Das Stickstoff-Rätsel

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Plasmen im Mittelpunkt
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Auf Spiegel online wurde Anfang des Jahres von dem "Stickstoff-Rätsel" berichtet, dass sich auf die "sensationelle Wirkung" durch die Beimischung von Stickstoff zum Plasma in ASDEX Upgrade bezieht. Momentan befinde ich mich auf der 36th Konferenz der European Physical Society über Plasmaphysik. Auch hier war das Stickstoff-Rätsel Thema eines Vortrages. Um den beschriebenen Effekt zu erläutern, bedarf es zunächst ein paar einleitender Worte.

Bei ASDEX Upgrade (AUG) handelt es sich um das größte Fusionsexperiment in Deutschland, wobei das Experiment vom Typ Tokamak ist. Ein kritscher Punkt bei Experimenten dieser Größenordnung ist der Kontakt des Plasmas mit der Wand: diesen gilt es möglichst zu vermeiden, da durch die Plasmawand-Wechselwirkung Verunreinigungen, das Wandmaterial, ins Plasma gelangen können und dort unerwünschte Effekte verursachen. Durch eine geeignete Magnetfeldkonfiguration wird bei modernen Experimenten, wie bei AUG auch, das äußere Plasma gezielt auf sogenannte Divertorplatten gelenkt. Der Grad der Verunreinigung im Plasma wird dadurch erheblich reduziert. Zusätzlich erhöht sich der Energieinhalt erheblich, man erreicht eine größere Energieeinschlusszeit, eine Schlüsselgröße auf dem Weg zum Fusionsreaktor.

Das Problem ist nun, dass bei heute üblichen Experimenten mit einem teilweise gigantischen Energiefluss auf die Divertoren zu rechnen ist, bei ITER erwarten man z.B. 300 Megawatt. Eine Möglichkeit, dass auf den Divertor strömende Plasma bereits vor Auftreffen auf die Platten etwas Energie zu entziehen, besteht interessanterweise darin, gezielt bestimmte Verunreinigungen in das sogenannte Divertorplasma zu blasen. Diese Verunreinigungen sollen dazu führen, dass das Divertorplasma einen Großteil seiner Energie im Form von Strahlung abgibt, bevor es auf die Platten trifft. Dazu braucht man chemische Elemente, die im wesentlichen vollständig ionisiert sind, wenn die das Plasmazentrum erreichen, damit sie dort nicht für weitere Strahlungsverluste sorgen. Diese Prinzip der Strahlungskühlung ist bereits lange bekannt und wird beispielsweise in einem Spektrum-Artikel von 1995 erläutert. Als ein Element bietet sich hier beispielsweise Stickstoff an. Dazu wurden in diesem und im letzten Jahr einige Messungen an AUG durchgeführt.

Es zeigte sich, dass der Wärmefluss auf den Divertor tatsächlich verringert und die Verluste durch Aussendung elektromagntischer Strahlung gestiegen sind. Zusätzlich zeigte sich eine unerwartete Steigerung der im Plasma eingeschlossenen Energie sowie eine Reduzierung der Energieverluste durch sogenannte ELMs. Bei ELMs handelt es sich um im Randbereich auftretende Instabilitäten, die zu einem enormen Energiefluss auf die Divertorplatten innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums führen können. Warum nun diese unerwarteten Effekte?

Es stellte sich heraus, dass die Temperatur im Plasma sich leicht erhöht, wohingegen die Plasmadichte konstant bleibt. Durch die Beimischung von Stickstoff wird die Konzentration von Deuterium, welches das Gas ist, in dem die Plasmaentladung gezündet wird, verringert. Dieses wiederum sorgt dafür, dass eine bestimmte Instabilität, die aus einem starken Anstieg der Ionentemperatur heraus entsteht, also aus einem großen Gradienten im Temperaturprofil, seltener auftritt. Verringert man die Konzentration von Deuterium, so wird die Schwelle, ab der diese Instabilität auftritt, heraufgesetzt und ein entsprechendes steileres Ionentemperaturprofil ist möglich und damit auch höhere Temperaturen insgesamt.

Nun ist es aber so, dass diese Erklärung alleine nicht ausreicht, um die beobachtete Verbessung des Einschlusses zu erklären. Weitere Experimente sowie die Entwicklung von theoretischen Modellen, die dann mit Simulationen begleitet werden sind in Planung. Es bleibt also spannend!

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Alf Köhn-Seemann hat in Kiel Physik studiert und in Stuttgart über Mikrowellenheizung von Plasmen promoviert. Von 2010 bis 2015 war er dort als Post-Doc tätig. Nach mehreren Forschungsaufenthalten im englisch-sprachigen Raum, arbeitet er von 2015 bis Ende 2017 am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Seit Ende 2017 forscht und lehrt Alf Köhn-Seemann wieder an der Uni Stuttgart.

6 Kommentare

  1. Schweissen

    Es gibt Spezialgase zum Schweissen, bei denen ein geringer Zusatz an Stickstoff eine wesentlich schönere Schweissnaht ergibt (0,5 % wenn ich mich richtig erinnere).
    Ob es hier Zusammenhänge zu den oben beschriebenen Phänomenen gibt, oder nicht, vermag ich nicht zu sagen – aber es wäre vielleicht mal eine Überlegung wert, mit den Firmen zu reden, welche Schweissgase herstellen. Vielleicht profitieren beide Seiten von einem solchen Gespräch? Eine Schweissflamme ist doch auch nichts anderes als ein Plasma. (mehr weiß ich nicht, da ich kein Fachmann zu diesem Thema bin)

  2. Nachtrag

    Wenn meine Beobachtung in die richtige Richtung geht, dann könnte man sich einen haufen Geld/Zeit mit den Tokamak-experimenten sparen: man bräuchte ´bloß´ Schweißnähte ziehen, um im Vorfeld die optimale Gasmischung zu ermitteln.

  3. @KRichard

    Ich bin leider auch kein Schweißexperte, aber soweit ich weiß, wird Stickstoff doch nur als Schutzgas verwendet. Das heisst, es erfüllt nur die Funktion, den Sauerstoff von der Schweißnaht fernzuhalten, um jegliche Reaktion mit dem Sauerstoff zu verhindern.
    Selbst wenn man Stickstoff fest in das Wandmaterial einbauen würde, z.B. in die Schweißnähte, dann hieße das ja, das Plasma gezielt auf die Schweißnähte zu leiten. Genau dieses will man aber nicht, da der Fusionsreaktor sonst nicht allzu lange halten würde.
    Die Divertoren hingegen sind austauschbare Komponenten. Und das Stickstoff vor den Divertor zu blasen, damit das Plasma vor dem Divertor seine Energie verliert ist doch viel eleganter. So hat man weniger Belastung für den Divertor.
    Außerdem hat man so Kontrolle über die Menge des zugeführten Stickstoffes, was man bei fest eingebautem Stickstoff nicht hätte. Und nichtkontrollierbare Parameter erfreuen sich keiner großen Beliebtheit bei Experimentalphysikern 😉

  4. unerwarteter Effekt

    Ich bin ebenfalls kein Schweissexperte.
    Beim WIG-Schweissen nimmt man Argon als Schutzgas und man war überrascht, dass ein Zusatz von Stickstoff die Qualität der Schweißnaht in Stahl deutlich verbessert. Man hatte eigentlich genau das Gegenteil erwartet, (Nitridbildung).
    Heute vertreibt Linde z.B. Varigas(R) und Chroniwig(R)-Gase mit 1-3 % N2 in Argon.

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