Soll man drüber berichten – oder soll man nicht?

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Manche Geschichten in der Wissenschaft sind einfach zu gut um wahr zu sein. Andere Geschichten sind zu schlecht belegt um wahr zu sein. Manche sind beides. Das jüngste Beispiel einer ebenso unwiderstehlichen wie absurden Theorie ist ein Killerkrake, der vor etwa 200 Millionen Jahren in der Tiefsee Ichthyosaurier gejagt haben soll.

Darüber haben natürlich diverse Medien gerne berichtet, darunter auch spektrumdirekt. Allerdings, und da liegt der Haken, gibt es nicht das geringste greifbare Indiz dafür, dass dieser Riesenkrake zu der Zeit oder sonst irgendwann existierte, geschweige denn, dass er die immerhin etwa 14 Meter langen Raubtiere im Dutzend billiger erlegt hätte. Der Urheber der Idee, Mark McMenamin, hat sich die Geschichte schlicht aus den Fingern gesaugt, anders kann man das nicht sagen.

Und da liegt natürlich das Problem: Schöne Geschichte hin oder her – wenn man einen Sachverhalt vermeldet, sollte der schon etwas mit der Realität zu tun haben. Oder andersherum, eine Behauptung, die so offensichtlich haltlos ist, sollte man nicht weiter verbreiten. Auf den Standpunkt stellen sich jedenfalls einige prominente englischsprachige Wissenschaftsblogger und echauffieren sich lustvoll über die ganze Affäre. Brian Switek nennt das Ding “The Giant, Prehistoric Squid That Ate Common Sense” und konstatiert ein ernstes Problem im Wissenschaftsjournalismus, Kevin Zelnio macht sich über die ganze Geschichte lustig und Mike Taylor von Sauropod Vertebra Picture of the Week sorgt sich um die Reputation der Geological Society of America und der Paläontologie im Allgemeinen.

Der Sachverhalt stellt sich folgendermaßen dar: Mark McMenamin ist Paläontologe am Mount Holyoke College in Nevada und hat beim jährlichen Meeting der GSA in Minneapolis seine bahnbrechende Theorie vorgestellt. Sie stützt sich auf eine Fundstelle in Nevada, an der etwa 215 Millionen Jahre alte Knochen des Ichthyosauriers Shonisaurus popularis liegen, einzelne Individuen und in Gruppen. Die Fossilien sind schon etwas länger bekannt, so lange, dass der Staat dort einen kleinen Naturpark eingerichtet hat, in dem man die Überreste der Meeresreptilien besichtigen kann.

Damit wären die harten Fakten eigentlich schon umrissen – mehr gibt es nicht, und vor allem nichts Neues. Wieso die Tiere in Gruppen dort landeten, dazu gibt es verschiedene Hypothesen, von denen keine so richtig zufriedenstellend ist, aber das sollte nach 200 Millionen Jahren auch nicht verwundern.

Nun kommt McMenamin. Der guckt sich die von Tod und Zeit verzerrten Überreste an und fühlt sich vage an etwas erinnert – nämlich an die Abfallhaufen, die räuberische Kopffüßer heutzutage in der Nähe ihrer Verstecke hinterlassen. Außerdem sind einige Wirbelknochen in zwei Reihen angeordnet, fast so wie die Saugnäpfe eines Kraken. Der Forscher schlussfolgert messerscharf: Ein busgroßer Riesenkrake hat die Ichtyosaurier erlegt, zu seinem Bau geschleppt und aus ihren Wirbelknochen das erste überlieferte Selbstbildnis der Weltgeschichte gebastelt.

Also wirklich…

Naja, und jetzt ist natürlich die Frage: Was macht man damit? Die GSA jedenfalls hat eine hochnotpeinliche Pressemitteilung herausgegeben, in der sie die abgedrehte Idee als wissenschaftlichen Fakt darstellt, und diverse Redaktionen haben das völlig unreflektiert übernommen. Brian Switek beklagt sich bitterlich – und völlig zu Recht – darüber, dass die Leute nicht mal bei irgendjemandem nach einer Expertenmeinung gefragt haben.

Andererseits braucht auch niemand eine Expertenmeinung um zu sehen, wie dünn die Argumentation ist (selbst wenn man nicht losgeht und nachrecherchiert, ob es damals überhaupt schon Kraken gab). Ich denke Switek und die anderen Kollegen unterschätzen die Leser hier ein bisschen. Wenn man sich unseren Artikel oder die Meldung aus sueddeutsche.de anguckt, dann wird doch ziemlich klar, dass die ganze Geschichte ziemlich weit hergeholt ist. Und wer unreflektiert alles schluckt was irgendwo so erzählt wird, dem ist wohl auch mit strenger ausgewählten Geschichten nicht zu helfen. Außerdem – was wäre das Internet ohne saurierfressende Riesenkraken, real oder nicht…

8 Kommentare

  1. Die Jagd nach Sensationen

    ist halt immer wieder zu beobachten. Der größte und schrecklichste Räuber verkauft sich halt immer gut. Und dann noch das angeblich erste Selbstportrait. Ich habe vor Lachen erstmal einen teil meiner Tischkante abgenagt und überlegt, ob ich einen rant zum Thema schreibe. In meinen Augen ein starkes Stück aus der Rubrik “Geofantasie vom Feinsten”. Da wird noch der Fischsaurier in der Pfanne verrückt.

  2. Kraken

    “..selbst wenn man nicht losgeht und nachrecherchiert, ob es damals überhaupt schon Kraken gab..”

    In Jura und Kreide gab’s schon Kraken. Über die Grösse kann ich leider nichts sagen, denn das Originalpaper

    Engeser T, Bandel K. (1988) Phylogenetic
    classification of coleoid cephalopods. In:
    Wiedmann J, Kullmann J (eds) Cephalopods –
    Present and Past. E. Schweizerbart’sche
    Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, pp 105-115

    ist mir nicht zugänglich, ich zitiere aus einem Review.

  3. Kraken

    Kraken, aka Cephalopoden sind eine relativ alte Gruppe und sptestens seit dem Oberkambrium bekannt. Von daher sehe ich also kein Problem. Und einige waren sicher auch schon ziemlich groß, wie beispielsweise Parapuzosia seppenradensis. Der war allerdings wohl immer noch kleiner als das, was hier vorgesehen wurde.

  4. @Gunnar, Helmut

    Kopffüßer gibt es natürlich schon relativ lang, aber angesichts dessen was in dem Artikel behauptet wird, fallen die älteren Klassen (die mit Gehäuse ja eh) eher raus. Insofern scheint es hier spezifisch um Dibranchiata und speziell um Kraken zu gehen (Kalmare können solche Tricks wie in dem Film m.E. nicht).

    Und ob es die in der Trias gab ist zumindest unklar.

  5. @ Lars

    Deshalb hab’ ich ja diesen Artukel genannt. Da geht’s speziell um schalenlose Kopffüsser (Coleoidea, “Tintenfische”, also die achtarmigen Kraken und die zehnarmigen Kalmare/Sepias/Theutis etc.). Aber der erste Beleg für die ist eben auch erst aus dem Jura.

    Eine schöne Beschreibung grosser Coleoiden finde ich in Gessners “Thierbuch” von 1670:

    “Diese Fisch verschonen auch den Menschen nicht: Dann zu Zeiten werden sie so grosz und starck / dasz sie die Fischer aus den Schiffen ins Meer herausz reissen / und sich mit ihrem Fleisch ersättigen.”

    Heiter stimmt mich hier erstens der schöne (Wort-)Fossilfund “ersättigen”, zwotens heitert mich die Vorstellung auf, dass ein hypothetischer Sensationskrake aus dem Ozean der Palaeontologen aufsteigt, und sich an der wissenschaftlichen Reputation des Faches solange ersättigt, bis nichts mehr davon übrig ist.

  6. Die SZ berichtet …

    Hallo zusammen. Da unser Text direkt erwähnt wird … es war sueddeutsche.de, die den Artikel veröffentlicht hat, nicht die SZ. Ich verstehe den Hinweis auf uns hoffentlich richtig, wenn gemeint ist, dass auch durch unsere Darstellung klar wird: Die Sache ist weit hergeholt. Und nicht, dass wir auch drauf reingefallen sind. Dank und Gruß.

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