Kernspaltung und Kernfusion…

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Plasmen im Mittelpunkt
Formbar

…werden in letzter Zeit häufig in einem Atemzug genannt. Gemein ist beiden Methoden zur Energiegewinnung die Ausnutzung des Massendefekts: Die Bindungsenergie pro Nukleon in einem Atomkern hängt von dem Atomkern selber ab, also von der Anzahl der Nukleonen im Kern. Wie man Abb. 1 entnehmen kann, ergeben sich daraus zwei Arten der Energiegewinnung, die Spaltung oder die Fusion von Atomkernen. Das war es aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Trotzdem werden Kernspaltung und Kernfusion gerne in einen Topf geworfen und gleichermaßen schlecht geredet. Ich will mich hier nicht zu dem Für und Wider der Kernspaltung äußern, dass können andere besser. Ich möchte hingegen versuchen, mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen, die der Kernfusion immer mal wieder vorgehalten werden.

Bindungsenergie
Abb 1: Bindungsenergie pro Nukleon (Quelle: wikipedia)

Zurück ins öffentliche Bewusstsein ist die Kernenergie durch die tragischen Folgen des Erdbebens vom 11. März diesen Jahres in Japan gerückt (Details dazu hier und hier). Die dramatischen Ereignisse rund um die Reaktoranlage in Fukushima führten zu einem Umdenken und einer Neubewertung der Risiken der Kernenergie. Vor allem in Deutschland fand eine emotionale Debatte über die Risiken von Kernspaltungskraftwerken statt, die erste grüne Landesregierung wurde gewählt (wobei das sicherlich nicht der einzige Grund für den Regierungswechsel war), die ersten Kernreaktoren bereits abgeschaltet und der Bundestag beschloss den Atomausstieg bis 2022, der in der Gedankenwerkstatt von Thomas Grüter ausführlich diskutiert wurde.

Im Zuge dieser Ereignisse erneuerten die Grünen ihre Forderung nach einem Ausstieg aus der Erforschung der Kernfusion, schon zur letzten Bundestagswahl war dies ein Punkt ihres Wahlprogramms. Am 29.06.2011 stellten die Grünen einen Antrag im Bundestag mit dem Titel "Moratorium jetzt- Dringliche Klärung von Fragen zu Mehrkosten des ITER-Projektes". Dieser Antrag wurde dann in der 117. Sitzung des aktuellen Bundestages disktutiert, hier kann man das entsprechende Sitzungsprotokoll einsehen.

Auf Seiten der Gegner des ITER-Projektes wurden dabei einige Vorurteile gegenüber der Kernfusion genannt, nach denen mich auch immer wieder Besucher unserer Instituts fragen. Ich werde die am häufigsten auftretenden Fragen bzw. Kritikpunkte im folgenden kurz darzustellen und Stellung zu ihnen beziehen.

1) Bei der Kernfusion entsteht radioaktiver Abfall, dessen Endlagerung bzw. Entsorgung nicht geklärt ist.
Es stimmt zwar, dass in einem Kernfusionsreaktor die Wandmaterialien durch Neutroneneinfang aktiviert werden, allerdings muss man diese Materialien nur ca. 100 Jahre zwischenlagern, bevor man sie bedenkenlos weiterverarbeiten kann. Außerdem forscht man aktuell an verschiedenen Zusammensetzungen der Wand, um diese Zeit noch deutlich zu verkürzen. Ein Endlagerproblem besteht also definitiv nicht.

2) Auch bei der Kernspaltung hat man anfangs behauptet, sie kontrollieren zu können und trotzdem gab es dramatische Störfälle wie Tschernobyl oder Fukushima. Etwas ähnliches wird auch mit Kernfusionsreaktoren passieren.
Es erfordert einen erheblichen Aufwand, Atomkerne so nahe aneinander zu bringen, dass sie miteinander verschmelzen. Das kommt daher, dass sie positiv gelanden sind und positive Ladungen stoßen sich ab. Nur wenn die beiden Kerne extrem heiß sind, ca. 100 Mio Kelvin in einem potentiellen Reaktor, also extrem viel Energie besitzen, kommen sie nahe genug aneinander, um die Coloumb-Abstoßung zu überwinden. Um die Kerne auf solche Temperaturen aufzuheizen, befinden sie sich in einem Vakuum, so dass sie nicht ständig mit anderen Teilchen stoßen und dadurch ihre Energie wieder abgeben. Stört man dieses Vakuum, stört man auch das Plasma. Einmal ‘reingespuckt und es ist aus. Ein potentielles Kraftwerk ist also inhärent sicher.

3) Fusionsforschung ist ein Fass ohne Boden, in das man oben Geld ‘reinsteckt und nichts zurück bekommt.
Fusionsforschung ist Grundlagenforschung. Durch Grundlagenforschung erhofft man sich in erster Linie Erkenntnisgewinn und kurzfristig keinen finanziellen Gewinn. Ergebnisse von Grundlagenforschung ziehen allerdings langfristig gelegentlich industrielle Anwendungen nach sich, das ist bei der Fusionsforschung nicht anders, wie man beispielsweise in diesem Bericht nachlesen kann. Natürlich existiert ein großes Ziel auf das wir alle hinarbeiten und mit Studien über den Prototypen eines Fusionsreaktor, das ITER – Nachfolgeprojekt, wird die Fusionsforschung zwangsweise anwendungsorientiert. Den größten Teil macht allerdings noch die Grundlagenforschung aus.

4) In der Fusionsforschung geht es seit 50 Jahren doch kaum voran, immer wird behauptet in 30 oder 40 Jahren gibt es den ersten funktionierenden Reaktor.
Seit Beginn der internationalen Erforschung zur Nutzbarmachung der Kernfusion hat es erhebliche Forschritte gegeben. Ein Parameter, den man hier an dieser Stelle oft anführt, ist das Produkt aus Energieeinschlusszeit und Plasmadruck. Wie in Abb. 2 ersichtlich, hat man es seit den 1950er Jahren geschafft, dieses Produkt um viele Größenordnungen zu steigern.

Fusion performance
Abb. 2: Zeitlicher Verlauf der Fusion Perfomance (Quelle: Vision of Earth)

In den Anfängen der Fusionsforschung wurden Fusionsreaktoren von führenden Plasmaphysikern erst für das 21. Jhd. prognostiziert. Es waren eher die Erinnerung an die kurze Zeit von der Atombombe bis zum ersten Kernreaktor, der ähnliche Zeitskalen von der Wasserstoffbombe bis zum Fusionsreaktor erwarten ließ.

5) Wenn der erste Fusionsreaktor gebaut wird, passen so große Grundlastkraftwerke nicht in den Energiemix.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir unsere Energie in absehbarer Zeit zu 100% aus den sogenannten Erneuerbaren beziehen werden, dazu ist der Bedarf an Energie zu gewaltig (siehe dazu auch mein letzter Beitrag). Das mag lokal in kleinem Rahmen funktionieren, aber vermutlich nicht in globalen Maßstäben. Zudem stehen wir als Forschernation meiner Meinung nach in der Pflicht, alle Optionen zu erörtern, alle Möglichkeiten auszuloten, wie man den zukünftigen Energiehunger der Menschheit stillen kann.

Bleibt mir abschließend nur zu sagen, dass ich mich momentan über Langeweile nicht beklagen kann und auch privat mitten in der Vorbereitung auf den nächsten langen Lauf stecke, daher leider recht wenig zum bloggen komme. Die Pausen zwischen den Einträgen hier werden aber künftig hoffentlich wieder kürzer 🙂

Update: Ich habe das fehlerhafte Bindungsenergie pro Nukleon – Diagramm von der Webseite der DPG mit dem korrekten von wikipedia ersetzt.

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Veröffentlicht von

Alf Köhn-Seemann hat in Kiel Physik studiert und in Stuttgart über Mikrowellenheizung von Plasmen promoviert. Von 2010 bis 2015 war er dort als Post-Doc tätig. Nach mehreren Forschungsaufenthalten im englisch-sprachigen Raum, arbeitet er von 2015 bis Ende 2017 am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Seit Ende 2017 forscht und lehrt Alf Köhn-Seemann wieder an der Uni Stuttgart.

13 Kommentare

  1. what I didn’t create I may not believe..

    Alf Köhn schrieb (26. Juli 2011, 21:46):
    > […] Abb 1: Bindungsenergie pro Nukleon (Quelle: DPG)

    Diese Abbildung scheint qualitativ verschieden von der Abbildung z.B. in http://en.wikipedia.org/…/Nuclear_binding_energy

    (Insbesondere hinsichtlich des Unterschiedes der Bindungsenergien pro Nukleon zwischen 4He und 12C …)

  2. Dieser Artikel rückt so Manches gerade

    Es ist gut, dass dieser Artikel die wesentlichen Begriffe auf den Punkt bringt.

    Die oft vorgebrachte Behauptung mit dem Energiemix kann ich auch nicht nachvollziehen. Die muss von Leuten kommen, die immer noch die Dezentralität fordern, von der sich beispielsweise die Windenergiebranche schon längst verabschiedet hat.

    Ich halte es eher für plausibel, dass wir langgfristig zweierlei sehen werden:

    1.) Keinen Abfall des Stromverbrauchs, sondern sogar noch eine Steigerung. Denn mit dem Ende des fossilen Zeitalters wird der Wasserstoff der Brennstoff der Zukunft werden – für Verbrennungsmotoren, aber auch für Brennstoffzellen. Woher sollen die erforderlichen Mengen kommen, wenn nicht aus der Elektrolyse? Oder aber, es wird in Sabatier-Reaktoren Methan (Erdgas) aus Kohlendioxid hergestellt, aber dazu braucht man auch Wasserstoff und elektrischen Strom.

    2.) Eine Angleichunung des Tagesprofils des Stromverbrauchs. Die Lastspitzen am Tag werden abflachen, dafür wird die Lastsenke in der Nacht “aufgefüllt”. Denn einerseits wird weniger Strom zur Brauchwassererwärmung eingesetzt werden und zusätzlich wird intelligentes Verbrauchsmanagement viele Verbraucher von den Lastspitzen wegbugsiert. Andererseits werden in der Nacht die diversen Batterien von Elektrofahrzeugen aufgeladen, und da geschieht vornehmlich die Brennstoffproduktion.

    Fazit: Die Grundlastdeckung wird sogar noch wichtiger werden als heute und Großkraftwerke werden sehr hohe Bedeutung haben.

    Das Argument, auch die Kernfissionsenergiebranche habe versprechungen gemacht, die nicht gehalten werden, ist ein Totschlagargument. Man bringt es dann, wenn man sich nicht mit der Materie beschäftigen will. Nach meiner Erfahrung sind gerade die, die mit so etwas kommen, in hohem Maße bereit, jede Behauptung zu erneuerbaren Energien bedenkenlos zu glauben. Ja, es ist so, dass neue Techniken mit einem Hype daherkommen. Um den zu durchschauen, muss man sich gerade den technischen Hintergrund anschauen.

    Wenn ich mir allerdings die Kurve der Fusion-Performance anschaue, sieht es so aus, als sei nach Jahrzehnten des linearen Anstiegs ein Abflachen zu verzeichnen … ist das so?

  3. @Frank Wappler

    in der Tag, gut beobachtet. Die Graphik von der DPG scheint mir falsch zu sein (wenn man “echte” Literatur ;-), also gedruckte Bücher zur Hilfe zieht).

    Ich werde das Diagramm bei Gelegenheit ersetzen, danke für den Hinweis!

  4. @Michael Khan

    Vor allem der von dir genannte Punkt 1 zeigt, dass wir einen steigenden Bedarf an elektrischer Energie haben.

    Punkt 2 ist eine schönes Argument dafür, dass man eben doch noch große Grundlastkraftwerke benötigt.

    In der Tat schaut es in der Kurve nach einem Abflachen aus, aber es ist ja ein Annähern an den Zustand, ab dem quasi von alleine weiter “brennt”, also ohne externe Heizung weiter betrieben werden kann. In diesen Bereich wird man erstmals mit ITER vorstoßen. Da es allerdings lange gedauert hat, bis man sich politisch auf den Bau von ITER geeinigt hat, scheint hier bereits seit längerem ein asymptotischer Verlauf vorzuliegen.

  5. @Alf, Wappler

    Ich habe mal kurz nachgerechnet, die Bindungsenergie pro Nukleon ist bei 4He, wenn ich mich nicht vertan habe, 7.075 MeV/Nukleon und bei 12C 7.68 MeV/Nukleon. Also ist das Diagramm bei Wikipedia richtig. Allerdings scheint mir der Fehler im DPG-Diagramm nicht im Verlauf der Kurve zu liegen, sondern nur in der Stelle, wo einer “12C” hingeschrieben hat, denn wenn man auf die logarithmische x-Achse herunterschaut, ist das keineswegs bei 12. Geht man da aber zum Kurvenwert über der Nukleonenzahl 12, stimmt’s.

  6. @Michael

    deinen beiden Werten für 4He und 12C stimme ich zu, allerdings nicht deiner Beobachtung.
    Die Beschriftung “12C” scheint mir zwar auch unglücklich platziert zu sein, aber liest man aus dem Diagramm den y-Wert für das tatsächlich 12C ab, liegt dieser knapp unter dem für 4He.

  7. @Alf

    Stimmt, ich hatte versucht, das einfach mit einem an den Bildschirm gehaltenen Lineal abzuschätzen, aber meine Behauptung hält einer genauen nachmessung auf einem Papierausdruck nicht stand. Mit dem DPG-Diagramm stimmt auch sonst so Einiges nicht. 12C sollte auf einem lokalen maximum sein, danach käme eigentlich noch eine weitere höhere Spitze bei 7.97 MeV/Nukleon für 16O, das lese ich aus dem Diagramm aber auch nicht ab. Da hatte derjenige, der das erstellt hat, aber keinen guten Tag. Sowas ist schon peinlich.

  8. @Anton

    Die Gruppe von Experimenten, die Sie da ansprechen, gehören zu den “Inertial Electrostatic Confinement” (IEC) Experimenten. Von denen ist auf den Tagungen, die ich besuche, nichts zuhören, wenn es um das Thema potentielle Fusionsreaktoren geht. Unbekannt sind mir diese Experimente allerdings nicht, da ich immer mal wieder auf sie angesprochen werde.

    Leider ist ein Großteil der dazu angeblich durchgeführten Forschung ja geheim, daher ist es im Grunde nicht möglich, eine auf Fakten basierende Einschätzung der Experimente abzugeben. Auch die Skalierung der Energie mit der 5. Potenz des Radius ist nur eine Behauptung von Bussard, die er bisher nicht schlüssig begründet hat.

    Ich werde mal meine Freunde und Kollegen der Uni Wisconsin-Madison fragen, was die von der Sache halten, denn dort werden (freie) Forschungen zu dem Thema IEC durchgeführt.

  9. Newsletter

    Tag Frau Rüth,
    schön, dass ich Ihnen eine Freude machen konnte 😉

    Wenn Sie mit Ihrer Frage meinen, ob Ihr Newsletter in Papier-Form hier bei uns im Institut ankommt, dann lautet die Antwort nein, zumindest ist mir dieses Heft bisher nicht unter die Finger gekommen.

  10. @ Alf

    Die „Heiße Fusion“ ist die Geschichte mit der langen Vor- und noch langen Nachgeschichte bis zur praktisch produzierenden Anlage.
    Die „Kalten Fusion“ hat eine kürzere Vorgeschichte und man hofft, in diesem Jahr einen Durchbruch zu erringen. Hierzu gibt es einige Beiträge, die vom freien Wissenschaftsjournalisten H. Lietz u. a. bei http://www.heise.de publiziert werden.
    Verschiedene Vorwürfe zur Be-/Verhinderung werden erhoben.
    Wenn das kalte Verfahren funktionieren sollte, könnten in Zukunft die Mittel für die heiße Fusion gekürzt werden – und das wäre ein anderes Problem.

    2 Beispiele
    http://www.haikolietz.de/docs/kaltefusion.pdf
    http://www.heise.de/tp/artikel/34/34400/1.html

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