Romeo, Julia und der Tod – Interview mit Joe Dramiga

Bild: fotolia / Dariusz Wiejaczka

„Die Wissenschaftsvermittlung in Deutschland ist noch nicht auf dem Niveau wie in England oder den USA.“ Das sagt Joe Dramiga: Der in Köln lebende Neurogenetiker arbeitete nach seinem Biologie-Studium unter anderem als Qualitätsmanager in einem afrikanischen Labor für Virusforschung. Auf den SciLogs schreibt er das Blog „Die Sankoré-Schriften“.

Was hat dich motiviert, ein Blog zu verfassen?

Es ist fast schon so eine Art Berufung. Ich möchte mit modernen Mitteln die jahrhundertealte Tradition der afrikanischen Akademiker der Universität Sankoré aus Mali fortführen. Deren Handschriften gehen bis in das 14. Jahrhundert zurück. Die Texte behandeln mehrheitlich Fragen des Rechts, der Mathematik, Astronomie, Biologie, Medizin und weiterer Disziplinen. Leider gibt es noch zu viele Menschen, die nicht glauben, das bereits im Spätmittelalter auch im subsaharischen Afrika wissenschaftliche Literatur produziert wurde. Ich habe in meinem allerersten Blogartikel darüber geschrieben.

Dein Blog ist thematisch sehr vielfältig. Die letzten Artikel handeln von den Verhandlungen zwischen EU und Türkei, Mathematik, Fußball und Diashows. Gibt es irgendeine spezielle Methode nach der du deine Themen auswählst?

joedramigaEs gibt keine spezielle Methode. Ich „stolpere“ beim Lesen über gewisse Dinge und mache mir Notizen. Aufgrund der Notizen recherchiere ich weiter und entscheide dann später ob ich drüber blogge. Generell blogge ich nicht über brandaktuelle Themen über die sowieso schon alle was geschrieben haben – es sei denn, ich kann einen neuen Aspekt aufzeigen, der bisher nicht betrachtet wurde oder ich habe „Insiderwissen“.

Welche Erwartungen hast du, was deine Arbeit als Blogger angeht?

Laien für die Wissenschaft zu begeistern. Selber Neues zu lernen durch die Kommentare zu meinen Blogartikeln. Den Dialog zwischen Wissenschaftlern auf der einen Seite und Bürgern, Politikern, verschiedenen Religionsgemeinschaften und Philosophen auf der anderen Seite zu fördern. Zusätzlich denke ich, es ist unsere Aufgabe als Wissenschaftsblogger zu zeigen, dass manche globalen Probleme nicht so trivial zu lösen sind wie allgemein gedacht wird. Ich denke da z.B. an die wirksame Bekämpfung von Pflanzenschädlingen bei tropischen Nutzpflanzen – ohne Gentechnik geht in vielen Fällen gar nichts.

Und welche Ansprüche stellst du dir selbst an einen gelungenen Blog-Artikel?

Er sollte verständlich sein und wenn es geht spannend erzählt – das funktioniert aber nicht mit jedem Thema. Bei bestimmten Themen sollte er auch empathisch sein.

Nutzt du bestimmte Methoden, um deine Zielgruppe besser zu erreichen oder zu erweitern?

Ich versuche manchmal durch Popkultur wie z. B. Kinofilme, aber auch klassische Literatur einen guten Einstiegspunkt zu finden, um Wissenschaft für Laien zugänglich und schmackhaft zu machen. Ich habe z. B. mal anhand von „Romeo und Julia“ die Themen „Winterstarre bei Tieren“ und „Herzstillstand beim Menschen“ näher gebracht. Anhand des Films „Aliens“ habe ich das Phänomen Parasitismus vermittelt. In einem Blogartikel über den Androiden Data aus der TV-Serie Raumschiff Enterprise habe ich mich mit Künstlicher Intelligenz und der Philosophie des Funktionalismus beschäftigt.

Was war dein bisher schönstes Erlebnis als Blogger?

Mein bisher schönstes Erlebnis war die 65. Tagung der Nobelpreisträger in Lindau letztes Jahr. Ich habe dort für die Veranstalter der Tagung gebloggt.

Bild: fotolia / Dariusz Wiejaczka
Sankore-Moschee in Timbuktu, Mali. Bild: fotolia / Dariusz Wiejaczka

Und was war das unangenehmste Erlebnis?

Mein bisher unangenehmstes Erlebnis waren die heftigen Reaktionen mancher Leser auf meinen Blogartikel über Rassismus im deutschen Kinderfernsehen. Ein weiteres unangenehmes Erlebnis war die Online-Begegnung mit einem Wissenschaftsblogger, der dunkelhäutige Menschen afrikanischer Abstammung immer noch mit dem beleidigenden Wort bezeichnet, das mit N anfängt.

Du bloggst nicht aus finanziellen Gründen, aber: Denkst du es fehlt im deutschsprachigen Raum ein vernünftiges Finanzierungsmodell für Blogs so dass man von dieser Arbeit auch leben kann? Oder sollten Blogs weiterhin mehr “Hobby” bleiben?

Es fehlt ein vernünftiges Finanzierungsmodell für Blogs so dass man von dieser Arbeit leben kann. Ich könnte mir so ein ähnliches Modell wie bei „Krautreporter“ vorstellen. („Flattr“ finde ich auch gut.) Allerdings glaube ich, dass nur sehr wenige vom Bloggen leben können. Ich glaube eher, dass sich viele damit etwas dazu verdienen könnten. Blogs sollten und werden aber auch weiterhin „Hobby“ bleiben.

Welchen Artikel aus deinem Blog sollten die Menschen unbedingt lesen?

Romeo und Julia: Die tragische Geschichte hinter ICD10-GM-2015: I46.0

Einer der letzten Artikel erklärt anhand von “Löws Hosengate” die Evolution der Hoden bei Säugetieren. So ein “populärer” Ansatz wird wahrscheinlich bei vielen Wissenschaftlern auf Kritik stoßen (Ich finde den Artikel übrigens großartig!). Bist du schon mal dem Vorwurf der zu starken Popularisierung ausgesetzt gewesen?

Nein, dem Vorwurf zu starker Popularisierung war ich bisher noch nicht ausgesetzt.

Und wie siehst du die Lage der Wissenschaftsvermittlung in Deutschland – und die leider immer noch oft vorherrschende Meinung, Wissenschaft müsse halt kompliziert sein und nur mit Formeln, Diagrammen und Fremdwörtern ist ihre Darstellung so richtig “seriös”?

Die Wissenschaftsvermittlung in Deutschland ist noch nicht auf dem Niveau wie in England oder den USA. Die Wissenschaftsdokumentationen in der BBC sind um einiges besser als diejenigen in ZDF oder ARD .Viele amerikanische Universitäten führen regelmäßig und in viel größerem Umfang als deutsche Universitäten sogenannte „Public Lectures“ durch. Diese werden aufgezeichnet sind und auf YouTube hochgeladen, wo die Universitäten dafür eigene Kanäle eingerichtet haben. Wissenschaftler in den USA gehen sehr viel mehr in die Schulen als in Deutschland oder laden Schüler ein ihren Arbeitsplatz zu besuchen. Was die Angebote für Besucher, Kinder und Wissenschaftler betrifft kenne ich kein Naturkundemuseum in Deutschland was mit dem Natural History Museum in London mithalten kann. Ich habe aber auch den Eindruck, dass den Institutionen in England und den USA viel mehr Geld und Mitarbeiter für die Wissenschaftsvermittlung zur Verfügung stehen. Wissenschaftler aus England und den USA haben häufiger als deutsche Wissenschaftler Social Media Profiles auf Facebook und Twitter, Instagram.

Wissenschaft ist kompliziert – wir müssen – vor allem am Anfang einiges vereinfachen um Laien grundlegende Fakten und Konzepte zu vermitteln. Es wäre unseriös, Wissenschaftskommunikation für Laien anders zu machen. Wie sollen wir sonst mit den Menschen außerhalb der Wissenschaft in den Dialog treten?

Ein gutes Schlusswort, das auch gleichzeitig eine gute Frage an die Leserschaft ist. Vielen Dank!

 

Veröffentlicht von

Florian Freistetter

7 Kommentare

  1. Vielen Dank für das gelungene Blog-Interview!

    Und ich möchte die Gelegenheit auch mal dafür nutzen, Joe dafür zu danken, dass er hilfreiche und interessante Netzfunde nicht nur auswertet, sondern auch mit befreundeten Bloggerinnen und Bloggern teilt, nach dem Motto: Hey, könnte das nicht auch etwas für Dich sein!?

    Finde ich klasse und dieses “Extra-Engagement” wirkt irgendwie auch immer wieder motivierend, vielen lieben Dank! 🙂

  2. Dieser Artikel über das bundesdeutsche Kinderfernsehen war wohl nicht der beste, ansonsten gehört Herr Dr. Dramiga wohl mit zu den Gründen, warum einige die SciLogs.de spannend finden,
    MFG
    Dr. Webbaer

  3. @libertador
    Am Beispiel des SPEKTRUM-Artikels noch ein paar Punkte zum Blogthema ´Wissenschaftsvermittlung´.
    1) absichtliche Falschinformation: der Autor geht mit keinem Satz darauf ein, dass NTEs bereits komplett erklärt sind: z.B. http://www.spektrum.de/artikel/1058259 Bereits etwas Google-Suche hätte gereicht um eine Information mit meinem Erklärungsmodell zu finden
    2) Langeweile: Seit 40 Jahren wird in Artikeln, Radio-/Fernsehbeiträgen zum Thema im Prinzip das gleiche Esoterik-Geschwafel verbreitet. Im Titel und Inhalt wird bei NTEs eine faszinierende Verbindung zu Sterben, Tod suggeriert. Das ganze wird mit etwas lauer Pseudokritik garniert und zum Schluss die Meinung vertreten, dass die Menschen bei NTEs möglicherweise lebendig waren
    3) völliges Ignorieren von bekannten Fakten: Das Buch von Dr. Moody ´Leben nach dem Tod´ ist seit 1975 ein Klassiker der NTE-Literatur. Darin steht u.a.
    a) dass für ihn alle Menschen zum Erlebniszeitpunkt einer NTE lebendig waren. (Dass er im Buchtitel und Inhalt eine Verbindung zum Sterben suggeriert – ist erlaubt, weil er ganz klar darauf hinweist, dass sein Buch keine wissenschaftliche Arbeit ist! Mit dieser Suggestion steigert er als Autor den Buchverkauf.)
    b) dass sich die Inhalte von NTEs in einer gemeinsamen Struktur beschreiben lassen – die er im Buch vorstellt. Obwohl nachprüfbare Strukturen eine der wichtigsten Grundlagen wissenschaftlicher Arbeit sind, haben sich weder Wissenschaftler noch Wissenschaftsjournalisten bisher die Mühe gemacht, diese Struktur zu untersuchen. (Ich bin mit meinem Erklärungsmodell der Erste und Einzige, der dies gemacht hat – seit 1975.)

    Diese drei Beispiele sollen zeigen, wie Wissenschaftsvermittlung nicht betrieben werden sollte: Falschinformation, Langeweile verbreiten und ignorieren von bekannten Fakten.

  4. Pingback:[SciLogs] Romeo, Julia und der Tod – Interview mit Joe Dramiga

  5. Ein extrem abschreckendes Beispiel von ´wissenschaftlicher´ Wissensvermittlung veröffentlichte der SPEKTRUM-Verlag am 31.10.2016
    http://www.spektrum.de/news/was-passiert-beim-sterben-wirklich/1426257

    Ein Gast-Autor dieses Verlages verbreitete die esoterische Meinung Pim van Lommels – dass Bewusstsein und Gedächtnis unabhängig vom biologischen Gehirn existieren könnten! Mit der Verbreitung solcher fragwürdiger Aussagen, schadet SPEKTRUM der ernsthaften Wissenschaft und nicht zuletzt seiner TochterZeitschrift ´Gehirn & Geist´.

    (Hintergrundinformation: Intensive und ausführliche Nahtod-Erfahrungen (NTEs) werden von Menschen mit nachgewiesenem(!!!) Herz-/Hirntod berichtet.
    Prof. Pim van Lommel und andere NTE-´Experten´ kommen daher zum Schluss, dass Geist, Bewusstsein bzw. Gedächtnis unabhängig vom biologischen Gehirn existieren müssen!
    Diese Scchlussfolgerung ist Unsinn – da man den Herz-Hirntod niemals überleben kann: NIEMALS. Die betroffenen Personen waren daher die ganze Zeit lebendig und haben nur die schlimmste FEHLDIAGNOSE überlebt, die es für einen Menschen geben kann (denn danach wird die medizinische Versorgung eingestellt).
    Wer also verbreitet, dass man Herz-/Hirntod überleben kann, ist entweder nicht in der Lage eine eindeutige Fehldiagnose als solches zu erkennen oder täuscht/betrügt absichtlich.
    Per Google finden Sie bei huffingtonpost den Beitrag ´Antwort auf Vorwürfe zu vermeintlichem Datenbetrug in der Erforschung von Nahtoderfahrungen´. – mit vergleichbaren Aussagen)

    Nebenbei bemerkt: NTEs können komplett erklärt werden – Man kann dabei bewusst erleben, wie das Gehirn einen Reiz systematisch und strukturiert verarbeitet. Darauf habe ich sowohl hier bei SciLogs als auch Mitarbeiter des Spektrum-Verlages seit Jahren aufmerksam gemacht.

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