Urheber, Rechte und das Internet, zweiter Teil

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die Psychologie irrationalen Denkens
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Seit meinem letzten Beitrag zum Thema Copyright ist der Schlagabtausch zwischen Autoren und Redakteuren auf der einen Seite und Vertreter der Internet-Community auf der anderen Seite unverändert weitergegangen.

Die Seite der Internet-Aktivisten habe ich schon darstellt, deshalb hier eine kritische Betrachtung der anderen Seite.

 

2. Die Urheber und Verwerter

Nach deutschem Recht ist das Urheberrecht personengebunden, es lässt sich nicht übertragen. Der Urheber kann lediglich die Nutzungs- und Verwertungsrechte an andere weitergeben, wobei eine angemessene Bezahlung vorgeschrieben ist.

Das deutsche und europäische Urheberrecht lässt nur wenig zu wünschen übrig, es ist aber immer schwerer durchzusetzen. Durch Internettauschbörsen sind aktuelle Musikstücke und Filme sofort überall kostenlos verfügbar. Alle Zeitungen und Zeitschriften fühlen sich verpflichtet, ihre Nachrichten im Internet kostenlos anzubieten, und Bücher bewegen sich als E-Books ebenfalls kostenlos durchs Netz. Mein Buch „Klüger als wir?“ war binnen weniger Tage nach Erscheinen bei einem Filehoster abzurufen.

Die Verkaufszahlen von Musik-CDs gehen seit Jahren zurück, ebenso die Auflagen von Zeitungen und Magazinen. Die Internet-Ableger der Zeitungen sind fast immer kostenlos und bringen kein Geld ein. In den USA ist die Entwicklung dramatisch, wie die Website www.newspaperdeathwatch.com dokumentiert. Die Zeitungsverlage und Buchautoren sehen mit Sorge die Zunahme der E-Books. Allenthalben wird gespart. Ein Lektor sagte mir vor Kurzem, dass amerikanische Verlage sich teilweise das Lektorat ganz sparen und die Manuskripte von Buchautoren unmittelbar in den Satz geben.

Angesichts der angespannten Situation sind die Autoren und Künstler natürlich nicht begeistert, wenn die Piratenpartei „das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von Werken nicht nur legalisieren, sondern ausdrücklich fördern“ will. Ihr Ziel ist es „die Verfügbarkeit von Informationen, Wissen und Kultur“ zu verbessern. Die Stimmung bei den Autoren besserte sich auch nicht gerade, als einige der Protagonisten grundsätzlich bezweifelten, ob so etwas wie geistiges Eigentum existiert und ob Künstler nicht verpflichtet seien, ihre Werke der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Schließlich sind wir eine Informationsgesellschaft. Der Zusatz, dass natürlich niemand die Künstler daran hindern wolle, mit ihren Schöpfungen trotzdem Geld zu verdienen, klingt vielen wie Hohn.

Das Problem ist übrigens keineswegs neu. Der englische Schriftsteller Charles Dickens ärgerte sich heftig darüber, dass seine Bücher in den USA verkauft wurden, ohne dass er Geld dafür erhielt. Die USA hatten seit 1790 ein Copyrightgesetz (korrigiert auf Hinweis von Dierk Haasis). Es schützte Autoren von “books, maps and charts” . Es galt allerdings nur für Amerikaner, ausländische Autoren wie Dickens konnten daraus keine Rechte geltend machen. 

Nun war Dickens in den USA durchaus bekannt, er erhielt viele Einladungen und große Mengen Post von amerikanischen Lesern. Im Jahr 1842 entschloss er sich, in USA zu reisen, nicht zuletzt in der Hoffnung, man werde ihm in Zukunft einen angemessenen Anteil an den Bucherlösen zahlen. Seine Fans bereitete ihm einen königlichen Empfang, und er wurde von einer Festivität zu nächsten weitergereicht. Das endete aber schlagartig, als er deutlich darauf hinwies, dass Autoren ein Honorar zustand. Zeitungsjournalisten bezeichneten ihn plötzlich als Zeilenschinder, man verbat sich seine Einmischung und er bekam Drohbriefe.

Dieses Erlebnis trübte seinen ohnehin schlechten Eindruck von den USA. Sein Buch „Aufzeichnungen aus Amerika“ geriet zur Abrechnung mit einem unzivilisierten Land, in dem viele arme Menschen im tiefsten Elend lebten und das die Sklaverei ausdrücklich guthieß.

Der englische Titel des Buchs lautete: „American notes for free distribution“. Das ist eine vielfache Anspielung, weil „Notes“ sowohl „Notizen“ als auch „Banknoten“ heißen konnte. Ursprünglich wollte Dickens noch ergänzen: „… und zwar vorwiegend in den Teilen der Welt, wo sie gestohlen und gefälscht werden“. Er wünschte seinem Buch also eine möglichst weite Verbreitung in Amerika. Wenn er schon kein Honorar von dort bekam, dann sollten die abtrünnigen Kolonisten wenigsten lesen, was er von ihnen hielt.

 

Zusammenfassung

Was mich an der Debatte ärgert, ist die mangelnde Ehrlichkeit beider Seiten. Das Zeitungssterben hat bereits vor dem Internetzeitalter eingesetzt und wurde damals dem Fernsehen angelastet. Die Debatte um kostenlose Kopien kenne ich aus der Zeit, als die Compact Cassetten eingeführt wurden. Damals hieß es auch schon, dass die Musikindustrie in ihrer Existenz bedroht sei.

Die meisten Autoren, die für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten arbeiten, geben nur hinter vorgehaltener Hand zu verstehen, dass die Anstalten viel zu viele Fernseh- und Rundfunkkanäle unterhalten. Es sind – nach meiner Zählung – derzeit mindestens 15 Fernsehkanäle mit Vollprogramm und 66 Rundfunkkanäle. Jeder dieser Kanäle braucht eine eigene, kostenintesive Infrastruktur. Und natürlich zahlen ARD und ZDF Unsummen für die Übertragungsrechte an Sportereignissen. Gespart wird dagegen bei den Honoraren der freien Mitarbeiter. Weil die meisten davon bereits seit Jahren oder Jahrzehnten ausschließlich von den Aufträgen öffentlich-rechtlicher Rundfunk- und Fernsehsender leben und kaum eine Alternative haben, können die Sender Kürzungen relativ leicht durchsetzen. In den letzten Jahren hatte ich Gelegenheit, mit vielen freien Autoren zu reden, und sie alle sind sich in diesem Punkt einig. Öffentliche Kritik kommt kaum auf, weil die Mehrzahl der betroffenen Journalisten zu viel Angst von den „Provinzfürsten“ der ARD-Sender hat. Auch hier ist das Internet also nicht schuld an der schwierigen Lage der Autoren.

Auf der anderen Seite geht es den Internet-Aktivisten in allererster Linie um das straffreie Kopieren über Tauschbörsen. Freier Zugang zu Kulturgütern, freie Information und andere hehre Ziele sind nachrangig, die meistkopierten Dateien betreffen ausschließlich den Bereich der Unterhaltung. Vor einiger Zeit habe ich mal ganz naiv gefragt, warum die meisten Computernutzer unbedingt Festplatten von mindestens 500 GB oder mehr brauchen. Ich habe meine sämtlichen Recherchen für Artikel, Bücher und wissenschaftliche Papers auf weniger als 6 GB untergebracht, und nutze insgesamt weniger als 40 GB.

Das war wirklich eine dumme Frage! Ein Film braucht mindestens 0,5 bis 1 GB, wenn man ihn downloadet, wurde mir erklärt. Und man weiß schließlich nie, was man sich gerade ansehen will und was wie schnell verfügbar ist, oder? Also empfiehlt es sich, einen großen Vorrat auf der Platte zu halten.

Es fällt auch auf, dass niemand davon redet, Computerspiele, Programme oder Apps im Internet zwangsweise kostenlos zugänglich zu machen. Das wäre in der Piratenpartei kaum mehrheitsfähig, denn dort weiß jeder, dass die Produktion guter Computerspiele mehrstellige Millionenbeträge kostet und es bald keine mehr gäbe, wenn sie kostenlos und ohne DRM verbreitet werden müssten. Mit Programmen und Apps verdienen viele Piraten ihren Lebensunterhalt. Wenn sie kostenlos tauschbar sein müssten, würden viele der kleinen Softwareunternehmen schließen müssen. Der Zusatz, dass nur die „nicht kommerzielle“ Verbreitung kostenlos sein soll, ist offenbar auch weit auslegbar. Bei einem Streitgespräch in der aktuellen Printausgabe des Spiegel zwischen dem Rap-Musiker Jan Delay und dem Piratenpartei-Vertreter Christopher Lauer nannte Lauer Pirate Bay als Beispiel für eine nichtkommerzielle Tauschbörse. Delay musste zweimal nachfragen, wie sich die Bannerwerbung auf Pirate Bay damit verträgt. Einzige Antwort von Lauer: „Gut. Jetzt hast du mich“.

Auch die gönnerhafte Attitüde, mit der die Piratenpartei die Kulturschaffenden aus der Sklaverei der Verwerter befreien will, mutet sehr seltsam an. Die Kulturschaffenden merken angeblich gar nicht, dass sie ausgenutzt werden, also muss man ihnen das richtige Bewusstsein erst beibringen.

Wenn die Beteiligten weiterhin auf diese Art aneinander vorbei reden, wird kein ehrlicher Dialog zustande kommen. Beim bisherigen Stand der Debatte sehe ich für eine Einigung deshalb ziemlich schwarz.

 

Literatur

Charles Dickens: Aufzeichnungen aus Amerika. Edition Erdmann im Thiemeverlag, Stuttgart und Wien, pp 7-37.

 

P.S.: Nach den Kommentaren habe ich den Eindruck, als wären sich einige Leser nicht sicher, ob die Zukunftsvision aus dem letzten Blogbeitrag nun positiv oder negativ sein soll. Deshalb noch mal die Frage: Empfinden Sie/empfindet ihr das eher als Drohung oder als Versprechen?

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Veröffentlicht von

www.thomasgrueter.de

Thomas Grüter ist Arzt, Wissenschaftler und Wissenschaftsautor. Er lebt und arbeitet in Münster.

5 Kommentare

  1. Verlogenheit des Establishments

    Mich ekelt die Verlogenheit an, mit der das musikalische Establishment, bisherige Verwertungsmöglichkeiten verteidigt.
    Es wird gegen eine Änderung des Urheberrechts argumentiert, weil man den Musikern eine Möglichkeit geben will von seiner Arbeit zu leben. Defacto ist es aber so, dass ein verschwindend geringer Teil der Musiker überhaupt von den zu verteidigenden Verwertungsmöglichkeiten leben kann. Es ist einfach verlogen zu behaupten man würde Musiker der Existenzgrundlage berauben, weil sowieso kaum ein Musiker von seinen Plattenverkäufen lebt.

  2. Ich sehe eher die Fragestellung eher in der Rolle, die der Staat im Interessenausgleich zwischen Erzeugern und Konsumenten von Informationen oder Wissen wahrnehmen soll.
    Der Staat sollte nach meiner Einschätzung nur den kommerziellen Vertrieb oder Nutzung von Informationen regeln. Es ist nicht verhältnismäßig durch eine Polizei- und Überwachungsstaat den privaten Umgang mit Dateien zu kontrollieren oder zu gängeln.
    Es ist dort Aufgabe der Erzeuger Geschäftsmodelle zu entwickeln, die ohne Überwachung von Datenverkehr, Post oder Internet auskommen. Die Spieleindustrie hat das Kopierproblem doch auch in den Griff bekommen. Auch bei E-Books und Musik ließe sich das Problem z.B. über das Anbieten von Flatrates lösen.

  3. Gier als Lebenswert

    Verlogenheit, so ist es. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in einen Land und in einer Generation, die bereit ist, für ein Smartphone 800 Euro auszugeben, zusätzliche monatliche Kosten nicht mitgerechnet, das in einem Land, in dem jede größere Stadt Mediatheken betreibt, in der vom Buch bis zum Computerspiel alles ausleihbar ist, die Kultur es notwendig hat, umsonst zu sein. Während munter auf die Verwerter eingedroschen wird, die Gefährdung tausender Arbeitsplätze mit einer lapidaren Bemerkung (“wenn man Lektoren und Hersteller noch braucht, wird man sie irgendwie weiterbeschäftigen”) abgetan wird, endet die Umsonst-Mentalität bei den Piraten selbst: da werden dann schon mal händisch Abmahnungen verschickt, wenn ohne Nachfrage auf den eigenen Beitrag verlinkt wurde.
    Es ist auch insofern eine verfehlte Diskussion, weil natürlich Musik oder Filmeund Bücher bzw. Zeitschriften eine völlig anderes Rezeptionsverhalten erfordern, schon weil letzeres zu konsumieren mehr Zeit erfordert. Tausende “Songs” auf der Festplatte mögen noch irgendwann gehört werden, aber tausende Bücher? Und man mag durchaus bereit sein, nach dem zehnten Anhören für ein geklautes Lied doch noch Geld auszugeben – aber wer kauft sich ein Buch, eine Zeitung, die er schon einmal gelesen hat? Das sind doch Dinge, die so nicht vergleichbar sind.
    Klar, ein paar alte Zöpfe im Urheberrecht gehören auch abgeschnitten – etwa die Siebzigjahresfrist nach dem Tod des Urhebers verkürzt, in denen Werke gemeinfrei werden, auch den Abmahnanwälten und -firmen muss ein Riegel vorgeschoben werden – aber daraus leitet sich wohl kaum ein Recht darauf ab, Freizeitmedien umsonst, in beliebiger Menge und jederzeit zu bekommen. Diese Einstellung zeigt letztlich nicht nur eine Missachtung des Werts der Werke, sondern spiegelt auch das wieder, was den immer wieder auftauchenden Begriff der “Generation Gier” so treffend macht: die von Kindesbeinen bestehende Gewohnheit, alles zur Verfügung zu haben, umsonst und ohne Mühe, weil es sonst ungerecht, unsozial oder unpädgogisch ist oder – noch schrecklicher, diskriminierend und nicht gleichgestellt. Das muss zwangsläufig in der Erwachsenenphase in ein Weltbild führen, in dem Gier zum Grundrecht wird – und in einer Partei wie den Piraten ihr politisches Sprachrohr findet

  4. US Copyright

    Zu Dickens Zeiten gab es nicht nur ein Urheberrechtsgesetz in den USA, es war bereits einmal überarbeitet worden, um die Schutzfrist zu verlängern. 1790 wurde es geschaffen – mit 14 Jahren Ursprungsfrist plus der Möglichkeit um 14 Jahre zu verlängern – und 1831 überarbeitet [Ursprungsfrist jetzt 28 Jahre, Verlängerung blieb].

    Anders als heute war aber eine Anmeldung wie bei Patenten notwendig; auch heute melden viele Urheber in den USA ihren Anspruch noch an, weil sie damit vor Gericht bessere Chancen auf höheren Schadenersatz haben, sollte es zu Verletzungen des Copyrights kommen. Dickens war es aus GB gewohnt, dass der Autor volles Recht hatte, ohne sich groß darum kümmern zu müssen.

    Ich empfehle übrigens, sich mal ein wenig mit dem Statute of Anne und dessen Geschichte zu beschäftigen. Höchst interessant für die heutige Debatte.

  5. @Dierk

    Erst mal vielen Dank für den Hinweis auf den Copyright Act von 1790. Ich habe den Beitrag entsprechend korrigiert. Allerdings konnten nur Amerikaner Rechte daraus beanspruchen, ausländische Autoren genossen keinen Schutz. Nachzulesen im Artikel Copyright Act of 1790 der englischen Wikipedia.