Bloggewitter: Gelegenheit, über alles nachzudenken

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Plasmen im Mittelpunkt
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Der Bologna-Prozess, also die Vereinheitlichung des europäischen Hochschulwesens, soll nächstes Jahr abgeschlossen sein. Höchste Zeit, einmal zu schauen, wie weit dieser Prozess vorangeschritten ist. Am einfachsten ist es dabei, vor der eigenen Tür nachzuschauen. Daher habe ich (wie mein Kollege Werner Große auch) zunächst einige "Betroffene", also Studenten, gefragt.

Bologna Bloggewitter

Die meisten haben sich allerdings nicht zu dem Bologna-Prozess im Allgemeinen geäußert. Vielmehr hat ein kleines Manko im neuen Physik-Bachelor für etwas Unruhe unter den Studierenden gesorgt: Eine sogenannte Orientierungsprüfung, die sich aus mehreren Teilprüfungen aufbaut, musste bis vor Beginn des vierten Semesters bestanden sein. Ansonsten drohte die Exmatrikulation. Einzelne Teile konnte man aber erst nach dem vierten Semester wiederholen. Das ist allerdings einigen aufmerksamen Studenten aufgefallen und nach dem Aufdecken dieses kleinen Mankos wurde dann auch relativ schnell für Abhilfe gesorgt. Wirkliche Kritik am Bachelor-Programm im Allgemeinen habe ich aber nicht zu hören bekommen.

Also versuchen wir es anders, mit ein paar nüchternen Zahlen der Uni Stuttgart zum Physikstudium: 96 Studienanfänger des letzten Diplomjahrgangs unmittelbar vor dem Start des Bachelors. 56 Studienanfänger im ersten Bachelorjahrgang. Im zweiten Bachelorjahrgang waren es dann zwar 80, aber auch diese Zahl liegt noch unter dem hiesigen Mittel von 140 Studienanfängern. Woran mag dieses nun liegen? Zunächst einmal ist das ein bundesweiter Trend: 6% weniger Pyhsik-Anfänger sind es auf Bundesebene. Eventuell liegt dies daran, dass die verstärkte Bewerbung der Ingenieursstudiengänge Wirkung gezeigt hat und einige potentielle Physiker quasi abgeworben wurden.

Tatsache ist, dass eines der Ziele des Bachelor-Programmes, nämlich die erhoffte Erleichterung des Wechsels von Studierenden zwischen Universitäten verschiedener Länder, nicht unbedingt umgesetzt wurde. Unter den Studierenden herrscht eher der Eindruck vor, dass ein Auslandsaufenthalt sie zu sehr aufhalten würde auf dem Weg zum Bachelor, da die Anerkennung von erbrachten Leistungen an anderen Universitäten nicht gewährleistet ist.

Nun, auch das klingt nicht unbedingt positiv. Also nochmal von vorne: Eine Umstellung im Studium, wie sie der Bologna-Prozess vorsieht, bietet einem die einmalige Gelegenheit, über alles nachzudenken. An der eigentlichen Physik gibt es nicht viel zu rütteln, die hat sich auch durch die Bachelor-Einführung nicht geändert. Eines allerdings war in der Physik schon immer etwas unglücklich gewesen: Das Lehramtsstudium. Physiker, die auf Lehramt studiert haben, fühlten sich manchmal etwas stiefmütterlich behandelt, zudem wurden sie nicht wirklich auf die Lehre an der Schule vorbereitet, die sich grundlegend von der Lehre an einer Universität unterscheidet. Das soll sich nun ändern, einen Bachelor-Lehrer wird es nicht geben. Es sollen wesentlich mehr pädagogische Inhalte vermittelt werden und die zukünftigen Lehrer besser auf den Unterricht vorbereit werden. Das geht natürlich nur, in dem man es schafft, entsprechende Dozenten für den Universitätsbetrieb zu verpflichten. Hier besteht also die Hoffnung, dass zukünftig besser vorbereitete Lehrer an die Schulen geschickt werden, um dann eventuell mehr Schülern die Schönheit der Physik zu näherzubringen 🙂

Was kommt nach dem Bachelor? Der Master, zu dem nur die besten zugelassen werden sollen. In der Physik ist es so, dass die Aussiebung eigentlich bis zum Erreichen des Vordiploms erfolgt, daran ändert auch der Bachelor nichts. Dies bedeutet nun, dass sich die Physiker, die den Bachelor erreicht haben, vermutlich auch keine Sorgen machen müssen, keine Zulassung zum Master zu bekommen. Wer es schon soweit geschafft hat, wird also auch belohnt. Der Physiker mit dem Bachelor-Titel wird von den Dozenten auch nicht als Physiker verstanden. Schon deshalb versteht sich der Master eher als selbstverständlicher Schritt nach dem Bachelor.

Die Umstellung auf den Bachelor betrifft nicht nur Universitäten, auch an FH’s kann man den Bachelor erwerben. Dieser hat im späteren Berufsleben eventuell einen Vorteil beim erstmaligen Bewerben in der freien Wirtschaft: Das entsprechende Unternehmen weiß genau, was es vom FH-Bachelor zu erwarten hat, da die Bachelor-Ausbildung praktisch identisch zum FH-Diplom ist, was der Uni-Bachelor gelernt hat, wissen die Unternehmen, zumindest anfangs, noch nicht. Ob das allerdings wirklich ein Nachteil ist, wird sich zeigen.

Als weitere Möglichkeit nach dem Master bietet sich die Promotion an. Hier hat sich die Deutsche Physikalische Gesellschaft ganz klar gegen eine strukturierte Promotion ausgesprochen. Ein Programm, wie das phd-Studium in den USA beispielsweise, wird es in Deutschland nicht geben. Die Promotion in der Physik wird in Deutschland ganz klar als Berufstätigkeit und nicht als Studium angesehen.

Bleibt also abschließend zu sagen, dass in 5 Jahren noch einmal nachgeschaut werden sollte, was der fertig ausgebildete Bachelor und Master von seiner Ausbildung gehalten hat. Außerdem haben dann auch Professoren und Unternehmen erste Erfahrungen gesammelt, was denn der Bachelor/Master so alles kann.

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Alf Köhn-Seemann hat in Kiel Physik studiert und in Stuttgart über Mikrowellenheizung von Plasmen promoviert. Von 2010 bis 2015 war er dort als Post-Doc tätig. Nach mehreren Forschungsaufenthalten im englisch-sprachigen Raum, arbeitet er von 2015 bis Ende 2017 am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Seit Ende 2017 forscht und lehrt Alf Köhn-Seemann wieder an der Uni Stuttgart.

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