Sex wird wieder riskant – der Tripper ist zurück

BLOG: Fischblog

Wissenschaft für alle
Fischblog

Der Titel ist natürlich eine gewisse Übertreibung, Sex war auch bisher schon riskant, aus diesen oder jenen Gründen. Und auch die klassischen Geschlechtskrankheiten waren nicht wirklich weg. Aber dank wirkungsvoller Bekämpfungsstrategien hatten die Seuchenbekämpfer Krankheiten wie Syphilis oder eben Tripper unter Kontrolle. Jetzt aber beginnt Neisseria gonorrhoeae, der Erreger des Trippers, diese Dynamik zu seinen Gunsten zu verändern.

Entgegen dem lange sinkenden Trend in den Jahren zuvor ist die Anzahl der Gonorrhoe-Fälle 2010 und 2011 wieder angestiegen. Ein Teil davon scheint auf bessere Überwachung zurückzugehen, doch es gibt auch einen tatsächlichen Anstieg, den Forscher auf riskanteres Sexualverhalten zurückführen. In Sachsen, das löblicherweise eine Meldepflicht für Gonokokken hat, stieg die Inzidenz der Krankheit von etwa 7 Fällen pro 100.000 Einwohner im Jahr 2003 auf über 14 vor zwei Jahren. Auf ganz Deutschland bezogen wären das etwa zehntausend Fälle im Jahr[1]. Viel dramatischer jedoch ist eine andere Entwicklung: Die beiden verbleibenden breit einsetzbaren Medikamente sind durch Resistenzen bedroht.

Die Bekämpfung von Tripper hängt von wirksamen Antibiotika ab. Im Laufe der Zeit hat N. gonorroeae jedoch wie die meisten anderen Pathogene, schrittweise Resistenzen angesammelt – gegen Penicilline, Tetracycline, Fluorchinolone und zuletzt auch gegen viele Cephalosporine. Zuletzt gab es nur noch zwei Cephalosporine der dritten Generation, die für die ambulante Tripper-Behandlung, auf der die Kontrolle dieser Geschlechtskrankheit basiert, in Frage kommen: Cefixim, das man oral in Tablettenform nimmt, und Ceftriaxon, das injiziert werden kann.

Bricht die Infektionskontrolle zusammen?

Geschlechtskrankheiten erfordern aufmerksame Überwachung, weil die Opfer eben nicht leidend im Bett liegen (wo sie erstens relativ einfach aufzuspüren sind und zweitens nicht so viele Leute anstecken), sondern abgesehen von kleineren Symptomen über Jahre hinweg ungehindert rumlaufen und sexuell aktiv sind. Die meisten Leute haben nun mal sehr gerne Sex (oder behaupten es zumindest) und daran wird eine Geschlechtskrankheit wie Gonorrhoe nichts ändern – eher im Gegenteil[2]. Außerdem wissen wir ja aus dutzenden Studien, dass nur ein Teil der Beteiligten zuverlässig Kondome benutzt. Deswegen ist für die Kontrolle dieser Krankheiten entscheidend, dass zumindest für Mitglieder der Risikogruppen Tests einfach zugänglich sind und im Ernstfall Medikamente zur Verfügung stehen, mit denen man Betroffene ambulant schnell und effektiv heilen kann.

Hat man ein Antibiotikum in Tablettenform, das den Erreger nach zwei, drei Dosen eliminiert, ist die Chance groß, dass die Ansteckungskette damit unterbrochen ist. Je komplizierter und langwieriger die Behandlung dagegen ist, desto größer ist die Chance, dass die Infektionskette weiterläuft, bevor die Medikamente anschlagen – und vor allem, desto mehr Geld muss man für eine funktionierende Kontrolle dieser Krankheit in die Hand nehmen.

Seit 2009 beobachtete das ECDC, dass N. gonorrhoeae in Europa zunehmend unempfindlicher gegen das Antibiotikum Cefixim wird – einen der beiden verbleibenden breit verwendeten Wirkstoffe. Der Anteil weniger empfindlicher Stämme stieg zwischen 2009 und 2010 von vier auf neun Prozent aller Fälle, ein klares Warnzeichen für entstehende resistente Stämme. Durch diese Entwicklung steht aber nicht nur die Wirksamkeit dieses Biozids in Frage, denn das zweite verbleibende Antibiotikum gehört zur gleichen Wirkstofffamilie. Mit zunehmender Resistenz gegen Cefixim steigt die Wahrscheinlichkeit einer Anpassung an Ceftriaxon erheblich.

Das letzte Mittel

In den USA sind die Resistenzraten nun so hoch, dass das CDC die Notbremse gezogen hat und Cefixim nicht mehr als Behandlungsoption empfiehlt – damit bleibt als letzte Waffe nur noch Ceftriaxon – und schon das führt zu Schwierigkeiten, denn während Tabletten einfach so eingenommen werden, muss eine Injektion auf jeden Fall von ausgebildetem medizinischen Personal vorgenommen werden. Das CDC warnt schon jetzt vor einer Vervierfachung der Gonorrhoe-Inzidenz und enormen zusätzlichen Kosten. Vergleichbares könnte auch auf Europa zukommen, die Fallzahlen steigen in einigen Ländern schon jetzt rapide.

alt

Anteil der Infektionen, die merklich weniger empfindlich gegen Cefixim sind, und komplett resistente Fälle. Bild aus dem Response plan to control and manage the threat of multidrugresistant gonorrhoea in Europe des ECDC

Zumal wir hierzulande schon längst vollständig resistente Gonokokken haben. 2011 berichtete Eurosurveillance von einem Österreicher, gegen dessen Tripper das gängige Cefixim unwirksam blieb: Der Mann hatte sich in München angesteckt. In Frankreich, Großbritannien und Norwegen meldete man ebenfalls gescheiterte Behandlungen, dazu einen Verdachtsfall in Spanien. Zusätzlich steigen, wie erwähnt, die Anteile von weniger empfindlichen Stämmen in allen Ländern an.

Mit einem schnellen, billigen Medikament, das auch Krankenpfleger verabreichen können, kann ein Gesundheitssystem auftretende Fälle schnell und einfach abfangen und die Gonorrhoe effektiv zurückdrängen. Wenn nur noch Antibiotika zur Verfügung stehen, die intravenös injiziert werden müssen, braucht man für die nötigen Infusionen Ärzte und Krankenhausbetten, stationäre Versorgung und dazu eine effektive Nachsorge – und damit wird es richtig teuer und richtig aufwendig. So wie es aussieht sind die Zeiten der einfachen und billigen Seuchenkontrolle zumindest bei Tripper demnächst vorbei.

Resistente Gonokokken – demnächst auch in Deiner Unterhose?

Schon jetzt reißen die resistenten Bakterien ein Loch in das Kontrollsystem: Bisher haben sich Ärzte darauf verlassen, dass die Behandlung wirkt. Inzwischen kann man davon nicht mehr ausgehen – die WHO hat letztes Jahr empfohlen, routinemäßige mikrobiologische Tests bei behandelten Patienten einzuführen um zu sehen, ob das Antibiotikum angeschlagen hat. Heutige, günstige Schnelltests erkennen zwar die Infektion selbst, geben aber keinen Aufschluss darüber, gegen welche Wirkstoffe der Erreger schon immun ist. Die zusätzliche Untersuchung treibt die Kosten, ganz zu schweigen von der Nachbehandlung, wenn die Infektion nicht weg ist. Und Geld ist knapp in den Gesundheitssystemen.

Die Gefahr, die da auf und zurollt, darf man nicht unterschätzen. Die Programme, mit denen die Gesundheitsbehörden Tripper zurückgedrängt haben, waren so erfolgreich, dass viele Leute inzwischen nicht mehr im Blick haben, wie gefährlich so eine Infektion tatsächlich ist, insbesondere für Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter. Unbehandelte Gonorrhoe verursacht auf Dauer eine Reihe gravierender Langzeitfolgen, von hartnäckigen Harnwegs- und Genitalentzündungen bis hin zu Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten und extrauterine Schwangerschaften und weitere Komplikationen bis hin zum Tod der Schwangeren. Neugeborene können von der Entzündung erblinden.

Unschön ist auch, dass ein beträchtlicher Anteil der Erkrankungen symptomlos abläuft und deswegen nur sehr schwer zu entdecken ist. Aber da die Meldepflicht für Gonorrhoe im Jahr 2001 abgeschafft wurde, kann man hierzulande eh nicht genau sagen, wieviele Gonokokken-Infektionen es überhaupt ungefähr gibt. Im STD-Sentinel-Programm, das die Lücke schließen sollte, sind zwischen 2002 und 2009 etwa 3500 Fälle verzeichnet, allerdings erlauben diese Daten keinen Rückschluss auf tatsächliche Häufigkeiten. Wir wissen schlicht nicht, was Neisseria gonorrhoeae in Deutschland tatsächlich so treibt. Wir wissen allerdings, dass der Tripper zurückkommt, und dass er mit den neu erworbenen Resistenzen gefährlich ist wie seit sehr langer Zeit nicht mehr.

.
.
.

[1] Samt Dunkelziffer dürften es etwa doppelt so viele sein.

[2] Ich warte ja auf die ersten Daten die belegen, dass Geschlechtskrankheiten die Libido ihrer Opfer manipulieren, um sich effektiver zu verbreiten.

6 Kommentare

  1. Tripper behandeln

    Also Jungens aus Erfahrung kann ich euch sagen, egal wie Ihr dazu gekommen seid immer behandeln lassen.

  2. also klar

    ja leider sind diese bakterien heutzutage nicht empfindlich, die kann man sehr schwer zu grunde bringen. besser falls möglich beschützen. Ich als Escort sag das, man kann stark erkranken, wenn man nicht gut aufpasst.

  3. Pingback:Welche Bakterien kleben am Touchscreen eines Smartphones? › Fischblog › SciLogs - Wissenschaftsblogs

  4. Pingback:10 Jahre Fischblog - das Best Of » Fischblog » SciLogs - Wissenschaftsblogs

Schreibe einen Kommentar