Das Top-Quark allein auf weiter Flur

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Gastbeitrag von Marlene Weiss

Wumms, da war es, das Top-Quark. Das scheue Teilchen, das bislang nur zusammen mit seinem Antiteilchen-Partner gemessen wurde, hat man jetzt am amerikanischen Teilchenbeschleuniger Tevatron vom Fermilab auch einzeln gesichtet. Hallelujah!
Wobei, gesichtet ist vielleicht etwas vollmundig ausgedrückt, denn dafür leben die extrem schweren Top-Quarks eigentlich nicht lange genug: Kaum eine halbe Quadrillionstelsekunde dauert es, bis sie in andere Teilchen zerfallen, die dann ihrerseits vom Detektor registriert werden. (Endlich mal wieder eine schöne, unverbrauchte Zahl, nicht so abgedroschen wie die ewigen Milliarden aus den Wirtschaftsnachrichten!) Überhaupt sind Quarks nicht für die Einsamkeit gemacht. In der Natur treten sie ausschliesslich in Gruppen auf: Jeweils drei der sechs verschiedenen Quarktypen aus drei „Familien“ bilden Protonen und Neutronen, die Bausteine des Atomkerns; aus Zweierpaaren von Quark und Antiquark bestehen dagegen die exotischeren Mesonen.

Will man aber ein Quark isolieren, um es in Ruhe unter der Lupe zu betrachten, gerät man schnell in Schwierigkeiten. Die Quark-Grüppchen in der Natur werden durch die sogenannte starke Kraft zusammengeklebt, die ähnlich wirkt wie ein Gummiband: Je weiter man zwei Quarks voneinander entfernt, desto stärker wird die Kraft. Wenn das Gummiband schliesslich reisst, wird genug Energie frei, um in der Mitte – an den freigewordenen Enden – ein neues Quark-Antiquark-Paar zu erzeugen, und man hat zwei Gummibänder in der Hand, wieder mit einem Quark an jedem der vier Enden, und kann von vorne anfangen. Daher die Grundregel aus der Welt der Quarks: Es ist nicht gut, dass das Quark allein sei.

Aber was bedeutet dann die Entdeckung am Fermilab, fast genau 14 Jahre, nachdem eben dort das Top-Quark gefunden wurde – gepaart mit seinem Anti-Partner, wie es sich gehört? Da geht es um etwas anderes. Die Quarks spüren nicht nur die starke Kraft, sondern auch die „schwache Kraft“, eine weitere der vier Grundkräfte. Die sorgt unter anderem dafür, dass sich gelegentlich ein Quark in ein anderes verwandelt und ein weiteres Teilchen ausstösst. Ein Beispiel dafür ist der Beta-Zerfall, bei dem im Atomkern aus einem Neutron ein Proton wird und ein schnelles Elektron aus dem Kern herausfliegt. Auf Quark-Ebene heisst das, dass sich ein Quark aus der ersten der drei Familien, das Down-Quark, in seinen Partner, das Up-Quark, verwandelt. Die magische Umwandlung wird durch das W-Boson vermittelt, sozusagen das Photon der schwachen Kraft.

Bei dem Effekt, der jetzt am Fermilab beobachtet wurde, passiert im Grunde das Gleiche, nur in der dritten Familie: Aus einem mittelschweren Bottom-Quark wird durch Vermittlung von einem W-Boson ein elefantenschweres Top-Quark, das allerdings gleich weiter zerfällt. Dass dieser Prozess existiert, ist überhaupt nicht überraschend. Dass man ihn beobachten kann dagegen schon, denn er ist selten und wird von vielen ähnlichen Prozessen überdeckt, die im Detektor täuschend ähnlich aussehen. Fast fünfzehn Jahre haben die amerikanischen Physiker gebraucht, bis sie unter Milliarden (da ist es wieder, das M-Wort, es geht eben doch nicht ohne) von Teilchenkollisionen einige Hundert fanden, bei denen das einzelne Quark auftauchte. Schon vor einigen Jahren hatte sich die Entdeckung abgezeichnet, aber erst jetzt reichen die Daten aus, um gemäss den Kriterien der Teilchenphysik als Beweis akzeptiert zu werden: Die Wahrscheinlichkeit für einen Irrtum liegt nur noch bei eins zu vier Millionen, sagen die Forscher.

Das Schöne an der Entdeckung ist, dass damit ein weiteres Puzzleteil des „Standardmodells der Teilchenphysik“ bestätigt ist. Durch die Messungen kann ein Parameter des Modells direkt bestimmt werden, der zuvor nur indirekt gemessen werden konnte: Einer der Einträge in der Matrix nämlich, für deren Aufstellung Kobayashi und Maskawa vergangenes Jahr den Nobelpreis erhielten. Dass sich keine Widersprüche ergeben, ist ein weiteres Zeichen, dass das Modell soweit in Ordnung ist, und davon hat es lange keines mehr gegeben. Unter anderem scheint es tatsächlich nur drei Familien von Quarks zu geben – wie bisher angenommen.

Aber zur Zeit ist ja die ganze Welt der Teilchenphysik geradezu besessen davon, endlich das Higgs zu finden – das rätselhafte Teilchen, das für die Massen der anderen Partikel verantwortlich ist. Natürlich wird am Fermilab sofort betont, dass der Nachweis des Higgs jetzt nochmals einen Schritt näher gerückt sei. Das ist nicht ganz falsch, denn der jetzt beschriebene Vorgang kann auch mit einem Prozess verwechselt werden, bei dem ein Higgsteilchen erzeugt wird. Darum ist es wichtig, ihn genau zu kennen, bevor man sich auf die Suche nach dem Higgsteilchen selber macht. Allerdings ist es nur einer von vielen solcher Prozesse, also eher ein Tippelschritt als ein Sprung. Wichtiger ist vielleicht, dass die Forscher am Fermilab für die Entdeckung ihre Techniken der Datenanalyse nochmals verbessert haben, das wird ihnen bei der Suche nach dem Higgs zugute kommen.

Aber ob das allein schon heisst, dass das Wettrennen zwischen dem Tevatron und dem LHC in eine neue Phase geht, wie ein grosser Teil der bloggenden Gemeinde zu vermuten scheint? Mal ehrlich: Dieses Rennen findet doch gar nicht statt. Allein schon, weil der LHC abgeschaltet ist und das noch eine ganze Weile bleiben wird – Wettrennen gegen schlafende Gegner gestalten sich traditionell eher langweilig. Selbst wenn am LHC ab sofort alles nach Plan geht, kann es noch einige Jahre dauern, bis er genug Daten gesammelt hat. Der Tevatron wird dagegen unabhängig vom Schicksal des LHC allerspätestens 2011 vom Netz genommen. Wenn überhaupt, ist die amerikanische Higgssuche also eher ein Wettlauf gegen die Zeit, nicht gegen das Cern. Und wenn das Higgs nicht so nett ist, gerade die Masse zu haben, bei der auch der kurzsichtige Tevatron es sehen könnte, ist ohnehin alle Mühe umsonst. Also Leute, hört auf, Euch zu streiten, Forschungserfolge kann man nicht herbeireden.

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