Amerikaner du bist, wäre ein mögliches Motto für den, der die USA und ihre Bürger verstehen will.
    Warum aber sind Verschwörungstheorien so verbreitet und warum sind sie in gewissen Ländern so häufig anzutreffen? Naheliegend scheint mir Verschwörungstheorien als Sinnstifter für eine nicht durchschaubare Realität einzustufen. Der Glaube an eine Verschwörungstheorie bedeutet fast immer, dass man daran glaubt, vieles was um einen herum geschehe, habe andere Erklärungen als die Offiziellen, sei nicht das Resultat von natürlichen Entwicklungen, sondern das Resultat eines Zusammenwirkens von feindlichen Kräften. Zudem gibt es wohl eine Art selbstverstärkenden Effekt wie man ihn bei vielen Phänomen wie etwa dem islamistischen Terror, den Schulmassakern, bei ökonomischen Deflationen und Inflationen oder bei der Gewaltspirale im Rahmen von Kriegen findet. Das heisst, dass eine Vielzahl von zirkulierenden Verschwörungstheorien Raum gibt für noch mehr Verschwörungstheorien. Ein Verschwörungstheoretiker wie Richard Evans erklärt die Vielzahl der Verschwörungstheorien, die in den USA zirkulieren gar damit, dass die USA auf dem Glauben an eine Verschwörungstheorie gründet – nämlich dem Glauben, die Engländer hätten sich gegen Amerika und die dort gepflegten Freiheiten verschworen.

    • Herr Holzherr, so einfach ist das nicht. Die scheinbare Dominanz amerikanischer Verschwörungstheorien beruht auf einer Wahrnehmungsverzerrung. Beispielsweise sind in Deutschland Verschwörungstheorien zum Thema Flüchtlinge weit verbreitet. Die Website Hoaxmap.org sammelt solche Falschmeldungen. Inzwischen sind dort mehr als 450 Einträge zu sehen. Sie alle geben falsche Anschuldigungen gegen Flüchtlinge wider, und behaupten oft, die Behörden hätten sich verabredet (oder seien angewiesen), die Taten zu vertuschen. Immer wieder tauchen auch Verschwörungstheorien auf, in der behauptet wird, die Presse sei nicht frei, sondern werde in Wahrheit von der Regierung oder den Geheimdiensten kontrolliert. Wenn ich das alles zusammensuche, komme ich auf Hunderte von einzelnen Verschwörungstheorien.
      In Russland sind Verschwörungstheorien gegen den Westen geradezu unglaublich weit verbreitet, wie übrigens auch im arabischen Raum. Das nehmen wir aber kaum wahr, weil nur die wenigsten von uns russisch oder arabisch sprechen. In Russland sind auch die “Protokolle der Weisen von Zion” noch weit verbreitet, und besonders im Umfeld der orthodoxen Kirche halten viele Menschen (einschließlich einiger Bischöfe) sie für wahr. Tatsächlich glauben in den USA nicht mehr Menschen an Verschwörungstheorien als in anderen Ländern, man sieht sie nur besser.

  2. Ich glaube, im kurzen Abschnitt über Orban fehlt die Erwähnung des Namens “Soros”.

  3. “Verschwörungstheorien finden immer dann große Zustimmung, wenn der erklärte Gegner der Gruppe zum Dämonenstereotyp passt, also als hinterhältig, unsichtbar, und allgegenwärtig angesehen wird.”

    Genau, deshalb steckt ja auch Putin höchst persönlich hinter allem Bösen auf der Welt. Er macht fiese Hackerangriffe, dopt Sportler, manipuliert Wahlen, destabilisiert ganze Erdteile und schürt Konflikte.

    Ach nein, das sind ja gar keine Verschwörungstheorien. Das erzählt uns tagtäglich die Qualitätspresse. Verschwörungstheorien wären es nur, wenn man das gleiche über die USA behaupten würde.

    • So ist es. Das Vorbild von oben sollte man nicht unterschätzen, zumindest, was die Häufigkeit und die Verbreitung von V-Theorien angeht.
      Ein umsichtigeres und seriöseres Handeln des Establishments, das nicht selber ständig Dinge in die Welt setzt, die zumindest verwandt sind mit V-Theorien, würde auch zu einem Rückgang der offenen V-Theorien führen.

      • Es lohnt sich vermutlich den Begriff Verschwörungstheorie möglichst eng zu fassen, nämlich so, dass er nur Verschwörungen und Theorien über sie meint.
        Dann gibt’s nicht mehr so viele davon.

        Ansonsten gibt es Meinungen, oft politische, die auch Theorien beinhalten und mehr oder weniger zutreffend oder dies mehr oder weniger nicht sind.

        Diese Begrifflichkeiten der Güteklasse “Fake-News”, “postfaktisch”, “Hate Speech” (wurde lange Zeit primär in den Staaten geübt begrifflich) und “Fakten-Check” (der andere Sicht meint, idR nicht die Wahrheit) sind unscharf und kamen nach Beobachtung des Schreibers dieser Zeilen verstärkt nach dem Wahlsieg von Donald J. Trump in den allgemeinen Nutzen.
        Sie sind, um einmal die bundesdeutsche Mutti zu zitieren, oft wenig hilfreich, ‘Falschmeldungen’ und ‘Hetze’ waren womöglich begrifflich klarer.

        MFG
        Dr. Webbaer (der sich recht viel mit sogenannten Fake-News und sogenannter Hate Speech beschäftigt hat, beobachtend natürlich nur – wobei andere dies anders sehen dürfen)

  4. “Verschwörungstheorien sind keine Angelegenheit der persönlichen Disposition. Sie fallen immer dann auf fruchtbaren Boden, wenn eine Gruppe ihren Gegnern folgende stereotype Eigenschaften zuweist: Mächtig, böse, unsichtbar, allgegenwärtig, verschlagen, intelligent (Dämonenstereotyp).”

    Diese Antwort erscheint mir nun ziemlich tautologisch: Verschwörungstheorien treten dann auf, wenn eine Gruppe ihren Gegnern verschwörungstheorietypische Eigenschaften zuweist. Ja schon, aber: Warum tun die das? Oder anders gefragt, wenn man eher die Situation als die psychische Disposition für maßgeblich hält: Unter welchen Umständen tun die das?

    • Hin udn wieder liest man, Verschwörungstheorien tauchten vor allem in der Moderne auf, jedenfalls seien sie umso häufiger je komplizierter die Gesellschaft strukturiert sei, in der die Verschwörungsgläubigen leben. Grund: In einer komplexeren Gesellschaft erkennt man die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten nicht mehr ohne weiteres. Das eigene Leben hängt in einer fortgeschritteneren Gesellschaft von sehr viel ab, das man selber gar nicht unter Kontrolle hat.
      Doch es gibt auch einige, die dem widersprechen und die glauben, Verschwörungstheorien seien bis mindestens ins Altertum zurückzuverfolgen.

      • Verschwörungsgläubigen

        Es ist unser Herr Dr. Blume, der den wichtigen Unterschied zwischen Verschwörungstheorie und Verschwörungs-Mythos betont, gerne und regelmäßig.
        Was verdammt klug ist, wie Dr. Webbaer findet.
        Verschwörungstheorien sind Theorien, die Verschwörungen meinen, sie sind oft falsch (auch weil Verschwörungen mit vielen Mitwissern oft nicht funktionieren, es gibt selten eine Omertà), aber falsifizierbar.
        Mythen stellen sich unfalsifierbar und Verschwörungs-Mythen sind oft “richtig mies”.

        HTH (“Hope to Help”)
        Dr. Webbaer (der beim Abbügeln von Verschwörungstheorien, diese Versuche meinend, regelmäßig nicht mitgehen kann)

    • Wenn ein Mensch oder eine Gruppe Fehlschläge erlebt, dann kann das Zufall sein, oder heimliche Sabotage bösartiger Gegner. Ein einfaches Beispiel: Stellen Sie sich zwei benachbarte Steinzeitstämme vor, deren Verhältnis von Misstrauen geprägt ist. Man muss zwar miteinander leben, aber man traut dem anderen Stamm durchaus kleinere und größere Gemeinheiten zu. Wenn jetzt in einem Herbst der Jagderfolg ausbleibt, dann kann das Zufall sein. Dagegen könnte man nicht viel unternehmen. Vielleicht hat aber der feindliche Stamm heimlich das Wild weggetrieben. Dann würde man Krieg führen …
      Letztlich geht es darum, Schäden, eigene Versäumnisse, oder ungünstige Entwicklungen auf das Wirken böser Kräfte zurückzuführen. Eigene Versäumnisse sind peinlich, für einen Herrscher vielleicht sogar tötlich. Ungünstige Entwicklungen lassen sich eventuell kaum beeinflussen. Böse Nachbarn aber kann man bekämpfen, und deshalb versprechen sich für Herrscher (oder solche, die es werden wollen) einen Vorteil davon, Misstrauen gegen andere Gruppen, Stämme oder Staaten zu schüren. Dafür sind viele Menschen durchaus empfänglich.

      • @ Herr Dr. Grüter :

        Es gab schon immer Verschwörungstheorien, einerseits, wie Sie schildern, der Opportunität [1] geschuldet, andererseits auch, weil es es in nicht aufklärerischen Gesellschaftssystemen Verschwörungen gab.

        MFG
        Dr. Webbaer

        [1]
        Die Schilderung dessen, was passiert ist, bspw. wenn mal eine Schlacht verlorengegangen ist und / oder andere einfielen, dann gerne auch Barbaren genannt, basierte in vor-aufklärerischer Zeit regelmäßig nicht auf der “Wahrheit”, auf dem möglichst sachnah zu erstellenden Befund, sondern war per se sozusagen Legende, um das Volk einzustimmen, einzuschwören. – Wobei hier wieder die Schwur vorkommt.
        Auch im internationalistischen Kollektivismus, Ostblock und so, gab es keine Wahrheit, sofern nicht die ehemalige sozialistische “Wahrheit” gemeint ist.

  5. Menschen neigen dazu, das momentane Verhalten eines Menschen fälschlicherweise seiner Persönlichkeit zuzuschreiben (Attribution), obwohl es meist viel stärker durch die momentane Situation bedingt ist.

    Deckt sich nicht mit der Lebenserfahrung des Schreibers dieser Zeilen.

    Soros ist nicht ‘liberal’, sondern politisch links stehend; es ist nicht cool hier nicht sauber zu unterscheiden, denn der Liberalismus folgt dem philosophischen Individualismus und die politisch Linken folgen dem philosophischen Kollektivismus.
    Das eine schließt das andere aus.
    (Ob Soros nun persönlich wirklich politisch links steht oder globalistisch ist und Wirtschaftsinteressen folgend “nur” agitiert, als Geschäftsmodell, frei von eigener Überzeugung womöglich, vermag der Schreiber dieser Zeilen nicht festzustellen. – Hoffentlich lag so noch keine Verschwörungstheorie vor!)

    Die aktuelle Immigrationskrise, die auf antiselektiver Einwanderung beruht, wird in einigen osteuropäischen Ländern übrigens oft so verstanden, dass bei einer schrumpfenden Bevölkerung, weil die Fertilität seit zwei Generation unzureichend ist, die Fertilitätskennziffer bei ca. 1,4 zu liegen kommt, unbedingt neue Bevölkerung geschaffen werden muss, aus wirtschaftlichen Gründen, weil ansonsten Werte in Gefahr gerieten, die in Billionenhöhe Euro zu bemessen sind, beim Immobilienmarkt, der jetzt brummt, kann dies womöglich sofort nachvollzogen werden, wenn sich vorgestellt wird, wenn Immobilienwerte an Wert verlieren, weil die Bevölkerung schrumpft.
    Zudem brummt auch die bundesdeutsche Sozialindustrie und auch die bundesdeutschen zwei großen Kirchen als größte Arbeitgeber der BRD, jeweils 500.000 (!) Arbeitsstellen, werden so happy.
    Der Niedriglohnsektor des Arbeitsmarktes wird ebenfalls gut bedient, auch um Druck von der Höhe des Mindestlohns zu nehmen.
    (Hoffentlich lag so noch keine Verschwörungstheorie vor! – Und so zumindest ist die Analyse von ‘populistischen Politiker wie Viktor Orban’ (Zitat, Artikeltext) oder auch bspw. von Václav Klaus im “Osten” Europas.)

    MFG
    Dr. Webbaer

  6. »Verschwörungstheorien sind keine Angelegenheit der persönlichen Disposition. Sie fallen immer dann auf fruchtbaren Boden, wenn eine Gruppe ihren Gegnern folgende stereotype Eigenschaften zuweist…«

    Der „fruchtbare Boden“, mir scheint, eben das ist die „persönliche Disposition“. Die sich wohl auch ändern kann.

    • Misstrauen gegen andere Gruppen gehört zum normalen menschlichen Verhalten. Nach einer derzeit von vielen Sozialpsychologen akzeptierten Theorie neigen Menschen zu einer sehr vertrauensvollen Zusammenarbeit innerhalb ihrer Gruppe bei gleichzeitigem Misstrauen gegen andere Gruppen. Ich hatte das in dem Blogbeitrag Sozialpsychologie des Fremdenhasses im Oktober 2015 ausführlich beschrieben. Wenn Hinterhältigkeit zum Stereotyp der Gegner gehört, gewinnen Verschwörungstheorien sehr schnell allgemeine Glaubwürdigkeit. Das legt sich eigentlich nur dann, wenn man mit Menschen aus der anderen Gruppe intensiven Kontakt hat und am besten mit ihnen zusammengearbeitet hat.

      • @ Herr Dr. Grüter :

        Wenn Hinterhältigkeit zum Stereotyp der Gegner gehört, gewinnen Verschwörungstheorien sehr schnell allgemeine Glaubwürdigkeit. Das legt sich eigentlich nur dann, wenn man mit Menschen aus der anderen Gruppe intensiven Kontakt hat und am besten mit ihnen zusammengearbeitet hat.

        Es sei denn, die gegnerische Gruppe ist realiter das ‘Stereotyp’ meinend ‘hinterhältig’.
        Dann ‘legt sich’ womöglich nichts.
        Oder wird diese Möglichkeit sozialpsychologisch apriorisch ausgeschlossen?

        Vermutlich nicht.
        Vermutlich darf es auch sozialpsychologisch Gruppen geben, bei denen ‘sich’, wie gemeint, gar nichts ‘legt’,


        Stichwort :
        Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

        -> https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit

        An sich ein wichtiger Punkt, ein zu bearbeitender Topos, anderseits ist es schon so, dass die wertvolle Arbeit aus Bielefeld (gibt es wirklich) irgendwie international keinen Rückhall gefunden hat.
        Schade eigentlich, womöglich ist nicht optimal theoretisiert worden.


        Was halten Sie von der möglichen Rekursion, werter Herr Dr. Grüter, und diese Meinung interessiert Dr. Webbaer stark, nämlich dass ungünstige Theoretisierung anderer (Gruppen), die mit ungünstigen Stereotypen hantieren, wiederum ungünstige Stereotypisierung derselben bedeuten kann, wenn die sie nicht trifft?

        MFG
        Dr. Webbaer

        • Was halten Sie von der möglichen Rekursion, werter Herr Dr. Grüter, und diese Meinung interessiert Dr. Webbaer stark, nämlich dass ungünstige Theoretisierung anderer (Gruppen), die mit ungünstigen Stereotypen hantieren, wiederum ungünstige Stereotypisierung derselben bedeuten kann, wenn die sie nicht trifft?

          Ich muss zugeben, dass ich die Frage nicht ganz verstanden habe. Ist gemeint, dass eine Gruppe, die sich von einer Fremdgruppe angefeindet sieht, im Gegenzug ihre Meinung von der Fremdgruppe zum Schlechteren verändert? Wenn das die Frage sein sollte: Ja, das kommt natürlich vor.

          • Vielen Dank, Herr Dr. Grüter, Sie sind ja nett und kompetitiv :
            Zitat (und der Schreiber dieser Zeilen, für Sie auch gerne “Schreibär”, beste Grüße an dieser Stelle auch an die werte Gattin, wird an dieser Stelle punktgenau erklären, eine gewisse Konfusion war intendiert) :

            Was halten Sie von der möglichen Rekursion, werter Herr Dr. Grüter, und diese Meinung interessiert Dr. Webbaer stark, nämlich dass ungünstige Theoretisierung anderer (Gruppen), die mit ungünstigen Stereotypen hantieren, wiederum ungünstige Stereotypisierung derselben bedeuten kann, wenn die sie nicht trifft?

            Also, in concreto, und bildlich herausgestellt, Sie haben es mit einer Gruppe zu tun, die ungünstig mit Stereotypen arbeitet, Sie haben nun zwei Möglichkeiten: 1.) Sie bearbeiten diese Stereotypisierung korrekt oder angemessen (bei Ihnen trüge Dr. W hier keine, kaum Zweifel) oder 2.) Sie “versacken” es, treffen den Punkt nicht, so dass auf einmal auf Ihrer Seite ungünstige Stereotypisierung und gar gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit entstehen oder zumindest zitierbar werden würde.


            Insofern ist bspw. Dr. W sehr vorsichtig A) zu psychologieren B) gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit festzustellen (derart festzustellen greift den womöglich auch bösen Menschen stark an) und C) generell versuchend i.p. Meinungsunterschiedlichkeit auszukommen, nicht sozusagen aufzubrezeln.

            Wichtig bleibt die Rekursion, wer anklagt und urteilt, stellt sich rekursiv dem folgenden Verfahren.

            MFG
            Dr. Webbaer

      • “Das legt sich eigentlich nur dann, wenn man mit Menschen aus der anderen Gruppe intensiven Kontakt hat und am besten mit ihnen zusammengearbeitet hat.”

        Und dann schlägt die Kontaktschuld zu. Wie kann man nur mit so einem “Verschwörungstheoretiker” reden? Das sind doch alles Rechte und oder Putin-Trolle. Ist man am Ende selbst einer? Vernünftige Menschen machen so etwas ja nicht. Wütende Briefe werden an Veranstalter geschrieben, solchen “Verschwörungstheoretikern” bloß keine Bühne zu geben. Jeder ist aufgefordert, sich größtmöglich zu distanzieren.

  7. Viele glauben wohl an eine Verschwörungstheorie im Wissen dass es eine Theorie und ziemlich sicher falsch ist. Die Verschwörungstheorie drückt dann die gefühlte Wahrheit aus. Die gefühlte Wahrheit, ein Begriff der in der letzten Zeit im Zusammenhang mit Fake News und dem Wahrheitsbegriff eines Donald Trump aktuell wurde, doch der wohl eine anthropologische Konstante ist und historisch an unzähligen Stellen auftaucht.
    Beispiel: Wenn Adolf Hitler den Einmarsch in Polen mit “es wird zurückgeschossen” kommentierte, so wussten wohl fast alle Deutsche, dass das eine Lüge war, dass also Deutschland Polen angriff und sich nicht etwa gegen einen polnischen Angriff schützte. Trotzdem waren wohl viele bereit das zu glauben. Es war schon damals für viele die gefühlte Wahrheit.
    Solche Dinge wie die Lüge, die aber die gefühlte Wahrheit ist, bleiben meiner Meinung aber fast immer im Hintergrund, quasi im Unterbewusstsein. Es ist so, als müsste sich der Mensch vor der realen Wahrheit durch vorgespieltes Unwissen und eine gefühlte Wahrheit schützen.

    • @ Herr Holzherr :

      Es gibt keine ‘gefühlte Wahrheit’, es macht keinen Sinn derart begrifflich zu konstruieren.
      Dr. W kennt Zeitzeugen, die in Beuthen, in der Nähe von Gleiwitz lebten, und die wussten ganz genau, dass gelogen wird.
      Allerdings hatten sie mit dieser Lüge keine besonderen Probleme, denn das Verhalten Polens seit dem Versailler Friedensvertrag, auch die Person Józef Piłsudski meinend, wurde als aggressiv eingeschätzt und war es auch.

      Was Sie womöglich mit der “gefühlten Wahrheit” meinen, ist die Intention.
      Sie kann im von Herrn Dr. Grüter dankenswerterweise bereit gestellten Zusammenhang nicht bearbeitet werden.

      MFG
      Dr. Webbaer

  8. Die Neigung zu VTs könnte ein angeborenes evolutionäres Merkmal sein. Immerhin lebte der Homo Sapiens (und seine Vorfahren) die längste Zeit in kleinen konkurrierenden Gruppen und Clans. Da macht es wohl durchaus Sinn misstrauisch zu sein. Verwandte zur VT Begriffe sind Betrug und Intrige. Beide sind vermutlich wesentlich älter als das Gegenmittel: Analytisches Denken und Logik.

    • Verschwörungstheorien im modernen Sinn gibt es wohl bei Stammesgemeinschaften kaum, denn das ist ja gerade der Unterschied: Feindliche Stämme/Gruppen sind in Stammesgemeinschaften bekannt und das Misstrauen bezieht sich auf reale Menschen. In der modernen Gesellschaft dagegen gibt es Verschwörungstheorien gegenüber als anonym empfundenen Gruppen, so werden beispielsweise die Juden einer Weltverschwörung verdächtigt gerade auch von Menschen, die in ihrem Umfeld gar keine Juden kennen. Das entspricht der Situation in der modernen Gesellschaft in der das Leben von Dingen, Organisationen und Administrationen abhängt, die man im Grunde gar nicht kennt. Wenn beispielsweise das Baugesuch eines Bürgers abgelehnt wird, dann kann er nicht genau wissen warum das der Fall ist und er kann vermuten, dass die Administration von einer Gruppe von Menschen gelenkt wird, die eine Agenda besitzen, welche sich unter anderem gegen ihn richtet.

      • Auch unter steinzeitlichen Stämmen mag es vorgekommen sein, dass man sich gegenseitig kaum kannte. Verschwörungstheorien gegen Juden sind schon seit der Antike bekannt. Aber genau genommen muss man die sehr komplexen Gesellschaften in Rom oder in Griechenland ab ca. 400 v. Chr. schon zu den modernen Gesellschaften rechnen.

      • Feindliche Stämme/Gruppen sind in Stammesgemeinschaften bekannt und das Misstrauen bezieht sich auf reale Menschen. In der modernen Gesellschaft dagegen gibt es Verschwörungstheorien gegenüber als anonym empfundenen Gruppen,

        Das ist genau mein Punkt. Das (angeborene) Misstrauen gegen reale Menschen: Nachbarn oder rivalisierende Gruppen in einer überschaubaren Welt macht durchaus Sinn. In einer zunehmend größeren, unüberschaubaren Welt greift es ins Leere. Falls das Mistrauen ein natürliches, durch die Evolution in den Instinkten verankerte Emotion ist, so dominiert sie so lange bis sie von Vernunft und Logik richtig eingeordnet wird. Das kostet Energie.

    • Die Angst vor dem Fremden (das keine Personen meinen muss) müsste angeboren sein, findet sich bei Kindern, vielleicht generell bei Menschen, und Tieren.
      Es ist dann die Ratio oder die (kooperativ positive) Erfahrung, die diese abbauen hilft.
      Die Xenophobie macht in diesem Sinne evolutionär perfekt Sinn, die heute gegensätzlich vertretene Xenophilie dagegen nicht, sie scheint dem Schreiber dieser Zeilen zudem auch sozusagen postreligiös angeleitet zu sein.

      Die Verschwörungstheorie meint aber eher die Verschwörung (sehr weit gefasster) Eigener, denen zu misstrauen sei, wie teils ganz wild, unbelegt behauptet wird.
      Auch um das Eigene zu diversifizieren, in Freund (den zu liebenden) und Feind (den zu hassenden), idR ungünstigerweise.


      Xenophobie meint ja die Angst vor dem Fremden (das keine Personen meinen muss), nicht den Hass auf es.
      Nein, geworben werden soll hier für die Xenophobie nicht, lol, abär gewarnt werden vor den Xenophilie.

      MFG
      Dr. Webbaer

  9. @Ralph // 21. September 2017 @ 02:00

    »Die Neigung zu VTs könnte ein angeborenes evolutionäres Merkmal sein.«

    Wenn diese Neigung in den Genen verankert wäre, dann müsste auch die gegenteilige Neigung dort verankert sein.

    Das gilt auch für die vermeintlich angeborene Angst vor Fremden: Wäre sie biologisch bedingt, dann auch das Gegenteil davon, denn das gibt es nachweislich auch. Es gibt Menschen die begegnen fremden Menschen offen, freundlich, vertrauensvoll, neugierig, …

    • @Balanus. Ja, ein interessanter Gedanke.
      Und beides macht dann wohl im Genpool Sinn, um sich als Gruppe oder als Art variablen Umständen anpassen zu können.

      • @ralph

        »Und beides macht dann wohl im Genpool Sinn, … «

        Meine Vermutung ist, dass wir es hier nicht mit angeborenen, sondern primär mit erworbenen Verhaltensweisen zu tun haben. Evolutionspsychologische Erklärungen sind ja generell mit Vorsicht zu genießen. Im Falle der Fremdenfurcht scheint es mir vor allem darum zu gehen, fremdenfeindliches Verhalten zu entschuldigen.

        • Meine Vermutung ist, dass wir es hier nicht mit angeborenen, sondern primär mit erworbenen Verhaltensweisen zu tun haben.

          Da hatte ich nach pädagogisch einfühlsamen Hinweis schon vermutet:-)
          Es ist selbstverständlich immer eine Kombination aus beidem. Nach meinem Bauchgefühl und all dem, was ich über die Jahre so gelesen und erfahren habe habe und wird bei Charaktereigenschaften die angeborene Komponente grundsätzlich eher unterschätzt. Das ging mir lange Zeit genauso. Bis ich Studien über Zwillingsforschung und die Entwicklung von Adoptivkindern in unterschiedlichen Umfeldern zu lesen bekam. Vieles davon traf mich wie ein Dampfhammer.

          • @ralph

            » … die angeborene Komponente … Zwillingsforschung …«

            Nie würde ich die Macht der Gene in Zweifel ziehen, aber auch Zwillingsstudien sind mit Vorsicht zu genießen. Bei der genetischen Ausstattung ist zu unterscheiden, was unverrückbar aus der Evolutionsgeschichte stammt und nun mal nicht zu ändern ist, und was sich beim Individuum durch Rekombinationen so ergibt und was dann letztlich zu der beobachteten Variabilität menschlicher Charaktermerkmale führt.

    • Das gilt auch für die vermeintlich angeborene Angst vor Fremden: Wäre sie biologisch bedingt, dann auch das Gegenteil davon, denn das gibt es nachweislich auch. Es gibt Menschen die begegnen fremden Menschen offen, freundlich, vertrauensvoll, neugierig, …

      ‘Wäre die Angst’ vor dem Tod ‘biologisch bedingt’, gäbe es ‘dann auch das Gegenteil davon, denn das gibt es nachweislich auch’.

      Vertrauen (das Fachwort an dieser Stelle) ist eine Art Währung, die sich erworben werden muss.

      Dieses Entgegenkommen, das eine rhetorisch minderbemittelte bundesdeutsche Dame aktuell zeigt, macht insofern Sinn, dass sie keine Kinder hat, ihr Amt aber liebt und auf ein Staatsvolk stößt, …,
      dem es wohl insgesamt an anthropologischer Kenntnis fehlt, die Menschengeschichte meinend, jenes Aggressionsverhalten bspw. das angeblich aus Sicht einiger mittlerweile zu Doitschland gehört.

      Those who cannot remember the past are condemned to repeat it. [George Santayana]

      Mensch und Tier sind insofern von Natur aus defensiv angelegt, ihre Gene sind sozusagen defensiv angelegt, im Sinne der Anpassung, die Welt war lange Zeit kein Spaß-Raum (und ist sie bei näherer Betrachtung auch heute nicht).

      Beim fröhlichen Zukommen auf Unbekannte gibt es immer mehr zu verlieren als zu gewinnen.

      MFG
      Dr. Webbaer

  10. Ein wenig holprig – finde ich..
    In wie weit entsprechen “russische Hacker” nicht dem Dämonisierungstyp?
    Ebenso wie “Trump” – dem ja durchaus zahlreiche Machenschaften nachgesagt wurden und werden… Er liefert nur offen derart viel Gesprächsstoff, dass die Verschwörungstheorien nicht so ins Gewicht fallen. (Würde dies auch als einen seiner Marketingstrategien sehen – offen genug Aufreger liefern, um eben als “offen und ehrlich” zu gelten)
    Was “Dieselgate” angeht – so sag ich natürlich, dass ich das schon immer gesagt hab… “Prüflauferkennungssoftware” hab ich 2000 im Studium gelernt, und glaub jetzt nicht, dass das auf Dieselfahrzeuge von VW beschränkt ist.
    Die Theorien über Industrielle Verschwörungen, auch in Zusammenhang mit der Politik, sind zahlreich, und immer wieder bewahrheiten sich einzelne Theorien..

    “Verschwörungstheorien sind keine Angelegenheit der persönlichen Disposition. Sie fallen immer dann auf fruchtbaren Boden, wenn eine Gruppe ihren Gegnern folgende stereotype Eigenschaften zuweist: Mächtig, böse, unsichtbar, allgegenwärtig, verschlagen, intelligent (Dämonenstereotyp). ”
    Nun – Diese Stereotype Darstellungsweise findet sich nun irgendwie überall, genaugenommen auch bei der Betrachtung von Verschwörungstheorien, die von finsteren Mächten ersonnen werden, die aus dem Verborgenen die Menschen kontrollieren wollen, und vor denen die Aufklärer retten wollen..
    Denn eines ist auch wieder allen Verschwörungstheorien gemein: Die Annahme, die meisten Menschen seien “dumme Schafe” die dem verschlagenen Feind nur aus Dummheit hinterherlaufen würden..
    Ist ja auch ganz wichtig für die Funktion der Verschwörungstheorien – denn der Ausweg ist es die “Schafe” aufzuklären, und sie den bösen Mächten zu entreißen, die sie in ihren Bann geschlagen haben..
    Hierbei sehen sich die Aufklärer den Repressionen der Verschwörer ausgesetzt, die das Verhindern wollen.

    Ich für meinen Teil werde bei “Die Wahrheit über…” oder ähnlich lautenden Einleitungen schnell hellhörig – ganz gleich wer wieder glaubt über “Die Wahrheit” zu verfügen..

    • Denn eines ist auch wieder allen Verschwörungstheorien gemein: Die Annahme, die meisten Menschen seien “dumme Schafe” die dem verschlagenen Feind nur aus Dummheit hinterherlaufen würden.

      Janz jenau.

      Und die Annahme von Aufklärern von Verschwörungstheorien ist, dass sie diese Menschen, die ‘dumme Schafe’ seien, als solche wiederum von diesen Verschwörungstheorien abhalten könnten, durch geeignete Aufklärung.

      Aus dieser Rekursion kann nur dann herausgekommen werden, wenn -einen gewissen Zivilisationsgrad annehmend- der Mensch, auch der einfache, per se nicht als ‘dummes Schaf’ begriffen wird.

      Zugegebenermaßen funktioniert dies manchmal nicht, bei zeitgenössisch aufklärerischen Gesellschaftssystemen darf aber davon ausgegangen werden, dass der o.g. “Zivilisationsgrad” oft ausreichend ist, um die Dumme-Schaaf-Prämisse ablehnen zu können.

      So dass anderweitig gesucht bis gefunden werden kann, wenn dem Anschein nach abwegige Sicht (“Verschwörungstheorie” bspw.) vorliegt, nämlich das Argument oder Streitgespräch.
      Die meisten sind ja schon erreichbar, Dr. Webbaer bspw. amüsiert sich bspw. nicht nur über “Fakten-Checker” oder allgemein formuliert : über “Checker”, sondern auch über Verschwörungstheoretiker, die weitgehend unbegründet auf ihren Sichten beharren.
      Auch denen wird manchmal unwohl, wenn Dr. W zulangt.

      MFG
      Dr. Webbaer