Tuberkulose – eine globale Gefahr und ihre Bekämpfung

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Die Schwindsucht ist zurück. Nachdem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Tuberkulose besonders in der entwickelten Welt auf breiter Front zurückgedrängt war, kehrt die Krankheit jetzt mit unerwarteter Vehemenz zurück und erwischt Gesundheitssysteme weltweit auf dem falschen Fuß. Die Erfolge der letzten Jahrzehnte erweisen sich als Bumerang: Man glaubte, geeignete Mittel gegen den Erreger zu haben und stellt nun fest, dass fast alles veraltet ist – die geeigneten Antibiotika sind Jahrzehnte alt, der einzige verfügbare Impfstoff ist von 1921 und die Diagnostik – ein Speicheltest unter dem Mikroskop – gilt als unzuverlässig. Hinzu kommt, dass der Erreger Mycobacterium tuberculosis einen mächtigen Verbündeten gewonnen hat: HIV.

Wer mit dem AIDS-Virus infiziert ist, hat eine zwanzig- bis vierzigfach höhere Wahrscheinlichkeit, sich mit Tuberkulose zu infizieren. Im Zuge der AIDS-Epidemie war die Zahl der Erkrankten in den 90er Jahren drastisch angestiegen, von sechseinhalb Millionen im Jahr 1990 auf weit über neun Millionen im Jahr 2004. Jeder vierte AIDS-Tote stirbt derzeit tatsächlich an den Folgen von Tuberkulose. Neben den akuten Erkrankungen gibt es eine große Zahl symptomloser Infektionen. Nach den Daten der Weltgesundheitsorganisation waren 2007 weltweit mehr als 13 Millionen Menschen latent mit Tuberkulose infiziert. Und das sind nur offizielle Zahlen, die notorisch unsicher sind. Die Zahl AIDS-infizierter Tuberkulosepatienten hat sich allein dank besserer Datenerfassung zwischen 2006 und 2007 verdoppelt.

Angesichts der teilweise dramatischen Lage laufen jetzt Anstrengungen, die Nachlässigkeit der letzten Jahrzehnte wettzumachen. Seit etwa  2002 haben die am meisten betroffenen Staaten ihre Ausgaben zur Bekämpfung der Tuberkulose drastisch erhöht, und in der Folge geht die Krankheitslast wieder leicht zurück. Dank DOTS, einer standardisierten fünfstufigen Strategie zur Bekämpfung der Tuberkulose, ist besonders die Sterblichkeit seit 2004 wieder leicht gesunken.

Aufbauend auf diesen kleinen Erfolgen will die Weltgesundheitsorganisation Tuberkulose auf breiter Front zurückdrängen und hat dazu die Stop TB Partnership ins Leben gerufen, ein Netzwerk von staatlichen Akteuren, Geldgebern und Gesundheitsorganisationen. Erklärtes Ziel ist es, die Krankheit bis 2050 als globale Bedrohung zu eliminieren. Bis 2050 sollen Fallzahlen und Sterblichkeit glatt halbiert werden.

Ein formidabler Gegner
Diesem ambitionierten Ziel stehen allerdings enorme Schwierigkeiten entgegen, nicht zuletzt die Natur des Gegners selbst. Den Erreger im Labor zu erforschen hat sich als mühselig erwiesen, denn Mycobacterium tuberculosis wächst in Kultur recht langsam, entsprechend langwierig sind die Studien. Welche Aussagekraft Tiermodelle der Krankheit, speziell in der Maus, für den Menschen haben ist umstritten. Die geringe genetische Diversität des Bakteriums verursachte lange Zeit zusätzliche Schwierigkeiten: Erst in den letzten Jahren konnten Protokolle entwickelt werden, mit denen die Rolle unterschiedlicher Stämme für verschiedene Verläufe der Infektion erforscht werden können.

Zum Beispiel war man lange davon ausgegangen, dass latente, symptomfreie TB-Infektionen von ruhenden Bakterien ausgelöst werden und sich deswegen erheblich von Infektionen mit aktiv kolonisierenden und sich teilenden Bakterien unterscheiden. Die Wirklichkeit ist allerdings komplizierter. Tatsächlich beruhen die unterschiedlichen Krankheitsverläufe wohl auf einer großen Bandbreite an phänotypisch unterschiedlichen Bakterienstämmen. Die Wechselwirkung zwischen diesen Stämmen und dem Immunsystem des Wirts ist noch kaum erforscht.

Immerhin weiß man inzwischen einiges mehr über die Verbreitungsgeschichte des Erregers. Der Tuberkelbazillus kommt ursprünglich aus Afrika, wo heute noch seine nächsten Verwandten verbreitet sind. Mit modernen molekularbiologischen Methoden kann man seine Ausbreitung nachvollziehen: Er verließ Afrika mit dem Menschen, begleitete ihn auf seinen Wanderungen und entwickelte lokale Varianten. In Eurasien bildeten sich später drei moderne Stämme, die sich in der Neuzeit auf dem Seeweg global ausbreiteten. In vielen Weltgegenden gibt es deswegen zwei dominierende Stämme: Einen alten einheimischen und einen neuen europäischen.

Ist schon die Erforschung des Erregers schwierig, erscheint die epidemiologische Überwachung und Bekämpfung der Krankheit in freier Wildbahn als nahezu unlösbare Aufgabe. Tuberkulose ist eine komplexe chronische Infektion mit oft langer Latenzzeit. Nur etwa zehn Prozent aller Infizierten zeigen tatsächlich auch Symptome der Krankheit. Das klingt nach einer guten Nachricht, bedeutet aber auch, dass neun von zehn Infektionen unerkannt bleiben. Dieses enorme Erregerreservoir bedeutet, dass der Krankheit mit Prophylaxe nicht beizukommen ist. Die einzige Chance, die Tuberkulose auf breiter Front zurückzudrängen, bietet eine effektive Impfung. Allerdings ist bekannt, dass eine überstandene TB-Infektion nicht gegen die Krankheit immunisiert, und dass der vorhandene Impfstoff wenig dazu beigetragen hat, der weltweiten Pandemie Einhalt zu gebieten.

Natürlich gibt es inzwischen auch vom Tuberkulose-Erreger multiresistente Stämme, die auf kaum ein Antibiotikum mehr ansprechen. AIDS-Patienten sind auch für diese Stämme  besonders anfällig. Etwa eine halbe Million Fälle jährlich gibt es weltweit, besonders betroffen ist unter anderem Osteuropa.  

TB-Bekämpfung ist unterfinanziert
Das drängendste Problem bei der Bekämpfung der Tuberkulose ist allerdings das liebe Geld: Dem Bedarf gegenüber steht eine erhebliche Finanzierungslücke. Für die Bekämpfung der Krankheit stehen drei Milliarden Dollar zur Verfügung, aber um nur die bereits existierenden Maßnahmen zu finanzieren, wären weit über vier Milliarden Dollar nötig. Etwa drei Viertel der Gesamtsumme wird benötigt, um die erfolgreiche DOTS-Strategie weltweit umzusetzen, der Rest müsste eingesetzt werden, um das Forschungsdefizit auszugleichen. Hier sind die Vorzeichen durchaus günstig, was auch an der Nachlässigkeit in den letzten Jahrzehnten liegt: Die Wirkstoffentwicklung hat über die Jahre Millionen und Abermillionen potentielle Medikamente hervorgebracht, die nur noch auf ihre Aktivität gegen M. tuberculosis getestet werden müssen.

Es gibt also eine Strategie und einen Weg vorwärts im Kampf gegen  die Wiederkehr der Schwindsucht. Allein, es fehlt am politischen Willen. Speziell in Europa scheint die Tuberkulose vergessen zu sein, obwohl die Krankheit gerade hier auf dem Vormarsch ist. In einem Beitrag in Lancet rechneten die Ärzte Ohne Grenzen kürzlich vor, dass die europäischen Staaten zu den säumigsten Zahlern weltweit gehören. Demnach trägt Deutschland nur 23% dessen bei, was der Rest der Welt – gerechnet auf die Wirtschaftskraft – für die Tuberkulosebekämpfung ausgibt. Und das ist zu wenig.

4 Kommentare

  1. Zoonose…

    Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob der Begriff Zoonose bei der Tuberkulose überhaupt sinnvoll ist. Die Krankheit kommt ja eigentlich bei allen Wirbeltieren vor. Vermutlich ist das so ein Erreger, den wir schlicht bei der Menschwerdung mitgebracht haben.

  2. HIV -> AIDS

    “Wer mit dem AIDS-Virus infiziert ist, hat eine zwanzig- bis vierzigfach höhere Wahrscheinlichkeit, sich mit Tuberkulose zu infizieren”

    Also Lars, gerade von dir… AIDS ist ein Syndromkonglomerat. Das Virus ist das HI-Virus, das im Spätstadion fast immer AIDS verursacht. Es gibt kein AIDS-Virus, sonst hätte jeder HI-Positive auch gleich AIDS.

    Ansonsten: Ich liebe diesen Blog 😉

  3. @Biologic

    OK, hast mich erwischt. 🙂 Der Satz ist generell doof. Korrekt muss es heißen:

    Wer an AIDS erkrankt ist, hat eine 20-40fach höhere Wahrscheinlichkeit, auch an Tuberkulose zu erkranken.

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