Superabsorber, Selbstorganisation und photonische Kristalle

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Natürlich ist es toll, wenn eine völlig neue Erkenntnis mit Pomp und Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Aber mir gefallen die Publikationen besser, die verschiedene Entdeckungen aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen aufnehmen und zu einem Ganzen verknüpfen.

Denn eine wissenschaftliche Sensation ist ja erst der Anfang. Es folgen Hunderte, wenn nicht Tausende Papers zur eher unglamourösen Frage „Was stellen wir damit an, und vor allem wie?“. Aber gerade hier findet man einige der spannendsten und beeindruckendsten Forschungen überhaupt.

Vor ein paar Tagen las ich in einer Online-Vorabveröffentlichung bei Nature Materials von einer gelungenen Kombination mehrerer Effekte, von denen jeder für ein aktuelles und hochspannendes Forschungsgebiet steht.

Die Arbeit von Kang, Walish, Gorishnyy und Thomas befasst sich mit photonischen Kristallen. Diese Festkörper zeichnen sich durch alternierende Zonen von Materialien mit unterschiedlichem Brechungsindex aus. Bestimmte Wellenlängen werden durch negative Interferenz ausgelöscht – Licht dieser Wellenlängen kann sich im photonischen Kristall nicht ausbreiten.

Das bezeichnet man als photonische Bandlücke, in Analogie zur Bandlücke bei Halbleitern. Welcher Teil des elektromagnetischen Spektrums betroffen ist, hängt unter anderem von den Abständen zwischen den Schichten ab. Die Bandlücke photonischer Kristalle kontrolliert über einen weiten Bereich zu verschieben ist jedoch schwer.

Thomas und seinen Kollegen gelang das Kunststück mit Hilfe eines Materials, das Schichten aus einem Polyelektrolytgel enthält. Unter der Bezeichnung Superabsorber werden solche Gele bereits in Windeln oder Kosmetikprodukten eingesetzt. Sie enthalten gebundene und frei bewegliche Ionen und saugen durch den entstehenden osmotischen Druck Wasser, mit dem sie in Kontakt kommen, begierig auf und schwellen auf ein Vielfaches ihres ursprünglichen Volumens an.

Der Clou: Das Material organisiert seine Struktur selbst. Grundstoff ist eine Molekülkette mit zwei unterschiedlichen Enden (Abbildung 1a). Die eine Hälfte besteht aus Polystyrol, dem Kunststoff, aus dem auch Styropor besteht, die andere Hälfte aus dem chemisch eng verwandten Polyvinylpyridin (P2VP). Diese Molekülstränge haben die Forscher in einem drei Mikrometer dicken Film auf einen Träger aufgebracht.

Erst im nächsten Schritt entsteht die Schichtung. Der Kunststofffilm wird einen Tag lang mit einer Mischung aus zwei Chemikalien behandelt, die an die Stickstoffatome im Polyvinylpyridin binden und sie teilweise untereinander vernetzen (Abbildung 1b). Außerdem verändern sich die Lösungseigenschaften, die Polystyrol- und P2VP-Bereiche im Film trennen sich wie Öl von Wasser und sammeln sich in alternierenden Schichten mit unterschiedlichem Brechungsindex: Ein photonischer Kristall ist entstanden.

Abbildung 2: Farbe des gequollenen Gels (Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von den Autoren)

Das so hergestellte Material hat seine Bandlücke außerhalb des sichtbaren Bereiches des elektromagnetischen Spektrums, es ist deswegen transparent. Kommt Wasser hinzu, quillt der Superabsorber auf, der Abstand zwischen den Schichten verändert sich und die photonische Bandlücke ist plötzlich im sichtbaren Bereich: Das Material wird farbig. Über die Umgebungsfeuchte oder auch den Salzgehalt des Wassers lässt sich die Farbe nahezu beliebig über das ganze Spektrum einstellen. Ein schönes Bild habe ich auch hier gefunden.

Superabsorber, Selbstorganisation, photonische Kristalle

Abbildung 3: Farbe des gequollenen Gels abhängig vom Vernetzungsgrad (Quelle: Thomas et al., Nature Materials Advance Obline Publication, 21. Oktober 2007)

Welche Farbe der Polymerfilm annimmt, hängt vom Vernetzungsgrad der Superabsorber-Schicht ab, und die wiederum von der Zusammensetzung der Chemikalienmischung, mit der das Gel behandelt wird. So kann man auch mehrfarbige Bilder erzeugen: Auf eine Schicht des photonischen Materials legten die Wissenschaftler eine Schablone und erzeugten einen zweiten Film, den sie mit einer etwas anderen Chemikalienmischung behandelten. Gibt man etwas Wasser hinzu, erscheinen orangefarbene Buchstaben auf blauem Grund (Abbildung 3). Anmerkung: Die Verwendung des Bildes aus der Veröffentlichung muss noch von Nature Materials genehmigt werden. Bis dahin hat mir einer der Autoren, Dr. Walish, das vorliegende Foto zur Verfügung gestellt.

Thomas und seine Kollegen betonen, dass sich derartige Filme ganz hervorragend für viele neue tolle Anwendungen eignen. Aber man kann sich auch einfach nur zurücklehnen und staunen, was es so alles gibt…

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