Phänomen Placebo

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Kognition & Kooperation
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Auch Placebo-Effekte kann man als "Denkfalle" interpretieren. Dann nämlich, wenn man sie als einen Spezialfall von Erwartungshaltungen einordnet. Erwartungshaltungen sind häufig und gut erforscht – und natürlich erst einmal nicht erwünscht in der Wissenschaft. Denn wer Erwartungen an seine Experimente hat, der hat das Ergebnis schon so gut wie verfälscht!
Hier einige interessante Ergebnisse, die schon in den 70er Jahren bekannt waren:

  • Im Bereich der Wahrnehmung: Beim Vorspielen einer Tonbandaufnahme, bei der ein erwartetes Phonem mit einem Husten überspielt war, bemerkte keine einzige der 40 Versuchspersonen das Husten. Übrigens auch diejenigen nicht, die einen Hinweis erhalten oder sogar die Stelle kennen (Warren, R. M. (1970): Perceptual restoration of missing speech sounds. Science 167 (3917): S. 392-393.)
  • Im Bereich der Förderung: Ein ähnlicher Effekt zeigt sich bei zufällig ausgewählten Grundschulkindern. Sie werden Lehrern als begabt „empfohlen“. Am Ende des Jahres haben sich die Erwartungen erfüllt: Die „Begabten“ legten beim selben IQ-Test um 10-15 Punkte zu, weil sie durch den voreingenommenen Lehrer mehr gefördert wurden. Es kommt also nicht nur zu einer Beeinflussung, sondern auch zur Selbstbestätigung ursprünglich falscher Theorien (self-fulfilling prophecies). (Rosenthal, R. (1969): Interpersonal Expectations: Effects of the Experimenter’s Hypothesis. In Rosenthal, R./Rosnow, R. L.: Artifact in Behavioral Research. New York: Academic Press. S. 182-277.)

Auch der prozentuale Anteil der beeinflussten Personen ist über viele Studien sehr hoch: 60 Prozent der Versuchspersonen und 70 Prozent der Experimentatoren sind betroffen (Rosenthal 1969, S. 235). Um so bedenklicher ist es, dass Blindversuche in Medizin und Biologie immer noch kein Standard sind.

Das bringt mich zu einigen wirklich hübschen Ergebnissen der Placebo-Forschung:

  • Erwartungen funktionieren erstaunlicherweise in jede Richtung: Teilt der Arzt den Patienten mit, dass das Medikament (Placebo) den Atemwegswiderstand erhöht, erniedrigt oder stabilisiert, dann stellen sich je nach Information in derselben Studie exakt diese Effekte ein (Turner et al. (1994): The importance of placebo effects in pain treatment and research. JAMA 271(20):1609-1614 ).
  • Placebos wirken (laut der oben genannten Metastudie von Turner, die 70 Placebostudien untersucht) bei bis zu 70% der Patienten. Man beobachtet, dass sogar jahrelange heftige Schmerzen verschwinden und Leute mit Krücken nach Placebo-Operationen wieder laufen können (Moseley et al. (2002): A Controlled Trial of Arthroscopic Surgery for Osteoarthritis of the Knee. New England Journal of Medicine 347(2):81-88).
  • Teure Placebos helfen mehr als billige (auch Farben und Formen spielen eine wichtige Rolle) (Waber et al. (2008): Commercial Features of Placebo and Therapeutic Efficacy.  JAMA 299(9):1016-1017).

Wen das Thema interessiert – dazu gibt es ganze Regale/Festplatten voll Literatur…

Die Frage ist nun natürlich: Warum sind unsere Erwartungen so überaus stark ausgeprägt? Eine einheitliche Erklärung für diese doch sehr verschiedenen Phänomene existiert nicht.
Ich interpretiere Erwartungen jedoch als eine Reaktion auf die Umgebung, mit der Menschen zurecht kommen müssen. Wir müssen ständig riesige Problemräume durchsuchen, um die wenigen zutreffenden Hypothesen zu finden, die uns bei sehr diversen Aufgaben leiten und damit weiterhelfen. Da hilft es, sehr selektiv zu sein, und mit starken “Vorurteilen” bzw. Erwartungen an mögliche Lösungen heranzutreten. Dazu gehört beispielsweise auch, dass man sehr früh eine starke Hypothese aufstellt, die man dann zu verifizieren versucht (eine Falsifikation wäre viel zu aufwändig!).

In einem der nächsten Blogbeiträge dann auch (wie in Beitrag “Denkdefekte” versprochen) der Bezug dieser Ergebnisse zur Wissenschaft, Religion und Wissenschaftstheorie.

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Warum gibt es so viele Scheuklappen in unserem Denken? Warum machen wir dieselben Fehler immer wieder? Solche Fragen haben mich schon immer fasziniert. Um dieses Thema – Denkmuster und Denkfehler – wird es in diesem Blog deshalb öfter gehen. Mein zweites wissenschaftliches Interesse gilt der Frage, warum Menschen eigentlich nicht öfter kooperieren. Woran liegt das? Oder anders herum gefragt: Welche Bedingungen muss man schaffen, damit aus Egoisten Altruisten werden? Wie vermeidet man die "tragedy of the commons"? Dieses weite Feld reicht von der Kooperation zwischen Bakterien über den Erfolg von OpenSource bis zu den Problemen der Weltklimagipfel. Meiner Meinung nach sind in der Kooperationsforschung viele Lösungsansätze für Nachhaltigkeits-, Gerechtigkeits- und Umweltprobleme zu finden. Mit beiden Themen beschäftige ich mich im Rahmen meiner Forschung an der Universität Gießen als Postdoc bei Eckart Voland in der Soziobiologie. Dabei versuche ich das Beste aus den Welten der Philosophie und den Naturwissenschaften zu vereinen. Dass meine gesamte Arbeit stark von der Evolutionstheorie geprägt ist, verdanke ich wohl vor allem dem Einfluss meines Doktorvaters Gerhard Vollmer. Dr. Ulrich Frey

6 Kommentare

  1. Aktion / Reaktion

    Ein sehr großer Teil von dem was wir ´erleben´, kommt aus dem eigenen Gedächtnis. Unser Gehirn vergleicht immer aktuelles Erleben mit vorhandenen Erfahrungen – und darauf erfolgt die Gehirn-/Körperreaktion, nach bekannten Mechanismen.

  2. Eine weitere Frage

    Ich frage mich, wie wichtig ist eine Erklärung, wenn Placebo funktioniert? Nicht, dass sie nicht interessant wäre.

    Aber wäre es nicht an der Zeit, ein Placebo-Psychopharmaka zu erfinden, das auch Ungläubige befähigt, zu glauben? An die Heilung, Leistung, was auch immer. Möglicherweise liesse sich das auch mental lernen…

    Jedenfalls scheint’s mir verschwenderisch, des Menschen Fähigkeit, Placebos wirken zu lassen, nicht zu nutzen. Möglicherweise lässt sich damit einfach zu wenig verdienen… 😉

  3. @kimo

    Placebos können nur solche Wirkungen hervorrufen/verstärken, welche bereits als Wissen/Erfahrungen schon vorher bekannt sind.

    Man kann daher keine Intelligenzpille herstellen, weil sie nicht wirkt, wenn keine Intelligenz vorhanden ist – und wer schon intelligent ist, braucht diese Pille nicht mehr.

    Genauso ist es bei Medikamenten: Wer Placebos schluckt, der ruft nur bekanntes Wissen hervor: Da ist zum einen die Fürsorge durch einen anderen Menschen, welche bereits die Gesundheit beeinflusst. Und da ist auch noch unser Vorwissen; wir verbinden mit einer Tablette die Erwartung, gesund zu werden. Und diese Erwartung setzt bereits Körperreaktinen in Gang.

    Z.B. gab es einmal ein Experiment, bei welcher einer Gruppe gesagt wurde, dass sie einen Film sehen dürfen – und einer anderen Gruppe sagte man, dass sie einen lustigen Film sehen dürfen. Kurz vor dem angekündigten Filmbeginn wurde die Leute untersucht – dabei zeigte sich, dass die Stresshormone bei der Gruppe deutlich niedriger waren, der man einen lustigen Film angekündigt hatte (im Vergleich zur anderen Gruppe). => bei diesem Beispiel zeigt sich, dass nur das gesprochene Wort ´lustig´ schon als Placebo wirkte, welche den Hormonhaushalt deutlich verändert.

  4. Denkdefekte? – Erwartungshaltung?

    Meiner Auffassung nach ist es der Glauben bzw. eine Art Selbsthypnose, die als Ursache sowohl für die Wirkung von Placebos als auch von erfüllten Erwartungen steht. Wir können uns tatsächlich etwas einreden, und zwar besonders gut, wenn wir unser Unterbewusstsein ansprechen. Es ist kein Geheimnis, dass darauf der Körper in verschiedenster Weise reagiert, bis hin zur Selbstheilung! Macht man sich diese Geistesgabe im positiven Sinne zu Nutze, ist der “Defekt” eine geniale Sache!

  5. Begabte Kinder

    Wow, das ist ja ein heftiger Befund! Könnte der nicht bedeuten, dass die (oft überzogene) Wahrnehmung von Eltern bezüglich der Fähigkeiten ihrer Kinder in dem Sinne adaptiv ist, dass sie (freilich um den Preis drohender Überforderung) Ermutigung und Förderung auslöst? Zumindest beobachte ich mich auch als Vater bisweilen dabei… 😉

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