Buchbesprechung: Neptune’s Brood
BLOG: Gedankenwerkstatt
Science-Fiction bedeutet, wenn man es wörtlich übersetzt, Wissenschafts-Roman. Sieht man sich die Bestseller bei Amazon in dieser Kategorie an, dann ist davon aber nicht viel zu sehen. An der Spitze wechseln sich die Bücher aus der Reihe „Die Bestimmung“ ab, in denen es um die Rebellion Jugendlicher gegen ein vorgeprägtes Rollenbild geht. Wie ihre Vorgänger aus der „Tribute von Panem“-Reihe spielen sie in einer dystopischen, hierarchischen Gesellschaft. Wissenschaft spielt allenfalls eine untergeordnete Rolle.
Gibt es eigentlich heute noch echte Science-Fiction, also Bücher und Filme, die das Wort Science ernst nehmen? Ich bin damit aufgewachsen und zu meinen Lieblingsautoren gehörten Arthur C. Clarke, Isaac Asimov und Herbert W. Franke. Haben die Menschen eventuell das Interesse an der Wissenschaft verloren? Ist technischer Fortschritt so selbstverständlich, dass er kein Thema mehr ist, das Menschen fesseln kann? Oder machen Aliens, künstliche Intelligenzen und die Möglichkeiten der synthetischen Biologie den Menschen nur noch Angst? Das alles wären keine schönen Aussichten.
Deshalb habe ich mich etwas umgesehen, und zu meiner Freude festgestellt, dass echte Wissenschaftsromane nach wie vor geschrieben werden. Und endlich werden jenseits von „Starwars“ und „Stargate Atlantis“ auch Science-Fiction Filme gedreht, die fremde Planeten nicht nur als exotische Kulisse nutzen. In diesem Blog möchte ich in den nächsten Monaten einige von den Werken vorstellen, die mir am besten gefallen haben. Den Anfang macht das bisher nur auf Englisch verfügbare Buch „Neptune’s Brood“ von Charles Stross (London 2013, ISBN: 978-0-356-50100-0). In Deutschland hat der Autor bisher keinen großen Namen, obwohl er schon eine ganze Reihe von wichtigen Preisen eingeheimst hat.
Die Brut des Neptun
Neptun’s Brood, sein neuestes Buch, bietet englischen Humor vom feinsten. Es spielt 5000 Jahre nach unserer Zeit. Die Menschen sind ausgestorben, ihre Zivilisation wird aber von humanoiden Robotern fortgeführt. Sie sehen in ihrer Grundform wie Menschen aus, denken wie Menschen, und fühlen wie Menschen. Das ist kein Wunder, denn ihre Schöpfer hatten es nicht geschafft, eine künstliche Intelligenz neu zu erschaffen. Sie mussten also ihre eigenen Gehirne als Blaupause nehmen.
Humanoide Roboter leben sehr viel länger, sind anpassungsfähiger und widerstehen für kurze Zeit auch einem Vakuum oder starker Strahlung. Ihre Persönlichkeit ruht in einem Seelenchip, der in ihren Hinterkopf steckt. Wenn sie rechtzeitig ihr Gehirn auf den Seelenchip sichern, überleben sie auch einen vernichtenden Angriff auf ihren Körper. Ihre Zellen (Mechanozyten) sind programmierbar, so dass die Roboter ihre Körperform verändern können, z.B. in große Fledermäuse oder in Meerjungfrauen. Natürlich haben sie das Andenken an die Menschen bewahrt, ja sie können sie nach Bedarf neu züchten. Aber das hat wenig Sinn, denn sie sind einfach zu empfindlich, weshalb die Roboter sie „Fragiles“, also „Zerbrechliche“ nennen. Diese Welt hat Stross bereits in seinem früheren Buch „Saturn’s Children“ erfunden, und führt sie hier weiter aus.
Mit dieser überlegenen Ausstattung haben sie Sternenschiffe gebaut und die nächstliegenden Sonnensysteme besiedelt. Planeten gibt es in einer Entfernung von bis zu 50 Lichtjahren ja genug. Der Roman geht davon aus, dass es solche Dinge wie Wurmlöcher oder Überlichtantrieb („Scotty, Warp 5“!) nicht gibt. Sternenschiffe schleichen mit 1% der Lichtgeschwindigkeit zu ihrem Ziel, mit Robotern im Schlafmodus an Bord. Aber auch mit 3000 km/s darf kein Staubkorn das Sternenschiff treffen, die Wucht würde eine vernichtende Explosion auslösen.
Wie bezahlt man ein instellares Raumschiff?
Sternenschiffe sind allerdings teuer, ungeheuerlich teuer. Also erwarten die Investoren einen Gewinn, sobald das Gefährt sein Ziel erreicht, und die Besatzung eine florierende Kolonie errichtet hat. Wie soll das aber gehen, wenn das Schiff 1000 Jahre unterwegs ist? Charles Stross hat deswegen drei Arten von Geld erfunden: Schnelle, mittlere und langsame Dollars. Das langsame Geld behält seinen Wert auch über Jahrtausende, deshalb lauten die Anfangsschulden neuer Kolonien auf langsame Dollars. Die gesamte galaktische Expansion ist von Schulden getrieben, überhaupt beruht die Gesellschaft auf der Pflicht zur Rückzahlung von vorgestrecktem Geld. Jeder neu geschaffene („instantiierte“) Roboter ist ein Sklave seines Schöpfers, weil er erst die Schulden für seine bloße Existenz abarbeiten muss.
Stross macht sich einen Spaß daraus, die abwegige Sprache der heutigen Finanzwirtschaft auf das Funktionieren der gesamten künftigen Gesellschaft anzuwenden, mit teilweise bizarren Ergebnissen. Nicht umsonst setzt er ein Zitat aus David Graebers bekanntem Buch „Debt: the first 5000 years“ an den Anfang. Darin behauptet der Anthropologe, dass Schulden die Triebfeder aller modernen Hochkulturen waren.
Hauptperson ist Krina Buchhalter Historiker Alizon-114, eine Wissenschaftlerin, die sich als fahrende Scholarin auf einer Reise durch verschiedene Sonnensysteme befindet. Wenigstens behauptet sie das, aber tatsächlich möchte sie einen Kriminalfall lösen, den größten Betrugsfall der Geschichte der Raumfahrt. Dazu muss sie sich mit ihrer Schwester Ana treffen, die allerdings auf der Wasserwelt Shin-Tehtys verschollen ist. Bei ihrer Queste begegnet Krina allerlei bizarren Gestalten, zum Beispiel einem Raumschiff, das als fliegende Kapelle der Kirche der heiligen Restriktionsendonuklease (im Volksmund: Kirche der Fragiles) unterwegs ist. Die Gläubigen und der Klerus dieser Religion betrachten es als ihre Aufgabe, echte biologische Menschen zu züchten, und auf die Kolonieplaneten zu bringen. Menschen sind ihnen einfach heilig. Allerdings überleben die Menschen die feindliche Umwelt meist nicht lange, aber das ist wiederum nicht das Problem der Kirche. Stross macht sich einen Spaß daraus, das Kirchen-Raumschiff als riesigen Schrein mit mumifizierten Menschen in Weihenischen zu beschreiben.
Krina ergattert eine Überfahrt auf den Raumschiff, muss sie allerdings abarbeiten. Leider wird sie dabei von einer Mörderin verfolgt, die unbedingt ihren Platz einnehmen will. Ein Piratenraumschiff entert allerdings rechtzeitig die Kirche und entführt Krina. Allerdings ist der Piratenhauptmann Count Rudi eigentlich ein unabhängiger Versicherungsagent (Privateer), der Krinas Schwester eine hohe Lebensversicherung verkauft hat, und deshalb jedes Interesse hat, sie lebendig aufzutreiben. Count ist übrigens die Abkürzung für Accountant, nicht etwa ein Adelstitel.
Betrug im ganz großen Stil
Alle Raumschiffe bewegen sich übrigens streng nach den Regeln der Himmelsmechanik, weshalb die Bahnen von Piratenschiffen genau ausgeklügelt sein müssen, und die Reise von einer Raumstation zu einem Planeten im gleichen System schon einmal ein Jahr oder länger dauern kann. Nebenbei wird das gesamte System der interstellaren Schulden und das Prinzip des langsamen Geldes erklärt und man erfährt, wie es möglich war, einen gigantischen Betrug im Wert vom mehreren Billiarden Dollar durchzuführen. Wir begegnen außerdem den laminaren Reichen auf Shin-Tethys und einem Stamm von Robotern, die als kommunistische Gemeinschaft von Kalmaren auf dem Tiefseeboden leben, um dort Uran zu schürfen. Niemand ist, wer er zu sein scheint, und zum Schluss muss noch das einzige, je gebaute Kriegs-Sternenschiff außer Gefecht gesetzt werden.
Fazit: Hohes Niveau, aber echtes Juwel
Das Buch ist fantasievolle, anregende und amüsante Lektüre, allerdings auf hohem Niveau. Man muss mit Sätzen wie diesem klarkommen:
„The natural plutonium that was present when the star system formed has all decayed by now, but the uranium is frisky-free and neutron poor.“
Im Gegensatz zu seinem früheren, völlig überladenen Buch „Accelerando“ macht sich der Autor hier aber die Mühe, einige der vielen Fachtermini zu verständlich erklären. Er hat auch gelernt, wesentlich farbiger zu schreiben. Trotzdem sollte man wissen, wo „leading and trailing trojan clouds“ segeln, und welche Art von Armen „non-chiropteroid crew members“ nicht haben1.
Ein paar nette Anspielungen auf Shakespeare fehlen auch nicht:
„There is a witch hunt in progess, and we three won’t meet again“.
Insgesamt: Eine Empfehlung für alle, die gerne intellektuelle Spielereien mitmachen, und eine überbordende, aber naturwissenschaftlich fundierte Fantasie zu schätzen wissen.
Anmerkungen
1 Auflösung: „trojan clouds“ sind Ansammlungen von Asteroiden, die einem Planeten auf seiner Bahn entweder folgen oder ihm vorauslaufen. Die Asteroiden, die den Jupiter auf entsprechenden Bahnen begleiten, sind nach den Helden der Ilias benannt. Deshalb hat sich die generelle Bezeichnung „Trojaner“ dafür eingebürgert. „Chiroptera“ bezeichnet die Ordnung der Fledertiere, von griechisch cheira – die Hand und pteron – der Flügel. Chiropteroid heißt also „fledermausartig“.
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Danke für die Besprechung. An guter Science Fiction bin ich immer interessiert.
Da ich etwas Mühe hatte, die besprochenen Bücher im Internet gleich zu finden: Neptune´s (im Englischen) immer mit e schreiben; und nicht nach Netpun´s, sondern nach Saturn´s Children suchen.
Wer’s suche will: Neptune mit “e” am Ende. Sieht komisch aus, ist aber so. 🙂
Danke für die Besprechung — gleich geordert.
Zählt eigentlich soziale Science-Fiction auch zur vorgestellten Gruppe? (Wäre ja eher “Humanities Fiction”.)
Danke an Stickler und Joker für die Hinweis. Ist korrigiert (Neptune statt Neptun) und Saturn’s Children. Soziale Science-Fiction sind ein weites Feld. Wenn die Wissenschaft eine wichtige Rolle spielt, würde ich sie auch unter Science-Fiction einordnen, sonst vielleicht eher Social-Fiction.
Danke!
Freu mich schon auf die nächsten Empfehlungen.
„Netpun’s Children“ — sind das “Saturn’s Children”?
Ja, sind es. Da habe ich nicht aufgepasst.
“[I]hre Schöpfer hatten es nicht geschafft, eine künstliche Intelligenz neu zu erschaffen.”
Das trifft sich mit meiner These, dass wir Menschen einfach nicht – noch nicht? – über Intelligenz verfügen. Schon gar nicht über die Intelligenz, um Intelligentes zu erschaffen. Für prinzipiell möglich halte ich zumindest künstliche Intelligenz durchaus. Mit der Unterstützung von geeigneten Rechnern, also künstlicher Intelligenz, wäre die Erschaffung vermutlich ganz einfach. Schlichte Abzüge von vorhandenen Blaupausen reichen nach meiner Einschätzung hier nicht. Ich sehe darin ein auf die Zukunft gerichtetes Henne-Ei-Problem. Irgendwie traurig, wenn, wie im Roman wohl unterstellt, da nie etwas Entsprechendes schlüpfen wird, bzw. gelegt werden kann.
Jetzt bestelle ich mir aber erst mal das Buch. Wenn darin eine praktikable Lösung der Finanzkrise beschrieben wird, sollte sich die Investition ja schon rentiert haben. Analog zum dort beschriebenen Dollar, so ein langsamer Euro, das klingt doch genau nach dem, was die Griechen anstreben und Europa für die nächsten Jahrtausende retten könnte.
Dass die Roboter in diesem Roman robustere Ausgaben der Fragiles (also der Menschen) sind ist wohl eher ein Konstrukt des Autors, das ihm erlaubt eine Geschichte zur erzählen, die von Fragiles nachempfunden werden kann. Eine wirklich künstliche Intelligenz ohne Menschenähnlichkeit könnte beispielsweise emotionslos, humorlos und charakterlos sein.Solche Dinger würden aber nicht mehr das Interesse von Lesern der Gattung Fragiles wecken und blieben unverkauft auf dem Ladentisch liegen.
Da gebe ich Holzherr Recht. Jede künstliche Intelligenz läuft in die Problematik dass sie zwangsläufig von der Hard-/Wet-ware bestimmt ist in der sich verkörpert ist (und sei es auch nur als Simulation, man denke an das “brain in a jar”-Topos).
http://de.wikipedia.org/wiki/Embodiment
http://en.wikipedia.org/wiki/Embodied_cognition
Ohne das Buch gelesen zu haben, die Passage “Die Menschen sind ausgestorben, ihre Zivilisation wird aber von humanoiden Robotern fortgeführt. Sie sehen in ihrer Grundform wie Menschen aus, denken wie Menschen, und fühlen wie Menschen.” läßt mich argwöhnen, dass diese bewußtseinsbestimmende Bedingung im Roman nicht beachtet wurde.
Das Problem ist nicht, dass “.. ihre Schöpfer hatten es nicht geschafft [hatten], eine künstliche Intelligenz neu zu erschaffen. Sie mussten also ihre eigenen Gehirne als Blaupause nehmen”, sondern dass die Lernerfahrungen und lebenslang andauernden Selbst-/Umwelterfahrungen des (biologischen oder kybernetischen) Gehirns von der jeweiligen Körperlichkeit massiv mitbestimmt sind. Eine KI ohne menschlichen Körper KANN bald nicht mehr wie ein Mensch fühlen/denken/sich-bewegen. Spätestens nach einigen Generationen. Und warum sollten intelligente selbstreproduzierende Wesen den evolutionären Ballast einer Simulation des biologischen Körpers der Vorfahren mitschleppen? Er verfälscht die Wahrnehmung der jetzigen Realität und kostet überdies noch Energie.
Na ja, vielleicht geniessen die humanoiden Roboter es Scherze nach Menschenart zu machen und ohne das ganze Gefühlschaos wäre es ihnen vielleicht langweilig. Man kann sich vorstellen, dass es spezielle Wächter unter den Humanoiden gibt, die humor- und gefühllose Roboter aussortieren, damit alles so bleibt wie es ist.
Bei einer gesellschaftlichen Konstruktion in der “die Investoren einen Gewinn [erwarten], sobald das Gefährt sein Ziel erreicht, und die Besatzung eine florierende Kolonie errichtet hat” und “das Schiff 1000 Jahre unterwegs ist” dürfte so etwas Gewinnschmälerndes weil Effizienz Verhinderndes wie Humor oder Gefühl wohl nicht aufrecht erhalten werden.
Für mich die Stelle es achselzuckenden Akzeptierens damit die Geschichte ansonsten funktionieren kann (“Willing suspension of disbelief”).
Die ersten 5000 Jahre Schulden- und Finanzgeschichte beweisen wohl, dass es bei den Masters of the Universe auch Emotionen, Gefühle (Gier) und Humor (Sarkasmus?) gibt. Wer die Schuldner vor sich hertreibt, Austerität verhängt oder jemanden 1000 Jahre lang seine Schulden abzahlen lässt (Roboter leben ja länger, können damit auch länger Schulden abzahlen), der wird das nicht ganz emotionslos machen, wenn auch die Emotionen wiederum öfters auf der schwarzen Seite angesiedelt sind.
“Wer … jemanden 1000 Jahre lang seine Schulden abzahlen lässt (Roboter leben ja länger, können damit auch länger Schulden abzahlen), der wird das nicht ganz emotionslos machen”
Warum nicht? Welchen Sinn sollten diese Emotionen haben? Wozu sollten sie nötig sein?
Vergleichbares kann ja schon unter den Bio-Menschen der Psychopath.
http://de.wikipedia.org/wiki/Psychopathie
“I am not convinced.”
Aber lassen wir’s dabei, sonst geht mir noch der Lesegenuss flöten. 🙂
Man sollte hier zwei Sachen nicht vergessen: Zum einen haben wir es hier streckenweise mit einer Satire zu tun. Die kann aber nur wirken, wenn die Interaktionen einigermaßen menschlich sind. Zum anderen macht der Autor uns schmerzlich klar, dass wir als Menschen für interstellare Reisen einfach zu zerbrechlich sind. Wenn es dabei bleibt, dass unser Universum relativistisch beschaffen ist, können wir keine galaktische Zivilisation aufbauen, nicht einmal ein kleines Inselreich, das außer den Eilanden unseres eigenen Archipels noch andere umfasst, und wären sie noch so nahe.
Der englischsprachige Wikipedia-Eintrag zu Debt: The First 5000 Years beginnt (im Gegensatz zum deutschen) geradezu poetisch und bringt alles Menschliche und Unmenschliche (much of the fabric of human life) mit Schulden in Zusammenhang:
Es bleibt ein Anthropomorphismus der für mich nicht ausreichend begründet ist. Gesellschaftliche “Schulden”-Verhältnisse machen durchaus nicht das Vorhandensein von Emotionen notwendig.
Die Emotionen von 5000 Jahre menschlicher Schuldengeschichte in den Roman zu extrapolieren, das ist Stross’ Vorgehen, klar, er mußte ja etwas schreiben was Bio-Menschen kaufen wollen und daher verstehen können müssen (volle Zustimmung hier!), aber kein Argument gegen meine Bedenken.
@Thomas Grüter 23. 03.15 Zitat: ” wir können keine galaktische Zivilisation aufbauen, nicht einmal ein kleines Inselreich, dass außer den Eilanden unseres eigenen Archipels noch andere umfasst, und wären sie noch so nahe.”
Das scheint mir eine voreilige Schlussfolgerung. Nur weil es viele Jahrzehnte Reisezeit schon zum nächsten Sternensystem braucht, schliesst das die Ausbreitung unserer Rasse über die ganze Galaxis nicht aus. Ich würde sogar im Gegenteil sagen, dass diese gewaltigen Zeit- und Raumdistanzen, die es zu überwinden gilt, ein Glücksfall sind für eine allfällige friedliche Besiedelung der ganzen Galaxis durch die Menschheit. Denn diese grossen Distanzen machen Kriege und die Herrschaft über andere Kolonien äusserst wenig lohnend (kein payback). Eine zentrale Herrschaft scheint zudem grundsätzlich zu scheitern, weil selbst das Licht zu lange hat um eine vernünftige Kommunikation zu erlauben. Damit öffnet sich die Möglichkeit einer Kolonisation der Galaxie, die zugleich mit einer Evolution verbunden ist. Die Kolonisten auf Stern A werden sich mit der Zeit stark unterscheiden von den Kolonisten auf Stern B.
Eine Besiedelung der Galaxis über Zeiträume von vielen hundert tausend Jahren ist keineswegs ausgeschlossen und wurde auch schon längst angedacht mit Konzepten wie den Generationenschiffen, dem Antrieb mit Fusionskraft und Antimaterie. Allerdings stimmt es, dass wir heute noch wohl mehr als 100 Jahre entfernt sind vom Zeitpunkt ab dem die Besiedelung der Galaxis beginnen kann. Die Grundvoraussetzungen sind erst gegeben, wenn wir in der Lage sind ein riesiges Raumschiff zu bauen, das die Lebensbedingungen für eine Mannschaft schafft, welche Jahrzehnten unterwegs ist. In solchen Zeiträumen zu denken ist für die Menschheit tatsächlich eine ganz andere Dimension. Bis jetzt haben sich die meisten Menschen nur gerade um die nächsten Jahre gekümmert, die ihnen bevorstehen. Ein Projekt wie die Reise zu einem andern Stern ist aber ein Multigenerationenprojekt.
Durch die grossen Raum- und Zeitdistanzen die zukünftige Kolonien auf den Sternen dieser Galaxis haben werden werden diese Kolonien voneinander so weit entfernt sein wie wir heute von den Mammuts oder gar von den Dinosauriern entfernt sind. Dennoch werden die Menschen später einmal, wenn sie zum Sternenhimmel aufschauen, dass es unter den funkelnden Sternen viele bewohnte gibt und auf der Erde werden einige das Fernsehprogramm einer anderen Kolonie anschauen – ein TV-Programm, das 100 oder mehr Jahre vor dem Zeitpunkt ausgestrahlt wurde an dem es hier empfangen wird.
Mir scheint, die Äußerungen zu dieser Thematik sind relativ meinungshaft. Daher hier auch meine Meinung:
Jahrzehnte unterwegs zu sein reicht nicht, es braucht Jahrhunderte und Jahrtausende. Die entsprechenden “Generationenraumschiffe” haben keine “Besatzung”, sondern eine sich fortpflanzende und produktiv tätige Menschheit. Für diese kann man keine (wenigstens keine stabile) Auslese treffen, sondern da gehören dann die “Telefondesinfizierer” aller Arten dazu. Nach dem heutigen Stand der Arbeitsteilung müßten es also größenordnungsmäßig Milliarden sein. So eine Menschheit wird sich erst dann auf den Weg machen, wenn die technische Entwicklung soweit fortgeschritten ist, daß ein Aufenthalt in der Nähe der Sonne völlig überflüssig ist und man ebensogut “irgendwo im Weltraum” exisitieren kann.
@zabki24. März 2015 20:02
Was wir heute normal finden, war gestern möglicherweise noch undenkbar und morgen schon kann etwas was uns heute undenkbar scheint zur neuen Normalität werden.
In ihrem Kommentar vom 24. März 2015 geben sie ein Beispiel dafür indem sie annehmen, auch in Zukunft bräuchte es für alle Arbeiten Menschen. Zitat:
Doch vor ein paar Monaten geisterte durch die Presse und durch diverse Blogs die Vision einer nahen Zukunft – in 20 bis 50 Jahren – in der weniger als 40% der Menschen noch eine Arbeit finden, weil selbst anspruchsvolle Arbeiten wegrationalisiert sind und nur noch urmenschliche Berufe wie Forscher, Künstler und Unterhalter übrigbleiben.
Um ein anderes Beispiel zu geben: Dass am 24.03,2005 ein Flugzeug in den französichen Alpen abstürtze war eine Nachricht auf allen Kanälen wert. So etwas war vor 150 Jahren noch ausserhalb der Vorstellungskraft von damaligen Zeitgenossen. Morgen schon könnte es so häufig vorkommen (nicht weil Fliegen gefährlicher wird, sondern weil es so viel häufiger wird), dass darüber gar nicht mehr berichtet wird.
Hier meine Vision einer fernen Zukunft, in der sich Hans zsuammen mit einigen Freunden entschliesst, eine Reise zu einem fernen habitablen Planeten zu unternehmen:
@zabki24. März 2015 20:02
1969 Mondlandung, 2069 Marslandung? Wir sind also (immer) noch ganz am Anfang was die Weltraumtechnologie angeht. Auf andern Gebieten sind wir schon weiter. Dass in 200 Jahren die Lebenserwartung immer noch 100 Jahre ist wollen uns zwar sogar fast alle Science Fiction-Geschichten weismachen (inklusive die von Asimov), doch das finde ich eher unwahrscheinlich. Biologisch ist sehr viel möglich, das zeigen nur schon Phänomene wie Winterschlaf bei Tieren oder die Tatsache, dass gewisse ( zwar primitive) Tiere gar nicht altern und fast unbegrenzt lang leben können. Extrapolieren wir die vielen Fortschritte auf vielen verschiedenen Gebieten, dann ergibt sich mühelos, dass in einer nicht allzu fernen Zukunft die heutigen Begrenzungen, die wir als gottgegeben annehmen, fallen werden und dass es Menschen, Roboter und Maschinen geben wird, die die Eigenschaften von lebenden Organismen wie Selbstheilung, Regeneration, Lernfähigkeit vereinen mit Eigenschaften aus dem technischen Bereich. Doch auch diese Menschen, Roboter und Maschinen sind auf Ressourcen angewiesen – und die findet man nicht im leeren Raum. Warum wird überhaupt jemand der Erde entfliehen wollen? Wahrscheinlich weil es keine andere Wahl gibt, denn eine Welt mit einer sehr viel mächtigeren Technologie, einer Technologie über die jeder verfügen kann, ist auch eine sehr viel gefährlichere Welt. Wer sich auf den Weg macht zu andern Sternen will sich deshalb vielleicht nur in Sicherheit bringen. Und er wird in Sicherheit sein, wenn er dutzende von Reisejahrzehnten von der Erde entfernt ist.
Eines scheint mir sicher. Egal wie die Zukunft aussieht geht es in dieser Zukunft genauso wie hier und heute um Leben und Tod. Insoweit wird sich nichts ändern, denn genau das ist das Wesen des Lebens und sogar des Universums: es gibt keinen Stillstand und alles ist immer im Fluss. Und vieles von dem was man tut, tut man als Reaktion auf die Verhältnisse, unter denen man gerade lebt.
Ja, es ist wirklich erstaunlich, dass die meisten Science Fiction-Autoren einen großen Bogen um die biologische Unsterblichkeit machen.
Ich bin der Meinung, dass die biologische Unsterblichkeit noch vor der permanenten Besiedlung des Mars geschaffen wird.
Die alten Unsterblichen werden vermutlich aus verschiedenen Gründen in den Weltraum abwandern.
Einige Science Fiction-Geschichten mit der biologischen Unsterblichkeit:
Richard Varne: Das Geheimnis der Copaner (In a Misty Light, 1955) Terra Heft 5,
Rog Phillips: Der Club der Unsterblichen (The Involuntary Immortals, 1949) Terra Heft 299.
Nachtrag:
Jürgen Drews (nicht der Sänger, sondern der Mediziner):
El Mundo oder die Leugnung der Vergänglichkeit (2003)
Zweiter Nachtrag:
Larry Niven: Ringwelt (Ringworld, 1970)
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Etwsa spät, aber dennoch:
Ein Tip der zum Thema passt und einer Besprechung würdig wäre: “Leviathan Wakes” und Folgebändevon J.S.A. Corey. (Spoiler Alert: Besprechungen der ganzen Serie oder Interviews mit den Autoren können einen wesentlichen Plotpunkt des ersten Bandes kaputtmachen. Also vielleicht besser ein billiges Gebrauchtexemplar anlesen und dann weitersehen.)