In 10 Jahren: Eine Spekulation

BLOG: Gedankenwerkstatt

die Psychologie irrationalen Denkens
Gedankenwerkstatt

Beim Scilogs-Blogger-Treffen am 28. und 29. März in Deidesheim hatte Joachim Müller-Jung, Leiter des Wissenschaftsressorts der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, über die Frage referiert, ob Blogs von Wissenschaftlern eine Konkurrenz für Wissenschaftsjournalisten sein können und sogar ihre wirtschaftliche Existenz gefährden, denn die Blogs werden in aller Regel nicht bezahlt und ihre Qualität wird nicht kontrolliert. Wissenschaftler-Blogs sind in Deutschland eine relativ neue Erscheinung und zur Zeit keine Konkurrenz für ausgebildete Journalisten. Wie könnte es aber in 10 Jahren aussehen? Ich möchte in dem Beitrag einmal eine Vorhersage wagen.

Wenn Wissenschaftlerblogs eine Randerscheinung bleiben, erübrigt sich die Projektion in die Zukunft. Was geschieht aber, wenn sie an Einfluss und Leserschaft gewinnen? Dann werden sie vermutlich stärker in den „offiziellen“ Wissenschaftsbetrieb einbezogen. Derzeit wissen die meisten Institutsleiter mit dem Begriff des Blogs wenig anzufangen, in zehn Jahren aber wird das sicherlich anders sein. Viele Institute werden eigene Blogs aufmachen. Der Direktor wird einen Mitarbeiter mit dem Schreiben der Texte beauftragen und sie vor der Veröffentlichung prüfen und verändern, damit sie nicht von der offizielle Linie des Hauses abweichen. Jüngere Wissenschaftler wird es immer riskanter finden, unabhängige Blogs zum eigenen Fachgebiet zu unterhalten. Die Kollegen und Konkurrenten werden jeden Text kritisch unter die Lupe nehmen und gegebenenfalls beim Institutschef oder Arbeitsgruppenleiter intervenieren.

Natürlich wird es weiterhin jedem freistehen, über seine wissenschaftlichen Hobbys zu schreiben.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich meine Vorhersage Nummer eins:
Wissenschaftlerblogs werden offizieller und parteiischer werden, sie bekommen eine Funktion als Aushängeschild ihrer Institution. Gerade jüngere Forscher werden gut überlegen müssen, welche Auswirkungen ihre Blog-Texte auf ihr Fortkommen haben. Trotzdem wird für gut geschriebene, allgemeinverständliche Beiträge immer Raum bleiben.

Der Wissenschaftsjournalismus leidet unter dem stetigen Ausbluten der Printmedien. Die Wissenschaftsredaktionen waren immer schon vergleichsweise klein, so dass natürlich schon der Wegfall einer einzigen Stelle Umfang und Qualität der Berichterstattung beeinträchtigen kann.

Letztlich hängt die Existenz einer gut besetzten Wissenschaftsredaktion von der Nachfrage ab. Deshalb muss jede Vorhersage sich zunächst mit der Entwicklung der Nachfrage befassen. Wird die Faszination für die Naturwissenschaften in der Bevölkerung zunehmen oder abnehmen? Mein subjektiver Eindruck ist, dass sie seit der Begeisterung der sechziger und siebziger Jahre deutlich zurückgegangen ist. Die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik begleiten uns so selbstverständlich wie nie zuvor, und das Staunen über die ungeheuren Fortschritte bei der Enträtselung des Universums hat nachgelassen.
Man kann über Handy und Satellitentelefon beinahe mit jedem Menschen auf der Welt sprechen, über GPS überall seinen genauen Standort abzufragen, und eine genaue Karte der Welt in einem Gerät mitnehmen, das kleiner ist als ein Taschenbuch. Wird sich die Welt immer mehr in Menschen aufteilen, die solche Dinge verstehen wollen, und in solche, die sie gedankenlos benutzen, aber niemals nach den Grundlagen fragen?

Nur die erste Gruppe interessiert sich für Wissenschaft, nur für sie können Wissenschaftsjournalisten schreiben. Es ist die gemeinsame Aufgabe der Forscher und der Fachjournalisten, eine möglichst breite Öffentlichkeit für wissenschaftliche Themen zu interessieren. Blogger und Journalisten ziehen also am gleichen Strang, sie arbeiten nicht gegeneinander. Während Wissenschaftler aber meist vom Staat bezahlt werden, sind die Verlage in privater Hand. Die Herausgeber lesen das Interesse der Öffentlichkeit an den Verkaufszahlen ihrer Periodika ab. Wenn die Blog wirklich offizieller werden, steigt der Bedarf an unabhängigen Berichten über die wissenschaftliche Leistungen. Die Zukunft des Wissenschaftsjournalismus hängt damit entscheidend von zwei Faktoren ab: Der Entwicklung der Nachfrage und dem Aufbau eines stabilen Geschäftsmodells. Anders ausgedrückt: Die Nachfrage muss gestärkt werden und einen Geldfluss bewirken.

Meine Vorhersage Nummer zwei:
Wissenschaftlerblogs werden auch in zehn Jahren keinen negativen Einfluss auf das Schicksal des professionellen Wissenschaftsjournalismus haben. Dessen Zukunft hängt ausschließlich von der Nachfrage ab und dem Geschick der Verlage, das Interesse der Öffentlichkeit finanziell zu nutzen.

Dieses Interesse wachzuhalten und zu stärken muss das gemeinsame Anliegen von Wissenschaftlern und Journalisten sein.

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Veröffentlicht von

www.thomasgrueter.de

Thomas Grüter ist Arzt, Wissenschaftler und Wissenschaftsautor. Er lebt und arbeitet in Münster.

2 Kommentare

  1. Hoffen wir, dass Du recht behältst mit Deinem Optimismus über den (Wissenschafts)journalismus. Alles andere wäre eine gesellschaftliche und kulturelle Katastrophe, und für mich auch eine persönliche.

    Ein Einwand allerdings: In der Publizistik (sei sie wissenschaftlich, journalistisch oder belletristisch) kommt man meiner Ansicht nach mit einer Nachfrage-orientierten Herangehensweise nicht weit. Gute Texte entstehen nicht, weil Leser sie nachfragen, sondern weil die Autoren sie unter die Leute bringen möchten. Was eine Nachfrage-orientierte Publizistik anrichtet, sieht man im Privatfernsehen. Die Senderchefs sagen auch immer: “Wir müssen das senden, was die Leute haben wollen.” Ein Totschlagargument.

    Wer noch nicht viel weiß und versteht, der fragt es leider meist auch nicht nach, zumal wenn er durch seichte Bespaßung vom Nachdenken abgehalten wird. Durch ein gutes Angebot kann man die Menschen reizen, das interessante zu lesen.

    Bin ich ein Idealist? Ja.

  2. @Ferdinand

    Ja, ich bin Optimist, wenn auch nicht ohne Einschränkungen. Es muss uns allen, also Wissenschaftlern und Journalisten, gelingen, das Interesse der Öffentlichkeit an Wissenschaft wach zu halten. Das muss nicht unbedingt einfach sein. Gute Texte, so meine ich, entstehen durchaus, weil sie nachgefragt werden. Das Privatfernsehen möchte “massentauglich” sein, überspitzt ausgedrückt müssen seine Sendungen eingängig genug sein, damit das Publikum in den Werbepausen nicht wegzappt. Wir schreiben aber für ein Publikum, das nicht auf bloße vorbeiziehende Unterhaltung ausgerichtet ist. Sonst hätten wir wohl tatsächlich wenig Chancen.