Wo sind die radioaktiven Stoffe aus Fukushima gelandet?

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ResearchBlogging.org Beim Reaktorunglück von Fukushima sind beträchtliche Mengen radioaktives Material in Form von Staub und Dampf die Atmosphäre gelangt – doch wo sind sie gelandet? Radioaktiver Staub, Gase und Aerosole driften mit dem Wind, lagern sich mit der Zeit ab oder werden vom Regen ausgewaschen. Prinzipiell kann man berechnen wie die Luftströmungen und das Wetter während des Unglücks den Fallout verteilt haben, indem man ein kleinräumiges Klimamodell mit dem Ausstoß radioaktiver Stoffe füttert.

Deswegen haben japanische Forscher nach dem Unglück ein Transportmodell entworfen, das die betroffene Landfläche samt Tokio komplett erfasst und beschreibt, wie sich die gesundheitlich bedeutendsten Radionuklide – Cäsium-137 und Jod-131 – nach dem Unglück verteilt haben. Demnach sind 13 Prozent des insgesamt ausgestoßenen Iods und 22 Prozent des Cäsiums in Japan auf dem Land niedergegangen, davon je etwa zwei Drittel in der Präfektur Fukushima. Weitere 10-20 Prozent landeten im Pazifik, etwa 60 Prozent verließen den Simulationsbereich, überwiegend Richtung Osten.

Solche Modelle, die berechnen, was die Atmosphäre mit bestimmten Stoffen macht, gibt es natürlich schon länger. Diese dreidimensionalen chemischen Transportmodelle basieren auf gängigen Klimamodellen, allerdings liegt der Fokus auf der Interaktion der gewünschten Stoffe mit Luftströmungen und Wasserdampf. Dafür braucht man nicht nur klassische Wetterparameter wie Druck, Verdunstung und Niederschläge, sondern auch Daten darüber, wie sich die untersuchten Spezies bei den jeweiligen Prozessen verhalten. Das betrifft horizontalen und vertikalen Transport durch Diffusion und mit dem Wind, Ablagerung mit und ohne Niederschläge und natürlich den radioaktiven Zerfall, der die Konzentration der Isotope mit der Zeit reduziert.

Der Vorgänger – SPEEDI
Glücklicherweise, wenn man so will, gibt es für Iod und Cäsium entsprechende Daten reichlich aus den Untersuchungen der Tschernobyl-Folgen. Ende der 80er Jahre entstanden diverse numerische Simulationen, dank denen man heute recht gut darüber Bescheid weiß, wie die wichtigsten Radionuklide in der Atmosphäre verschleppt werden und wo sie dann landen.

Die japanische Atomenergiebehörde hat 2008 auf Basis dieser Daten das System for Prediction of Environmental Emergency Dose Information (SPEEDI) bereitgestellt, das die Verbreitung dieser Radioisotope nach einem Unfall in einem japanischen Kernkraftwerk simuliert. Dank SPEEDI wusste man relativ bald nach dem Fukushima-Unfall (bzw nachdem Tepco zugegeben hat, dass tatsächlich Iod und Cäsium austreten), wo die radioaktiven Stoffe landen würden. Ihr erinnert euch sicher an die Meldungen, dass die Strahlung aufs Meer getrieben würde oder ein Wetterumschwung Tokio bedrohte – das waren alles SPEEDI-Daten.

Das Problem mit SPEEDI ist, dass der Simulationsbereich maximal 100 mal 100 Kilometer groß ist, und damit im konkreten Fall von Fukushima wichtige Bereiche gar nicht abdeckt, unter anderem den Großraum Tokio. Wir wissen aber nun, dass Radionuklide aus Fukushima mehrere hundert Kilometer von der Quelle entfernt aufgetaucht sind und auch in Tokio selbst die Radioaktivität von Cäsium und Iod die Grenzwerte überschritten hat – entsprechend stellen die Radionuklide von Fukushima weit über den Gültigkeitsbereich von SPEEDI hinaus eine potentielle Gesundheitsgefahr für die Bewohner Nordjapans dar.

Dem trägt das Modell von Ohara und Kollegen Rechnung, es hat insgesamt eine Kantenlänge von 700 Kilometern und erfasst damit auch den Großraum Tokio. Die Region um das Atomkraftwerk hat natürlich die volle Breitseite abgekriegt, insgesamt sind bis zum 29. März auf beträchtliche Teile der Präfektur Fukushima mehr als 500.000 Becquerel Iod-131 pro Quadratmeter niedergegangen, dazu mehr als 50.000 Becquerel Cäsium-137. Die Messstationen in der Regionen registrierten nach dem 31. März in der gesamten Region weniger als 1000 Becquerel pro Tag und Quadratmeter.

Tokio dagegen ist, das zeigen die Karten, im Vergleich dazu noch einigermaßen glimpflich davongekommen – hauptsächlich weil der Wind meist günstig stand. Ein paar Tausend Becquerel pro Quadratmeter liegen da trotzdem noch rum – als Äquivalentdosis betrachtet ist das zwar einigermaßen harmlos, aber das Cäsium kann eben auch in Nahrung und Wasser gelangen oder als Staub eingeatmet werden. Wenn die Radioisotope erst einmal im Körper sind, ist ihr Schadpotential um ein vielfaches höher, siehe auch das Thema Iod und Schilddrüsenkrebs, und die Studie sagt naturgemäß nicht, ob und wie sie dort hin gelangen. Es ist aber sicher nicht abwegig anzunehmen, dass mehr Cäsium in einer Region auch mehr Radionuklide im Trinkwasser und in der Nahrung bedeuten.

Große Ungenauigkeiten
Je nach vorherrschender Wetterlage landeten mal mehr, mal weniger Radioisotope auf dem japanischen Festland – auflandiger Wind um den 15. und den 21. März sorgte an jenen Tagen laut Modell für einen beträchtlichen Teil des gesamten Fallouts. Diese Unwägbarkeiten sind natürlich auch für die beträchtlichen Ungenauigkeiten in den Modelldaten verantwortlich – schon eine oder zwei Stunden Unterschied beim Ausstoß des radioaktiven Materials können den Unterschied zwischen Ost und West bedeuten, wenn der Wind in jener Zeit dreht.

Das Iod hat eine Halbwertzeit von 8 Tagen, deswegen ist davon, wenn ich mich nicht verrechnet habe, nur noch ein Zweihundertsechzigtausendstel der Aktivität von Ende März vorhanden. Deswegen würde ich mir um das Cäsium mehr Sorgen machen, weil das Zeug eine Halbwertzeit von 30 Jahren hat und deswegen noch mehr oder weniger komplett vor Ort ist – plus das, was später noch dazu gekommen ist, versteht sich.

Wenn man von einer Cs-Aktivität von 50.000 Bq ausgeht, dann ist das (wenn ich mich nicht verrechnet habe) eine Äquivalentdosis von 0,65 Millisievert, die zum natürlichen Hintergrund hinzukommt. Das entspricht etwa der natürlichen Hintergrundstrahlung in Hamburg. Allerdings entsprechen diese 50.000 Bq dem oberen Rand der Skala in der Abbildung, man kann also getrost davon ausgehen, dass die Werte in Fukushima beträchtlich darüber liegen. Der Gradient am Rand der “roten Zone” in der Abbildung spricht Bände.

Die Forscher haben ihr Modell natürlich mit den tatsächlich gemessenen Ablagerungen an den Messstationen abgeglichen, um zu sehen, ob es die tatsächlichen Daten brauchbar reproduziert. Der große Vorteil der Simulation ist, dass sie die erwartete Radioaktivität auf großen Flächen zeigt statt nur einzelner lokaler Werte, die die fest installierten Stationen liefern. DemVernehmen nach liefert die Simulation für die Orte dieser Stationen Werte, die im Rahmen etwa einer Größenordnung mit den tatsächlich gemessenen Zahlen übereinstimmen.

Das klingt natürlich nach einer ganzen Menge, aber es lässt sich kaum vermeiden, dass diese Modelle mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind. Man weiß zu wenig über den zeitlichen Ablauf beim Austritt der Radionuklide und über die Größe der Teilchen in der Dampf- und Rauchwolke, entsprechend ungenau sind die dem Modell zugrunde liegenden Annahmen. Auch über chemische Reaktionen dieser Elemente – vor allem des überwiegend gasförmigen Iods – mit anderen Bestandteilen der Atmosphäre wenig bekannt ist, ebenso über Prozesse an und mit Aerosolen. Damit vernachlässigen diese Modelle die komplette Atmosphärenchemie, was natürlich die Aussagekraft dieser Modelle erheblich schmälert.

(via Ex-SKF)

Morino, Y., Ohara, T., & Nishizawa, M. (2011). Atmospheric behavior, deposition, and budget of radioactive materials from the Fukushima Daiichi nuclear power plant in March 2011 Geophysical Research Letters DOI: 10.1029/2011GL048689

4 Kommentare

  1. Verunsicherung

    Nach meinen Informationen herrscht jetzt in weiten Teilen Japans ein grosses Misstrauen gegenüber den Behörden, was die offiziellen Angaben zur Kontamination mit radioaktiven Stoffen betrifft und viele Japaner haben sich eigene Geigerzähler zugelegt.
    Ein zweites Problem ist die Einschätzung der Bedeutung einer erhöhten Dosis – verglichen zur natürlichen Strahlendosis.
    Es gibt ja eine grosse Grauzone wo erhöhte Dosen keine nachweisbaren Wirkungen haben sondern nur über die angenommene lineare Beziehung zwischen Dosis und Wirkung Schäden verursachen. Da die Krankheiten, die durch Inkorporation von radioaktiven Stoffen ausgelöst werden – vor allem Krebs – so häufig sind, lassen sich geringe Erhöhungen der Krebsrate beispielsweise statistisch nicht nachweisen.

    Abgesehen davon überrascht mich, wie wenig Vorsorge die Japaner gegenüber Gefahren wie Tsunamis vorgekehrt haben. Es scheint zu genügen, dass ein Ereigniss nur alle 50 bis 100 Jahre vorkommt, um es zu ignorieren. Die Fukushima-Daiichi-Anlage beispielsweise wurde auf einem vorher hügeligen Gelände errichtet. Die Hügel wurden abgetragen um die Erdbebensicherheit zu erhöhen, denn man wollte die Fundamente auf Fels bauen. Im Nachhinein scheint das ein sehr nachlässiges Vorgehen. An die Erdbebengefahr wurde gedacht, die Tsunamigefahr wurde ignoriert.

  2. Das Problem mit den Tsunamis liegt einfach in der Statistik seltener Ereignisse. Der Japan-Graben galt eben als wenig tsunamiträchtig, weil Erfahrungen mit solchen Ereignissen fehlen. Entsprechend geringe Priorität besitzen solche Ereignisse bei der Auslegung, insbesondere wenn es andere, sehr wahrscheinliche Schadszenarien gibt.

    Aber das ist anderswo genau so, gerade bei Tsunamis. Die Kernkraftwerke in Südengland sind auch nicht auf Tsunamis ausgelegt, obwohl wir wissen, dass es dort welche gibt.

    Eine Einschätzung der möglichen gesundheitlichen Folgen der Kontamination habe ich mir wohlweislich versagt. 🙂

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