Statistik: Russisches Roulette

Frage an die Statistikfans: Wenn Alice und Bob gegeneinander Russisches Roulette spielen, ist dann die Person im Vorteil, die als zweites abdrückt?

Die Regeln sind folgende: Beide haben je einen idealen Revolver, in dem eine Kammer von sechs mit einer Patrone bestückt ist. Wer dran ist, zieht den Hammer zurück, lässt die sechs Kammern rotieren, setzt sich die Waffe an den Kopf und drückt ab. Die Wahrscheinlichkeit zu verlieren ist bei jedem Versuch 1/6, also knapp 17 Prozent. In dem Fall ist das Spiel sofort beendet.

[Addendum, da das anscheinend nicht klar ist: Gemeint ist, dass die Trommel vor jedem Schuss gedreht wird, sonst wären die Wahrscheinlichkeiten ja nicht unabhängig voneinander]

fotolia / cataliseur30
fotolia / cataliseur30

Für den Grenzfall eines einzigen Versuches gilt das allerdings nur für die Person, die als erste schießt. Die zweite Person muss ja nur dann schießen, wenn Nummer eins noch steht – die Wahrscheinlichkeit dafür ist 83 Prozent. Entsprechend ist die a-priori-Verlustwahrscheinlichkeit für beide unterschiedlich: Nummer 1 – Alice – stirbt mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/6 = 16,7 Prozent, Bob lediglich mit 1/6 * (1 – 1/6) = 13,8 Prozent.

Allerdings ist die Situation im anderen Grenzfall einer unendlichen Folge von Schüssen nach meinem Verständnis symmetrisch, das heißt, die Wahrscheinlichkeit ist für beide gleich.

Wie ist das nun bei einer realen Situation, in der beide so lange Schießen, bis irgendwann Schluss ist? Die Wahrscheinlichkeiten von Alice und Bob hängen anscheinend davon ab, ob die jeweils andere Person vorher schon tot ist. Alice hat einen Schuss mehr. Also setzt sich ihre Verlustwahrscheinlichkeit bei n Schüssen aus folgenden Termen zusammen:

1 – 0,83n (0,83n ist die Wahrscheinlichkeit, dass keiner von n Schüssen scharf ist)
und
0,83n-1 (die Wahrscheinlichkeit, dass B sich vorher noch nicht erschossen hat)

Für Bob ist der erste Term natürlich identisch, weil wir es mit unabhängigen Ereignissen zu tun haben, der zweite Term lautet aber, weil Alice ja bereits n mal schießen musste:

0,83n

Aber augenscheinlich berechnet man damit nur die Wahrscheinlichkeiten, dass Alice oder Bob bis zum genau n-ten Versuch sterben. Nach meinem Verständnis muss man also zusätzlich berücksichtigen, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Duell eine bestimmte Anzahl von Runden dauert.

An diesem Punkt bin ich ein bisschen blockiert: Ich sehe hier zwei unendliche Folgen auf mich zukommen, wenn ich die a-priori-Verlustwahrscheinlichkeiten von Alice und Bob über das ganze Spiel hinweg berechnen möchte.

Oder ist das alles zu kompliziert gedacht? Wenn ja, wo ist der Denkfehler?

[Addendum 2: Wie Kommentator Peter Köhler unten schreibt, stimmt der Ansatz wohl. Man muss ihn nur zu Ende rechnen. Die resultierenden unendlichen Folgen konvergieren laut der verlinkten Diskussion für Alice auf 6/11, für Bob auf 5/11 Verlustwahrscheinlichkeit. Das bedeutet, wer als zweites abdrücken darf, gewinnt, mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 55 Prozent.

Außerdem findet man dort eine weitere interessante Überlegung: Beim Drehen der Trommel folgt die Kammer mit der Patrone der Schwerkraft – hält man den Revolver beim Drehen also mit dem Lauf horizontal und dem Abzug nach unten, steckt die Patrone mit höherer Wahrscheinlichkeit in Kammer 4, vom Lauf aus gezählt. Beim klassischen Russischen Roulette, bei dem die Trommel vor Beginn des Spiels genau einmal gedreht wird, ist das eine schlechte Nachricht für Bob. In unserem Szenario würde das bedeuten, dass das Spiel ziemlich lange dauern kann…]

[Addendum 3: Jürgen Hermes hat die Wahrscheinlichkeiten bei dieser Form des russischen Roulettes in einem eigenen Blogpost mal für mehr Opfer durchgerechnet]

23 Kommentare

  1. Die Aufgabe berücksichtigt nicht, ob es zwei oder nur eine Waffe gibt. Und ob -es werden ja idR Revolver verwendet- nach jedem Versuch die Trommeln neu durchgemischt werden. Also sind da Prognosen bei den aktuellen Regeln nicht sinnstiftend.

  2. die a prori Wahrscheinlichkeit für Bob ist 1/5 * (1 – 1/6) = 1/6 , da er nur die Waffe erhält, wenn Alice die Patrone nicht getroffen hat. Sie kann dann nur in einer der 5 verbleibenden Kammern stecken.

    • Vielen Dank für den Link, das erscheint mir nachvollziehbar. Demnach stimmt der Ansatz oben, man muss ihn nur zu Ende rechnen (und Ahnung von Reihenentwicklungen haben).

  3. Ich bin mir nicht sicher, welchen Revolvertyp du verwendest, aber wenn ich russisch Roulette spiele, lässt sich die Trommel technisch nicht so drehen, wie du es beschreibst. Liegt vielleicht am Modell.

  4. Ich weiß gar nicht, ob man eine Trommel so drehen kann, wenn sie nicht ausgeklappt ist. Falls ja, wird das nicht üblich sein, schon gar nicht mit gespanntem Hahn, da man sich leicht versehentlich in den Fuß schießen kann.

    Üblicherweise wird die Trommel ausgeklappt gedreht, wie hier:
    https://www.youtube.com/watch?v=f0unq75f44E
    https://www.youtube.com/watch?v=kE_zqVPr4HI

    Dann kommt das Schwerkraftargument aber nicht zum Tragen, da man die Trommel wieder zurückschiebt, bevor die Rotation zum Stillstand gekommen ist. Ansonsten wüsste der Trommeldreher, ob sich eine Patrone im Lauf befindet und Manipulationen durch Bestechung, Körpersprache usw. wären möglich.

  5. Dann hätten wir hier also mal einen Fall, wo die Statistik die Intuition bestätigt: Beim Russischen Roulette (in der beschriebenen Vorgehensweise) ist immer der im Vorteil, der als zweiter dran ist, egal, wie oft man das „Spiel“ wiederholt.

  6. Pingback:Russisch Roulette – Highlander Edition | TEXperimenTales

  7. Es geht sogar noch einfacher, ohne unendliche Reihen, anhand zweier Beobachtungen:
    1. Wenn Alice nach dem ersten Schuss noch am Leben ist (Wahrsch. 5/6), ist Bob in derselben Situation wie vorher Alice, ansonsten ist Bob “der Gewinner”, also gilt fuer die Sterbewahrscheinlichkeiten von Bob und Alice pB=5/6 pA.
    2. Das Spiel ist beendet, wenn genau einer gestorben ist, also pA+pB=1. Dies sind zwei lineare Gleichungen mit zwei Unbekannten mit der Loesung pA=5/11, pB=6/11.

  8. @Lars Fischer schreibt:

    Oder ist das alles zu kompliziert gedacht? Wenn ja, wo ist der Denkfehler?

    Ja, mir scheint, das ist zu kompliziert gedacht. Vermutlich hat das mörderische „Russische Roulette“ den klaren Blick auf das eigentliche Problem verstellt.

    So, wie das „Spiel“ hier beschrieben wird, ist es völlig analog einem Würfelspiel mit zwei Spielern, bei dem der verliert, der als erster eine Sechs würfelt, wobei das Spiel endet, sobald die Sechs gefallen ist. Es liegt auf der Hand, dass der, der als erster würfelt, im Nachteil ist, also eine geringere Gewinnchance hat. Daran ändert sich auch bei der zweiten Spielrunde nichts, auch nicht bei der dritten, vierten, …, n-ten. Ein Würfel hat kein Gedächtnis.

  9. Pingback:Russisch Roulette – Highlander Edition | TEXperimenTales

  10. Die Frage, ob der zweite Spieler beim Russisch Roulette im Vorteil ist, lässt sich doch ganz ohne Mathematik beantworten. Der zweite Spieler kann gewinnen, ohne irgend etwas zu tun. Der erste Spieler kann das nicht. Er muss immer abdrücken. Damit ist der erste Spieler im Nachteil.

Schreibe einen Kommentar