ITER: aktualisierter Forschungsplan

Erstes Plasma in 2025, erstes Deuterium-Tritium Plasma in 2035. So steht es im überarbeiteten Forschungsplan der ITER Organisation, der vor ein paar Tagen veröffentlicht wurde. In dem 400 Seiten starken Dokument steht allerdings noch erheblich mehr drinnen. Dieser Artikel versucht sich in einem knappen Überblick.

Nach eigenem Verständnis soll der ITER Forschungsplan eine Art Leitfaden oder Richtlinie für sämtliche Forschungsaktivitäten im Rahmen des ITER Projektes darstellen. Der interessierte Leser weiß, dass es sich bei ITER um ein Fusionsexperiment handelt was momentan in Südfrankreich gebaut wird und bei dem erstmalig mehr Energie durch Fusionsprozesse freigesetzt werden soll, als zur Aufheizung des Plasmas nötig ist.

ITER ist ein internationales Projekt bei dem 35 Länder mitmachen, deren Bevölkerung etwa 50 % der Weltbevölkerung entsprechen. So viele Partner, die alle verschiedene Komponenten des Experimentes liefern, erzeugen Reibungsverluste und die können bei Nichtbeachtung zu Problemen führen. So litt ITER Anfang dieses Jahrzehnts unter Organisationsschwierigkeiten, seit einem Management-Wechsel im Jahr 2015 läuft allerdings alles wesentlich reibungsloser. Mit dem neuen Management wurde der gesamte Zeitplan von ITER geprüft und neu bewertet. Das Ergebnis waren die eingangs genannten Daten von 2025 für das erste Plasma und 2035 für den Start des Deuterium-Tritium Betriebes. Um diesen Zeitplan einzuhalten, einigte man sich auf einen schrittweisen Aufbau von ITER, bei dem sich Perioden von Experimentierbetrieb mit Perioden von Konstruktionsarbeiten abwechseln bis man schließlich die volle Ausbaustufe erreicht hat.

Abb.1: ITER Baustelle am 4.10.2018 (Bild: ITER Organization).

Die Umstellung des Zeitplan bedingt natürlich auch eine entsprechende Änderung des Forschungsplans. Dazu trafen sich mehrmals Expertenrunden in Workshops und diskutierten über die Forschungsaktivitäten unter Berücksichtigung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse. Herausgekommen ist der jetzt veröffentlichte Forschungsplan, bei dem man sich bewusst gegen eine klassische Publikation entschieden hat, um möglichst breiten Zugriff auf das Dokument zu ermöglichen. (Hier ist der Download-Link, ca. ~11 MB.)

In den 400 Seiten wird ein detaillierter Zeitplan vorgestellt sowie die geplanten Forschungsschwerpunkte und deren zugrundelegende Physik. Damit soll sichergestellt werden, dass innerhalb dieses Zeitplans alle Projektziele erreicht werden. Auf der wissenschaftlichen Seite wären dies:

  • (W1)  Q ≥ 10 für ca. 50 Sekunden
  • (W2)  Q = 10 für 300 – 500 Sekunden
  • (W3)  Q ≈ 5 für bis zu 3000 Sekunden

Unter Q versteht man das Verhältnis von Heizleistung durch Fusionsprozesse zu externer Heizleistung, also eine Art Verstärkungsfaktor. Ein potentielles Kraftwerk basierend auf dem ITER-Design, also ein Tokamak, würde man voraussichtlich bei Q ≈ 30 betreiben.

Abb. 2: Tokamak Prinzip; ein im Plasma fließender Strom erzeugt ein poloidales Magnetfeld, Spulen ein wesentlich stärkeres toroidales Magnetfeld, so dass sich insgesamt ein verdrilltes Feld ergibt (Bild: IPP).

Zu den wissenschaftlichen Zielen kommen die Ziele auf der Fusionstechnologie-Seite:

  • (T1)  Zeigen, dass die essentiellen Technologien für einen Fusionskraftwerk existieren und im Experiment betrieben werden können
  • (T2)  Komponenten für ein potentielles Fusionskraftwerk testen
  • (T3)  Test verschiedener Konzepte für die Wandmodule, in denen Tritium erbrütet werden soll

Zu (T3) sei angemerkt, dass der favorisierte Fusionsprozess die Verschmelzung von Deuterium und Tritium ist, da dieser Prozess die größte Reaktionswahrscheinlichkeit hat, Details siehe hier. Bei Deuterium und Tritium handelt es sich um Wasserstoff-Isotope. Ersteres kann man einfach aus Meerwasser filtern, letzteres ist allerdings mit einer Halbwertszeit von ca. 12 Jahren radioaktiv und soll daher im Fusionskraftwerk aus Lithium erbrütet werden. ITER wird die benötigten Tritium-Mengen einfach einkaufen, soll aber eben testen, wie ein künftiges Blanket-Modul, so nennt man die entsprechenden Wandelemente in denen das Tritium erbrütet wird, aussehen kann.

Der aktuelle Zeitplan ist in Abb. 3 gezeigt. Man erkennt sehr schön die schrittweise Vorgehensweise, bei der sich Experimentierbetrieb und Ausbauphasen abwechseln.

Abb. 3: ITER Zeitplan als Gantt-Diagramm (Bild: Alf Köhn, CC BY-SA)

Die erste Experimentierphase ist als „Engineering Operation“ bezeichnet, da es hier vor allem darum die Funktionsfähigkeit der wesentlichen Komponenten zur Erzeugung des Plasma zu demonstrieren. Zunächst wird bei geringen Magnetfeldstärken gearbeitet, die allmählich auf den maximalen Wert gebracht werden. Als externe Heizleistung sind in dieser Phase ca. 7 MW Mikrowellenleistung installiert (Gyrotrons bei 170 GHz).

In der folgenden „Assembly“ Phase wird die innere Wand von ITER mit Wolfram-Kacheln ausgestattet. Ursprünglich hatte man gedacht, Kohlenstoff-Materialien seien besser geeignet, diese haben allerdings u.a. das Problem, dass sich Tritium in ihnen anlagern kann und auch das hohe Leistungsflüsse auf die Wand kritisch sind. Wolfram hat zwar das Problem, dass es aufgrund seiner hohen Kernladungszahl zu großen Strahlungsverlusten im Plasma führen kann. Man hat aber in einer Reihe von Experimenten in den letzten Jahren gezeigt, dass man dieses Problem im Griff hat (sprich, man passt „einfach“ sehr gut auf, dass möglichst kein Wolfram aus der Wand abgetragen wird).

Die erste Pre-Fusion Power Operation Phase beginnt Ende 2028. Bis dahin soll die Mikrowellenheizung auf 20 MW erweitert worden sein. Zu Beginn der zweiten Pre-Fusion Power Operation Phase werden zwei weitere Heizsysteme in Betrieb gehen. Ein System strahlt ebenfalls elektromagnetische Wellen ein, allerdings bei einer deutlich niedrigeren Frequenz, die Leistung ist mit 20 MW die gleiche. Bei dem dritten System handelt es sich um eine Neutralteilchenheizung, bei der Neutrale mit einer sehr hohen Energie direkt in das Plasma geschossen werden. Die Leistung dieses System wird 33 MW betragen. Insgesamt ist das Ziel dieser beiden Experimentierphasen, die Funktionsfähigkeit aller wesentlichen Systeme & Komponenten zu zeigen, mit denen die eingangs genannten Ziele von ITER erreicht werden sollen.

Bis hierher, also ca. bis Anfang 2034, wurde ausschließlich Wasserstoff und Helium als Gas verwendet. Damit fanden auch noch keine nennenswerten Fusionsprozesse statt. Das ändert sich mit Beginn der ersten Fusion Power Operation Phase, Ende 2035. Dann startet der Deuterium-Tritium Betrieb. In dieser ersten Phase werden nur geringe Tritium-Beimengen verwendet werden, erst in den beiden folgenden Fusion Power Operation Phasen wird schrittweise ein Deuterium-Tritium Verhältnis von 1:1 erreicht werden, mit denen schlussendlich auch die Projektziele von ITER erfüllt werden sollen.

Der bisherige Plan endet 2041, was aber nicht bedeutet, dass ITER dann abgeschaltet wird. Tatsächlich werden in dem Forschungsplan an mehreren Stellen potentielle Erweiterungen genannt und diskutiert mit denen ITER auch nach 2041 noch wichtige Beiträge für ein künftiges DEMO-Projekt liefert könnte. Bei DEMO handelt es sich um den Prototypen für ein Fusionskraftwerk, was nach aktuellem Wissensstand mit großer Wahrscheinlichkeit ein Tokamak, basierend auf ITER, werden wird. Die Entscheidung, wie und wo DEMO gebaut werden soll, ist momentan für 2035 anvisiert.

Der Forschungsplan geht auch sehr schön auf Forschungsarbeiten ein, die parallel zum Aufbau von ITER betrieben werden sollten. So erhalten die Projektpartner (und die gesamte Fusions-Community) relative klare Fragestellungen, die es zu beantworten gilt.

Wie ich das schon vorher mal erwähnte: es bleibt spannend!

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Alf Köhn-Seemann hat in Kiel Physik studiert und in Stuttgart über Mikrowellenheizung von Plasmen promoviert. Von 2010 bis 2015 war er dort als Post-Doc tätig. Nach mehreren Forschungsaufenthalten im englisch-sprachigen Raum, arbeitet er von 2015 bis Ende 2017 am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Seit Ende 2017 forscht und lehrt Alf Köhn-Seemann wieder an der Uni Stuttgart.

7 Kommentare

  1. Ja, die Forschung am ITER kann wohl sehr viele teilweise noch offenen Fragen zu den physikalischen Phänomenen in einem Tokamak und zu einem potenziellen Betrieb beantworten. Nur läuft dieser Prozess viel langsamer und länger als übliche Forschungsprozesse. Vielleicht ist es ja Forschung und Entwicklung hin zu einem später industriell einsetzbaren Prozess. Doch auch so gesehen läuft es zu langsam und scheint auch zu teuer zu sein. Im Artikel ITER disputes DOE’s cost estimate of fusion project liest man dazu: Das US-Energieministerium hat seine Kostenschätzung für den ITER, den Fusionstest-Reaktor in Frankreich, der in einer internationalen Sieben-Parteien-Kooperation gebaut wird, auf 65 Milliarden Dollar fast verdreifacht. Das ITER-Hauptquartier drängt zurück und hält an seiner Zahl von 22 Milliarden Dollar fest. Obwohl DOE in der Vergangenheit behauptet hat, dass der US-Beitrag steigen könnte, ist dies das erste Mal, dass die Agentur die Gesamtkostenbewertung der ITER-Organisation öffentlich in Frage stellt.

    Paul Dabbar, DOE-Unterstaatssekretär für Wissenschaft, stellte dem Unterausschuss für Energie- und Wasserentwicklung des Senats am 11. April die Schätzung zur Verfügung. Die 65 Milliarden Dollar decken allein den Bau ab, sagte er; die jährlichen Betriebskosten nach Beginn des experimentellen Betriebs im Jahr 2025 sind nicht enthalten. Dennoch schien Dabbar die Dinge zu verwirren, indem er Senatoren sagte, dass ITERs Kostenschätzungen “angemessen” seien.
    Der Direktor des ITER versichert zwar es bleibe bei den geplanten 22 Milliarden für den Bau, doch das hängt wohl davon ab ob der Zeitplan eingehalten werden kann, was sich bei einem so komplexen Projekt mit sehr vielen Beteiligten aus ganz verschiedenen Ländern, schwer sagen lässt.
    Das MIT-Projekt Commonwealth Fusion System, welches erst 2017 gegründet wurde will mit einem nicht einmal 10% so grossen Budget innerhalb von 15 Jahren (also noch vor 2035) den Betrieb aufnehmen und 100 Megawatt Leistung per Fusion in einem kompakten, mit Starkfeldmagneten betriebenen Tokamak erzeugen. Gerade hat diese Projekt von Breakthrough Energy Ventures (einer Clean Energy Initiative finanziert von Bill Gates, Jeff Bezos, Jack Ma, Mukesh Ambani, and Richard Branson) eine Milliarde Dollar an Unterstützung zugesprochen erhalten, was seine Realisierung weitgehend sichert. Der so geplante Fusionsreaktor namens SPARC hat ein 65 Mal kleineres Volumen als ITER und wird von einem Projektteam gebaut, das nicht einmal 20 Leute umfasst. Selbst dieses Projekt hat mit 15 Jahren eine recht lange Bau- und Entwicklungszeit, doch bei der geplanten Grössenordnung bleibt noch alles überschaubar, was man vom ITER-Projekt nicht sagen kann.

    • In der Tat könnte man den Eindruck bekommen, dass die Forschung an ITER langsam anläuft, was aber vor allem daran liegt, dass die Entscheidungsphase Anfang dieses Jahrhunderts sehr lange gedauert hat und es dann leider bis zum Management-Wechsel auch immer wieder zu Verzögerungen kam. Tatsächlich werden in der “vorbereitenden” Forschung viele Fortschritte gemacht, nur findet die eben nicht an ITER statt, sondern an den anderen Fusionsexperimenten auf der Welt.

      Davon abgesehen, ist es natürlich richtig, dass alles an ITER etwas langsam abzulaufen scheint, was an ITERs Struktur liegt (viele Partner, die alle gleichberechtigt sind). Das ist politisch so gewollt und auch spannend, aber es kann eben auch zu Entscheidungsfindungsschwierigkeiten (was ein Wort…) führen.

      Die von Ihnen zitierten 65 Mrd., Martin, scheinen ziemlich unklar zu sein. In Bigots Antwort steht ja auch drinnen, dass die Kosten sowieso schwer zu kalkulieren sind, da die Mitglieder ein Großteil ihres Beitrags in Form von Hardware, die im eigenen Land entwickelt und gefertigt wurde, abliefern. Ein weiterer Anstieg der ebenfalls zitierten 22 Mrd. ist zunächst nicht zu erwarten, schon alleine weil dies politisch schwierig wäre. Nur nach erfolgreichem Abhaken einiger weiterer wichtiger Meilensteine würde man sich das eventuell trauen, da man dann das Argument hätte, dass ja seit einiger Zeit alles im Zeitplan ist und man sich auf einem guten Weg befindet.

      Das MIT-Projekt ist auf jeden Fall spannend! Die genannten Zeitskalen scheinen mit 15 Jahren zwar ausreichend lang (und dennoch kürzer als bei ITER), allerdings ist es immer noch eine Art “high-risk high-gain” Projekt (womit ich sagen will, dass die Extrapolation auf wesentlich wackeligeren Beinen steht als die Extrapolation zu ITER hin, die eher konservativ ist). Aber, wie gesagt, ein spannendes Projekt!

  2. Nun dann kann man also hoffen, daß 100 Jahre, nach dem die Deuterium-Tritium Reaktion am Beschleuniger gefunden wurde, man wirklich eine positive Energiebilanz bekommt. Es bleibt spannend.

    • In der Tat! Vor allem hat W7-X bisher hervorragende Ergebnisse geliefert hat und die Erwartungen übertroffen. Wird die nächste Kampagne ähnlich erfolgreich ablaufen, liefert das gute Argumente für einen potentiellen Stellarator-DEMO.

  3. Gingen die Bauarbeiten nicht schneller, wenn es mehr Bau- und Forschungsgelder gäbe? Oder warum geht das alles so schrecklich langsam? Die Heizsysteme können doch schneller als ein Jahr lang montiert werden? Oder ist das wie ein Raten-Bau-Programm– Im ersten Jahr kann der erste Baustein finanziert werden, im zweiten der zweite, im dritten Jahr gibt drei Steine gratis, im vierten kommt dann der siebte Stein, und in 500 Jahren steht dann der Fusions-Dom? Warum dauert es soooo lange? Die Fusionsreaktoren werden schnell gebraucht– jedenfalls muss Fusion schneller kommen als die Erderwärmung.

    • Mit mehr Geld könnte man in der Tat die Dinge ein wenig beschleunigen, einfach weil man dann ein paar Dinge parallel machen könnte. Tatsächlich sind aber viele der Bauteile extra Anfertigungen für ITER, die erst entwickelt werden mussten. Schneller als die Erderwärmung wird die Fusionsforschung übrigens leider nicht kommen – dazu ist erste schon viel zu weit fortgeschritten. Deswegen ist sie nicht weniger “erforschungswürdig”, allerdings wird sie eben keinen Wunderweg aufzeigen, die Erderwärmung abzuwenden.

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